Читать книгу Let's Surf - Sandra-Maria Erdmann - Страница 3
1. Kapitel
Оглавление0187/543567 Morgen im Freibad? Flori
Seufzend berühre ich die mit blauem Kuli auf die Ecke eines Mathe-Arbeitsblattes gekritzelten Zeilen. Dein Timing hätte nicht schlechter sein können. Den Ausflug ins Freibad kann ich vergessen! Heute Nacht fahren wir, wie jedes Jahr zu Beginn der Sommerferien, in unsere zweite Heimat und bis gestern habe ich mich darauf wie verrückt gefreut. Frankreich. Die Bretagne. Perros-Guirec. Dort gibt es Omilis weltbeste Crêpes und sechs Wochen Surftraining im Atlantik mit meinem Onkel Chris. Aber mit Floris Nachricht hat sich die kribblige Vorfreude in Luft aufgelöst.
Er hat mir die Nachricht nach der Zeugnisausgabe zugesteckt, bevor ich mit Merle in den Bus gestiegen bin. MIR. Unfassbar. Bisher ist das nur einem passiert. Leon. Dessen attraktives Äußeres von seinem schrecklich fiesen schwarzen Inneren ablenken sollte. Ich bin letzten Herbst so verknallt in ihn gewesen, dass ich erst gemerkt habe, dass er mich verarscht, als meine mit Herz-Emoticons vollgestopften Chatverläufe in den Klassengruppen der Schule aufgetaucht sind. Der Ruf als Lachnummer hängt an mir wie Fischstäbchengeruch, auch nachdem Leon die Schule verlassen musste, weil er beim Gras-Dealen erwischt worden ist.
Flori ist nicht so. Oder doch? Es klingt eigentlich verdächtig, wenn sich der hotteste Typ der Schule mit MIR treffen will. Wäre ich ein normales Mädchen, gäbe es da wohl nicht viel einzuwenden, aber ich bin Caro Dumont. Ich stehe meist mit fünf oder sechs anderen Mädchen aus meiner Stufe an der „Mauer der Blümchen“, wie die buntbemalte Betonwand auf unserem Schulhof seit einem Kunstprojekt der Siebtklässler genannt wird. Dort versuchen die ungestylten Außenseiter heil über die große Pause zu kommen, ohne Aufsehen zu erregen. Für mich ein Ding der Unmöglichkeit, wenn gefühlt die halbe Schule über mich herzieht oder ihre blöden Witzchen darüber reißt, dass ich Profisurferin werden möchte. Naja, und dass mein Name in Kombination mit meinen Lieblingsklamotten seit der fünften Klasse für Gesprächsstoff sorgt – geschenkt. Ich liebe meine übergroßen Karo-Hemden, weil ich mit ihnen meinen kaum vorhandenen Busen und die viel zu muskulösen Oberschenkel verbergen kann.
Ich stopfe Floris Zettel in die Hosentasche zurück. Ob er mich wirklich mag oder auch nur versucht auf der Karriereleiter der Schulmobber an die Spitze zu gelangen, werde ich vorerst wohl nicht herausfinden.
Meine Suchanfrage spuckt ein siebenminütiges Video zum Thema »Haare selber schneiden« aus. Die Frau im Bild befestigt das Haargummi einen Fingerbreit über der Nasenspitze und schneidet. Soll ich das wirklich auch versuchen? Meine von Papa geerbten bretonischen Drahtborsten gehen mir schon lange auf die Nerven. Die liegen nie, wie sie sollen, und nach dem Schwimmtraining brauchen sie ewig zum Trocknen. Ich binde sie vor der Stirn zu einem Pferdeschwanz zusammen und setze die Schere an. Jetzt oder nie! Meine Nackenhaare stellen sich auf. Das Knirschen der Schere ist fast so gruselig wie das Geräusch kratzender Fingernägel an der Tafel. Strähne für Strähne fallen die Haare in die Badewanne und hinterlassen einen dunkelbraunen Teppich auf der weißen Keramik. Mit ernstem Blick in den Spiegel löse ich den Haarstummel vor der Stirn auf. Jetzt fallen sie knapp über die Schulter, wie im Video versprochen. Ich kann nicht verhindern, dass ich dieser neuen Caro im Spiegel zulächele. Geht doch! So kurz trocknen sie auch besser und Maman braucht keine Angst haben, dass ich nach einer Surfrunde an einer Erkältung sterbe.
Ein Videoanruf von Merle unterbricht meine peinlichen Versuche, vor dem Spiegel verführerisch zu posen. Ich nehme den Anruf an. »Hey Sonnenschein.«
»Hallo Süße.« Merle streicht ihre blonden Lillifee-Locken aus dem Gesicht und lächelt in die Kamera. »Alles gut?«
»Hier«, ich halte das Display so vor den Kopf, dass sie die schulterlangen Haare sehen kann, »was hältst du von meiner Sommer-Frisur?«
»Uih! Selbst geschnitten?«
»Per DIY-Video. Gar nicht mal so schlecht, oder?«
»Ich finde eh, dass dir lange Haare nicht stehen. Jetzt fehlt dir nur noch 'ne epische Protest-Farbe. Wie wäre es mit grün?«
»Was gefällt dir an meiner Haarfarbe nicht?« Ich ziehe mir eine Strähne vor die Augen. Eine Mischung aus Straßenköterblond und Milchkaffee.
