Читать книгу Let's Surf - Sandra-Maria Erdmann - Страница 9
7. Kapitel
ОглавлениеAm nächsten Morgen schaue ich gleich aufs Handy. Aber Flori hat noch nicht geantwortet. Wer, außer mir, steht in den Ferien schon um acht Uhr auf? Joggen hilft sonst immer, den Kopf freizubekommen. Also drehe ich schnell eine Runde am Strand. Danach ist allerdings immer noch keine Nachricht von ihm eingetroffen. Und die Angst, dass Flori auf mein Bild nicht reagiert, sitzt mir im Nacken und flüstert hartnäckig Zweifel in mein Ohr. Vielleicht hilft das Frühstück. Es duftet herrlich nach frisch aufgebackenen Croissants und Kaffee. Ich lasse mich auf den Stuhl plumpsen.
»Aua!«, schreit Nico.
»Dann nimm deinen Fuß von meinem Stuhl!«
Nico streckt mir die Zunge raus und wirft mit einem Stück Baguette nach mir.
»Maman! Hast du gesehen, was Nico gemacht hat?«
Maman atmet tief durch. »Wenigstens beim Frühstück hätte ich gern ein wenig Frieden. Was ihr danach macht, ist mir egal.«
Mit diesem nervigen kleinen Bruder ist das unmöglich. Das Handy vibriert. Flori?! Oder Merle? Ob sie schon wach ist?
»Und kein Handy am Tisch!«, mahnt Papa, als ich in die Tasche greife.
»Was denn noch alles?« Am Ende müssen wir uns unterhalten. Aber worüber? Dass ich nicht geschlafen habe, weil ich auf mich selbst sauer gewesen bin? Ich hätte Flori sofort am Freitag anschreiben sollen. Stattdessen habe ich bis gestern Abend gewartet und dann bis vier Uhr nachts unter der Bettdecke gehockt, um vergeblich aufs Display zu starren. Und ob er sich jetzt gemeldet hat, darf ich nicht nachschauen. Kann der Tag schlechter anfangen?
Maman fegt Krümel vom Tisch in die Hand und lässt sie auf den Teller rieseln. »Wir wollen gleich zum Leuchtturm rüberlaufen. Kommst du mit, Caro?«
Ich schüttle den Kopf. »Da waren wir gefühlt tausendmal. Ich kenne den wirklich in- und auswendig.«
»Macht doch nichts«, sagt Papa. »So ein kleiner Familienspaziergang tut uns allen gut.«
Mein Stuhl schrappt über den Fliesenboden, als ich aufstehe. »Nein danke. Ohne mich. Ich würde gerne nachher zum Strand gehen, mein Geburtstagsgeschenk ausprobieren.« Ich schiele zu Papa, der ein Stück Baguette abreißt. »Darf ich aufstehen?«
Maman will protestieren, aber Papa nickt.
»Danke.«
Drei Treppenstufen auf einmal nehmend renne ich ins Zimmer und werfe die Tür hinter mir zu. Die Nachricht. Ob sie von Flori ist? Kurz schließe ich die Augen und schicke ein Stoßgebet in den Himmel. Lass sie von Flori sein. Bitte. Bitte. Irgendwann muss er sich doch melden.
Tief durchatmen. Mein Herz klopft wie wild, als ich den Messenger öffne. Aber es ist nur Merle.
Merle: Guten Morgen, du Trauerweide. Deine Nase sieht krass schlimm aus. Hat sich eigentlich der Prinz schon gemeldet?
Danke. Ich weiß selbst, dass meine Nase mittlerweile in den herrlichsten Blautönen leuchtet. Mit hängenden Schultern lege ich das Handy zur Seite. Und Merles Frage will ich nicht schon wieder mit NEIN beantworten. Also ignoriere ich sie. Vielleicht ist Flori noch nicht wach. Oder er hat sein Handy im Klo versenkt und kann meine Nachricht darum nicht abrufen. Ist doch möglich. Das hat Merle auch schon geschafft. Jetzt habe ich noch weniger Lust, irgendetwas zu unternehmen. Vom Leuchtturm mal ganz abgesehen.
Ich werfe mich aufs Bett. Hier bleibe ich liegen, bis Flori sich bei mir meldet. Ich werde mich nicht bewegen, werde nicht aufstehen, nicht essen, nicht aufs Klo gehen. Als das Handy erneut vibriert, sitze ich sofort auf.
Chris: Hey, Wasserflo! Heute ab 18 Uhr habe ich keine Schüler mehr. Willst du dein neues Board ausprobieren? Treffen uns am unteren Strandabschnitt.
