Читать книгу In Liebe Mina - Sabrina Heilmann - Страница 11
ОглавлениеDas Karamellgeheimnis
Schon nach wenigen Tagen ebbte die Euphorie der Eröffnung ab und ich wurde mit der harten Realität konfrontiert. Montagmorgen hatte ich bescheidene zwei Kunden, Dienstag überhaupt keinen und für den heutigen Mittwoch erwartete ich auch keine mehr.
Mit wenig Elan quälte ich mich um sieben Uhr aus dem Bett und schlürfte in das benachbarte Badezimmer. Ich duschte, putzte Zähne und band meine langen Haare zu einem lässigen Dutt zusammen. Ich kehrte ins Schlafzimmer zurück und schlüpfte in ein schwarzes Shirt, einen cremefarbenen Minirock und schwarze Leggings. Anschließend ging ich in die Küche und kochte mir einen Kaffee.
Noch etwas verschlafen ließ ich mich auf einen Küchenstuhl sinken und trank einen Schluck. Wieder fluteten Bilder meiner Großmutter meine Erinnerungen. Auch wenn ihre Wohnung durch meine wenigen Sachen einen modernen Einfluss bekommen hatte, erinnerte hier immer noch so vieles an sie. Die cremefarbene Küche, die sie erst vor drei Jahren hatte erneuern lassen, hatte ich kaum verändert. Ich ersetzte nur einige Utensilien. Auch das Badezimmer war fast unverändert und nur durch neue Dekoration aufgewertet worden. Im Wohnzimmer standen noch immer ihre rustikalen Möbel und das dunkelrote Sofa im Empire-Stil, das ich über alles liebte.
Weil ich noch bei meinen Eltern gelebt hatte – ich konnte mir eine eigene Wohnung nicht leisten – brachte ich nur die Einrichtung für das Schlafzimmer mit. Mein gemütliches Boxspringbett, einen Schreibtisch, ein Bücherregal und einen Kleiderschrank.
Ich hatte mir vorgenommen, den Rest der Wohnung nach und nach zu renovieren, je nachdem wie viel Geld am Ende des Monats übrig blieb. So, wie ich die Sache momentan jedoch einschätzte, würde ich mich noch eine Weile mit Großmutters Einrichtung begnügen müssen. Es störte mich nicht und dennoch, die unzähligen Erinnerungen an die schönen Momente, die ich mit ihr erlebt hatte, machten es für mich nicht leichter.
Ich trank meinen Kaffee aus und verließ kurz darauf meine Wohnung, um nach unten in den Laden zu gehen. Es war ein überraschend sonniger Oktobertag. Das ließ mich hoffen, dass sich vielleicht ein paar Leute auf die Straße trauten. Ich schloss die Ladentür auf und stellte die Werbetafel nach draußen. Eine Sekunde atmete ich die trotz der Sonne kühle Luft tief ein und glaubte fest daran, dass heute ein guter Tag werden würde. Dann ging ich zurück in den Laden und verschwand in der kleinen Küche, um eine Kanne Kaffee zu kochen.
In der letzten Nacht hatte ich nicht besonders gut geschlafen, weil ich mir immer wieder den Kopf darüber zerbrochen hatte, was ich tun konnte, um auf den Laden aufmerksam zu machen. Würden weiterhin so wenige Kunden kommen, konnte ich die Türen schneller schließen, als mir lieb war.
Während der Kaffee durch die Filtermaschine lief, kehrte ich in den Verkaufsraum zurück und ließ meinen Blick schweifen. Der Laden bot genug Platz für kleine Autorenlesungen, vielleicht war das ein Punkt, den ich mir merken konnte. Es würde doch nicht so schwer sein, ein paar gute Autoren aufzutreiben, die Interesse an ein bisschen Werbung hatten.
Ich dachte auch an einen Bereich mit reduzierter Ware. Schon als Grams noch lebte, hatte ich ihren riesigen Vorrat an älteren Büchern bemängelt. Diese mussten nicht im Lager verstauben. Darum würde ich mich gleich in den nächsten Tagen kümmern.
Die Zeit strich dahin, doch Kunden verirrten sich nicht zu mir. Irgendwann reichte es mir, nur dumm rumzustehen. Ich schnappte mir einen Liebesroman einer französischen Autorin, der erst vor ein paar Wochen erschienen war, und machte es mir in der Leseecke gemütlich.
Der Klappentext klang sehr emotional und fesselte mich sofort, ebenso wie der Anfang des Buches.
Ich bekam gar nicht mit, dass das kleine Glöckchen über der Tür schellte und einen Besucher ankündigte.