Merle zuckt mit den Schultern. »Die Farbe ist lahm. Vielleicht kannst du deine Haare etwas aufhellen, dann siehst du gleich viel ... interessanter aus.«
»Du spinnst! Für so einen Kram gebe ich bestimmt kein Geld aus.«
Merle zieht eine Grimasse. »Das ist ja genau dein Problem. Aber egal! Was gibt’s Neues von der bretonischen Front?«
»Leider nichts. Wir fahren heute Nacht los. Wie immer. Daran wird nicht gerüttelt.« Ich rutsche mit dem Rücken die Badezimmertür hinab. »Ich erwarte ja noch nicht mal, dass wir in den Ferien ganz zu Hause bleiben. Wenn wir nur einen oder zwei Tage später losfahren würden, wäre das Meer immer noch da. Und Papas Familie. Und seine alten Freunde. Und Maman könnte sich mehr Zeit beim Packen lassen und würde nicht die Hälfte vergessen. Und ich hätte wenigstens einen Tag mit Flori im Freibad.«
»Das tut mir voll leid.«
»Und dann habe ich vorgeschlagen, in diesem Jahr mal ein paar Tage früher heimzufahren, aber das hat sie sofort abgeschmettert. Sie sagt, sie brauche die Zeit in Perros, weil sie sich nur dort erholen könne, weit weg von allem. Was ich auch verstehen kann. Ach Mann, das ist alles –«
»Voll blöd.«
»Sowas von!«
»Dann schreib Flori wenigsten schnell 'ne Nachricht.«
Ich lache auf. »So wie beim letzten Mal? Nein danke.«
»Leon war ein Idiot! Aber diesmal geht es um Flori. Der coolste Typ der Schule, süß, hilfsbereit und gutaussehend. Ich verstehe immer noch nicht, warum er keine Freundin hat ... Und genau dieser Typ gibt dir seine Nummer, damit du ihn anschreibst, weil er einen fetten Crush auf dich hat.« Sie klimpert mit den Augen und wirft mir einen Kussmund zu.
»Als ob!« Das habe ich bei den ersten Nachrichten von Leon auch gedacht, bevor sein wahres Gesicht zum Vorschein kam.
Merle pustet eine Haarlocke aus ihrem Gesicht. »Was denn sonst! Schließlich hat er dir den blauen Sirup ganz unabsichtlich absichtlich übers T-Shirt geschüttet. Bei einer solch ausgeklügelten Aktion kann es sich nur um die Tat eines wahnsinnig verliebten Prinzen handeln, der keine andere Möglichkeit gesehen hat, mit dir in Kontakt zu kommen.«
»Das war ein Unfall.«
»Und meine Fünf in Französisch ist eigentlich eine verkleidete Eins.« Sie grinst frech. »Oh Süße, er ist garantiert total verknallt in dich. Hast du das T-Shirt noch?«
Ich nicke. »Das kommt in die Flori-Gedenkkiste.«
»Die, wo schon der Keks drin liegt, den er in der Cafeteria vergessen hat?« Merle hält sich die Nase zu.
»Der war doch eingepackt.« Ich erinnere mich genau an den Tag. Flori ist von dieser Zehntklässlerin mit der schiefen Nase belagert worden. Als sich unsere Blicke ganz zufällig getroffen haben, hat er die Hand gehoben und mir zugelächelt. Ich treffe ihn oft im Freibad. Während ich meine Bahnen ziehe, hat er das Nichtschwimmerbecken im Blick.
Merle kichert. »Menno! Ich wäre so gern bei eurem ersten Date dabei.«
»Vergiss es«, rutschen mir die Worte schärfer heraus, als beabsichtigt. Kein Kerl, der halbwegs klar denken kann, widersteht dem Charme meiner besten Freundin. Auch Flori nicht. Merle ist der Schwarm aller Jungs in der Schule, kann die Anzahl an Verehrern kaum an zwei Händen abzählen. Auch wenn sie es abstreitet, Merle scheint eine Art geheime Superkraft zu besitzen, die den Jungs den Verstand raubt. Leider habe ich die nicht, darum ist die Sache mit Flori und der Telefonnummer quasi sowas wie das achte Weltwunder. Schnee im Sommer. Schokofondue zum Frühstück … etwas in jener Kategorie.
»Keine Angst, ich rühre deinen Kerl nicht an.« Merle hebt zwei Finger. »Ich schwöre bei allen meinen Nagellackfläschchen.«
»Sonst muss ich dir auch leider die Freundschaft kündigen.« Ich versuche, so ernst wie möglich zu gucken. »Für immer und ewig. Das ist fast so lang wie sechs Wochen Bretagne. Ich weiß nicht, ob ich das ohne dich aushalte.«
»Keine Sorge. Ich passe in der Zwischenzeit auf, dass deinem Flori niemand zu nah kommt.«
Es klopft gegen die Tür. »Caro, bist du immer noch im Badezimmer?«
»Sorry Merle, ich muss noch packen.«
»Sei tapfer, Süße. Und schreib Flori unbedingt an. Ihr müsst in Kontakt bleiben, damit er dich nicht vergisst!« Sie wirft mir eine Kusshand durchs Handy zu und legt auf.
Das sagt sie so leicht. Sie hat ja auch nichts zu verlieren.