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KAPITEL 2

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An der Klosterpforte ließ Martin seinen Schecken in den Händen eines Knechts zurück und folgte Alban durch kahle Gärten. Sein Bruder führte ihn jedoch nicht zur Abtei, sondern zu einer Hütte, in deren Nähe ein Brunnen stand. In ihrem Inneren befand sich ein großer Waschzuber.

»Was soll der Unsinn?«, grollte Martin.

»So kannst du nicht vor den Abt treten.« Alban streckte eine Hand in den Zuber, bevor er sie wieder in den Ärmeln seiner Kukulle verschwinden ließ. »Ich hatte darum gebeten, den Zuber zu füllen. Das Wasser ist sogar ein wenig wärmer geworden. Wenn es frisch aus dem Brunnen geschöpft wird, ist es wirklich unangenehm kalt. Eigentlich wäre es jetzt meine Aufgabe, dir die Füße zu waschen, immerhin bist du so etwas wie ein Gast. Aber da du ja ohnehin baden wirst, können wir wohl auf dieses Ritual verzichten.«

»Das ist in meinem Sinne.« Martin schob ihn hinaus und warf die Tür zu.

»Da liegt auch Seife«, rief Alban. In der Tat, ein kleines, bröckeliges und fast schwarzes Stück Seife lag auf einem Hocker, dazu ein Leinensäckchen mit Zahnpulver und ein ordentlich zusammengefaltetes Tuch. Martin entledigte sich seiner Kleidung und stieg in den Zuber. Um der Kälte Herr zu werden, musste er die Zähne zusammenbeißen. Er streckte sich nach der Seife. Nötig hatte er dieses Bad ohne Zweifel. Auch ein Rasiermesser fand sich auf dem Hocker. Er rieb sich die Zähne ab und entledigte sich des Pilgerbarts, bis er zufrieden über sein geglättetes Gesicht strich. Vielleicht sollte er heute Abend ins Gasthaus zurückkehren, um noch einmal nach der Tochter des Wirts zu schauen. So hätte sich das Baden wenigstens gelohnt, denn ob er dem Abt schmutzig oder sauber gegenübertrat, war ihm gleich.

Angekleidet trat er ins Freie, nur den Pilgerüberwurf ließ er in der Hütte zurück, denn seine Reise war schließlich vorbei. Alban stand im Garten, offenbar ins Gebet vertieft. Als Martins Schritte auf dem steinigen Weg erklangen, drehte er sich um.

»Gut«, sagte er nur und ging voraus. »Der Abt erwartet dich. Tu uns beiden um Gottes willen den Gefallen und benimm dich.«

»Und du halte dich mit deinen Maßregelungen zurück«, gab Martin grimmig zurück.

Er kannte die Benediktinerabtei Steinreuth, denn sie befand sich nur einen Tagesritt von seiner Burg entfernt. Als sein Bruder als zehnjähriger Novize hier eingetreten war, was nun zwölf Jahre zurücklag, hatte er ihn begleitet und die Gelegenheit genutzt, durch Gänge und Kammern zu streifen. Das Innere war so düster, wie er es in Erinnerung hatte. Schweigend und tief ins Gebet versunken, schritten Mönche und Laienbrüder vorüber. Alban führte ihn durch den Kreuzgang, blieb vor einer Tür stehen und klopfte leise. Es kam keine Antwort. Als Martin gerade überlegte, ob er einfach die Tür aufstoßen sollte, gestattete ihnen endlich eine Stimme, einzutreten.

Der Abt saß an einem wuchtigen Schreibtisch, vor sich ein Pergament, in dessen Lektüre er versunken war. Zwei Spitzbogenfenster ließen das Licht über seine Schultern auf den Tisch strömen. Er nickte ihnen zu, ohne aufzusehen, und las weiter. Alban bedeutete Martin, in der Mitte des Raumes stehenzubleiben. Noch immer beachtete der Abt sie nicht. Martin ärgerte sich über dieses geringschätzige Verhalten, nutzte aber die Gelegenheit, seinen Auftraggeber genauer in Augenschein zu nehmen. Er hatte schon von vielen Menschen Sold empfangen und konnte seine Herren zumeist gut einschätzen. Dieser hier – er nannte sich nach dem heiligen Rogatus – machte keine Ausnahme, er schien seinem schlechten Ruf zu entsprechen. Martin schätzte ihn auf vierzig oder fünfundvierzig Jahre, sein Haarkranz war von dunklem Braun, seine Gestalt schmal. Nach den Tintenspritzern auf seinen Händen zu urteilen, las und schrieb er viel.