»Wahrscheinlich könnte man deinen Laden ausrauben, während du liest.«
Ich schreckte auf und sah in leuchtend blaue Augen. Es war der junge Mann, der vor zwei Wochen ein Buch für seine Freundin gekauft hatte. Schnell legte ich meinen Roman beiseite und stand auf.
»Hey«, lächelte ich unsicher und blieb einen Moment an seinem Outfit haften. Er trug ein schwarzes Shirt, eine gleichfarbige Hose und ein rot-schwarz kariertes Hemd. Seine Haare waren wirr und sein Dreitagebart wirkte gepflegt. Er sah noch besser aus als das letzte Mal. »Suchst du wieder ein Buch für deine Freundin?«
Er schüttelte den Kopf und lächelte. »Nein, eigentlich bin ich hier, um mir anzusehen, was du aus dem Laden gemacht hast. Ich habe mitbekommen, dass du am Wochenende große Neueröffnung gefeiert hast.« Sein Blick glitt durch den Laden, dann sah er wieder zu mir. »Ich hatte leider keine Zeit, sonst wäre ich vorbeigekommen.«
»Und? Gefällt dir, was du siehst?«
»Ja, sehr gut sogar.«
»Kann ich dir irgendetwas anbieten? Kaffee oder Tee?«
Ich wusste, dass es unklug war, ihn länger als nötig hier festzuhalten, doch ich konnte einfach nicht anders. Irgendetwas umgab ihn, auch wenn ich mir nicht erklären konnte, was es war. Verdammt, ich kannte ja noch nicht mal seinen Namen, obwohl ich das Gefühl nicht loswurde, ihn schon einmal gesehen zu haben. Nur wo und wann?
»Ich würde gern einen Kaffee nehmen.«
»Kommt sofort.«
Ich ging in die Küche, holte eine Tasse aus dem Schrank und füllte sie mit Kaffee.
»Milch und Zucker?«, fragte ich, als er im Türrahmen auftauchte.
»Ja, beides. Du hast nicht zufällig braunen Zucker? Den mag ich irgendwie lieber, weil er dem Kaffee so eine schöne Karamellnote gibt.«
Kaum hatte er das ausgesprochen, erstarrte ich in meiner Bewegung und drehte mich zu ihm um. Ich hatte gewusst, dass diese Augen mir bekannt vorgekommen waren.
»Ist das dein Ernst, Jamie Harper?«, fragte ich und stützte gespielt empört die Arme in die Hüften. Jamie grinste nur frech und ich fragte mich, wie ich ihn nicht hatte erkennen können.
»Ich weiß nicht, Mina Harmon, ist es?« Er machte einen Schritt auf mich zu, zog mich am Arm zu sich und presste mich an seinen Körper. Einen Moment schloss ich die Augen, sog den Duft seines süßlichen Parfüms ein und fragte mich, ob ich träumte. Mein Körper prickelte, dort, wo seine Hände mich berührten, und ich konnte nicht glauben, dass er noch immer diese Wirkung auf mich hatte. Als er sich von mir löste, überspielte ich die Nervosität, die diese Umarmung hinterlassen hatte, und gab ihm einen Klaps auf den Oberarm. Irritiert sah er mich an.
»Wofür war das denn?«, fragte er lachend und ich zog eine Schnute.
»Fragst du mich das wirklich? Ich fasse es nicht, dass du einfach in meinen Laden spazierst und so tust, als würdest du mich nicht kennen.«
Jamie war damals in meine Parallelklasse gegangen. Nicht nur ich hatte mich zu dieser Zeit unsterblich in ihn verliebt, sondern vermutlich die halbe Schule. Leider hatte ich schnell bemerkt, dass er für mich unerreichbar war. Und dennoch hatte uns schon immer irgendetwas verbunden, seit er mich vor meinen Mitschülern verteidigt hatte.
Es war kein Wunder, dass ich ihn so schamlos angeschmachtet hatte, als er vor zwei Wochen in den Laden gekommen war. Ich war, wenn man es so sehen wollte, bereits vorbelastet.
»Glaub mir, es war keine Absicht. Im ersten Moment habe ich dich wirklich nicht erkannt.« Er lächelte unsicher. »Aber ich habe die ganze Zeit überlegt, woher ich diese Augen und diese Haarfarbe kenne. Und dann machte es klick. Außerdem hast du mich auch nicht erkannt«, brachte er zu seiner Verteidigung hervor.
Ich verdrehte die Augen, gab braunen Zucker in seinen Kaffee und anschließend etwas Milch.
»Ich kann mir ja nicht jedes Gesicht merken«, versuchte ich, gleichgültig zu klingen. Jamie sollte auf keinen Fall merken, dass seine bloße Anwesenheit reichte, um mich wieder aus dem Gleichgewicht zu bringen.
