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5. Kapitel

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Eine breite Betontreppe führt hinab ans Wasser. Mittlerweile hat die Flut die Hälfte des Strandes verschluckt. Ich setze mich auf die Steine an der Kaimauer, male mit meinen neonorangefarbenen Zehen Herzchen in den feuchten Sand. In wenigen Stunden wird auch dieser Teil von den Wassermassen überspült sein und die Herzen mitnehmen. Der Wind trägt die Worte »dernière vague« bis zu meinem Sitzplatz und kündigt den Surfschülern die letzte Welle an. Chris steht bis zur Hüfte in den Fluten und ich muss schmunzeln. Den Strohhut, den er trägt, habe ich ihm vor zwei Jahren geschenkt, nachdem seiner bei einer Kajaktour vom Wind aufs offene Meer gepustet wurde. Ich winke ihm und er schickt mir eine Kusshand zurück. Ihm gehört die Surfschule hier am Strand. Kurz nach seinem achtzehnten Geburtstag hat er das Abi abgebrochen und Deutschland den Rücken gekehrt. Bei einem Kumpel hier in Perros hat er Obdach gefunden und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten, bevor er später dann mit seinem Freund Bruno eine eigene Surfschule und eine kleine Pension eröffnet hat. Maman nennt ihn einen Aussteiger, einen Träumer, der den Blick für die Realität verloren hat. Aber wie es scheint, macht es ihn glücklich, hier am Ende der Welt anderen Leuten das Surfen beizubringen. Mittlerweile beschäftigen Bruno und er in den Sommermonaten drei andere Surflehrer und sind ständig ausgebucht. Maman motzt nach wie vor über ihn, obwohl sie diejenige gewesen ist, die meinen ersten Surfstunden zugestimmt hat. Wahrscheinlich ist sie sich selbst nicht sicher, ob sie sauer oder stolz auf ihren kleinen Bruder sein soll. Vielleicht sollte sie ihm das einfach mal sagen, statt über Jahre hinweg wie ein kleines Kind zu schmollen.

Chris kommt winkend auf mich zugelaufen, schiebt den Strohhut aus dem braungebrannten Gesicht. »Salut, Caro, ich umarme dich besser nicht, sonst bist du gleich klitschnass. Seit wann seid ihr hier?«

»Heute Mittag.«

Er deutet auf mein Gesicht. »Und schon den ersten Kampf hinter dir? Wer war es?«

Vorsichtig befühle ich meine Nase. »Ein Volleyball, aber du müsstest den jetzt mal sehen. Der hatte keine Chance gegen mich.« Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und drücke ihn fest an mich. »Dich habe ich seit letztem Sommer besonders vermisst!«

Er lacht und mit ihm zusammen lachen die dunkelblauen Augen, die an die tiefen Stellen im Meer erinnern.

»Und das Surfen natürlich. Das auf jeden Fall!« Ich deute aufs Wasser. »Hast du gleich noch Zeit für eine Runde?« Die Wellen sind nicht besonders hoch, aber für eine kleine Trainingsrunde zum Aufwärmen würde es reichen.

»Sorry, ich habe noch einen besonders zuschauerscheuen Schüler, den ich für den Wettbewerb in drei Wochen fit haben will. Apropos: Hast du dir meinen Vorschlag mal durch den Kopf gehen lassen? Henning hat nach dir gefragt.« Chris sieht mir in die Augen.

Sofort beschleunigt sich mein Herzschlag. Wie soll ich ihm erklären, dass ich die Idee, im NorthSeaSurf-Club bei seinem Freund Henning auf Sylt zu trainieren, mehr als tausendmal in meinem Kopf hin- und hergeschoben habe, ohne zu einem befriedigenden Ergebnis gekommen zu sein. Ein Teil von mir hätte am liebsten sofort die Koffer gepackt, aber der realistische Part hat mich davon abgehalten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich bereit dazu bin, für meinen Traum den Familienfrieden aufs Spiel zu setzen. Was Maman vom Surfen hält, sollte Chris eigentlich wissen. Mehr als einmal habe ich mich bei ihm darüber ausgeheult.

»Das Angebot klingt verlockend, aber ich weiß nicht –«

Er wuschelt mir über den Kopf. »Ich verstehe. Kein Problem. Vielleicht lernst du Henning erst mal kennen. Ein paar seiner Schützlinge werden auch beim Surf-Cup in La Torche starten. Wenn du willst, komm einfach mit.«

»Echt? Als was? Surfbrettträgerin?«

Chris lacht. »So jemanden braucht man zwar immer, aber nein. Du warst noch nie bei einem offiziellen Wettkampf dabei. Vielleicht schaust du dir das Ganze erstmal an, bevor du dich dagegen entscheidest.«

»Wer sagt, dass ich mich dagegen entscheide. Ich hab nur noch nicht mit meinen Eltern gesprochen.« Und ihre Antwort kenne ich, ohne überhaupt danach fragen zu müssen. Das ist auch der eigentliche Grund, der mich beim Nachdenken abhält, in kindliche Euphorie auszubrechen.

