Читать книгу Der Riesen Arztroman Koffer Februar 2022: Arztroman Sammelband 12 Romane - Sandy Palmer - Страница 21

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Rüdiger Füller erwachte. Es war ihm, als sei der Teufel in seinem Hirn und im Körper. Er konnte sich nicht mehr beherrschen. Jetzt war er am Ende! Dazu kamen auch noch die Schmerzen vom gebrochenen Bein. Er konnte nicht aufstehen und sich was zu trinken holen. Man würde ihn doch nicht im Stich lassen? Nein, sie mussten einsehen, dass er wenigstens einen winzigen Schluck brauchte!

Er hatte schon wieder vergessen, wo er sich befand und was er angestellt hatte. Er fing an zu toben, und das mitten in der Nacht.

Dr. Burgstein fuhr hoch und hörte Rüdiger schreien. Auch die anderen Hausbewohner waren wachgeworden und standen alle jetzt im Gang.

»Ich werde mich um ihn kümmern!«, erklärte der Doktor.

»Können wir denn nichts tun?«, fragte die Mutter.

»Britta, wenn ich Ihre Hilfe in Anspruch nehmen darf? So kochen Sie mir bitte Thymiantee. Und zwar eine ganze Kanne voll!«

»Ja, wird sofort gemacht.«

Die anderen schickte der Doktor wieder zu Bett.

Als er Rüdigers Zimmer betrat, war er sehr froh, dass der junge Mann nicht aufstehen konnte. Wäre das der Fall gewesen, hätte man ihn nicht hier behalten können. Wie ein Verrückter gebärdete sich Rüdiger, und er hätte sie alle gefährdet.

»Ich brauche einen Schluck! Die Schmerzen! Ich halte es nicht mehr aus! Ich flehe Sie an, seien Sie nicht so grausam zu mir und geben Sie mir einen Schluck! Ganz egal, was es ist! Nur rasch bitte!«

Der Arzt stand am Bett des jungen Mannes.

»Damit wir uns gleich verstehen: Sie werden in diesem Haus nicht einen Schluck Alkohol bekommen! Finden Sie sich sogleich damit ab!« Rüdiger fluchte mordsmäßig und bedrohte den Arzt. »Schreien und toben Sie, so viel Sie wollen, wenn es Sie erleichtert! Und jetzt werde ich versuchen, Ihre Schmerzen ein wenig zu lindern. Wenn Sie nicht stillhalten, wird das Bein noch viel mehr schmerzen.«

Rüdiger bäumte sich auf. Noch wollte er nicht glauben, dass man ihm nichts zu trinken geben wollte. Aus Erfahrung mit Sabine wusste er, wenn er lange genug gebettelt hatte, holte diese dann doch etwas zu Trinken. Wenn er eine bestimmte Menge intus hatte, wurde er ja ganz ruhig. Das wusste er aus Erfahrung.

Dr. Burgstein holte sich eine Schüssel mit eiskaltem Wasser und ein großes Tuch. Dieses tauchte er ins Wasser und legte es auf die Stirn des jungen Mannes. Rüdiger wollte es abreißen, doch er merkte schnell, dass die Kopfschmerzen ein wenig nachließen.

Einen zweiten Umschlag legte der Doktor auf Rüdigers Bauch. Der Umschlag war eiskalt, und Rüdiger schrie entsetzt auf.

»Wollen Sie mich umbringen?«

»Nein, ich will Ihnen helfen. Und wenn Sie klug sind, sehen Sie das ein und helfen mit. Je früher Sie mithelfen, desto schneller wird es vorbei gehen, und Sie werden von dieser Sucht befreit sein.«

Rüdiger lachte böse auf.

Britta kam mit dem Tee.

»Ich habe ihn ein wenig abkühlen lassen.«

»Das ist gut.«

Dr. Burgstein nahm die Tasse und flößte Rüdiger etwas davon ein. Aber der spuckte alles wieder aus und tobte weiter. Am liebsten wäre er dem Arzt an die Gurgel gegangen, doch das Bein machte nicht mit.

In dieser Nacht trank er nicht viel Tee, er wollte ja nicht. Mit Gewalt musste Dr. Burgstein ihm die Kompressen anlegen und immer wieder beistehen, wenn er sich erbrechen musste. Das war besonders grausam, denn er hatte ja schon längst einen leeren Magen. Aber der Brechreiz war noch immer vorhanden.

