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Josie war gestern von ihrer Mutter mit den Worten entlassen worden: »Schau dich doch bitte mal im Internet um! Such dir ein paar Sachen aus, die dir gefallen! Aber nicht so teure.«

Sie war dieser Aufforderung gern nachgekommen. Stundenlang war noch das Surren des PCs in ihrem Zimmer zu hören.

Jetzt trat sie, sich die Augen reibend, aus ihrem Zimmer, nur mit Slip und T-Shirt bekleidet.

»Morgen, Mama.«

»Guten Morgen, Josie. Du siehst müde aus. Hast du gestern noch lange vorm Computer gesessen?«

»Ging so. Ich hab einige Sachen gefunden. Du kannst ja mal auf meinen Merkzettel schauen. Steht in der Favoritenleiste.«

»Mach ich dann gleich.«

Barbara dachte: ›Ohne Computerkenntnisse kannst du heute nicht mehr überleben. Meine Großeltern hätten mit dem Satz rein gar nichts anfangen können.‹

Doch sie hatte sich damals, als die PCs die Haushalte zu erobern begannen, gleich dafür interessiert. Abseits von Spielen, in einer Zeit, als Internet noch ein Fremdwort war, hatte sie die Vielseitigkeit der elektronischen Geräte begriffen und ihren Vater so lange bekniet, bis er ihr Geld für so ein ›Teufelsding‹ dazugab. – Mein Gott, da war sie so alt, wie Josie jetzt.

Wenn sie heutzutage mal einen Computer brauchte, setzte sie sich vor einen ihrer Kinder. Die hatten kein Problem damit, sie in den ›öffentlichen‹ Bereich ihres PCs zu lassen. Barbara war der Meinung, zwei solcher Geräte im Haushalt seien genug. Und vieles ließ sich ja auch mit dem Smartphone erledigen.

Während Josie sich im Bad zurechtmachte und Ilsa beim Frühstück saß, schaute sie auf den Merkzettel. Oha, da war einiges zusammengekommen! Aber nach Ihren Modetipps von gestern hatte sich Josie an die Abmachung gehalten: Nichts Überdrehtes! Barbara musste ihrer Tochter sogar einen recht guten Geschmack zugestehen. ›Na ja‹, dachte sie, ›das Kind war auch ziemlich oft mit in der Boutique gewesen und hatte wohl sehr gut aufgepasst.‹

Josie kam zurück. Sie schaute auf den Bildschirm.

»Und? Was sagt die große Modeberaterin dazu?«

»Ja. Sehr schöne Auswahl. Ich denke, das steht dir.« Sie schaute ihre Tochter an. »Aber das nicht.« Sie deutete auf Josies Gesicht.

»Wie meinst du das?«

»Josie, Schatz, ich verstehe, dass du dich jetzt hübsch machen möchtest, dass du auch Make-up brauchst. Ich habe auch nichts dagegen. Aber bitte nicht meines! Ja?«

»Was ist damit?«

»Sieh mal, du bist gerade fünfzehn. Zwischen uns liegen über zwanzig Jahre. Junge Mädchen tragen etwas Dezenteres. Bei der Kleidung hast du's doch auch begriffen. Außerdem – Lektion zwei – kommt es auf den Typ an. Und«, sie wischte mit einem Papiertaschentuch an Josies Mundwinkel, »du musst lernen, wie man es richtig macht.«

»Ach Mama, wenn ich dich nicht hätte …«

»… müsste jemand anderes dafür sorgen, dass aus meiner Tochter ein ordentliches Mädchen wird.«

Beide lachten, so richtig herzlich.

Ilsa war heute zusammen mit Caro bei ihrer Klassenkameradin Lara zum Geburtstag eingeladen worden. Laras Eltern hatten als junges Paar nach dem Zerfall der Sowjetunion das Land verlassen, um sich hier eine neue Zukunft aufzubauen. Ihr Vater Alexej, von seiner Frau Swetlana liebevoll Aljoscha genannt, hatte in Weißrussland keine Arbeit mehr bekommen. Sie hatten hier eine neue Heimat gefunden, Svenja und Joschka, wie sie von ihren Freunden genannt wurden.

Ilsa hatte deshalb ein schönes Kleid ausgesucht, etwas, das sie sonst eher selten trug. Barbara bemerkte das mit Wohlwollen.