Wenigstens du meldest dich. Missmutig rolle ich mich in meine Decke ein. Wo war ich? Ach ja, ich wollte mich nicht mehr …
»Caro?«
»Was?«, knurre ich ins Kissen.
»Maman und Papa gehen jetzt allein zum Leuchtturm und du sollst mit mir zum Strand, haben sie gesagt.«
Bitte? Och nö! Nirgends kann man hier in Ruhe Trübsal blasen! Ich quäle mich aus dem Bett und trotte hinter Nico die Treppen hinunter.
Im Gegensatz zum Morgen wuseln die Menschen jetzt die Standpromenade entlang. Sie tragen Sonnenschirme und Taschen, einige schleppen Schlauchboote. Das Meer umspielt die weißen Sprungtürme mit sanften Wellen und im Wasser tummeln sich Kinder in Neoprenanzügen. Die Sonne brennt heiß auf meinen Kopf, aber der Wind sorgt für Abkühlung. Ich folge Nico bis zum Strandclub. Zwei Kinder in gelben Ferien-Betreuungsshirts zwängen sich an uns vorbei und hüpfen die Treppe zum Strand hinab.
»Hi, Caro.« Die Stimme gehört Jérôme. Er leitet den Strandclub in den Sommerferien. »Cool, dass ihr da seid. Nico, hast du Lust mitzumachen?« Jérôme reicht ihm ein hellblaues Leibchen. »Gleich startet ein Fußballturnier. Geh rüber zu Adrien, das ist der Junge dort in der orangefarbenen Badehose. Der teilt dich ins Team ein.«
Mein Blick folgt Jérômes ausgestrecktem Arm. Unauffällig beobachte ich den großen Kerl in dieser krass-grellen Badehosenfarbe. Mit einer Kinderschaufel markiert er im Sand die Maße des Fußballfeldes. Ist es der Typ von gestern? Die Farbe der Hose stimmt, die Haare hat er unter einer Kappe versteckt. Ich betrachte meine Fußnägel und muss grinsen. Neonorange scheint die Farbe des Sommers zu sein. Und blau, wenn ich an meine Nase denke. »Bevor du mich fragst ...«, sage ich zu Jérôme, klopfe auf die Strandtasche und nicke Richtung Ferienclub, »ich glaube, dafür bin ich langsam zu alt.«
»Kein Problem, das verstehe ich.«
Jérôme folgt Nico zu den anderen Kindern und ich breite mein Handtuch ganz in der Nähe der Wellenbrecher aus. Kaum eine Stunde später vibriert das Handy neben meinem Kopf. Ich muss eingeschlafen sein, denn das leise Brummen lässt mich aufschrecken.
Flori!
Ich setze mich sofort auf. Er hat zurückgeschrieben. Mein Herz klopft lauter, als der Wind in den Ohren rauscht.
Flori: Mega, dass du dich trotzdem meldest. Cooles Teil. Wäre schön, dich darauf in Action zu sehen…
Ahhh. Am liebsten möchte ich laut schreien. Heiß schießt mir die Röte ins Gesicht. Flori. Wie süß. Er hat zurückgeschrieben. Er ist nicht sauer oder sowas. Und er möchte was? Ich lese seine Nachricht noch einmal. Und noch einmal. Er will mich surfen sehen?
Merle. Das muss ich ihr sofort zurückschreiben.
Ich: Du glaubst nicht, was passiert ist?
Merle: Sag bloß, er hat sich endlich gemeldet?
Ich: Er will mich surfen sehen.
Merle: Dann los! Rauf auf das Ding und lass dich dabei fotografieren.
Genau. Rauf auf das Ding. Aber wer fotografiert mich? Ich könnte Chris fragen. Der macht das bestimmt. Oh mein Gott! Er hat sich gemeldet.
Ich: Merle, was soll ich ihm zurückschreiben????
Merle: KP. Vielleicht, dass du noch auf die perfekte Welle wartest???
Ich:
Das perfekte Bild auf der perfekten Welle für den perfektesten Jungen, den ich kenne. Vor Aufregung kann ich nicht länger liegen bleiben. Ich laufe ins Wasser, halte kurz inne. Es ist verdammt kalt im Ärmelkanal. Höchstens achtzehn Grad im Sommer. Von den Wintertemperaturen rede ich gar nicht erst. Aber das Wasser kühlt meine heißen Wangen auf Normaltemperatur herunter und ordnet die Synapsen in meinem Hirn. Ich schwimme bis zu den letzten Bojien, die den bewachten Badebereich eingrenzen. Es tut so gut, nach monatelangem Chlorwasser-Training endlich im Meerwasser zu schwimmen. Der leichte Geruch nach Algen, das Salz auf den Lippen und die kühle Brise würde ich am liebsten nie wieder gegen das stinkige Schwimmbadwasser eintauschen. Aber wie sollte ich sonst in der meerwasserfeien Zone trainieren?
