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Erwürgen oder nicht erwürgen, das ist hier die Frage.

Donnerstag, 26. Mai 2011. Nachmittag. Delos.

Yvonne, meine junge und attraktive Lebensgefährtin, und ich haben soeben die anstrengende, aber lohnende Besichtigung beendet. Nun warten wir unter sengender Sonne inmitten einer Menschenmenge vor der Schiffsanlegestelle auf das Boot, das uns nach Mykonos zurückbringen soll.

Ja, die Sonne strahlt. Nicht ganz so strahlend ist unsere momentane Stimmung. Der sogenannte Haussegen hängt schief, wie üblich aus lächerlich geringfügigem Anlass. Yvonne hatte sich verlaufen. Und warum? Weil sie nicht an meiner Seite geblieben war. Uns war eine schwarz-weiß gemusterte Katze über den Weg gelaufen, und Yvonne hatte sich sofort über sie hergemacht, um „das süße Tierchen“ zu füttern und zu streicheln, und ich war unterdessen langsam weitergegangen. Auf Delos heißt es mit der Zeit haushalten, um möglichst viel zu sehen und trotzdem rechtzeitig zum letzten Boot zurechtzukommen. Und jetzt ist mir meine Holde gram.

Wie Fremde stehen wir in beträchtlichem Abstand zueinander, schweigen uns beharrlich an, blicken verbittert aneinander vorbei. Und die Folge? Ich hätte es mir fast denken können. Ein junger Mann – nun ja, jung im Vergleich zu mir. Also: Ein mittelalterlicher Typ macht sich geschickt an Yvonne heran, stellt sich, ohne mich zu beachten, neben sie, beginnt ihr auf Englisch mit süßem Getändel die Ohren voll zu blasen. Und dann tut er etwas, wofür ich ihn erwürgen könnte. Er zückt eine Zigarettenpackung und hält sie Yvonne auffordernd hin. Wie erwartet lehnt sie ab. Sie ist ja auf ihre Schönheit bedacht und meidet daher (zu Recht) alle Gifte, die diese beeinträchtigen könnten. Doch er selber steckt sich eine Zigarette an und verpestet uns die Atemluft. Der Wind trägt den Rauch und den Gestank genau in unsere Richtung.

Erwürgen oder nicht erwürgen, das ist, wie gesagt, die Frage. Oder besser doch die Schillersche Methode?

Hier wendet sich der Gast mit Grausen:

So kann ich hier nicht ferner hausen.

Wendet sich Yvonne mit Grausen? Nein, sie wendet sich nicht, lächelt den Kerl sogar an, geht bereitwillig auf sein Geschwätz ein. Und was das bedeutet, ist mir ohne weiteres klar. Er gefällt ihr, und mit ein bisschen Glück landet er in ihrem Bett.

Ich aber wende mich mit Grausen. Wortlos ziehe ich mich zurück und suche mir ein freies Plätzchen auf der Windseite, der Seemann nennt sie Luvseite, des Rauchers und steige in dem Gedränge einer Dame etwa meines Alters auf die Zehen. Zerknirscht entschuldige mich höflich, erkläre ihr (auf Englisch) in kurzen Worten den Grund meiner Hektik. Sie entschuldigt sich ebenfalls, so als wäre es ihre Schuld, mir im Weg zu stehen, und blickt mich unverwandt an. Sie schafft es kaum, den Blick von mir abzuwenden. Und ich schaffe es kaum, den Blick von ihr abzuwenden. Irgendetwas an ihrem Gesicht, irgendetwas an ihrer Stimme zieht mich in seinen Bann, scheint eine bestimmte Saite tief in meinem Innern zum Klingen zu bringen.

Plötzlich werden ihre Augen groß und rund, und im Ton einer Beschwörung flüstert sie (jetzt auf Deutsch): „Benedikt?“

Im gleichen Augenblick geht mir ein Licht auf, und ich flüstere im selben Ton: „Irmi?“ und glaube vor Überraschung das Gleichgewicht zu verlieren.

Und wieder breitet sich über Benedikt und Irmi, die vermeintlich Unbekannte, mystisches Schweigen aus. Ihre Augen glänzen verdächtig. Auch ich habe mit den Tränen zu kämpfen und muss an mich halten, um ihr nicht um den Hals zu fallen, sie an mich zu drücken, sie stürmisch zu küssen. Zugleich scheue ich eben davor zurück, und nicht nur, weil Yvonne in Sichtweite ist (und mit einem wildfremden Mannsbild flirtet). Nein, wir kannten uns in ferner Vergangenheit, Irmi und ich. Wir kannten uns unglaublich gut – und doch nicht so gut, wie ich's mir gewünscht hätte, und auch nicht so lange, wie ich's mir gewünscht hätte. Aber wir kannten uns gut genug, dass ich ihretwegen jahrelang gelitten habe wie eine Mutter, die ihr Kind verloren hat. Und genaugenommen leide ich jetzt, nach so vielen Jahrzehnten, immer noch, nur dass sich das Leiden mittlerweile, wie es eben im menschlichen Leben zu gehen pflegt, mehr ins Unterbewusste zurückgezogen hat. Und wer weiß, vielleicht hat es einiges zum Scheitern meiner bisherigen Beziehungen beigetragen (denn auch meine Lebensgemeinschaft mit Yvonne ist im Grunde längst gescheitert).

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