Das Warten wurde Martin lästig; breitbeinig baute er sich vor dem Schreibtisch auf. Schließlich legte der Abt das Schriftstück beiseite und hob den Kopf, um ihn seinerseits zu mustern. Dann erhob er sich und nahm Alban beiseite. »Etwas ungehobelt, oder? Er scheint sich gar nicht für sein Benehmen im Gasthaus zu schämen.«

»Schämen?«, erwiderte Alban mit hörbarem Unbehagen. »Ich bezweifle, dass er weiß, was das ist.«

Endlich wandte sich Rogatus an Martin. »Pater Alban hat mir gesagt, du seist ein Ritter und dir gehöre die Burg Thiersreuth. Ich wusste gar nicht, dass es hier in der Gegend so eine Burg gibt, das scheint ja ein rechtes Vogelnest zu sein. Du hast das Geld wohl dringend nötig?«

»Welcher Ritter hat das nicht«, erwiderte Martin, ohne recht zu wissen, ob er sich ärgern sollte, dass der Abt ihm die ehrenvolle Anrede, die einem Ritter gebührte, verweigerte.

»Er hat auch erwähnt, dass du um des Geldes willen zweimal im Heiligen Land warst – als Berufspilger, der die Mühsal der Reise an anderer Leute statt auf sich nimmt. Auch wenn diese Vorgehensweise üblich sein mag, ich finde sie beschämend.«

Martin schämte sich dessen nicht im Mindesten. Den Erlös dieser Fahrten hatte er dringend nötig gehabt, da er sein letztes Geld beim Kartenspiel verloren hatte. Wer reich war, konnte sich den Weg in den Himmel erkaufen, und wer es nicht war, musste die eigenen Füße bemühen. So war es eben.

»Was sagst du dazu?«, drängte Rogatus.

»Was soll ich dazu sagen?«

»Dir fällt nichts ein? Auch nicht, dass Berufspilger als Rabauken gelten? Dass du auch so einer bist, hast du ja bewiesen. Soll ich wirklich einen wie dich anheuern?«

»Wollt Ihr wissen, ob ich unterwegs eine Herberge zerschlage? Ich habe nicht die Absicht, aber man weiß ja nie!«

Der Abt tat einen tiefen Atemzug, als wolle er alle Geduld bemühen, deren er fähig war. »Was ist mit deiner Hand? Behindert dich diese Verstümmelung irgendwie?«

»Nein«, erwiderte Martin, in einem Ton, der keinen Zweifel duldete.

»Wie ist das passiert?«

Schwer atmete Martin ein und aus. Wieder die verhasste Frage. »Vor fünf Jahren kämpfte ich in der Schlacht bei Grünwald ...«

Der Abt unterbrach ihn mit einem angewiderten Schnauben. »Das genügt, mir steht nicht der Sinn nach blutigen Rittergeschichten. Es sieht jedenfalls nicht danach aus, als könntest du uns damit vor Wegelagerern schützen.«

Martins Augen verengten sich vor unterdrücktem Zorn. »Ich kann es. Und falls es Euch beruhigt, so bin ich ja nicht allein. Oder wollt Ihr darauf verzichten, dass ich eine Lanze mit mir führe?«

»Eine Lanze? Du meinst einen Trupp Männer?« Rogatus rieb sich die Nase, als erschöpfe ihn das Gespräch. »Natürlich, natürlich. Wie lange wird es dauern, die anzuwerben? Wir wollen in einer Woche aufbrechen.«

