Читать книгу Profile me - Samantha J. Evans - Страница 9
Kapitel 6
ОглавлениеSchon frühmorgens war im Büro ganz schön die Hölle los, doch als Dharja die Tür ihres Büros hinter sich geschlossen hatte, wurde es deutlich angenehmer… ruhiger. Vor allem jetzt, wo die Eindrücke des neuen Mordes noch so frisch in ihrem Kopf waren, brauchte Dharja diese Ruhe. Es gab da immer das Risiko, dass sie sich irrte. Es konnte durchaus sein, dass sie durch einen Fehler dem „Ice-Cold Revenger“ einen Fall zuschrieben, den er garnicht verübt hatte, oder es weitere Fälle gab, von denen sie noch nichts ahnten.
Während Dharja also an ihrem Kaffee nippte und die Unterlagen nochmal durchsah, prüfte sie erst, ob die Fälle etwas hatten, das sie verband. Der Mord an dem Mann mit den zehn Messerstichen. Der Kindermörder, der kurz vor dem Zugriff durch die Polizei getötet worden war. Sie hatte eine Karte auf dem Tisch ausgebreitet. Rot waren die Orte markiert, wo man die Leichen gefunden hatte. Gelb wo die Opfer vermutlich entführt oder ermordet worden waren, sollten diese Orte voneinander abweichen.
„Zehn Messerstiche.“, murmelte sie leise. „War das deine erste Tat? Hast du da aus Wut gehandelt?“ Nochmal las sie ihre eigenen Vermerke. „Richtig. Der Täter hatte selbst Frau und Kinder mit zehn Stichen ermordet. Und doch… wie war das, zu fühlen, wie das Messer in seinen Körper eindringt? Wie war das für dich, sein Blut auf deinen Händen zu fühlen. Noch warm und klebrig.“
Normalerweise hätte sie gesagt diese vermutlich erste Tat wäre in Wut oder Hass geschehen. Es könnte ihnen ein Anzeichen auf seinen Hintergrund geben. Und hätte er sein Opfer mit neun oder elf Stichen hingerichtet, dann wäre sie sich auch sicher gewesen. Aber es waren genau zehn Stiche gewesen. Genau zehn.
Auch der zweite bekannte Mord wies eine Besonderheit auf. Der Mörder hatte den Kindermörder aus dem Weg geräumt noch bevor die Polizei diesen überführt hatte.
Es war weder in der Presse, noch vor Gericht gewesen. Woher also kannte der Mörder den Fall? Woher wusste er von den geschändeten und getöteten Kindern? Nicht umsonst war dieser Tatort besonders markiert, und rosa Aufkleber markierten die bekannten Fälle der misshandelten und getöteten Kinder.
„Ist das der Ort, an dem du wohnst?“, hauchte sie leise. „Oder bist du dort nur öfters zu Besuch?“
Sie wählte eine interne Nummer. „Amanda? Suchst du mir bitte Bilder von elektrischen Stühlen raus? Ich möchte ungefähr ein Dutzend Beispiele von existierenden Modellen sehen und alle Abbildungen aus relevanten und bekannten Hollywoodfilmen. Sobald die Bilder vom Tatort kommen, sei so nett und gleiche doch ab, ob unser Täter sich beim Bau inspirieren ließ.“
Als die Mittagszeit heran war, knurrte Dharja kräftig der Magen. Sie hatte nicht mehr viel in ihrem Kühlschrank gehabt, was sie heute hätte auf Arbeit mitnehmen können, also wollte sie gleich einmal das Gebäude verlassen um sich im Café gegenüber dem Gebäude eine Stärkung zu holen.
Sie war heute Morgen mit dem Taxi zur Arbeit gekommen, da ihre beiden direkten Kollegen sich einen Stellplatz im Gebäude mit ihr teilen mussten. Tim verzichtete komplett darauf und hatte sich einen privaten im Nebengebäude gesichert, so dass sie den Großteil der Woche mit ihrem Wagen zur Arbeit kommen konnte. Diesen Freitag war aber Tony an der Reihe.