Nach dem Bad lese ich Floris Nachricht zum zehnten Mal. Ruhe bewahren! Nur nicht durchdrehen! Flori hat zwar geschrieben, aber ich muss ja nicht sofort reagieren. Das macht man so, wenn man total in jemanden verliebt ist und nicht aufdringlich erscheinen will. Oder Angst davor hat, verarscht zu werden. Also ablenken. Aber wie?
Die Wellen-App verspricht eine glatte, saubere Flut mit Halbmeter Dünung*. Leider erst ab achtzehn Uhr. Dann beginnt mein Training mit Chris. Aber was mache ich bis dahin? Vielleicht doch durchdrehen?
»Huhu«, dringt Sylvies Stimme an mein Ohr. Sie nimmt mein Gesicht in beide Hände, dreht es in die Sonne. »Wie geht es deiner Nase? Oh Süße, das tut mir so leid wegen gestern. Warum hast du auch da so blöd rumgesessen? Du hättest mitspielen sollen, dann wäre das nicht passiert.«
Ich entziehe ihr mein Gesicht. »Geht schon. Ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Tut auch gar nicht weh.« Gut, das ist gelogen, aber ich will ihr kein schlechtes Gewissen einreden.
»Mit ein bisschen Make-up könntest du den dicken blauen Fleck verstecken.«
»Nicht nötig. Was ist mit deinen privaten Surfstunden?« Unauffällig schiele ich Richtung Strandclub. Der Badehosen-Typ trägt mittlerweile auch ein hellblaues Leibchen, rast von einer kreischenden Kinderschar umringt über das Feld. Eine Windböe reißt ihm das Käppi vom Kopf. Ich zucke zusammen. Er ist es tatsächlich. Schnell wende ich den Blick ab, übergehe das leise Ziehen in meiner Brust.
Sylvie lässt sich neben mir auf die Decke fallen und streckt die langen Beine im Sand aus. »Der Typ ist der totale Reinfall«, mault sie und verdreht dabei die Augen. »Hätte ich gewusst, dass der so eine Spaßbremse ist, hätte ich mich gestern schon an seinen Freund rangeschmissen.« Theatralisch wirft sie den Kopf in den Nacken und schiebt eine blonde Locke über die Schulter. »Hugo ist zwar nicht besonders hübsch mit seinen Hasenzähnen und der großen Nase, aber wenigstens lustiger als sein seltsamer Freund.«
»Was hat er denn gemacht?« Es hilft nichts, ich muss noch mal gucken. Die Kappe sitzt mittlerweile wieder auf dem Kopf. Er steht am Rand des Spielfelds, die Arme in die schmalen Hüften gestemmt. Ich erwische mich, wie ich ihm auf den Hintern starre und wende schnell den Blick ab. Aber diese Badehosenfarbe lädt praktisch dazu ein.
Sylvie zieht eine Schnute. »Wir haben uns alle gestern Abend auf dem Campingplatz zur Disco im großen Zelt verabredet. Hugo, Manon, Adrien, Sebastian … kennst du den noch aus dem letzten Jahr? Ähm, wer war noch dabei … ach, egal. Und jetzt rate, wer nicht gekommen ist.«
Ich zucke mit den Schultern.
»Na, er! Manon hat natürlich den ganzen Abend mit Hugo abgehangen und ich saß allein am Rand, weil Sebastian eine Freundin mitgebracht hatte, mit der er die ganze Zeit rumgeknutscht hat. Mal ehrlich, macht man das?«
Mitfühlend lege ich eine Hand auf ihren Arm. »Auf gar keinen Fall, so ein Arsch! Der hat dich gar nicht verdient. Aber schau dich um, hier laufen genug hübsche Typen rum, die dich niemals versetzen würden, wenn sie Augen im Kopf haben.« Schnell werfe ich einen Blick Richtung Ferienclub. Die blauen Leibchen spielen gegen eine rote Mannschaft.
Sylvie legt ihren Kopf an meine Schulter und seufzt. »Du bist süß. Aber der Typ sieht so heiß aus und ich will nicht glauben, dass er ein Arsch ist. Was hast du gleich noch vor?«
»Ich warte, bis Nico mit Fußballspielen fertig ist und danach fängt meine Surfstunde an. Tut mir leid.« Außerdem will ich nicht länger als nötig hier herumsitzen, weil mich der Badehosen-Typ extrem ablenkt und ich unter diesen Voraussetzungen nicht ausgiebig genug an Flori denken kann.