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8. Kapitel

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Eine halbe Stunde vor meiner mit Chris verabredeten Zeit laufe ich mit dem Brett unterm Arm ins Wasser. Der Neoprenanzug saugt sich voll, klebt wie eine zweite Haut an meinem Körper. Nur auf die eisige Luftblase im Rücken könnte ich verzichten.

Es ist so ein beruhigendes Gefühl, auf dem Brett übers Wasser zu gleiten, der warme Sommerwind in den nassen Haaren, die Gischt, die an den Füßen kitzelt. Ich presse das Board dicht an meinen Körper, stoße mich im Wasser ab und tauche unter den Wellen hindurch.

Fürs Training bin ich zu früh dran, aber ich konnte nicht länger abwarten. Chris steht bis zum Bauchnabel im Meer und zeigt einer Gruppe Surfschülern geduldig, wie der Take-Off*, das freie Stehen auf dem Brett, bewerkstelligt werden kann. So wie mir einst. Mit drei Jahren habe ich schwimmen gelernt, mit fünf zum ersten Mal allein auf einem Surfbrett gestanden. Chris hat mich mitgenommen, in einen Neoprenanzug gequetscht und aufs Brett gestellt. Er sagt, ich sei ein Naturtalent. Trotz aller Bedenken hat Maman mich immer mit Chris trainieren lassen.

Ich winke ihm zu, bevor mich die Welle erfasst und unter Wasser drückt. Das Salz brennt in den Augen. Chris wirft den Kopf in den Nacken und lacht. Der lacht mich doch nicht etwa aus? Na warte! Ich paddle zurück. Die nächste Welle rollt von hinten an, scheint gut zu werden, nahezu perfekt. Einen Moment liege ich flach auf dem Board, lasse mich von der Wassermacht tragen, bekomme Schwung, bevor ich mich aufrichte und die Welle für ein Manöver nutze. Zwei Drehungen später werde ich vom Brett gerissen und ans Ufer gespült.

Chris steht mit verschränkten Armen am Ufer. »Für deinen ersten Versuch auf dem Shortboard gar nicht schlecht. Hast einen guten Lehrer, was?«

»Den besten würde ich sagen.«

Er knufft mich in den Arm. »Sobald du zum Snap* ansetzt, musst du dein Gewicht auf das hintere Bein verlagern, dann schaffst du eine radikalere Drehung.«

Ich nicke. Ja, genau das habe ich versucht!

»Sag mal, kannst du ... also, ich wollte gern für ... meine Freundin ein Bild von mir beim Surfen machen.« Hoffentlich merkt er mir die Lüge nicht an.

»Ich habe eine bessere Idee.« Chris zeigt grinsend Richtung Strand. »Siehst du dort hinten den Jungen mit der Kamera?«

Das ist jetzt nicht sein Ernst? Mit der Hand schirme ich meine Augen vor der Sonne ab. »Wo? Wen meinst du?«

»Da drüben, an den Wellenbrechern. Orangefarbene Badehose.«

Noch so einer. Meine Protestfarbe ist die Trendfarbe des Sommers? Ich kneife die Augen zusammen, sehe ihn auf den Steinen sitzen. Ich schiele auf meine neonorangefarbenen Fußnägel. »Du meinst, DER soll ein Foto von mir beim Surfen machen? Auf keinen Fall!«

»Warum nicht? Dann hätte ich von meiner Vorzeigeschülerin«, er knufft mir in den Arm, »gleich ein paar perfekte Werbebilder für die Homepage. Sieht doch blöd aus, wenn immer nur die Anfänger auf den Bildern zu sehen sind.« Chris zwinkert mir zu.