So direkt nach der Aufräumaktion am Vortag wäre Dharja auf dem Rücksitz des Taxis heute früh beinahe eingeschlafen. Müde hatte sie daraufhin den Fahrer des Taxis studiert. Er war weiß gewesen und im gesuchten Alter. Theoretisch hätte er der Mörder sein können. Wie wohl eine halbe Million weitere Männer in New York auch. Wobei… nein. Er hatte einen Ohrring getragen und sie ab und an im Spiegel gemustert, doch nicht so wie es Männer üblicherweise taten. Eher so, als hatte er sich gefragt, welche Art von Mascara sie benutzte, und wenn er gesprochen hatte, waren die Worte zu weich aus seinem Mund herausgedrungen. Nein, ihr Täter war hetero, der Taxifahrer jedoch war vermutlich schwul gewesen...
Als Dharja auf die Straße vor dem Gebäude trat, schnitt in diesem Moment ein Kurierfahrer auf einem Fahrrad vor ihr einen Mann in einem Anzug.
„Verdammtes Arschloch! Pass doch auf, wo du hinfährst!“, schrie der ältere Mann dem anderen nach und leiser fügte er noch hinzu: „Arschlöcher wie den sollte man gegen die Wand stellen und einfach abknallen!“
Noch so ein möglicher Kandidat für ihren Täter, aber Dharja schüttelte nur den Kopf und betrat das Café. Wenn sie dauermüde war wie heute, kam sie öfter mal her. Dann brauchte sie etwas stärkeren Kaffee, so wie sie den hier hatten. Außerdem hatten die hier total leckere Double-Chocolat-Chip Cookies und wenn sie ihre Tage hatte, stand sie total auf die Teile. Ihr lief jetzt schon das Wasser im Mund zusammen.
Dabei fiel ihr noch ein Mann auf, der gerade dabei war seine weinende Tochter zu beruhigen. Noch so ein Fall, der in ihr viel zu weitmaschiges Raster passen würde, aber halt. Nein. Sie glaubte nicht, dass er eigene Kinder hatte, zumindest keine Kinder, die er selbst mitversorgte. Ok. Sie war weitergekommen. Eben hatte sie aufgrund der Ergebnisse mit dem elektrischen Stuhl das Alter auf 30 bis 38 reduzieren können und jetzt konnte sie sowohl Schwule als auch Väter mit Kindern ausschließen. Mühsam ernährte sich das Eichhörnchen.
Vor ihr war noch eine Frau in der Schlange, aber dennoch fanden ihre Augen bereits zu dem Mann hinter dem Tresen, der hier gerade bediente. Sie kannte seinen Namen nicht, aber sie hatte ihn schon ein paar Mal gesehen...
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Nic war mehr als angenehm überrascht, als er auf einmal sah, wie die Person in welcher Wohnung er vorhin noch gewesen war, über die Straße eilte. Ihr blondes Haar wehte im Wind und sie zog die Tür zu seinem Laden auf. Nun ja, nicht seinem Laden. Ihm gehörte dieses Café nicht, aber er wusste bereits was Dharja Lenova kaufen würde. Ihr Getränk und wohl die großen Kekse, die ihr so schmeckten. Untergründig aufgeregt und von einem Kribbeln an vielen Stellen durchzogen, bediente er die beiden Kunden davor und verhielt sich ganz normal. Auch bei ihr. Nic merkte, dass Dharja wieder eine ihrer eleganten Anzugkombinationen trug und damit eine reizvolle Figur machte.
„Und Sie wünschen?“ Dabei lächelte er ein uninteressiertes Lächeln, wie es nun einmal der Fall war, wenn man es bereits mehrfach am Tag getan hatte.
Sie blickte ihn an, es ging ihm durch und durch, doch die Bestellung folgte und so nickte er leicht und erfüllte diese. Nic wollte ihr am liebsten einen extra Keks mit hineintun. Ihm selbst schmeckten diese nicht, doch alle Auffälligkeiten könnten ihn später verraten.
Und dennoch, er wollte ihr am liebsten sanft über die Wange streichen, doch stattdessen holte er mit seinen kräftigen und großen Fingern das Geld von der Ablage, welches sie ihm dort hingelegt hatte. Seinen lauten Herzschlag würde sie nicht hören können, das wusste er. Und es war wohl klug sofort zu dem nächsten Kunden zu blicken, der hinter ihr stand. Der Mann, dessen Mädchen eben geweint hatte und der ihr zum Trost nun etwas kaufte.