»Mademoiselle haben sich herausgeputzt für das große Fest«, spöttelte sie.

»Noch ein Wort, Mama, und ich zieh mich um.«

Barbara bewegte den Zeigefinger vor den Mund.

»Ich sag ja gar nichts.«

»Also, wir treffen uns um zehn, und ich komme gegen sieben Uhr zurück.«

Ilsa blickte fragend zu ihrer Mutter.

»Ja, geht in Ordnung. Aber nicht später.«

Ilsa verschwand in ihrem Zimmer, um ihr Geschenk für die Freundin einzupacken.

Barbara wandte sich an Josie, die sich gerade ein Brötchen mit Käse belegte.

»Dann haben wir ja heute Vormittag noch Zeit für uns. Ich habe etwas mit dir zu besprechen.«

Es tat ihr persönlich leid, das zu sagen. Aber die Situation verlangte nun mal Absprachen, wenn sich etwas Neues ergab. Und jetzt musste sie Ankas Anruf vom Vorabend mit Josie auswerten.

Beide setzten sich zusammen, diesmal in Josies Zimmer. Als diese ihre Mutter erwartend ansah, begann sie: »Frau Richter hat angerufen.«

Josies Augen bekamen einen erstaunten Ausdruck.

»Ist irgendetwas?«

»Kennst du Frau Dr. Gerlach?«

Kurze Zeit war es still im Raum, dann hellten sich Josies Züge wissend auf.

»Du meinst die Psychologin, die ab und zu an unserer Schule ist?«

»Ja, genau die. Nur ist sie nicht ab und zu bei euch, sondern jeden Mittwoch. Zu ihr hat mir deine Vertrauenslehrerin geraten. Sie hat ihr, anonym natürlich, von deinem Fall berichtet. Frau Dr. Gerlach ist bereit, dir zu helfen. Sie hat Erfahrung, und sie kann dir zeigen, wie es weitergeht.«

Josie war noch unentschlossen.

»Komm, Josie! Gib ihr eine Chance! Frau Richter versucht uns zu helfen. Enttäusch mich nicht. Früher oder später brauchst du sowieso psychologischen Beistand.«

»Du denkst doch nicht, dass ich …«

»Nein, auf keinen Fall. Doch ohne die ›amtliche‹ Feststellung, dass du dich wirklich als Mädchen fühlst, ist der Weg bald zu Ende.«

Daran hatte Josie bisher nicht gedacht.

»Wenn das so ist«, erwiderte sie, »dann gehen wir hin. Aber ich kann …«

Das Mädchen stockte.

Die Mutter nahm die Hand der neben ihr auf der Liege sitzenden Tochter.

»Ich weiß. Du bist noch nicht bereit für die Welt da draußen. Musst du auch nicht. Nennen wir es Verkleidung, so wie es vorher eine Verkleidung gewesen wäre, sich als Mädchen anzuziehen.«

Josies dankender Blick erfüllte Barbara mit Wärme.

Sie senkte die Stimme zu einem vertraulichen Raunen und fragte sanft: »Josie, Schatz, möchtest du mir sagen, wo du dein Ziel siehst? Sieh mal, ich kenne dich, wie du warst. Ich seh dich vor mir, wie du bist. Aber ich tappe vollkommen im Dunkeln, wie du werden möchtest. Magst du darüber sprechen?«

Geborgenheit lag in ihrer Stimme, und soviel menschliche Wärme, dass sich Josie an sie schmiegte und mit verhaltener Stimme antwortete: »Ich möchte ein richtiges Mädchen sein.«

Mehr brauchte Barbara nicht zu wissen. In diesem einfachen Satz lag alles, was sie in den nächsten Jahren erwartete. Und diese wenigen Worte ließen keinen Spielraum für Zweideutigkeiten. Josie wollte ihren Weg bis zum Ende gehen. Auch wenn es ein langer, ein steiniger Weg sein würde.