»Mir reicht ein Handybild für ... sonst kann ich es nicht verschicken und ... ich hab‘s versprochen.«

»Mit ner Handykamera kannst du das gar nicht einfangen.«

»Ich habe eine supertolle Kamera an meinem Handy. Die fängt alles ein.«

»Jetzt mach dich mal locker, Chérie.« Chris steckt zwei Finger in den Mund und pfeift. »Adrien macht Bilder und Videos für meine Homepage. Der hat es voll drauf, glaub mir.« Er winkt den Jungen heran. »Komm mal eben rüber!«

Das wird ja immer schlimmer. »Aber ich kenne ihn nicht ... und dann bin ich immer etwas ...« Blockiert? Schockiert? Völlig von der Rolle? Am liebsten würde ich mich verkriechen. Er kann doch nicht irgendjemanden damit beauftragen, mich beim Surfen zu fotografieren. Das sollte Chris machen. Ohne Fragen. Ohne Hintergedanken und einfach nur mit meiner Handykamera. Wenn jetzt dieser jemand ein Foto macht, wie bekomme ich das aufs Handy, um es an Flori zu schicken? »Hör mal Chris: So kompliziert wollte ich das nicht. Ich will einfach ein Bild, schnell mit dem Handy aufgenommen, damit ich es verschicken kann.«

»Ach Quatsch!« Er wiegelt ab, begrüßt den Jungen mit Handschlag. »Salut, Adrien, das ist meine Nichte Caro.«

Oh nein, das ist ja wieder dieser Typ! Derselbe, der mir gestern das Kühlpack gebracht und Nico heute Nachmittag beim Strandfußball betreut hat. Wie peinlich! Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er nicht viel älter, aber fast zwei Köpfe größer ist als ich, mit schwarzen wilden Locken, die ihm vom Kopf abstehen. Dazu trägt er diese neonfarbene Badehose, darüber ein graues Shirt mit dem Shaka-Handgruß. Ich versuche, meine Füße im Sand einzugraben. Hoffentlich achtet er nicht auf meine orangefarbenen Fußnägel.

Der Junge betrachtet mich, zeigt auf seine Nase. »Ach, du bist das. Wie geht es dir? Sieht ganz schön übel aus.«

»Ihr kennt euch?« Chris schielt von ihm zu mir.

»Unfreiwillig. Der Volleyball kam aus seinem Spielfeld.« Ich zeige auf meine Nase.

»Sachen gibt’s. Sag mal, kannst du ein paar Bilder von ihr beim Surfen machen?«

Adrien tippt auf die Kamera und nickt. »Kein Problem. Ich habe das große Objektiv dabei.«

Hallo? Fragt mich mal jemand, ob ich das überhaupt will! Vor allem mit einer blau geschwollenen Nase! Mit großem Objektiv sieht man doch alles!

»Das ist mir jetzt echt zu blöd!«, schnauze ich meinen Onkel auf Deutsch an und stampfe Richtung Meer. Dann eben kein Bild. Besser keins, als eins mit blauer Nase, und dann auch noch von einem Kerl fotografiert, der maßgeblich an meiner Nase beteiligt war. Dem ich dazu völlig ungeniert auf den Hintern gestarrt habe! Daran sind allein diese Badeshorts schuld. Warum müssen sie die gleiche Farbe wie meine Fußnägel haben? Und überhaupt, wie soll ich damit jetzt bitte protestieren?

»Caro? Jetzt warte doch mal?« Chris läuft hinter mir her.

Ich drehe mich nicht um. »Vergiss es!« Weg, einfach nur ganz weit weg.

Das Wasser spritzt mir ins Gesicht, als ich hinauspaddle. Es kostet Kraft, gegen die Wellen-Sets* anzuschwimmen. Vor allem, weil ich von den beiden beobachtet werde. Aus dem Line-Up* sehe ich sie am Strand stehen. Der Junge zeigt Chris Bilder auf dem Kamerabildschirm und wirft lachend den dunklen Lockenkopf in den Nacken. Ich beschließe, so lange im Wasser sitzen zu bleiben, bis Chris und dieser Adrien vom Strand verschwunden sind. Vorher werde ich mich nicht rühren, geschweige denn eine Welle zurück ans Ufer nehmen. Wenn ich erfriere, dann wäre Chris daran schuld. Und Maman hätte endlich einen triftigen Grund, sauer auf ihn zu sein.