Wie schwer es ihm fiel, ihr nicht hinterher zu blicken, doch Nic reichte gerade dem blasswangigen Kind einen Keks über die Theke. „Der geht aufs Haus“ meinte er und bekam mit, wie der Vater die Hände fester um die kleinen Schultern des Kindes legte.
Er vergaß viel zu oft, dass er kein Kind mehr war und wie er auf diese kleinen Geschöpfe wirkte. Auch wenn er lächelte, so war er für viele leicht unheimlich. Es hatte ihm lange wehgetan, doch er hatte sich gesagt, dass er drüberstehen musste. Nicht jeder konnte ein George Clooney sein oder so ein stattlicher Mittdreißiger mit dem Dharja ausging. Er war bereits 43 Jahre alt, und würde nicht mehr so zu der Welt der unschuldigen Menschen finden können, wie er es gerne wollte. Sie wollten ihn nicht... Niemand wollte ihn.
Ob sie die kleine eingeritzte Schlinge hinter dem Ohr beim letzten Opfer erkannt hatte? Die Obduktion musste bereits stattgefunden haben... vielleicht hatte sie ja heute den Bericht auf den Tisch. Wenn sie bisher nur vermutet hatte, dass jener Tote zu ihm gehörte, würde sie es spätestens dann wissen. Die kleine Galgenschlinge hatten alle Opfer hinter dem rechten Ohr getragen, doch diese Information wurde von der Polizei geheim gehalten, aus Sicherheitsgründen. Und er ließ sie gewähren, denn er wollte nicht, dass jemand ihn auf diese Weise nachahmte.
****
Während er sie bediente, studierte Dharja auch den Angestellten hinter dem Tresen des Cafés, so wie sie alle Männer auf ihrem Weg hierher studiert hatte. Er wäre auch eine der vielen Optionen, eine der vielen Möglichkeiten, die es gab, der Mörder zu sein. Aber auch bei ihm hatte sie ihre Zweifel, dass er es sein könnte, wobei sie ihn wohl selbst dann nicht verdächtigt hätte, wenn es leichte Zweifel gegeben hätte. Es gab, wie gesagt Hunderttausende, die im Moment noch als Täter in Frage kamen. Es war nur eine Denksportaufgabe, eine Art Übung.
Was sie bei diesem Mann hier zum Zweifeln brachte? Sie hielt den Mörder für intelligent. Für sehr intelligent. Vermutlich war er auch von sich eingenommen. So einer würde sich nicht damit zufrieden geben hinter dem Tresen zu stehen und zu bedienen.
Und plötzlich, gerade als sie gezahlt hatte, klingelte ihr Handy. Sie hatte ihre Tasche und den Becher mit dem Kaffee in der einen Hand und ihren Keks sowie ein großes Sandwich in einem Papierbeutel in der anderen. Dharja würde wohl auch alles tragen können, aber sie entschied sich dagegen. Sie stellte sich beiseite, so dass sie ans Telefon gehen konnte und nicht die weiteren Kunden stören würde.
„Mom! Seit Tagen versuche ich...“
Die Mitarbeiterin des FBI brach scheinbar unter dem Redefluss von der anderen Seite ab. Zuerst lächelte sie noch wegen dem Zwischenspiel zwischen dem Angestellten und dem Kind, aber zunehmend verfinsterte sich ihr Gesicht.
„Also ehrlich, das bezweifle ich jetzt.“
Wieder wurde sie zunehmend angespannt. Ihr Gesicht verfinsterte sich und sie drehte sich dann auch ab, beim Versuch mehr Intimsphäre zu bekommen.
„Ich glaube nicht, das Aliens damit etwas zu tun haben“, sagte sie leise aber beharrlich. „Du hast zu viel getrunken. Das ist alles.“ Die Antwort, die sie zu hören bekam, ließ Dharja sichtlich verzweifeln und sie fuhr sich mit der Hand ins blonde Haar.
„Mom… nein, ich kann jetzt nicht reden. Ich bin in einem Café.“
Sie drehte sich wieder um und ihr Blick fiel erneut auf den Angestellten. Sie hoffte nur, dass der ihr nicht zuhörte. Was der wohl denken mochte?
„Olga hat dein Lieblingsnachthemd. Nein, Mom, du wurdest nicht von Aliens entführt. Hör zu, wenn du willst, komme ich am Wochenende und wir sprechen darüber.“
Scheinbar hörte ihre Mutter nicht zu.