Martin zwang sich, ruhig zu antworten. »Eine Woche genügt. Ich werde zum Markt Redwitz reiten, dort finden sich immer brauchbare Männer. Sie halbwegs in Zucht und Ordnung zu bringen muss dann unterwegs geschehen.«

»Zucht und Ordnung? Diese Worte passen nicht zu dir. Alban, ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ich deiner Empfehlung trauen soll.«

»Ich traue ihr selber kaum«, sagte Alban. »Aber es gibt keinen anderen. Entweder Ihr vertraut Euch ihm an, oder wir müssen allein reisen.«

»Verbürgst du dich für ihn?«

»Was? Ich? Ah ...«, Alban schaute entsetzt drein. »Verbürgen? Für ihn?.«

»Ja! Was soll denn diese Begriffsstutzigkeit? Ich will wissen, ob ich ihm mein Leben anvertrauen kann. Er und seine Truppe könnten uns auch niederschlagen, ausrauben und mitten im Wald aussetzen!«

»Das ... das wird er bestimmt nicht tun.«

Martin lachte. »Aber ganz sicher bist du dir da nicht, wie?«

Alban räusperte sich. »Nein, Vater Abt, das ist nicht zu befürchten.«

Rogatus seufzte tief auf und wandte sich wieder an Martin. »Gut, gut, beruhigen wir uns. Ich werde mich Gott anempfehlen, dass er über mich wacht, während ich mich in deine Hand begebe. Wir reisen in einem geschlossenen Wagen, den einer der Klosterknechte lenkt. Zunächst bis Ingolstadt, von dort folgen wir der Donau. Ob wir ein Schiff besteigen, hängt davon ab, was dafür verlangt wird. Ich rechne damit, dass wir Mitte des nächsten Monats in Konstanz ankommen, wo wir uns der causa fidei widmen werden.«

Martin hob die Schultern. »Das heißt?«

»Ach, das sagt dir natürlich nichts. Also gut, hör zu. Es gibt drei Themen, derentwegen sich das Konzil versammelt. Das erste ist die causa unionis, die Überwindung des Schismas. Dass derzeit drei Päpste Anspruch auf das Erbe Petri erheben, dürfte dir bekannt sein. Nur einer soll das Konzil als Papst verlassen. Das zweite Thema ist die besagte causa fidei, die Bekämpfung der falschen Lehren des englischen Ketzers Wyclif, der zwar längst tot ist, dessen Lehren aber nach Prag gelangten und seitdem von dem böhmischen Magister Johannes Hus verbreitet werden. Dabei schert Hus sich weder um den Bann, den die Kirche über ihn verhängte, noch um sonstige Verbote. Bleibt als drittes Ziel die causa reformationis, eine gemäßigte Reform der Kirche. Bis dieses dritte Ziel erreicht ist, dürften wir jedoch längst wieder zurück sein. Kannst du meinen Ausführungen folgen?«

»Ja.« Martin bedauerte es zutiefst, nachgefragt zu haben.

»Voriges Jahr wurde Johannes Hus nach Konstanz gerufen, um sich für seine schändlichen Ansichten zu verantworten. Und da seine Lehre auch hier in dieser Gegend Auswirkungen zeigt, reise ich zum Konzil, um darüber auszusagen. Pater Alban und ein Geleitbrief des Rex Romanorum Sigismund werden mich begleiten.« Der Abt deutete auf den Schreibtisch, auf dem Dutzende von Schriftstücken lagen. »Hast du je von Hus gehört?«

Martin nahm an, dass er nun Rechenschaft über seine Gesinnung ablegen sollte. Er warf Alban einen bohrenden Blick zu, der sofort die Augen senkte. Sein Bruder, so viel wusste Martin, war diesen häretischen Lehren heimlich zugetan. »Das habe ich, halte aber nichts von seinem Geschwätz. Ich glaube, was die Kirche sagt, und denke nicht weiter darüber nach.«

»Ein Mann der Tat, nicht des Wortes.« Rogatus’ Nicken wirkte beinahe anerkennend. »Diese Lehren entstanden in einer Universität, und so lesen sie sich auch. Jemand wie du kann sie gar nicht verstehen.«

