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2. Kapitel

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Maman öffnet schwungvoll die Badezimmertür. »Caro! Dein Koffer steht immer noch im –« Sie wirft einen entsetzen Blick auf die Schere in meiner Hand. Ihre Augen werden kugelrund. »Was machst du hier?«

»Ich habe meine Haare geschnitten.«

»Aber warum? Du hast so lange gewartet, bis sie gewachsen sind, und jetzt schneidest du sie schon wieder ab?« Ungläubig schüttelt sie den Kopf, greift nach der Schere. »Mit einer Papierschere?«

»Eine Papierschere? War mir gar nicht aufgefallen. Funktioniert trotzdem.«

Maman hebt eine Strähne und überprüft die Schnittstellen. »Aber Caro, du warst so hübsch mit langen Haaren.«

Ich zucke mit den Schultern und hole tief Luft, schlucke meinen Kommentar aber sofort hinunter, um keinen Streit heraufzubeschwören. Die kurze hitzige Diskussion beim Mittagessen hat gereicht, um meine Ferienfreude bereits vor dem Start zu trüben. Es gibt Dinge, bei denen Maman genauso störrisch ist wie Onkel Chris, dem sie genau diese Eigenschaft vorwirft. Dabei ist er nur konsequent in der Erfüllung seiner Träume. Warum will sie das nicht einsehen?

Maman verschränkt die Arme vor der Brust und legt den Kopf schräg. »Deine Haare abzuschneiden, weil du sauer auf uns bist - ist das nicht ein bisschen übertrieben?«

»Quatsch! Ich mach das nicht deshalb.« Na vielleicht ein bisschen. Maman hat mich überredet, meine Haare wachsen zu lassen, damit ich endlich wie ein Mädchen aussehe, die Jungs von mir Notiz nehmen und ich aufhöre zu jammern, dass ich mit fünfzehn immer noch ungeküsst bin. Aber wozu muss ich jetzt wie ein Mädchen aussehen, wenn Flori in Köln ist und ich elfhundert Kilometer weit von ihm entfernt? Wenn ich schon sechs Wochen in der Bretagne bin, dann kann ich mich auch voll und ganz auf mein Training konzentrieren. Und ob Flori mich nach den Ferien noch anguckt, hängt garantiert nicht an meiner Frisur.

Maman streichelt mir lächelnd über die Haare. »Aber es sieht süß aus. Eine richtig niedliche Sommerferien-Frisur.«

Ich ziehe den Kopf weg. »Die ist nicht niedlich, sondern praktisch zum Surfen.«

»Du willst dir also wieder die Knochen brechen? Ich dachte, das hätten wir endgültig hinter uns.«

»So ein Fehler passiert nicht wieder, keine Sorge.« Nach einem üblen Sturz im letzten Jahr, bei dem ich mir die Hüfte geprellt und zwei Rippen gebrochen hatte, war mein Board in zwei Teile zersprungen. Mamans Erleichterung war spürbar. Sie hat gedacht, dass ich nach diesem Unfall vom Surfen geheilt bin. Als ob mich ein kleiner Unfall vom Surfen abhält. Dann könnte ich ebenso gut mit der Schule aufhören. Glücklicherweise hat Maman nach Omas Schlaganfall alle Hände voll zu tun gehabt, sodass ihr meine heimlichen Trockentrainingsübungen gar nicht aufgefallen sind. Dieses Jahr bin ich mental vorbereitet und körperlich fit. Chris hat mir zum Geburtstag ein supersüßes Video geschickt, in dem er ein schickes Shortboard* mit einer überdimensionalen roten Schleife in die Kamera gehalten hat. Maman hat das Geschenk gelassen zur Kenntnis genommen. Für sie ist mein Surftraining in den sechs Wochen Perros pro Jahr wahrscheinlich das kleinere Übel, solange ich nicht, wie mein Onkel, die Schule abbreche und auf der ewigen Suche nach der perfekten Welle ziellos umherziehe. Wenn sie wüsste, welchen Vorschlag Chris mir gemacht hat, um meinem Traum einen Schritt näher zu kommen.

»Du weißt, was ich vom Surfen halte«, entgegnet sie, ohne mich anzuschauen. »Und davon, dass Chris dich da immer weiter hineinzieht.«

»Ich surfe nicht, weil Chris mir das sagt, sondern weil ich es liebe, eins mit dem stärksten Element der Welt zu sein. Es ist das pure Glück, die Wellenenergie unter dem Brett zu spüren und in der Lage zu sein, diese zu beherrschen.«

»Genau das meinte ich mit HINEINZIEHEN. Du klingst schon genau wie er.«

»Woher willst du das wissen? Ihr habt bestimmt seit zehn Jahren kein Wort miteinander gewechselt.«

Maman übergeht meinen Einwand durch hartnäckiges Schweigen, während sie die auf dem Boden aufgetürmten Handtücher faltet. »Lass uns nicht streiten. Dein Koffer steht immer noch im Flur, Schatz. Außerdem habe ich vorhin mit Omili telefoniert. Sie macht morgen Crêpes zum Mittagessen.«

»Ich fang gleich an zu packen«, murmele ich. Die Aussicht auf Omilis Crêpes ändert auch nichts an der Tatsache, dass ich mich wirklich gern mit Flori im Freibad verabredet hätte. Ich greife in die Hosentasche. Floris Zettel vermittelt mir für einen winzigen Augenblick das Gefühl inniger Verbundenheit. Gut, ich sehe ihn vielleicht in den nächsten sechs Wochen nicht, aber ich habe seine Telefonnummer.

»Und pack das Shirt mit dem blauen Fleck ein. Ich wasche das Ding dann in Perros. Wenn wir das über sechs Wochen hier liegen lassen, kommen Ameisen in deinen Schrank. Die riechen Zuckerwasser auf hundert Kilometer Entfernung. Und Ameisen in der Wohnung finde ich schlimmer als deine Surfbegeisterung.«

»Sehr witzig!« Alles in mir weigert sich, dieses Shirt in die Wäsche zu geben. Was, wenn der Fleck verblasst und alle meine Erinnerungen an Flori sich verlieren? Ich brauche diesen Fleck als Andenken an den legendärsten Tag EVER. Weil er auf lange Zeit der einzige Tag bleiben wird, an dem Flori und ich face-to-face miteinander gesprochen haben. Ich male ein unsichtbares Herz auf die Fensterscheibe.

»Jetzt pack deinen Koffer, Schatz, damit wir das Auto beladen können, sobald Papa aus dem Altenheim zurück ist.« Hinter Maman fällt die Badezimmertür ins Schloss.

Ich hätte jetzt gern abgeschlossen, um ungestört ein bisschen an Flori zu denken, aber alle Schlüssel im Haus sind vor Nico, meinem kleinen Bruder, versteckt. Ich zerre Floris zerknitterte Nachricht aus der Hosentasche und küsse die Buchstaben auf dem Papier. »Für dich hätte ich sogar freiwillig auf Surfstunden verzichtet, und die sind mir verdammt viel wert. Damit du’s weißt.«

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