„Mom? Kauf dir was Gutes zum Essen. Keinen Wodka, hörst du?“
Es dauerte noch eine Weile bis sie das Gespräch endlich beenden konnte. Sie schüttelte noch ihren Kopf und nahm dann endlich ihre Sachen.
„Danke“ sagte sie noch zu dem Angestellten. Immerhin hätte der sie auch verjagen können. Einen Moment lang sah sie ihm in die Augen. Man könnte fast meinen, dass sie noch was sagen wollte. Dann aber ging sie einfach nur von dannen.
Etwas später aß sie im Pausenraum des FBI das leckere Sandwich und krümelte sich auch etwas von dem Keks ab. Tat das gut. Dharja hatte gestern noch auf die SMS von Keith geantwortet und so erhielt sie heute eine neue Nachricht von ihm.
Freu mich total. Wird bestimmt ein total schöner Abend. Ich denke die ganze Zeit an dich...
Sie lächelte erneut. Aber auch darauf antwortete Dharja nicht sofort. Erstmal stand ein Meeting zum aktuellen Ermittlungsstand an. Dazu traf die Profilerin sich mit dem ganzen Team in einem der Meeting Räume und alle präsentierten ihre aktuellen Erkenntnisse.
„Wissen wir schon, wie er an Richard Roman King rangekommen ist?“, wollte ihr Chef wissen.
„Wir gehen da einer Spur nach“ wich Tony aus.
„Und wie hat er sich Zutritt zu der Anlage verschafft?“ Dieses Mal war es an Tim auszuweichen. „Auch da sind wir noch dran, Boss.“
„Sagt mir, dass ihr wenigstens etwas Neues für mich habt“, fragte er die Forensiker.
Die hatten tatsächlich etwas zu erzählen, aber viel Neues war da nicht dabei.
„Und wir haben hinter dem Ohr des Opfers die Schlinge gefunden. Es ist also definitiv der ‚Ice-Cold Revenger‘ gewesen.“
„Danke“, brummte der Mann, offenkundig unzufrieden. Und dann sah er sie an. „Dharja?“
„Aus irgendeinem Grund schlägt er schneller zu“, meinte sie nur. „Wir wissen nicht warum. Normalerweise reagieren Psychopathen auf Stimulanzen der Umwelt und Eindrücke. Oder um ihre Perversionen zu stillen. Dieser letzte Mord aber sieht nicht wie eine Tat im Affekt aus. Er musste sich dafür ziemlich ins Zeug legen. In kurz: Wir wissen nicht warum er öfter zuschlägt.“
Anstatt ihm das weiter vorzukauen, was sie eh schon alle wussten, sagte sie etwas anderes: „Ist der Tatort soweit sauber und gesichert? Ich würde dort gerne ein kleines Rollenspiel simulieren. Tony spielt den Mörder. Tim das Opfer. Ich möchte sehen wie das vermutlich abgelaufen ist. Wie er den Mann von seinem Wagen nach oben gebracht hat und wie er ihn auf den Stuhl gefesselt hat.“ Ob ihr das neue Erkenntnisse bringen würde, wusste sie nicht. Aber es war einen Versuch wert.
Nach Feierabend war Dharja dann nicht alleine. Ihre beste Freundin Vanessa besuchte sie. Sie aßen Pizza, kraulten Jess und sahen sich zusammen eine Serie im Fernsehen an. Dazu tranken sie etwas Prosecco. Angeheitert standen sie dann auch gegen Zehn in ihrem Schlafzimmer.
„Und Morgen gehst du mit Keith essen?“, wollte Vanessa wissen.
„Scheint so.“
„Weißt du schon, was du anziehen wirst?“
„Ich denke schon.“
„Dann zeig mal her.“
Dharja holte ein Kleid aus ihrem Kleiderschrank.
„Los. Hab dich nicht so!“ Sie lachte erneut. „Zieh es mal an!“
Die Wohnungs-Eignerin verdrehte zwar die Augen, aber ließ sich dann nicht zweimal bitten. Sie und Vanessa waren gute Freundinnen und so streifte sie sich den Pullover ab und dann auch die Hose runter, bevor sie in das Kleid schlüpfte.