Hendrik hatte die erste seiner Experimente-Vorlesungen hinter sich gebracht. Die Studenten waren begeistert. Die Demonstration, wie Informationsübertragung per Licht funktioniert, war schon recht effektvoll. Er hatte auf einer Seite des Hörsaals einen optischen Wandler an einen CD-Player angeschlossen. Auf der anderen Seite befand sich der Rückwandler und ein Verstärker. Hendrik startete die CD, und Musik erscholl aus den Lautsprechern. Um zu beweisen, das es kein verstecktes Kabel gab, nahm er etwas, das nach einem überdimensionalen Kamm aussah, und bewegte es im Strahlengang des Lichts. Jedesmal wenn die optische Verbindung unterbrochen wurde, verstummte die Musik. Er bewegte den Kamm schneller und ›zersägte‹ auf diese Weise das Lied.

Die Studenten hatten lautstark auf die Bänke geklopft und damit ihren Beifall bekundet.

Weitere, ähnlich verwunderliche Experimente folgten. So wollte Hendrik den Reiz dieser Wissenschaft in den Studenten entfachen. Und am Ende der Vorlesung konnte er stolz sagen: Er hatte Erfolg damit.

Jetzt saß er in der Mensa und aß sein Kartoffelpüree mit Frikadelle. Über den Tellerrand sah er plötzlich eine erhobene Hand, die in seine Richtung winkte. Sein Kollege Hans hatte ihn erspäht und kam mit seiner Portion an den Tisch.

»Na, wie war's?«, erkundigte er sich.

Hendrik winkte mit dem Messer in der Hand ab.

»Wenn die ganze Physik so einfach wäre, hätte ich ein schönes Leben.«

Hans konterte, da er seinen Freund kannte: »Erstens wächst der Mensch an seinen Aufgaben, und zweitens kann dir doch eh keiner mehr etwas vormachen. Du lehrst doch nicht Physik, du bist die verkörperte Physik.«

Das stimmte. Hendrik hatte schon manchmal im Vorbeigehen leise den Satz gehört: ›Da kommt Leonardo!‹ Eigentlich müsste er bei der Vorstellung, dass ihm seine Schüler mit dem Universalgelehrten Leonardo da Vinci verglichen, geschmeichelt sein.

Heute jedoch betrübte ihn irgendetwas. Hans, der zu Hendrik eine ähnliche Beziehung hatte, wie Veronika zu Barbara, suchte dessen Aufmerksamkeit.

»Ist was nicht in Ordnung?«

»Wieso? Warum fragst du?«

»Weil du dasitzt, als wäre dir die Petersilie verhagelt. Das sieht man dir von weitem an.«

Hendrik wunderte sich. Waren seine Gefühle so ein offenes Buch?

»Wir kennen uns doch schon ziemlich lange?«, stellte er rhetorisch in den Raum.

Hans musste nicht nachdenken.

»Seit unserem eigenen Studium. Also ungefähr …«

Hendrik unterbrach seine Überlegungen.

»Du kennst doch auch Barbara und die Kinder?«

»Natürlich. Und ich hoffe, eines der beiden eines Tages bei mir in der Vorlesung zu sehen.«

Hendrik überhörte diese Spitze.

»Sag mal, glaubst du, dass ich ein guter Vater bin? Ich meine, trotz des momentanen Zustandes unserer Beziehung.«

Hans stellte statt einer Antwort eine Gegenfrage.

»Zweifelst du etwa daran?«

»Nein. Nur … Barbara will mit mir sprechen – dringend. Und nach ihren Andeutungen scheint es um die Kinder zu gehen. Sie kommt heute Nachmittag. Wahrscheinlich will sie die beiden nicht dabei haben. Was sollte ich daraus schließen?«

Hans legte das Besteck beiseite.

»Gar nichts solltest du! Du willst dir wohl dein eigenes Grab schaufeln. Wer denkt, dass er verloren hat, hat wirklich schon begonnen zu verlieren. Hör dir erst einmal ohne Vorurteil die Argumente deiner Frau an! Außerdem hast du gerade gesagt, du nimmst an, es gehe um die Kinder. Also mach dich nicht unnötig verrückt!«

Hendrik atmete tief durch.

»Du hast recht. Angriff ist die beste Verteidigung. Obwohl mir dabei gar nicht so wohl wäre.«

Hans bremste ihn aus.

»Du sollst ja auch niemanden angreifen, schon gar nicht deine Barbara! Deine Kinder mögen dich, und Barbara tut es auch, wenn es gerade auch nicht so aussieht. Ein getrenntes Bett ist noch lange kein getrenntes Leben.«

Hendrik sah Hans unverständig an.