Martin hatte keine richtige Vorstellung davon, was eine Universität war, auch nicht, was genau diese ketzerischen Lehren besagten. Aber was er gehört hatte, konnte er nicht glauben, zu ungeheuerlich klang es: Das Wort der Bibel habe mehr Gewicht als das des Papstes; es sei ein Dienst an Christus, einem fehlgeleiteten Papst nicht zu gehorchen. Angeblich lehrte Hus sogar, der Abendmahlskelch stehe jedem Gläubigen zu, nicht nur den Priestern. Wer sollte derart unsinnigen Predigten Glauben schenken, außer natürlich sein versponnener Bruder, der seine Nase schon immer viel zu tief in Schriftstücke gesteckt und irgendwann einmal eines dieses Ketzers erwischt hatte.

»Gut«, sagte Rogatus. »Ich zahle dir für jeden Monat, den du in meinem Dienst stehen wirst, zwanzig ungarische Rotgulden. Davon wirst du alles selbst bestreiten, den Sold für deine Männer und die Kosten eures Aufenthaltes. Zehn Söldner, keiner mehr, keiner weniger, und kein Lumpenpack, ist das klar? Du bekommst den Lohn für die ersten zwei Monate nach unserer Ankunft in Konstanz, den Rest nach unserer Rückkehr.«

»Vierzig Rotgulden«, warf Martin ein. »Mit dem Rest bin ich einverstanden.«

»Vierzig?«, fauchte Rogatus. »Wofür hältst du dich? Für den heiligen Martin von Tours? Fünfundzwanzig! Und nun kein Wort mehr!«

Martin deutete ein Nicken an und machte auf dem Stiefelabsatz kehrt. Ein zufriedenes Lächeln huschte über sein Gesicht. Die letzte Pilgerfahrt hatte seine Schulden getilgt, und dank des neuen Auftrages würde er in den nächsten Monaten keine allzu drückenden Geldsorgen haben. Und wenn es stimmte, was man sich erzählte, war Konstanz in diesen Tagen genau die Stadt, in der er sein wollte. Hinterher würde er vermutlich wieder arm sein, aber das war er ohnehin fast immer. Und wo ließ sich der Sold besser unter die Leute bringen als in der Stadt, die derzeit der Mittelpunkt der Christenheit war, in der es in jeder Schenke hoch herging, ein Dutzend Sprachen durch die Gassen schwirrte und auf jeden Pfaffen eine Hure kam?

***

Es schneite; unsicher glitten die Pferdehufe über den schlammigen Weg. Martin zog sich die Kapuze seines Mantels tief in die Stirn. Noch ein Monat, zwei vielleicht, voller Kälte, Nässe und Schnee. »Dort unten wird es wärmer sein«, sagte er zu Sandro, der neben ihm ritt. »Dort blühen die Bäume einen Monat früher als hier.«

»Hoffentlich.« Sandros Blick wurde finster, als er zum bedeckten Himmel blickte. »Das Fichtelgebirge ist eine hübsche Gegend, aber manchmal vermisse ich die Zypressen meiner Heimat.«

»Du wirst dich doch nicht nach Italien absetzen?« Martin wollte ihm auf die Schulter klopfen, doch die Kälte hielt ihn von jeder überflüssigen Bewegung ab.

»Das habe ich nicht vor, allerdings ist es sowieso sinnlos, zu weit vorauszudenken. Wer weiß, was uns in Konstanco widerfährt? Aber was auch immer, es wird wundervoll werden, dico bene? Hier wurde mir ja schon der Hintern steif vor lauter Nichtstun. Du pilgerst ins Gelobte Land, und was tue ich? Auf deine kleine Burg aufpassen, ah, welch eine langweilige Aufgabe das doch war! Ich will reisen und Abenteuer erleben.«

Martin brummte zustimmend. Er hatte Sandro in Venedig kennengelernt, auf seiner ersten Pilgerfahrt. Während der gemeinsamen Weiterreise waren sie zu Freunden geworden. Und da Sandro ebenfalls keine Familie besaß, war er Martin nach Thiersreuth gefolgt. Gemeinsam hatten sie Söldnertrupps in Schlachten und Scharmützeln befehligt; bis weit ins böhmische Land hatte sie ihr Weg geführt. Nur bei der zweiten Pilgerfahrt war Sandro nicht dabei gewesen, denn er hatte keinen Auftraggeber gefunden. Martin war froh, ihn diesmal wieder an seiner Seite zu wissen.