„Ganz nett“, meinte ihre Freundin kritisch. „Verführen willst du ihn damit aber auch nicht gerade, was?“
„Ich hab es nicht so eilig.“
Vanessa kicherte. „Also… du wirst morgen wirklich nur essen?“
„Na ja...“
„Ah… erzähl mehr.“
„Ich habe nicht vor mit ihm zu schlafen.“
„Aber?“
„Nun… er sieht nicht schlecht aus. Und ein bisschen rumknutschen…“ Sie verdrehte die Augen. „Es würde mir guttun, wenn ich mich ein wenig ablenken kann.“
„Du benutzt ihn also nur“ neckte Vanessa ihre Freundin. Dann aber wurde sie ernst. „Ist gerade schwierig im Job, was?“
Dharja seufzte. „Ich kann nicht ins Detail gehen, aber ja… wir machen gerade keine Fortschritte.“ Und dann schüttelte sie ihren Kopf. „Und meine Mutter dreht gerade wieder total durch. Sie hat sich stark besoffen und weil Olga sie gewaschen und gesäubert hat, meint sie jetzt Aliens hätten sie entführt.“
Vanessa fand das ziemlich lustig.
„Du hast gut lachen.“ Spielerisch zog sie Vanessa mit einem ihrer Kissen über den Kopf. „Meine Mom hat mich im Café angerufen. Der Typ hinter dem Tresen muss sich gedacht haben… ach ich will gar nicht wissen, was der sich gedacht hat.“
Sie alberten noch ein wenig rum, aber dann musste Vanessa nach Hause und Dharja starrte sich noch einen langen Moment im Spiegel an. Vielleicht sollte sie morgen wirklich ein etwas gewagteres Kleid anziehen. Sie zog sich dann auch das Kleid aus und betrachtete sich nur in ihrer Wäsche im Spiegel. Dharja ließ ihre Hand über ihren Unterleib streichen, riss sich dann aber von ihrem Anblick los und machte sich für die Nacht fertig.
****
Heute war in Dharjas Heim mehr los als sonst, doch er musste zugeben, dass ihm die neue Aussicht noch nicht so behagte. Er konnte viel von ihr als Frau sehen. Das war neu und es faszinierte ihn, wie es ihm auch sagte, dass dies eine Spur zu intensiv und vergehend sein könnte. Doch da ihm nichts anderes übrigblieb, verfolgte er am Abend mit gemischten Gefühlen den Besuch der dunkelhaarigen lebenslustigen Freundin. Sie tat Dharja gut und daher mochte Nic sie auch.
Als beide Frauen noch auf der Couch saßen, hatte er ihre Unterhaltung verfolgt und ihre Beine gesehen. Immer wenn sich eine der Frauen vorgebeugt hatte, um sich ein Getränk zu greifen, hatte er deren Antlitz sehen können
Als beide dann in das Schlafzimmer umzogen, wurde er unruhiger. Nic spürte, dass der Drang den Blick nicht abwenden zu wollen als Dharja sich auszog, zunahm. Er drehte sich einmal in seinem Drehstuhl und doch konnte er es kaum erwarten wieder mit den Blicken auf dem kleinen Bildschirm zu sein. Vor ihm standen drei kleine 30 mal 25 cm Bildschirme. Auf dem einen war die Überwachungskamera zu seinem Gebäude zu sehen, in dem er wohnte und auf beiden anderen flimmerte das ab, was die kleinen Dohnen in Dharja Lenovas Wohnung einfingen. Er konnte auch noch umschalten und zwei andere Ansichten freigeben, doch die benötigte er nur, wenn er im Einsatz war, doch dieser war erstmal vorbei und er hatte sich Freiheit damit geschaffen diesen verdammten Hundesohn zu grillen. Nicht nur, dass die Behörden noch zugelassen hatten, dass dieser Mensch seine Frau ermorden konnte, er hatte auch Millionen an Geldern aus gemeinnützigen Stiftungen gezogen, die nun allesamt vor der Pleite standen. Das Geld war für immer verloren und eben das hatte Nic fast in den Wahnsinn getrieben. Gerade die, welche es am meisten brauchten, Kranke und Hilfebedürftige, hatten durch diesen Vermögensverwalter vielleicht sämtliche Zukunftschancen verloren.
Ob ihm eine solche Stiftung vielleicht auch hätte helfen können als er noch jünger gewesen war, wusste Nic nicht, aber er spürte was gut und richtig war und wie es zu sein hatte.
