Читать книгу Der Riesen Arztroman Koffer Februar 2022: Arztroman Sammelband 12 Romane - Sandy Palmer - Страница 11
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Sabine Toller stand am Fenster und blickte auf die regennasse Straße. Draußen war niemand zu sehen. Die Straße war wie ausgestorben. Kein Wunder, bei dem Wetter ließ man nicht mal einen Hund hinaus.
Sie zog die Schultern hoch.
Wut stieg in ihrem Herzen empor. Wut und Empörung, und am liebsten hätte sie das Fenster aufgerissen und es hinausgeschrien. Aber was nützte das schon? Neugierige Nachbarn würden sich daran ergötzen, und sonst würde sich nichts ändern. Nervös steckte sie sich eine Zigarette an und rauchte sie in hastigen Zügen. Sie tat das ganz automatisch.
Mit ihren Gedanken war sie weit fort.
Meine Güte, ich halte das nicht mehr aus! Es ist zu viel. Ich bin verrückt. Wirklich, ich bin total verrückt, dass ich mir das noch bieten lasse! Warum eigentlich? Warum mache ich nicht endlich Schluss? Alle wären zufrieden. Ganz besonders seine Familie. Die wartet doch nur sehnsüchtig darauf, dass ich das Handtuch werfe. Triumphieren würden sie, und endlich hätten sie wieder ihre Ruhe.
»Ruhe«, murmelte sie vor sich hin. »Ruhe? Ihr würdet euch wundern«, flüsterte sie halblaut. »Was wisst ihr denn schon von eurem Herrn Sohn? Vielleicht seid ihr die Schuldigen? Vielleicht ich? Ach was!«
Sie drehte sich abrupt um und ging ins Zimmer zurück. Es hatte keinen Zweck mehr zu warten. Die Stunden dehnten sich endlos, und sie vergaß darüber alles andere. So war es schon lange. Sie lebte gar nicht mehr wirklich. Immer diese Angst! Wie lange ging das schon so?
Und alles hatte einmal so zärtlich angefangen, so voller Liebe und Glückseligkeit.
Jetzt zahlte sie für alles!
Alle waren sie gegen diese Verbindung! Alle! Sie ja selbst auch! Aber wenn sie ihn jetzt fallenließ, was dann?
Sie stöhnte auf. An der Wohnungstür klingelte es. Sabine Toller drückte hastig die Zigarette aus und stürzte zur Tür.
»Endlich!«
Mit einem Ruck riss sie die Tür auf.
»Hör mal ...«, dann blieb ihr das Wort im Halse stecken.
»Darf man noch stören?«, fragte, erstaunt wegen des stürmischen Empfanges, nicht etwa Rüdiger, es war Bastian Verden, ein Freund und Kollege.
Ihr Gesicht drückte ihre Enttäuschung aus. Sie ging wortlos ins Wohnzimmer zurück. Der Mann folgte ihr.
»Du wartest mal wieder auf Rüdiger?«, fragte er.
Sie setzte sich.
»Was willst du?«
»Ich sah Licht, und da dachte ich, vielleicht krieg ich bei dir noch einen Kaffee?« Er blickte sie herausfordernd an.
»Von mir aus! Du weißt ja, wo die Küche ist!«
Bastian war nicht böse.
»Was ist denn?«, fragte er.
»Nichts, nichts!«, antwortete Sabine.
»Aber das kannst du mir wirklich nicht vormachen, Sabine! Du bist fertig. Begreif das doch endlich!«
»Was geht es dich an?«, antwortete sie trotzig. Aufsässig klang ihre Stimme.
Bastian sah sie an. Wie konnte man dieser Frau erklären, dass man sie liebt? Dass man alles für sie tun würde? Wie konnte man das, wenn man ganz genau wusste, dass sie nicht mal zuhörte? Dass ihr Herz einem Schuft gehörte, und dass sie es noch immer nicht einsehen wollte, dass er einer war. Wie unsinnig ihre Liebe zu diesem Menschen doch war!
Er blickte in die schönen Augen, sah das blonde schulterlange Haar. Sie war eine schöne Frau! Sie konnte so reizend lachen. Ja, es war eigentlich ihr Lachen, in das er sich gleich zu Anfang verliebt hatte. Er hatte sie schon lange nicht mehr lachen gesehen.
»Sabine«, sagte er behutsam.
»Ach, lass mich doch«, sagte sie müde.
»Ich mache dir auch einen Kaffee!«
»Danke!« Sie lehnte sich zurück und hielt die Augen geschlossen. Sabine hätte weinen können. Alles war so unsinnig, so dumm von ihr. Aber sie war gefangen.