»Sie müssen morgen wieder arbeiten, Dr. Burgstein«, ermahnte Britta.

Er war müde.

»Ja, ich weiß«, erklärte er.

»Und wenn wir ihm ein Schlafmittel geben?«, schlug Britta vor.

»Ja, ich glaube, das kann ich verantworten.«

Wenig später war Rüdiger eingeschlafen. Jetzt lag er so friedlich da.

»Kommen Sie!« Sie verließen Rüdigers Zimmer.

Sehr lange sollten sie sich nicht ausruhen können. In den frühen Morgenstunden ging die Toberei wieder los. Die Menschen im Doktorhaus merkten jetzt erst einmal, wie schwierig dieser Patient sein würde und was sie sich da aufgehalst hatten.

»Ich glaube, wir können das nicht durchstehen«, sagte Dr. Burgstein mittags.

»Wie lange wird das noch anhalten?«

»Da er selbst nicht dazu bereit ist, wird es noch ziemlich lange dauern. Und wir können ihn nicht Tag und Nacht bemuttern. Das geht über unsere Kräfte.«

»Wenn wir ihn nicht behalten könnten, wohin müsste er dann gebracht werden?«

»Es gibt Kliniken, die sich auf Suchtkranke spezialisiert haben.«

»Dort wird er aber nicht aufgenommen, weil er sich das Bein gebrochen hat«, sagte Agnes Schöller, die es ja wissen musste. »Man wird ihn in ein normales Krankenhaus bringen, und dort wird er nicht beaufsichtigt, also wird er sich sehr bald wieder Alkohol beschaffen und alles geht wieder von vorne los.«

Der Vater fragte leise: »Können denn die Kräuter überhaupt etwas bewirken?«

»Sicher, denn er hat doch bestimmt schon seine Leber geschädigt und auch die Nieren. Aber das konnte ich noch nicht feststellen, da er sich nicht untersuchen lässt.«

Alle sahen sich erschrocken an. Sie kannten ihn nicht einmal, hatten keine Beziehung zu ihm, und der junge Mann tat alles, um sich richtig unbeliebt zu machen. Keiner konnte sein Zimmer betreten, ohne von ihm beschimpft zu werden. Britta musste besonders darunter leiden. Rüdiger sagte sich nämlich: Sie ist jung und schwach, wenn ich sie bearbeite, wird sie mir was zu trinken bringen.

»Nun was ist?«

Sie blickten sich an. Bis jetzt waren alle voller Elan gewesen, hatten alles gemeistert und fühlten sich so stark. Und jetzt?

»Ich werde mich umhören, wo man ihn aufnehmen könnte. Ich kann nichts mehr für ihn tun. Die Kräuterkur dauert für uns zu lange, und er nimmt ja nichts an. Er wehrt sich doch dagegen.«

Der Doktor wollte sich gerade erheben und zum Telefon gehen, als Lydia Winter und Johanna Bachmeier die Küche betraten. Sie verstanden sich so gut mit den Bewohnern des Doktorhauses, dass sie auch durch den Hintereingang kommen konnten.

Dr. Burgstein lächelte dünn. Lydia blickte ihn an.

»Ihr seht aber ziemlich mitgenommen aus.«

»Das sind wir auch«, gaben alle zu.

Und dann hörten die beiden Damen auch schon den Patienten toben.

»Ui, Johanna, ich glaube, wir sind gerade richtig gekommen!«

Dr. Burgstein war verblüfft.

»Wie soll ich das verstehen?«

»Aber, lieber Achim, haben Sie denn wirklich angenommen, wir würden Sie mit diesem Problem alleinlassen? Nein, wir wollen auch ein wenig von dem Heiligenschein abbekommen, den Sie sich aufsetzen, wenn es klappt. Verstehen Sie? Wir werden mithelfen!«

»Da gibt es nichts mitzuhelfen. Wir schaffen es diesmal nicht!«

»Was? Sie wollen die Flinte ins Korn werfen? Mein lieber Achim, wir haben zusammen einem Todkranken geholfen. Haben Sie das vergessen? Ich gebe mich nicht so leicht geschlagen.«

»Sie nicht, aber wir. So laut ist es nachts und am Tage, das halten unsere Nerven einfach nicht aus, verstehen Sie!«

»Deswegen sind wir ja gekommen, mein Lieber. Wir nehmen ihn mit und bringen ihn erst nach einigen Stunden wieder zurück.«

Achim Burgstein blickte sie sprachlos an.