»Willige Frauen, prall gefüllte Gasthäuser, Musikanten und Gaukler!«, rief Sandro und schüttelte den Schnee aus seinen schwarzen Locken. »Ich hatte ohnehin darauf gehofft, dass uns irgendjemand wegen dieses Konzils anheuert. Die ganze Welt reist ja nach Konstanco, scheint es. Nur, warum müssen wir ausgerechnet Mönche begleiten? Dein Bruder wirkte auch alles andere als glücklich, dass er sich ausgerechnet dir anvertrauen muss.«

»Oh, fast hätte ich es vergessen: Alban will nicht, dass jemand erfährt, dass wir Brüder sind, und hat sich Schweigen ausbedungen. Das gilt dann auch für dich.«

»Was? Und darauf hast du dich eingelassen?«

»Ja. Ach, vergiss ihn. Mein Bruder war schon immer wunderlich.« Martin setzte die ernsteste Miene auf, deren er fähig war. »Jedenfalls kommt einiges auf uns zu.«

»Was meinst du damit?« Geradezu ängstlich sah Sandro herüber. »Kein Fluchen, kein Streiten, Gebetszeiten einhalten und so weiter – meinst du das?«

Martin lachte. »Si!«

Entsetzt rollte Sandro die Augen. »Tremendo! Aber wenn du das kannst, dann ich wohl auch, mio amico. Allerdings würde ich jede Wette eingehen, dass du es nicht schaffst. Wir sind da.« Sie zügelten ihre Pferde vor einer kleinen Pfarrkirche, die sich inmitten einer unscheinbaren Ansammlung von Katen erhob. Auf dem Feld wanderte ein Mann umher, dicht an der Rosslin, die sich schäumend gegen das eisbewehrte Ufer drückte. Kopf und Schultern des Mannes waren weiß vom Schnee. Er war tief ins Gebet versunken und bemerkte die beiden Reiter erst, als er dicht vor ihnen stand. Er hob den Kopf. »Konstanz«, sagte er mit einem Blick zum Packpferd. »Richtig?«

»Ja«, erwiderte Martin. »Pater Albrecht, ich erbitte Euren Segen für unsere Reise.«

»Kommt.« Der Pater ging zu einer der Katen hinter der Kirche; hier banden sie ihre Pferde unter dem Vordach fest. Die Tür quietschte in den Zapfen, als er sie öffnete. Es war ein bescheidenes Pfarrhäuschen, dunkel und kalt, trotz des Feuers, das in der Herdstelle prasselte. Ohne die Mäntel abzulegen, setzten sich Martin und Sandro an einen Tisch dicht neben dem Herd. Albrecht rieb sich die Hände über der Glut, bevor er sich daranmachte, Wein zu würzen und in einem Krug zu erwärmen. Dann erst nahm er den nassen Umhang ab und warf ihn über eine Leine, die quer durch den Raum gespannt war.

»Konstanz«, wiederholte er, als er sich mit dem Wein zu ihnen setzte. Er reichte Martin den Krug. »Wohin auch sonst? Ich hätte mir denken können, dass du eine Möglichkeit finden würdest, wieder auf Reisen zu gehen. Schließlich kenne ich dich, seit ich dir vor zwölf Jahren den Segen gab, als Knappe mit einem Ritter zu ziehen. Du warst schon damals ein rastloser Kerl und bist es geblieben.«

Langsam nickte Martin, dann trank er und gab Sandro den Krug. Pater Albrecht kannte ihn gut, vielleicht besser als jeder andere Mensch, daher wollte er seinen Segen haben, auch wenn er dafür eine stattliche Anzahl von Mahnungen über sich ergehen lassen musste. Dennoch überraschte ihn der eindringliche Ton des Paters, als er sagte: »Mir wäre es lieber, wenn du nicht gehst. Es könnte dort unten gefährlich für dich werden.«

»Weshalb denn das? Gefahrlos ist so eine Reise nicht, aber ...«

»Nicht die Reise! Die Stadt meine ich. Die Stadt!«

»Was ist mit der Stadt?«, fragte Sandro.

