Читать книгу In Liebe Mina - Sabrina Heilmann - Страница 12
ОглавлениеMinas Traumwelt
Jamie war am Nachmittag nach einer weiteren Tasse Kaffee gegangen. Es hatte so gutgetan, mich mit ihm zu unterhalten, obwohl meine Gefühle völlig verrücktspielten.
Als er sich verabschiedet hatte, versprach er mir, bald wiederzukommen. Normalerweise gab ich auf solche Floskeln nichts, doch ihm glaubte ich.
Auch an diesem Tag hatte ich nicht ein Buch verkauft. Jamies Besuch hatte mich davon abgelenkt. Doch als ich am Abend allein in meiner Wohnung saß, traf es mich mit voller Wucht. Der Laden lief schlechter denn je und ich fühlte mich machtlos.
Seufzend stand ich von der Couch auf und kochte mir eine Tasse Tee. Ich musste mich entspannen. Sicher waren die Startschwierigkeiten normal und würden sich irgendwann legen. Mit dem Tee ging ich ins Badezimmer und ließ mir ein Schaumbad ein. Normalerweise hätte ich mir ein Buch mitgenommen, doch heute hätte ich mich nicht darauf konzentrieren können.
Ich zog mich aus und stieg in das heiße Wasser. Mit dem Schaum bedeckte ich meinen Körper und schloss einen Moment die Augen. Morgen würde ich mir einen Plan machen, wie ich auf den Laden aufmerksam machen könnte. Es wäre doch gelacht, wenn ich schon in der ersten Woche aufgeben würde. Grams hätte mir das niemals verziehen.
Während ich über den Buchladen nachdachte, schlich sich noch eine weitere Erinnerung in meinen Kopf. Eine Erinnerung, die jahrelang verborgen geblieben war.
***
Als es zur großen Pause läutete, freute ich mich im Gegensatz zu meinen Mitschülern nicht. Seufzend zog ich mir einen Liebesroman aus meinem Rucksack und folgte den anderen auf den Schulhof. Dort verkroch ich mich in eine ruhige Ecke und schlug das Buch auf.
Es war ein angenehmer Frühlingstag, das machte diese nutzlose Pause um einiges besser. Die Sonne wärmte mich, während ich mich in der romantischen Geschichte meiner Romanhelden verlor.
Ich wollte um mich herum nichts mitbekommen. Meine Mitschüler ignorierten mich ohnehin und das bereits seit sieben Schuljahren. Warum sollte ich mich nicht in meine sichere Traumwelt zurückziehen können?
»Mein Gott, Mina, das muss doch langweilig werden«, holte mich die schnippische Stimme meiner Klassenkameradin Jules in die Gegenwart zurück.
»Was willst du?«, fragte ich leise.
Jules war die Oberzicke unserer Klasse und ich wollte ihr keine Gelegenheit bieten, mich anzugreifen. Wahrscheinlich würde sie auch so einen Grund finden, um mich vor den anderen bloßzustellen.
»Wir machen uns Sorgen um dich.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete mich eingehend. »Langsam bekommen wir das Gefühl, du willst gar nichts mit uns zu tun haben.«
Wäre ich mit ausreichend Selbstbewusstsein gesegnet gewesen, hätte ich sie in diesem Moment ausgelacht. Ihre Sorge war unecht, und natürlich wollte ich nichts mit ihnen zu tun haben. Wieso sollte ich meine Zeit mit Menschen verschwenden, die nur auf die passende Gelegenheit warteten, mich wieder vorzuführen?
»Aber ich merke schon«, sprach Jules weiter und sah mit einem triumphierenden Blick zu den anderen, »du hältst dich für etwas Besseres. Dabei bist du ein Nichts, Mina. Ein kleiner, hässlicher Bücherwurm mit Karottenhaaren und hellbraunen Glupschaugen.«
Ich schluckte schwer und wollte mir nicht anmerken lassen, wie sehr ihre Worte mich verletzten. Als die anderen Jules mit lautem Gelächter unterstützten, war das wie ein Stich ins Herz. Doch meine Mitschülerin war noch lange nicht fertig mit mir. Sie riss mir das Buch aus der Hand und warf einen verächtlichen Blick darauf.