»Aber wir leben doch getrennt.«

»Nenn es, wie du willst! Ich sehe da noch eine Menge Gemeinsamkeiten, weitab von Scheidung und Auseinanderlaufen. Ich bin kein Psychologe, aber halt die Tür offen, solange sie noch nicht ins Schloss gefallen ist!«

Die beiden hielten heute einen Exkurs in Redewendungen und Metaphern. Und Hans, der Hendrik schon so manches Mal mit seinem Rat helfen konnte, gewann schließlich das Wortduell.

»Okay. Unvoreingenommen, kompromissbereit und reumütig. Danke für deine Hilfe, Hans.«

Hendrik stand auf und wandte sich zum Gehen.

»Das Letzte streichen wir«, rief ihm sein Freund nach.

In Josies Zimmer stand ein Karton. Ein großer Karton. Er war zur Hälfte mit Kleidung gefüllt, Daniels Kleidung. Josie hatte mit den Wintersachen begonnen. Bis dahin war es noch lang, und sie hoffte, sich in der Zeit neu eingekleidet zu haben.

Barbara trat hinzu.

»Vorläufige Ablage?«, konstatierte sie.

»Na ja, vielleicht ändert sich bei dem einen oder anderen Stück noch mal meine Meinung. Deshalb möchte ich das noch nicht endgültig weggeben.«

Barbara war dankbar.

»Das ist sehr vernünftig. Erst wenn du dir wirklich sicher bist, dann geben wir die ausgesuchten Sachen weg.«

Es war ein guter Zeitpunkt, Anka Richter ins Gespräch zu bringen.

»Weißt du, als ich gestern mit Anka gesprochen habe …«

»Anka?«

»Ja! Frau Richter hat mir angeboten, dass wir uns in Anbetracht längeren Kontaktes beim Vornamen nennen. Also, sie hat mir von einem Second-Hand-Kleidermarkt erzählt. Er ist in der Fischerstraße in der Stadt. Sie war wohl schon dort und sagte, es gäbe auch fast neuwertige Sachen. Rücksendungen und so. Wollen wir uns dort mal nach etwas Schönen für dich umsehen?«

Josie überlegte noch.

Ihre Mutter bettelte: »Bitte! Es wird sonst so teuer.«

Josie musste bei dem Anblick lächeln.

»Ist gut. Damit komm ich klar.«

Barbara war heute die Zweite in der Familie, die tief durchatmete.

In der Wohnung von Laras Eltern ging es jetzt bereits zu wie in einem Taubenschlag. Ständig kamen neue Geburtstagsgäste. Ilsa und Caro waren schon zwei Stunden hier. Da war der Trubel noch nicht abzusehen. Ilsa hatte Lara ein kleines, in buntes Geschenkpapier eingewickeltes Päckchen gegeben. Voll Spannung hatte das Mädchen das bunte Band abgezogen und ausgepackt. Es war ein Tagebuch.

Ilsa sagte verschwörerisch: »Da kannst du all deine Geheimnisse reinschreiben, und keiner außer dir darf das lesen.«

Das Tagebuch hatte an der Seite eine kleine Lasche mit Schloss.

»Aber verlier den Schlüssel nicht!«, lachte Ilsa.

»Oh danke, Ilsa. Das finde ich prima. – Mama!« Sie ging in die Küche, wo die Mutter gerade Gläser für die Getränke herausstellte. »Sieh mal! Ilsa hat mir ein Tagebuch geschenkt.«

Svenja schaute ihre Tochter, die beinahe schon so groß wie sie war, an.

»Das ist ein wirklich schönes und nützliches Geschenk.«

Sie zwinkerte Lara zu. Dann rief sie ins Wohnzimmer: »Danke, Ilsa!«

Jetzt, gegen zwölf, ging es auf Mittag zu, und die Kinder bekamen Hunger. Joschka hatte einfach für alle Pizza bestellt. Das machte bei der Menge den geringsten Aufwand, und die Kinder mochten so etwas.

Es klingelte. Svenja öffnete die Tür. Draußen stand der Bote, in seinen Händen einen Stapel Kartons.

»Sechs Pizzen für Sachanow«, fragte er.