Sanft schaukelnd lasse ich mich auf der Wasseroberfläche treiben, widerstehe dem Bedürfnis, zurück zu schauen. Ich paddle bis hinter die gelben Bojen zu den Ausflugsschiffen der Amor Navigation, die friedlich schwankend auf ihren nächsten Einsatz zu den Sieben Inseln warten. Die Sonne hinterlässt einen rosaroten Schleier am Himmel, taucht die wenigen Wolkenfetzen in sattes Orange. Mein Ärger rauscht mit dem Wind Richtung Strand und löst sich buchstäblich in Luft auf. Als ich mich umdrehe, ist Adrien weg.

Chris paddelt mir entgegen.

Wenn ich mich nicht bewege, bemerkt er mich gar nicht. Augen zu und fest daran glauben.

»Na Zicke!«

Mist. Das hat doch früher immer geklappt.

»Hast du dich beruhigt?«, fragt er.

Ich schnaube, schlage mit der Hand auf die glatte Wasseroberfläche. »Ich wollte lediglich ein einziges dummes Foto, mit meiner Handykamera, damit ich meiner Freundin ein Bild schicken kann. Aber nein!«

»Warum regst du dich so auf? Du hättest so grandiose Profifotos bekommen. Jetzt hast du gar nichts. Du bist so lange hier, kannst doch deiner Freundin morgen noch ein Bild schicken.«

»Du verstehst das nicht!« Wie soll ich ihm erklären, dass ich Flori das Bild versprochen habe und dieses Bild die einzige Möglichkeit ist, dass er und ich miteinander in Verbindung bleiben?

Chris setzt sich aufs Board, lässt neben mir ebenfalls die Füße im Wasser baumeln. »Nein, sorry, dieser Mädchen-Zicken-Kram ist mir zu hoch. Erinnert mich ganz vage an deine Mutter –«

»Ich bin nicht wie meine Mutter!«, falle ich ihm ins Wort.

Er grinst. »Geht gar nicht um deine Freundin, habe ich Recht? Sonst würdest du nicht so ein Theater machen.«

Ich werfe mich aufs Board und paddele mit der Welle Richtung Strand.

»Hey, warte!« Chris folgt mir. »Wir machen morgen für deinen Kerl ein Bild, bei dem ihm die Augen rausfallen. Jetzt warte doch mal! Wie heißt der Typ eigentlich? Ist er es überhaupt wert, dass du hier so einen Aufstand probst?«

»Lass gut sein«, knurre ich mehr zu mir selbst. Ich weiß doch selbst nicht, warum ich gerade so irrational reagiert habe. Völlig bescheuert. Was der Badehosen-Typ jetzt von mir hält, will ich mir gar nicht vorstellen. Das Bild für Flori muss eben bis morgen warten. Vielleicht frage ich Sylvie, ob sie mich fotografiert. Wer weiß, wie lange Flori drauf wartet, bevor er mich vergisst.

Chris kommt hinter mir aus dem Wasser, löst die Fußbefestigung vom Knöchel. »Weißt du, was ich vorhin spontan überlegt hab?«

»Du lädst mich morgen als Wiedergutmachung auf eine Portion Moules ein? Das ist echt nett von dir.«

»Haha, witzig. Ne, eigentlich dachte ich, wir könnten dich über unseren Club als Teilnehmer für La Torche anmelden. Dann könntest du ein paar Wettkampferfahrungen sammeln. Was sagst du?«

»Dein Ernst?« Das Seven-Island-Surfteam hat laut Chris einige vielversprechende Talente im Kader. Mehr wollte mir er am Telefon nicht erzählen, nachdem ich ihm kurz nach Weihnachten zum Doppelsieg seiner Kids bei den bretonischen Landesmeisterschaften gratuliert habe. Und mit ihnen soll ich mich jetzt bei einem Nachwuchswettbewerb messen? »Das ist ein Scherz, oder?«