»Überleg es dir. Hast ja noch ein paar Tage Zeit. Ich habe übrigens dein neues Board bei mir im Paradise. Komm jederzeit vorbei, um die Sachen abholen. Irgendjemand ist immer da.«

»Kann ich nicht sofort mitkommen und die Sachen holen?«

Chris sieht auf die Uhr. »Dann los!«

Wenige Minuten später schnallt er einige Boards auf das Dach seines alten klapprigen Citroëns. Der Beifahrersitz ist voller Zeitschriften. Ich schiebe eine leere Cola-Dose und zusammengeknülltes Hamburgerpapier zur Seite. Am Rückspiegel hängt ein Miniatursurfbrett mit den Initialen C.B. Christof Berger.

Als Chris den Motor startet, jault dieser nur kläglich auf. »Mach schon! Dafür habe ich keine Zeit.« Zwei Versuche und diverse Beschimpfungen später springt der Wagen endlich an.

»Du brauchst dringend ein neues Auto«, sage ich.

Er sieht mich entsetzt an. »Niemals! Meine alte Schachtel ist sehr zuverlässig.«

»Das klang gerade aber anders.«

Er winkt ab, biegt auf die schmale Küstenstraße und hält am Fußgängerüberweg an, um drei junge Männer vorbeizulassen. »Sie braucht manchmal ein bisschen länger. Bei hübschen Mädchen ist sie besonders eifersüchtig.« Chris zwinkert mir zu.

»Dein Auto ist also eine SIE? Woher weißt du, dass es kein ER ist?«

»Na hör mal, Chérie, die Schachtel und ich gehören mittlerweile seit fast zwanzig Jahren zusammen. Wir sind quer durch Europa gefahren und haben so manches Unwetter überstanden. Eindeutig eine SIE.«

»Hat SIE denn einen Namen? Oder nennst du SIE immer nur Schachtel?«

Er wirft mir einen hastigen Blick zu und murmelt: »Evá.«

Laut pruste ich los »Echt jetzt?«

»Was ist daran komisch? Evá ist doch ein hübscher Name.«

»Jaja.« Ich wische mir die Tränen aus den Augen. Er hat sein Auto Evá genannt. Wie kommt man denn auf sowas?

An der Kreuzung, die Richtung City führt, biegt er links ab und parkt Evá vor einer aus rosa Granitsteinen gebauten Villa. Surfers Paradise steht auf einem Holzschild, das in Form eines Surfbretts im Vorgarten thront.

Überall stehen Surfboards herum, lehnen am Gartenzaun, an der Hauswand oder liegen gestapelt vor der Tür. Maman würde durchdrehen, würde sie diese Unordnung sehen. Chris grinst mich an und hebt entschuldigend die Schultern. »Sorry für das Chaos. Wir sind voll belegt.«

Ich schleiche hinter ihm durch das Gartentörchen. Die Terrasse ist voller Menschen. Neben dem Hauseingang steht einer am Grill, andere sitzen auf dem Rasen und spielen Karten. Bruno kann ich nirgends entdecken. »Seit wann habt ihr denn einen Pool?«

»Cool, oder?«

»Läuft bei dir.«

Als er das neue Board aus dem Schuppen holt, macht mein Herz einen Sprung. »Es ist grandios!« Kurz und schnittig. Behutsam berühre ich die weiße Carbonoberfläche.

»Es ist noch nackt, aber wenn du Lust hast, kannst du es nach deinen Wünschen gestalten. Es ist kürzer als deine letzten Bretter. Damit musst du vielleicht erst mal ein bisschen üben.« Er klopft mir auf die Schulter und drückt mir drei Pakete Wachs in die Hand. »Dürfte aber für meinen kleinen Wasserfloh kein Problem sein, oder?«

Auf keinen Fall! Ich habe zwangsläufig sechs Wochen Zeit und jetzt eine schöne Ausrede, warum ich mich nicht permanent um die nervige kleine Bruder-Bazille kümmern kann. »Danke für alles. Oh Mann, ich kann es kaum erwarten, draufzusteigen. Schade, dass du heute keine Zeit mehr hast.«

»Wir sehen uns morgen am Strand und dann geht’s los.« Chris drückt mir einen Kuss auf die Stirn. »Ich meld mich bei dir.«

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