»Ja, das ist richtig hier. Hören Sie die Raubtiere?«

Der Bote lachte, übergab den Stapel und nahm das Geld in Empfang. Dann stieg er, lustig pfeifend, die Treppe hinunter.

Der Dachboden des alten Hauses war stickig in der Mittagshitze des Sommers. Solche Gebäude hatten noch kein ausgebautes Dachgeschoss. Schwere, von den Jahren gezeichnete Balken lagen offen unter der Dachhaut.

Barbara suchte sich eine Ecke, in der sie den Karton abstellen konnte. Er war säuberlich mit Paketband verschlossen und mit der Aufschrift ›Alte Kleidung D.‹ versehen.

Endlich fand sich ein Platz, der geeignet erschien. Barbara rückte den Karton noch ein Stück unter die Schräge. Hier lag auch eine alte Decke. Sie nahm das zusammengelegte Teil, faltete sie zweimal auseinander und schüttelte sie kurz aus.

Puh, wie das staubte. Die Decke wurde auf dem Karton ausgebreitet, als Extra-Schutz vor ebendiesem Staub.

Da fiel ihr Blick auf einen anderen, kleinen Karton. Sie ahnte, was sich in ihm befand. Sacht setzte Barbara die Schachtel auf die Decke, öffnete das Klebeband. Das ging ganz leicht. In dem Karton befanden sich einige von Barbaras schönsten Erinnerungen. Liebesbriefe von Hendrik, von einer Schleife zusammengehalten, und da …

Sie hielt ein abgenutztes Buch in rotem Kunstledereinband in der Hand. Das war ihr Tagebuch! Ihre zu Papier gebrachte Teenagerzeit! Sanft strich Barbara über die alten Seiten, als sie es durchblätterte. Es gab einige, auf denen die Schrift verwischt war. – Tränen. Das wusste sie. Ein paar zeugten von glücklichen Momenten, andere von schmerzhaften.

Plötzlich überkam Barbara eine Idee. Sie verschloss den Karton wieder, nahm das Buch und ging nach unten.

»Josie, ich brauche einen PC!«

Das Mädchen schaute verwundert aus seinem Zimmer.

»Dann geh an meinen. Du weißt doch, dass ich kein Problem damit hab.«

Barbara korrigierte sich.

»Nein, ich meine, einen eigenen. Ein Notebook. Irgend was Mobiles.«

Josie bekam große Augen.

»Was hast du vor?«

»Ich schreibe ein Buch!«

Der Satz stand sekundenlang in der Luft.

Ungläubig fragte Josie nach: »Ein … Buch?«

Ihre Mutter starrte sie an.

»Ja! Buch! Viereckig, Papier mit Buchstaben drauf – du erinnerst dich?«

Der Unglaube verwandelte sich in maßloses Erstaunen.

»Wie das jetzt?«

Barbara schaltete einen Gang zurück.

»Ich will meine Erinnerungen aufschreiben. Was du hier siehst, mein Mädchen, ist mein Leben in den Neunzigern. Das was mich berührte, als ich so alt war wie du heute.«

»Und daraus möchtest du ein Buch machen?«

»Genau! Und weißt du, wer mich auf die Idee gebracht hat?«

Josie wusste es nicht, hatte aber eine ziemlich konkrete Vorstellung von der Antwort.

»Du, meine Große. Du hast mir vor Augen geführt, wie aufregend diese Zeit doch sein kann. Ich hatte manches schon vergessen – verdrängt von anderen Ereignissen. Aber dann fiel mir ein, dass ich das nicht darf. Später einmal will ich dieses Buch zur Hand nehmen und sagen: ›Wie schön war das damals.‹ Als du mir sagtest, du willst so eine Art ›Tagebuch‹ führen, da dachte ich bei mir: ›Es ist gut, dass meine Tochter diese große Zeit festhalten will.‹ Denn diese Erlebnisse werden dich prägen, für dein ganzes Leben. Und was heute schwer sein wird, liest sich später leicht. Verstehst du das?«

Josie hatte wirklich aufmerksam zugehört.