»Wollen Sie ihn in Ihre Villa bringen und vielleicht mit ihm Schach spielen?«

»Och, das machen wir später. Nein, im Augenblick nicht. Wir haben nämlich draußen den Rollstuhl, verstehen Sie?«

Der junge Arzt amüsierte sich langsam.

»Was, das alte Ungeheuer ist auch noch vorhanden?«

»Wir haben ihn aus dem Keller geholt und piekfein geputzt, nicht Johanna?«

Diese lächelte verschmitzt.

»Ihr habt doch was vor!«

Johanna legte den Kopf schief. Die alte Dame hatte ihr Rheuma längst vergessen und war voller Tatendrang.

»Ich an Ihrer Stelle würde nicht viel fragen, ihn in den Rollstuhl setzen und dann meiner Wege gehen.«

»Aber das ist doch ...«

Agnes verstand sich mit den Damen ausgezeichnet.

»Ich werde den Patienten mit Dr. Burgstein zusammen anziehen, und dann können Sie ihn haben.«

»Aber ich ...«, stammelte der Doktor.

»Sie werden gar nicht gefragt«, lachte Lydia.

»Na, dann ziehe ich mich als beleidigte Leberwurst zurück. Aber wenn Sie anschließend zu mir kommen, ich soll etwa Ihr Ohrenleiden behandeln, da sage ich Ihnen gleich, ich werde streiken.«

Die Damen schoben ihn resolut zur Seite und fuhren den Rollstuhl hinter Agnes ins Zimmer des jungen Mannes.

Dr. Burgstein lachte die Mutter an.

»Wetten, dass sie ihn in einer Stunde wiederbringen?«

Die Mutter kannte die beiden vornehmen Damen recht gut.

»Ich wette lieber nicht«, meinte sie lachend.

»Ach, geh, der brüllt denen die Ohren so voll, dass ihnen nichts anderes übrig bleibt!«

Während Rüdiger angekleidet wurde und man ihm sagte, man wolle ihn spazieren fahren, besah er sich die beiden alten Damen und glaubte, die seien schon so tüddelig und wollten jetzt nur noch ein gutes Werk tun. Mit denen würde er schon noch fertig! So ließ er sich alles ruhig gefallen und half sogar noch mit, als man ihn in den Rollstuhl setzte. Eine Decke wurde über seine Beine gelegt, und ab ging die Post!

Die Luft draußen war warm und weich. Es war ein schöner Herbsttag. Rüdiger atmete tief. Doch dann stellten sich wieder die Entzugserscheinungen ein. Als er endlich begriff, dass man ihn nicht ins Städtchen fuhr, sondern hinaus in Felder und Wiesen, durch den Wald, befanden sie sich schon auf einem Waldweg. Zuckersüß und einschmeichelnd bearbeitete er die beiden Tanten, wie er sie bei sich nannte. Er wolle sie zu Kaffee und Kuchen einladen, obschon er gar kein Geld bei sich hatte. Aber er sagte sich, wenn ich erst einmal in einem Lokal bin, dann müssen sie schon zahlen, wenn sie nicht als Zechpreller dastehen wollen. So einfach ist das.

»Wir machen im Augenblick Nulldiät«, säuselte Johanna.

Rüdiger war baff.

»Aber ich habe Hunger!«, schrie er wütend.

»Ach nein, das kann ich einfach nicht glauben. Maria Ansbach und Frau Burgstein kochen einfach zu gut.«

»Ich habe nichts bekommen! Ich schwöre es.«

»Dann werden Sie wohl nichts gewollt haben.«

Langsam begriff der junge Mann, dass das keine verschrobenen alten Tanten waren. Jetzt drohte er: »Sie bringen mich sofort in ein Lokal, oder ich werde sehr ungemütlich.«

Jetzt befanden sie sich schon tief im Wald.

Rüdiger vergaß alle guten Sitten und beschimpfte die Damen ganz übel. Sie stopften sich Watte in die Ohren, um die bösen Worte nicht hören zu müssen. Nach einer Weile sahen sie sich lachend an.