Bastian rumorte in der kleinen Küche herum. Sabine hörte ihn und stellte sich vor, es sei Rüdiger, der da Kaffee machte. Und sie dachte an die Zeiten, wo er ihr das Frühstück ans Bett gebracht hatte, wo sie so unaussprechlich glücklich waren, wo nur Sonnenschein auf ihren Wegen lag.
»Und jetzt?«
Sie hob die Lider.
»Hast du was gesagt?«
»Hier ist der Kaffee, trinke ihn, bevor er kalt wird!«
»Danke!«, sagte sie.
»Ich muss mit dir reden«, bat er.
»Aber ich will nicht!«
»Sabine, aus beruflichen Gründen! Verstehst du mich?«
Sie zog eine Augenbraue hoch.
»Wie soll ich das verstehen?«
»Der Chef hat mich gebeten, versteh doch, Sabine! Deine Arbeit leidet darunter. Das weißt du selber ganz genau. Wie lange soll das denn jetzt noch so weitergehen?«
»Ach, Bastian!«
»Hör mir endlich zu, Sabine! Rüdiger wird sich nie ändern, verstehst du?«
»Und woher willst du das so genau wissen?«
»So sind nun mal alle Säufer. Sie versprechen dir viel, aber wenn dann der Durst kommt, dann fangen sie wieder an zu trinken. Dann sind alle Schwüre vergessen. Daran sind schon ganz andere zerbrochen.«
Die junge Frau stöhnte auf.
»Ich kann ihn nicht fallenlassen. Er würde noch tiefer sinken. Versteh das doch bitte!«
»Du kannst ihm nicht helfen«, beschwor Bastian sie.
»Aber er ist doch durch mich so geworden!«
Der Freund schwieg eine Weile.
»Wirklich?«
»Versteh mich doch!«, stieß sie hervor. »Er war vorher kein Trinker. Man hat ihn zerbrochen. Warum wollt ihr das nicht begreifen? Warum denn nicht? Jetzt ist er zerstört. Ich kann ihn doch nicht fallenlassen, ich kann einfach nicht.«
»Er braucht Hilfe!«
»Das weiß ich ja alles. Ärztliche Hilfe braucht er. Aber ich kann ihn nicht davon überzeugen. Das ist es ja. Wenn ich ihn dazu bringen könnte, dann wäre ja alles viel leichter zu ertragen. Und dann könnte ich ihn auch verlassen.«
Bastian blickte sie groß an. »Wirklich?«
»Ja, denn dann würde ich mir keine Vorwürfe machen, verstehst du das denn nicht?«
Der junge Mann dachte nach.
»Eigentlich verstehe ich gar nicht, warum du dir Vorwürfe machst, Sabine.«
»Nicht?«
Sie lachte rau auf.
»Man hat ihn zerbrochen, man hat ihn ausgelacht, beschimpft. Man hat ihm seinen Stolz genommen, ihn unmöglich gemacht. Alle haben auf ihm herumgehackt, ihn fast wie einen Verbrecher hingestellt. Und da fragst du noch, warum ich mir keine Vorwürfe mache? Nur weil er auch jetzt noch zu mir hält? Er liebt mich nämlich, Bastian!«
Bastian lachte hart auf.
»Er liebt nur noch die vollen Flaschen. Sei doch nicht kindisch! Und so schlimm war es nun auch wieder nicht. Das bildest du dir nur alles ein. Komm doch wieder auf den Teppich zurück!«
Sie hätte aufschreien mögen.
»Was weißt du denn schon von uns?«
»Was ich weiß? Eine ganze Menge. Zum Beispiel, dass es von Anfang an Unsinn war, dass ihr zusammengezogen seid. Wir haben alle gedacht, das sei nur eine kleine Episode. Dagegen hätte doch keiner etwas gehabt.«
Jetzt schluchzte sie auf.
»Warum habt ihr uns nicht in Ruhe gelassen? Warum ist den Menschen nicht mal die Liebe heilig?«
Bastian blickte sie lächelnd an.
»Liebe! Ist das nicht ein wenig zu hoch gegriffen?«
Jetzt war es um ihre Beherrschung geschehen.
»Ja, Liebe«, schrie sie ihn an. »Ja, wir lieben uns, du wirst das nie verstehen! Aber wir lieben uns.«
»Wie kann man nur so einen grünen Jungen lieben«, sagte er spöttisch.
Sie starrte ihn ärgerlich an.
»Grüner Junge?«
»Meine Güte, Sabine, er ist fünfundzwanzig, und du bist dreißig.«
Ihre Unterlippe zitterte.