Nic sollte sie nicht so anblicken und doch nahm er seine Augen nicht von ihr. Erst als sie anfing von dem Kerl in dem Laden am Tresen zu reden, also von ihm, fing er leise an zu sprechen und somit für sich zu antworten:
„Ich habe mir garnichts dabei gedacht Dharja...“ Ihren Namen sprach er leise und verlangend aus. So blieb seine Stimme dann auch. „Außer dass du einfach unglaublich bist... wie du dich noch für deine Verwandte einsetzt, trotz dessen, dass es zum Scheitern verurteilt sein könnte…“ Seine leise raue Stimme verklang. Er war es nicht gewohnt mit sich selbst zu sprechen. Es zeigte nur, dass er wieder mehr in einen Schub rutschen könnte, den er nicht wollte.
Seine Wut war doch weg. Die Leere war klar... rein... und er füllte sie mit diesem Tun hier, dachte mit über das Leben der Frau auf dem Bildschirm nach und nicht über sein eigenes.
Der Blickkontakt beim Rausgehen aus dem Café, hatte ihm gesagt, dass sie ihn abgecheckt hatte. Sie hatte sich gefragt, ob er es sein könnte und war darauf gekommen, dass niemand der so war wie ein Killer wohl einem Kind ein Gebäckstück reichen würde,
oder? Oder hielt sie ihn für einfach gestrickt? Ja, das war gut, denn er wollte ihr weiterhin einfach zufällig begegnen...
Der Mord an dem Kindermörder lag schon lange zurück, doch es hatte ihn gefestigt, wo er bei dem Familienmörder noch leise Zweifel gehabt hatte, waren diese dort verschwunden gewesen. Er hatte diesen Kinderschänder mit einem Draht erwürgt und vorher ebenso gefoltert wie er dies wahrscheinlich bei den Kindern getan hatte. Dieser Kindermörder hätte nicht einfach so aufgehört, somit war sein Eingreifen richtig gewesen. Jener hätte nach der Festnahme das Essen im Knast weiter seelenruhig in sich reinschaufeln können, während die verwaisten Eltern ihr Leben lang getrauert hätten. Dort hatte er auch Lob erhalten, auf deren Webseiten, als rettender Engel und es hatte in ihm etwas aufgetaut. Er hatte sich gefreut und doch war dieser Moment viel zu kurz dageblieben. Es gab keine Liebe und keine Wärme in seinem Leben, er konnte diese schlecht aufbauen und da niemand ihm gezeigt hatte wie man wirklich fühlte und vergab, konnte Nic sich zwar vorstellen wie es zu laufen hatte, aber es nicht nachempfinden.
Also las er weiter Fachlektüre, behielt vieles für sich, baute sich ein eigenes Gebilde seiner Welt, wie sie zu sein hatte, auf und lebte in Gedanken darin.
Dort hatte eine unschuldige Frau Platz, und Dharja hatte das wohl zweifelhafte Vergnügen diesen Anspruch zu erfüllen.
Als ihre Freundin schließlich weg war und sie sich überlegend im Spiegel betrachtete, drückte Nic seine Hand fest auf den Tisch. Er spürte, dass sie unzufrieden war, dass sie überlegte, ob sie attraktiv genug war und zu gerne hätte er ihr geschrieben, dass sie selbst in einem Kartoffelsack eine schöne Frau abgegeben würde.
Er hoffte und bangte mit ihr, wusste nicht wie es wäre, würde sie wirklich einfach mit diesem Keith schlafen, doch eines war sicher, er würde ihr dieses Erfolgserlebnis gönnen, egal was sein Körper sagte. Der war viel zu groß, ungelenk zu mancher Zeit was Annäherungen anging und hatte nicht mitzureden, jener hatte ruhig zu sein und sich auszuklammern...
Unruhig war sein Schlaf. Er träumte davon, dass man ihm Dharja wegnehmen wollte und das ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Wach, mitten in der Nacht, dachte sein Verstand über das Geträumte nach. Wie im Zwang ging Nic alle seine Verhaltensweisen durch, kontrollierte ob es irgendwo Fehler gab, ob er etwas bei ihrem Schutz übersehen hatte, doch er fand nichts. Das war alles nur Einbildung.