»Du verletzt mein Ego, Mina. Bin ich tatsächlich so unscheinbar, dass man mich vergisst?«
Ich reichte Jamie seinen Kaffee und schüttelte den Kopf. Leider war er das kein bisschen ...
»Erwarte nicht, dass ich dir jetzt Honig ums Maul schmiere«, erwiderte ich frech grinsend und wir gingen aus der Küche, um uns in eine der Leseecken zu setzen. »Hat deine Freundin sich über das Buch gefreut?«
»Wir haben uns gestritten.« Jamie klang gleichgültig, was mich skeptisch machte. Er hatte schon beim letzten Mal nicht glücklich gewirkt, als er über sie gesprochen hatte.
»Weil du ihr einen Roman mitgebracht hast?«
»Weil ich vielleicht so etwas gesagt habe wie, sie wüsste den Wert so eines Buches überhaupt nicht zu schätzen.«
»Oh«, formte ich mit meinen Lippen und war mir nicht sicher, ob ich etwas darauf erwidern sollte.
»In letzter Zeit läuft es nur noch so. Sie ist so oberflächlich geworden und muss ständig alles besitzen, was gerade angesagt ist. Manchmal frage ich mich, ob das auf Dauer gut gehen kann, weil ich nicht so ein Mensch bin.«
Ein Teil von mir sollte sich schlecht fühlen, weil Jamies Beziehung offenbar den Bach runterging. Doch irgendwo zwischen unserer Umarmung und seinem traurigen Blick hatte ich dieses Mitgefühl verloren. Jamie war schon immer ein toller Mensch gewesen, sehr ehrlich und gerecht. Er hasste es, wenn anderen etwas zustieß, das sie nicht verdienten, genauso wie Oberflächlichkeit und Unehrlichkeit. Er war einer von den Guten und tief in meinem Inneren wollte ich nicht, dass es ihm schlecht ging. Dass das absurd war, wusste ich selbst. Seit ungefähr sieben Jahren hatte ich ihn nicht mehr gesehen, weil er zwei Jahre vor unserem Abschluss die Schule gewechselt hatte. Mein armes Teenagerherz war zu dieser Zeit in ein tiefes Loch gefallen, weil ich mit seinem plötzlichen Verschwinden ausgerechnet den Menschen verlor, der so etwas wie meinem einzigen Freund gleichkam.
Während der Schulzeit war ich eine Außenseiterin gewesen. Es war mir schwergefallen, Kontakte zu knüpfen. Ich hatte früh gelernt, dass es einfacher und sicherer in den fremden Welten meiner Bücher war. Man hatte sich deswegen über mich lustig gemacht, mich regelmäßig bloßgestellt und letztendlich nur noch gemieden. Jamie war der Einzige gewesen, der den anderen deswegen die Meinung sagte.
»Ich sollte dich nicht mit meinen Problemen belasten«, sagte er auf einmal und riss mich aus meinen Gedanken. Erschrocken sah ich ihn an und nickte schließlich. »Los, erzähl mir, wie es dir so ergangen ist.«
Jamies traurige Miene wich einem Lächeln, das mir beinahe den Atem raubte.
»Wie soll es mir schon ergangen sein? Ich habe meinen Abschluss gemacht, habe ein Studium abgeschlossen, dass ich nie wirklich machen wollte, und arbeite seit zwei Jahren hier im Buchladen«, erzählte ich knapp.
»Wie kam es zu der Neueröffnung?« Jamie trank einen großen Schluck seines Kaffees.
»Der Laden hat meiner Großmutter gehört. Sie ... sie ist überraschend gestorben und hat ihn mir vererbt.« Ich senkte den Blick, um meine Gefühle nicht wieder die Überhand gewinnen zu lassen. Eigentlich sollte es mit der Zeit leichter werden, darüber zu sprechen, doch das war nicht der Fall. Der Verlust schmerzte mich noch immer.
»Das tut mir leid«, hauchte Jamie und nahm meine Hand. Seine Berührung durchzuckte mich wie ein Blitz und ich hielt den Atem an.
»Vielleicht wird es irgendwann leichter«, flüsterte ich und zog meine Hand schnell zurück. Dass ich so auf Jamie reagierte, war nicht richtig. Auch wenn es in seiner Beziehung nicht gut lief, hatte er dennoch eine Freundin. Er war für mich genauso unerreichbar wie vor sieben Jahren. Das musste ich akzeptieren.
»Das wird es.« Er lächelte mir sanft zu und ich nickte. Wenn er das sagte, war ich fast gewillt, es zu glauben ...