Chris stellt sein Board vor der Surfschule ab und grinst. »Komm mal kurz mit.«

Ich folge ihm hinein. Die Rezeption ist nicht mehr besetzt. Es riecht nach nassen Neoprenanzügen und eine Spur aus Strandsand und Pfützen führt zu den Umkleidekabinen. Chris pflückt ein selbst gemaltes Kinderbild von der Pinnwand gegenüber der Anmeldung. Ich erkenne es sofort. Die Ecken sind bereits wellig und die Farben leicht verblasst. Aber die Person auf der riesigen blauen Welle soll mich darstellen.

»Das Bild ist mir hier nie aufgefallen«, gestehe ich. Caro wird Profisurfer, steht dort in krakligen Großbuchstaben. Oh Mann, ich war in der ersten Klasse, als ich ihm die Zeichnung geschenkt habe. »Warum hast du das noch?«

»Wir bekommen viele Bilder von den Ferienkindern, aber niemand hat jemals geschrieben, dass er Profi werden will.« Chris lächelt mir zu. »Schlaf eine Nacht drüber. Ein bisschen Zeit habe ich noch, bis die Anmeldungen raus müssen.«

Abends kann ich natürlich nicht einschlafen. Ich werfe mich im Bett hin und her. In meinem Kopf dreht sich das Gedankenkarussell, wirbelt Chris‘ Worte mit den Videos der Surfwettkämpfe durcheinander, die ich nachts heimlich unter der Bettdecke im Internet verfolge. Seit ich sechs bin, habe ich immer wieder davon geträumt, als Profisurferin auf den Wellen der Weltmeere zu reiten. Ich habe in Wahrheit wohl nie mit damit gerechnet, dass dieser Traum irgendwann in Reichweite kommen könnte. Darauf bin ich emotional nicht vorbereitet. Und dann ist da immer noch die Sache mit Chris‘ Freund Henning.

Unter der Bettdecke gebe ich zum gefühlt tausendsten Mal »NorthSeaSurf-Club auf Sylt« in die Suchmaschine ein. In der Bildergalerie scrolle ich durch die Fotos der letzten Deutschen Meisterschaft, die der Verein jährlich zusammen mit einem französischen Club in Hossegor austrägt. Henning ist quasi sowas wie ein Talentscout, der deutsche Surfer fördern will, die nicht aus Auswandererfamilien stammen und ganzjährig traumhafte Trainingsbedingungen haben. Aber dafür müsste ich meinen Lebensmittelpunkt nach Sylt verlegen. Der Gedanke ist mehr als verlockend, aber diese Möglichkeit lässt sich nicht einmal in meinen Tagträumen verwirklichen. Seufzend klicke ich durch das Menü. Ein knallbuntes Plakat mit einem durch die Wellen fliegenden Surfer kündigt den nahenden La Torche Surf-Cup an. Der Wettkampf, für den Chris mich anmelden möchte, um Erfahrungen zu sammeln und Henning kennenzulernen. Die Suche nach dem ultimativen Jungsurfer wird von RipCool präsentiert - der genialste Sponsor überhaupt. Mir wird schlecht. Und gleichzeitig kribbelt es in meinen Fingern. Der Cup ist eine unvergleichliche Chance, wenigstens einmal im Leben auf der internationalen Welle mitzureiten.

Screenshot vom La Torche Surf-Cup-Plakat. Weiterleiten an Merle.

Ich: Wärst du stolz auf mich, wenn ich da mitmache?

Sekunden später vibriert mein Handy.

Merle: WOW!!! Natürlich! Wenn ich hier nicht auf deinen Flori aufpassen müsste, würde ich dich besuchen kommen. Da laufen bestimmt ein paar richtig – – geile Typen rum.

Oh Merle! Das kann nur von dir kommen!

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