»Stellst du dir dein Leben so vor? Glaubst du, dein Traumprinz kommt irgendwann auf einem Pferd angeritten?« Jules lachte gehässig und warf den Roman in den Dreck. »Wach auf, Mina.«
Mit dem Fuß kickte sie mein Buch zur Seite, und es landete in einer Pfütze, die vom gestrigen Regenschauer übrig geblieben war.
»War das notwendig?« Jamie, ein Mitschüler aus der Parallelklasse, kam zu uns und warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Die Situation wurde immer unangenehmer. Schnell stand ich auf, hob das ruinierte Buch vom Boden auf und warf es in den nächsten Mülleimer. Ich war in diesem Moment so wütend und gleichzeitig verletzt, dass ich überhaupt nicht mehr auf die anderen achtete.
»Natürlich war das nötig«, hörte ich Jules noch antworten. »Schau dir den kleinen, hässlichen Bücherwurm doch an.«
»Das ist erbärmlich, Jules, selbst für deine Verhältnisse«, fuhr Jamie sie an, doch das interessierte mich nicht. Hastig wischte ich mir die Tränen aus den Augen und verschwand im Schulgebäude auf dem Mädchenklo.
Jules erneuter Angriff sorgte dafür, dass ich noch ruhiger wurde und mich mehr und mehr zurückzog. In der Pause blieb ich im Zimmer, statt draußen die Frühjahrssonne zu genießen. Ich wollte einfach nur meine Ruhe haben und nicht den ständigen Beleidigungen meiner Mitschüler ausgesetzt sein.
Die Woche neigte sich dem Ende und ich konnte das Wochenende kaum erwarten. Meine Eltern hatten spontan einen Kurzurlaub nach Schottland gebucht, weswegen ich die nächsten Tage bei meiner Großmutter verbringen durfte. Sie besaß einen kleinen Buchladen, genau der richtige Ort, um eine Woche wie diese zu vergessen.
Es läutete zur großen Pause. Ich musste nur noch diese und zwei weitere Unterrichtsstunden überstehen, dann konnte ich endlich zu ihr.
Während meine Mitschüler nach draußen gingen, blieb ich an meinem Platz sitzen und suchte nach Hausaufgaben, die ich bereits erledigen konnte.
»Dachte ich mir doch, dass du hier bist.«
Erschrocken sah ich auf und blickte in Jamies blaue Augen, die freundlich auf mir ruhten. Er kam zu mir und setzte sich auf den freien Platz neben mich, dann reichte er mir ein kleines Päckchen.
Irritiert blickte ich auf das Geschenk und schließlich wieder in seine Augen.
»Was ist das?«, wollte ich verwundert wissen und er lächelte nur.
»Mach es auf.«
Vorsichtig löste ich das blaue Geschenkpapier und starrte ungläubig auf die neue Ausgabe des Romans, den Jules mir zu Beginn der Woche ruiniert hatte.
»Das kann ich nicht annehmen«, sagte ich leise und legte das Buch auf den Tisch.
»Doch, natürlich kannst du. Ich bestehe darauf.«
»Aber das wäre nicht nötig gewesen, Jamie. Du hast das Buch ja nicht ruiniert.«
»Du könntest auch einfach Danke sagen und dich freuen.« Jamie zwinkerte mir zu und strich sich seine braunen Haare zurück.
»Danke«, flüsterte ich verlegen und spürte das Brennen auf meinen Wangen.
»So, und jetzt gehen wir nach draußen, ein bisschen Sonne tanken.«
Jamie stand auf und streckte mir seine Hand entgegen. Ich zögerte einen Moment und konnte nicht glauben, dass das gerade wirklich passierte. Erst wollte ich ihm widersprechen, doch als ich seinen Blick sah, traute ich mich nicht mehr.
»Okay«, stimmte ich schließlich zu und griff nach seiner Hand, während mein Herz kurz aussetzte.
Gemeinsam mit Jamie nach draußen zu gehen würde den Zorn meiner Mitschülerinnen um ein Vielfaches steigern. Aber wenn mir eine Sache an diesem Tag egal war, dann diese.