»Lydia, schau mal die schöne Lichtung dort.«

»Ja, und die Sonne scheint so warm. Er wird noch richtig braun werden!«

»Ja!«

Rüdiger hörte mit dem Toben auf.

»Was haben Sie vor?«

Sie sahen ihn treuherzig an.

»Wissen Sie, wir essen leidenschaftlich gern Pilze. Sie auch? Ja? Dann laden wir Sie herzlich zu einem Pilzgericht ein.«

Er dachte: Die sind übergeschnappt, wirklich!

»Wie soll ich das verstehen«, fragte er ängstlich.

»Wir lassen Sie jetzt hier. Sie sind ja ein starker Mann und haben keine Angst, nicht wahr? Derweil suchen wir Pilze. Dazu gehen wir dort in den Wald.«

»Das werden Sie nicht tun!«, keuchte er.

Lydia blickte ihn an.

»Wollen Sie uns daran hindern?«

»O ja!«

»Wie denn?« Rüdiger bekam ein blaurotes Gesicht. »Ich werde so laut schreien, dass Sie sofort angerannt kommen.«

Sie zeigte ihm ihre Hand.

»Sehen Sie diese Watte hier? Die stecken wir uns in die Ohren, mein Lieber. Und wenn Sie Pech haben, dann bleiben wir sehr lange weg.«

Bevor er zu toben anfangen konnte, waren die beiden schon verschwunden. Als er sie nicht mehr sah, hörte er sofort auf zu brüllen. Er wollte sich selbständig machen, merkte aber gleich, dass er mit dem Rollstuhl umkippen würde, wenn er sich heftig bewegte. Womöglich würde er sich das andere Bein auch noch brechen, und was auch fatal war, die Damen würden ihm nicht aufhelfen können.

Als sie ihn nicht mehr schreien hörten, zogen die beiden Frauen die Watte aus den Ohren.

»Na, was habe ich gesagt?«, lachte Johanna.

»Ganz schön und gut, aber was machen wir jetzt?«

»Pilze suchen!«

Lydia lachte die Freundin an.

»Kennst du die Pilze?«

»Nein!«

»Hmhm!«

»Weißt du was! Wir nehmen alle, die wir finden, und tun sie in unseren Korb. Vater Burgstein kann sie dann sortieren.«

»Das ist eine sehr gute Idee!«

Dann hörten sie den jungen Mann wieder schreien. Sie gingen noch tiefer in den Wald.

Mit dem Pilzesuchen ist das so eine Sache. Zuerst fängt es harmlos an, und dann kann man es nicht mehr lassen. So erging es auch den beiden Damen. Sie suchten und suchten und blieben viel länger fort, als sie sich vorgenommen hatten. Als sie irgendwann auf die Uhr blickten, bekamen sie doch einen gehörigen Schreck.

Hastig näherten sie sich der Lichtung. Rüdiger krächzte nur noch:

»Ich werde Sie beide umbringen!«

»Tun Sie das«, meinte Lydia fröhlich.

Dann schoben sie ihn heim.

Als sie ihn in der Küche ablieferten, sagte er keinen Ton. Dr. Burgstein und Agnes brachten ihn zu Bett und stellten ihm die Kanne Tee zurecht. Da sein Magen noch immer rebellierte, gab es noch keine feste Nahrung. Er musste erst einmal seinen Körper entgiften.

In die Küche zurückgekommen, grinste Lydia den Doktor an.

»Diese Nacht wird er Ruhe geben!«

Burgstein blickte sie fragend an.

»Was habt ihr denn mit ihm gemacht? Der kann ja gar nicht mehr sprechen.«

Sie erzählten es ihm. Lachend fiel der Doktor auf einen Stuhl.

»Wisst ihr was? Ihr seid einfach unschlagbar!«

»Ich habe gedacht, der arme Junge muss sich einfach mal austoben. Wie ein kleines Kind. Wenn er merkt, es nützt nichts, hört er von ganz allein auf.«

»Und ihr glaubt tatsächlich, der wird wieder gesund?«

»Aber sicher!«

»Na, wir werden ja sehen!«

»Komm, Johanna, wir gehen! Morgen kommen wir wieder!«

»Ich glaube nicht, dass er noch mal mitkommt«, sagte der Arzt lachend.

»Er kann sich ja nicht dagegen wehren!«

»Lydia, Lydia!«, drohte der Doktor lächelnd.

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