»Sie ist ein Sündenbabel. Sie ist das Sündenbabel. Die Geistlichkeit findet sich dort zusammen, angeblich um die Kirche zu reformieren; sie nennen es die causa reformationis. Aber es wird sich nichts ändern. Sie werden weiter das Geld der armen Leute scheffeln und kleine Pfarren wie diese verkommen lassen. Und gleichzeitig berauschen sie sich auf Maskenbällen und Tanzvergnügen, während ihnen das Geld aus allen Taschen fällt. Es ist eine Schande, und jeder, der daran teilhat, gefährdet sein Seelenheil.«

»Also, ich habe davor keine Angst. Ein wenig Vergnügen hat noch niemandem geschadet«, sagte Sandro grinsend und trank weiter. Martin ahnte jedoch, dass Pater Albrecht noch anderes beschäftigte als nur die Sünden des Fleisches, denen er und Sandro selbstverständlich verfallen würden.

»Gefährlicher als Palästina kann doch dieses kleine Konstanz nicht sein«, wiegelte er ab. Pater Albrecht rieb sich die Wange, sein Blick ruhte auf Sandro.

»Lass uns bitte allein«, sagte er. Sandro klemmte sich den Krug unter den Arm und trat ins Freie, wobei er mit übertriebener Geste den Mantel fest um sich schlang und zum Himmel hinaufsah, aus dem nach wie vor dicke Flocken fielen. Albrecht schloss die Tür und kehrte zu Martin zurück.

»Immer wenn du fortgehst, dreht sich mir vor Sorge der Magen um.«

»Reisen sind nun einmal abenteuerlich.« Martin verschränkte die Arme, sodass seine verstümmelte Hand in der Achsel verborgen war. Das tat er immer, wenn er das Gefühl hatte, durchschaut zu werden. Er hasste diese Geste, konnte sie sich aber nicht abgewöhnen.

»Ja, gewiss. Oh, ich habe natürlich gehört, dass du ein Gasthaus zu Kleinholz geschlagen hast.«

»Wie, jetzt ist es schon ein ganzes Gasthaus? Davon weiß ja nicht einmal ich.«

»Lass die Scherze. Wie lange willst du dich noch in Wirtshäusern um irgendwelche Frauen prügeln, die du sowieso nach einer Nacht vergessen hast? Ist es das, wonach du für den Rest deines Lebens strebst – dieses Söldnerdasein, die Pilgerreisen für fremde Leute? Du könntest es mit einer friedlicheren Arbeit versuchen, statt mit dem Schwert durch die Lande zu reiten und irgendwelche Konzilteilnehmer zu schützen.«

»Und was sollte das sein?«

»Ach, Martin ...« Pater Albrecht klopfte ihm auf die Schulter. »Ich hoffe für dich, dass du irgendwann den Wunsch verspürst, zu heiraten und sesshaft zu werden. Warst du in den letzten fünf Jahren eigentlich länger als eine Woche daheim auf deiner Burg? Nimm dir eine Frau, und Gott wird dir offenbaren, was zählt im Leben. Mit deinen sechsundzwanzig Jahren wird es höchste Zeit. Aber wahrscheinlich werdet ihr euch in Konstanz in wollüstigen Abenteuern zu übertreffen suchen. Und dafür willst du meinen Segen?«

Nun lächelte Martin. »Ich bitte Euch inständig darum, Pater.«

»Na schön. Jetzt gleich? Ihr könnt gerne hier übernachten, wenn ihr mögt.«

»Nein, wir wollen nach Thiersheim, um dort die Männer einzusammeln, die ich angeworben habe.« Sie gingen nach draußen, wo Sandro gelangweilt auf und ab stapfte. Albrecht winkte ihn heran, und gemeinsam beugten sie die Knie.