»Ja – ich glaube, ich kann's verstehen. Mama, darf ich's auch mal lesen?«

»Du bist so was von neugierig – wie deine Schwester. Okay, du darfst lesen, was ich auf dem Computer schreibe. Ich muss erst mal schauen, ob ich das«, sie zeigte das rote Büchlein, »auch alles verwenden kann.«

»Dann schreib's so, dass du es verwenden kannst! Du hast gerade so schön von den Erinnerungen gesprochen. Da kannst du doch keine Lücken drin lassen.«

Barbara gab sich geschlagen.

»Du hast ja recht, du … Neunmalkluge!«

Es war zwei Uhr. Barbaras Zug würde in zwei Stunden fahren. Sie jedoch dachte im Augenblick an etwas anderes. Sie war plötzlich so voll Elan, voll Energie, dass die Mühsal der letzten Tage wie ein dunkler Trauermantel von ihr abfiel. Nicht, dass sie Josie die Schuld daran gab. Aber es war so furchtbar anstrengend. Und diese Idee mit dem Schreiben hatte etwas Erfrischendes. Spannend würde es sein, aus den alten Aufzeichnungen eine Geschichte zu weben. Wenn die Erinnerungen erst einmal wieder flossen, dann sollten ihr schon die passenden Worte einfallen. Es war eine Aufgabe, jedoch auf einem ganz anderen Niveau als die Unterstützung für ihre Tochter. Hier tat sie etwas für sich, ganz allein für sich. Und – warum nicht – vielleicht trat sie mit Josie in einen Schreibwettstreit.

Nein, sie war so voll Freude auf das Kommende, dass sie ihre Freundin Veronika anrufen musste. Sie griff zu ihrem Mobiltelefon und suchte Veronikas abgespeicherte Nummer.

»Babs, schön dass du anrufst«, tönte es aus dem Lautsprecher.

»Vroni, hast du ein paar Minuten Zeit?«

»Ja. Bei uns ist gerade nicht viel los. Was gibt es?«

Barbara platzte bald vor Aufregung.

»Du, ich habe eine großartige Idee. Ich werde beginnen zu schreiben. Was … nein, nicht so. Ein richtiges Buch möchte ich schreiben.«

Sie hörte ihre Freundin am Telefon schnaufen.

»Babs, hast du getrunken?«

Die Frage war mit Absicht gestellt. Barbara hörte sich wirklich wie in einem Rausch an.

»Keinen Schluck, ich schwör's dir! Aber mir ist gerade mein altes Tagebuch in die Hände gefallen. Und auf einmal kamen so viele Erinnerungen hoch. Die möchte ich jetzt aufarbeiten und niederschreiben. Für mich – für später.«

Veronikas Lachen klang herzlich.

»Oh, wenn man dich hört, könnte man glauben, du erlebst diese Zeit gerade jetzt. Nein, das ist wirklich gut. Und es wird dir gut tun, als Ausgleich zu deinen anderen Aufgaben.«

»Vroni, sag mal: So ein Notebook ist doch sicher ziemlich teuer?«

»Na ja, wenn du's neu kaufst, schon. Entweder, du versuchst, ein Auslaufmodell zu bekommen – die sind oft günstig – oder …«

Es war eine Zeitlang still im Lautsprecher.

»Vroni?«

»Ja, ich bin noch dran. Mir ist nur gerade auch etwas eingefallen.«

Jetzt war Barbara die Neugierige.

»Und was?«

»Weißt du, ich habe schon eine Weile mit dem Gedanken gespielt, mir ein neues Notebook zu kaufen. Ich streame ja häufig Filme im Internet, und da wird meines langsam etwas lahm. Also – wenn du kein Super-Gerät brauchst, dann kannst du meines bekommen. Da hätte ich gleich einen triftigen Grund für den Neuerwerb.«

»Ach wo. Ich brauch's wohl nur zum Schreiben, vielleicht noch für ein paar Bilder. Josie hat doch einen guten Rechner. Okay, wenn du das Notebook wirklich nicht mehr brauchst – was willst du dafür haben?«

Veronikas Stimme wurde streng.

»He Babs, willst du mich beleidigen? Nimm das Teil und werde glücklich! Sagen wir, morgen Nachmittag?«

»Eher gegen Abend. Vorher muss ich noch mal weg.«

»Na dann: Bis morgen.«

Barbara hätte die Welt umarmen können, so froh war sie.

Der Sommer mit Josie

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