»Bedenke doch, das konnte einfach nicht gutgehen! Ihr habt euch beide lächerlich gemacht. Versteh das doch endlich! Gib ihn doch frei!«
»Lächerlich? Wir haben uns lächerlich gemacht? Aber warum machen sich denn all die vielen Männer nicht lächerlich, die ein viel jüngeres Mädchen lieben? Die oft sogar der Vater des Mädchens sein könnten. Warum zum Teufel machen die sich nicht lächerlich?«
»Das ist etwas ganz anderes!«
»So, das ist also was anderes? Bloß weil es ein Mann tut?«
»Es ist nun mal so. Rüdiger ist ein grüner Junge. Ich verstehe gar nicht, was du an ihm finden kannst.«
Sie hätte ihn schlagen können!
»Nein, das kann ich dir nicht erklären. Du würdest es nämlich gar nicht begreifen.«
»Würde ich auch nicht. Ich war immer der Meinung, dass reife Frauen mehr von der Liebe erwarten als Tändelei.«
Sie starrte vor sich hin.
»Sie haben ihn zertreten. Nicht nur seine Freunde verachten ihn, auch die Familie. Sie halten mich für eine Art Vampir. Sie glauben, ich sauge ihn aus, halte ihn wie einen Gefangenen. Alle lachen sie über uns.«
»Damit hättest du rechnen müssen.«
»Aber die Zeiten haben sich doch geändert«, flüsterte sie leise. »Wir leben nicht mehr im Mittelalter.«
»In dieser Beziehung wird sich wohl nie etwas ändern. Und wenn du dich nicht bald änderst, dann wird man dich feuern. Lange können wir das nicht mehr durchstehen. Andere arbeiten für dich mit. Du musst auch mal an die Firma denken. Versteh mich doch, Sabine! Ich meine es nur gut mit dir! Er zieht dich immer tiefer und tiefer! Willst du auch zu trinken anfangen und mit ihm durch die Lokale ziehen? Nur wird das bald nicht mehr möglich sein, denn wenn du auch deinen Job verlierst, frage ich mich, wovon ihr leben wollt. Er hat ja keine Arbeit mehr, nicht wahr?«
»Nein!«
»Er hängt also jetzt ganz von dir ab?«
»Ja!«
»Und er schämt sich nicht mal!«
Sie dachte an die vielen verzweifelten Ausbrüche. O ja, er litt schrecklich darunter. Er konnte nur noch betrunken sein Los ertragen. Er weinte oft in ihren Armen und wollte am liebsten sterben.
»Verlass mich nicht, Sabine! Wenn du mich verlässt, dann ist alles aus. Dann will ich nicht mehr leben!«
»Ich danke dir, dass du dir die Mühe gemacht hast!«
Bastian blickte sie ruhig an.
»Du weißt, dass ich alles für dich tun würde, nicht wahr?«
»Ach Bastian!«, seufzte Sabine.
»Du musst sehr schnell einen Weg finden, Sabine. Du hast nicht mehr viel Zeit.«
»Ja«, sagte sie leise. »Ja, daran habe ich auch schon gedacht. So kann es nicht weitergehen. Er macht sich kaputt.«
»Hast du es schon mal seiner Familie gesagt?«
»Nein, Rüdiger will das nicht.«
»Daran siehst du, wie grün er noch ist.«
»Bastian, versteh doch endlich, würdest du deinen Stolz opfern? Das Letzte was dir verblieben ist? Sie würden ihn nur auslachen, aber ihm nicht helfen.«
»Bildest du dir das ein, oder willst du es glauben?«
»Sicher wissen sie, was jetzt mit ihm los ist.«
»Und sie hoffen inständig, dass du ihn fortjagst. Weißt du denn nicht, dass es Trinkern nichts nützt, wenn man ihnen hilft? Man muss ihnen wehtun, muss sie bis ins Mark treffen, nur so kommen sie zur Besinnung!«
»Ach, wirklich?«
»Ja, glaube mir!«
»Und wenn er sich was antut?«
Der Freund lachte hart auf.
»Glaube doch nicht an das Gerede. Das sagen sie alle, um ihre Angehörigen unter Druck zu halten. Die sind sehr clever. Und weil die Angehörigen zittern, deswegen können Säufer ja auch so lange durchhalten.«
»Du bist sehr hart!«
»Ich liebe dich, Sabine! Und ich will dir helfen. Ich sage es dir nochmals!«
»Ich danke dir!«
»Wirst du es endlich tun?«, fragte er hoffnungsvoll.
»Was?«
»Zusehen, dass er in Behandlung kommt?«
»Ja!«
Er erhob sich.
»Ich vertraue dir, und ich werde es dem Chef sagen.«
Sie lächelte müde.
»Ich muss dich jetzt rausschmeißen. Ich bin sehr müde, weißt du?«
»Ja, du siehst auch sehr müde aus. Gehe gleich schlafen, Sabine!«
Sie küsste ihn leicht auf die Wange. Dann brachte sie ihn zur Tür.