Benedicat tibi Dominus et custodiat te ...

Martin spürte die warme Hand des Paters auf seiner Schulter. Er verstand kein Latein, erkannte nur hin und wieder einige Wörter und Sprüche. Doch er musste nicht verstehen, was Pater Albrecht sagte. Die ruhige, gleichmäßige Stimme genügte, ihm den Segen zu vermitteln. Was immer ihn auf dieser Reise erwartete, er wollte nicht glauben, dass es allzu bedrohlich war. Und sein zielloses Dasein? Mochten ihn auch die mahnenden Worte nicht unbeeindruckt gelassen haben, so verspürte er wenig Lust, darüber nachzudenken. Was nach dieser Reise kam? Da hielt er es mit Sandro: Zu weit vorauszudenken war sinnlos.

Nachdem sie sich erhoben hatten, drückte Pater Albrecht ihre Hände. »Vergesst das Beten und Almosengeben nicht, und besucht auch ab und zu die Messe, ja? Ach, eigentlich hätte ich euch die Beichte abnehmen sollen, aber dann säßen wir ja morgen noch hier.«

Martin band seinen Schecken los, saß auf und ergriff die Zügel, Sandro tat es ihm gleich. Martins Blick fiel auf den Weg zurück, den sie gekommen waren. Der Schneeschauer hatte aufgehört, und jetzt konnte er in der Ferne auf einer Anhöhe die fahlen Umrisse des Wohnturms sehen, der zu seiner kleinen Burg gehörte. Sie war seinem Vater als Lehen gegeben worden; der Name Thiersreuth und das Wappen mit dem Reh und der Tanne hatten einst etwas gegolten in dieser Gegend. Als Jörg von Thiersreuth gestorben war, hatte Martin das Lehen geerbt und in wenigen Jahren verkommen lassen. Jetzt lebten nur noch fünf Bedienstete innerhalb der Mauern. Martin schaffte es gerade so, die paar Knechte und Mägde zu bezahlen, und ihr Bleiben verdankte er nur der Tatsache, dass sie ihn von Kindesbeinen an kannten. Heute galt der Name derer von Thiersreuth nur noch wenig.

»Na, schon Heimweh?«, riss Sandro ihn aus seinen Gedanken.

»Gott bewahre. Ich bin froh, wenn wir endlich unterwegs sind.«

»Wer ist eigentlich der Konzilsreisende, der dich angeheuert hat?«, fragte Albrecht.

»Rogatus von Steinreuth.«

»Oh.« Der Pater verzog das Gesicht, als könne er sich nicht entscheiden, ob er lachen oder aufstöhnen sollte. »Dafür ist wohl dein Bruder verantwortlich? Ich hätte ihn für klüger gehalten. Aber vielleicht ist das ja eine Prüfung Gottes. Es ist nicht schwierig, sich auszumalen, dass du mit Rogatus aneinandergerätst. Falls das nicht bereits geschehen ist.«

Martin winkte ab. »Ist es nicht. Wir haben lediglich festgestellt, dass wir uns nicht mögen.«

Albrecht trat dicht an den Schecken heran, berührte die Nüstern und blickte eindringlich zu Martin herauf. »Hast du deinen Anhänger auch nicht vergessen?«

Mit dem Daumen griff Martin in den Ausschnitt seines Hemdes, um das silberne Kettchen zu zeigen. Er konnte den Anhänger nicht vergessen, denn er trug ihn immer.

»Gut.« Albrecht schlug ein Kreuz und murmelte, wie zu sich selbst: »Es ist eine Prüfung Gottes. Es muss so sein ...« Er nickte ihnen zu und stapfte zurück zu seiner Kate. Seufzend stieß Martin seinem Schecken die Sporen in die Flanken.

Das Zeichen des Ketzers

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