Читать книгу Kein Sommernachtstraum - Sanne Prag - Страница 11
ABEND
ОглавлениеJudith hatte sich einen Platz in den bequemen Fauteuils beim Empfang gesucht – ein Beobachtungsposten mit Rotwein und einer Zeitung. Sie war sich nicht sicher, wen oder was sie beobachten konnte, aber letztendlich war es kaum möglich, in das Zimmer von Dr. Dilmon zu gehen und dort einfach Fragen zu stellen. Der Empfang war wohl die wahrscheinlichste Stelle, an der sie zu beobachten war. Sie hatte fast ein schlechtes Gewissen, als sie sich in den mächtigen Fauteuil kuschelte und dabei mit der Hand über das weiche Leder glitt. Es fühlte sich luxuriös an. Der Sitz umschloss ihren Körper angenehm beschützend und sie nahm einen tiefen Schluck Rotwein, legte die Zeitung zurecht - und sah eine Katze. Eine reizende gefleckte noch ziemlich junge Katze, die an der Wand entlanglief, und aus ihrem Maul baumelte ein Mäuseschwanz.
Und dann sah sie einen schlanken sehr elegant gekleideten Herrn mit gelbem Halstuch durch die Halle schreiten und Kurs auf den Empfang nehmen.
Der junge blonde Mann, er hieß Ezra, das wusste sie inzwischen, sah die Katze. Seine Augen weiteten sich, seine Hände verkrampften sich und sein Blick heftete sich an der Katze fest. Die Pupillen wurden größer und ängstlicher. Er verließ seinen Empfang mit kleinen Stechschritten und baute sich zwischen der Katze und dem eleganten Herrn auf. Das war ein Versuch, die Maus vor dem an Schönheit und Reinlichkeit gewöhnten Blick abzudecken.
Das war schwierig, denn die Katze hatte die Maus gerade ausgelassen. Es war nicht klar, war sie ihr ausgekommen oder wollte sie spielen, jedenfalls versuchte sich die Maus in Sicherheit zu bringen – unter einem schweren Sitzmöbel, und die Katze sprang hintennach. Ezra war im Stress, das war zu sehen. Der elegante Mann bemerkte aber von der Aktion anscheinend nichts. „Ich fahre aus“, sagte er. „Hier ist ein Brief für Red.“ Er reichte ein gelbes Kuvert über den Empfang.
Da kam Frau Dr. Dilmon gerade langsam von der Treppe. Der Mann fixierte sie. Mit breitem Lächeln ging er auf sie zu. Es wirkte falsch, fand Judith. „Hortense, meine Liebe.“ Er streckte ihr strahlend die Hände entgegen. Sie schaute erstaunt, fragend. Der Blick eines Menschen, der den anderen noch nie im Leben gesehen hat.
Die Katze angelte heftig unter dem Fauteuil mit der Vorderpranke. Es machte dumpf bumsende Geräusche.
Der Mann mit dem Halstuch nahm keinen Blick von Hortense Dilmon. „Es ist natürlich eine Weile her, liebste Hortense, aber du musst dich einfach an uns erinnern!“ Sie ließ ihren Blick schnell über sein Gesicht gleiten, es glomm kein Funke auf. Sie schaute zu Boden. Ihre Hand wanderte zu ihrer Wange. „Unsere schöne gemeinsame Zeit“, rief er. Ihr Blick kam verloren hoch und sagte deutlich: Keine Ahnung. Schließlich versuchte sie ein Lächeln und reichte ihm eine unsichere Hand. „Entschuldigen Sie“, sagte sie leise, und dann lauter: „Ich muss gleich weiter.“ Sehr schnell ging sie aus der Empfangshalle in den nächsten Raum. Der elegante Mann blieb kurz stehen und eilte ihr dann nach. In der Türe blickte er in alle Richtungen, schien sie aber nicht mehr sehen zu können. Schließlich drehte er sich um und kam wieder zurück. Seine Lippen waren fest zusammengepresst und sein Kiefer hart. Jetzt fixierte er Ezra.
Judith hatte beobachtet, wie Ezra den Blick hob, der noch immer an der Katze festgefressen war, um dem eleganten Mann viel Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Sie sah klar, er wollte dessen Augen zu sich zu holen, weg von den Tieren. Die Maus schien inzwischen den sicheren Platz gefunden zu haben, denn die Katze schaute gespannt, voll konzentriert, in den Spalt unter dem Möbel.
Der elegante Herr mit dem Halstuch schrieb etwas auf den Umschlag. Ezra stand unentschlossen daneben. Kurze Blicke irrten immer wieder zu der Katze. Sie konnte sich auch vorstellen, was ihn beschäftigte: Wenn er die Katze hinaustrug, blieb die Maus unter dem Sitz, unbeobachtet. Das war keine gute Lösung. Judith sah auf seiner Stirne den Konflikt, denn Mäusejagd im Foyer war auch keine Lösung. Hin- und hergerissen zwischen zwei unmöglichen Möglichkeiten, musste er den gereizten Mann beruhigen, der an seinem Pult stand.
„Hortense ist ein unbedarftes Mädchen“, sagte der in dem Moment ein wenig zu laut. „Wie ein kleines Kind. Von einer Minute zur anderen weiß sie nicht mehr, was sie wollte. Das war immer schon so“, warf der hin. Irgendetwas wollte er noch sagen, aber es kam nicht. Er wechselte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen, und schließlich ging er hinaus zu seinem gelben Sportwagen.
Die Katze war vor dem Fauteuil, unter dem ihre Maus saß, in Warteposition gegangen.