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ABEND

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Ezra hatte beschlossen, die Katze die Maus bewachen zu lassen. Es war eine hübsche Katze und seiner Erfahrung nach waren die meisten Menschen Katzen eher zugetan als Mäusen. Auch wenn es einzelne Katzenfeinde gab, war in dieser Situation die Katze das kleinere Übel. Er musste das Problem in Angriff nehmen, wenn die Gäste in den Zimmern waren, gut aufgehoben und nicht im Empfangsraum – später – viel später. Jetzt machte er einen Abstecher in „seine“ Küche, um festzustellen, was dort alles nicht funktionierte. Aber der Zustand war nicht so schlecht. Er beorderte zwei Damen in den zweiten Stock, um die Matratzen aufzublasen und mit Wäsche zu versehen, für die Schulklasse auf Ausflug. Das Essen war großteils fertig. Er würde beim Bedienen helfen, sonst war das nicht zu schaffen.

„Habt ihr Essen auf die Zimmer gebracht?“, fragte er in die Runde. Eine der drei nahm gerade die Ente aus dem Grill „Die Dilmon ist eine hochnäsige Person“, sagte sie. „Am Nachmittag wollte sie einen Toast und als ich den hochgebracht habe, hat sie ihr Buch weggelegt und gesagt: ,Stellen Sie meine Schuhe auf den Balkon.‘ Als ob ich ihr persönlicher Dienstbote wäre.“

Ezras Ohr nahm diese Beurteilung von Frau Dr. Dilmon wahr, aber sein Hirn war mit der Verrechnung von Extraleistungen beschäftigt. Er überlegte, dass er einen Modus finden musste, um das zu überblicken. Natürlich war das kein echtes Hotel, aber man musste zumindest alle Funktionen eines echten Hotels einführen. Alles, was ein echtes Hotel ausmachte, musste bereit sein, um den Anschein eines echten Hotels nicht zu stören. „Bitte seid so lieb und steckt mir einen Zettel in die grüne Kluppe neben dem Telefon, wenn ihr etwas irgendwohin bringt. Ich glaube, das ist die einfachste Art, alles zu verrechnen. Gar nicht lange diskutieren, sondern einfach aufschreiben, was ihr wohin gebracht habt.“

Da sah er die Biologin an der Küche vorbeigehen.

Wieso war die in dem Gang? Was wollte die dort?

Er machte am Absatz kehrt und folgte ihr. Gerade sah er sie noch um die Ecke biegen, dann hörte er eine Stimme. Die kannte er, tief und vibrierend – Zimmer 5 – Red Warhol.

Sie sagte: „Da war so ein Typ, der behauptet, mich zu kennen.“

„Und, was hast du gesagt?“

„Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Er hat sich benommen, als ob wir mal zusammen gewesen wären. Kann ich mir aber nicht vorstellen, oder?“

Ezra wischte an der neuen Messingtürschnalle von der Speisekammer – für den Fall, dass einer um die Ecke schaute.

„Wie sah er denn aus?“

„Lang, dünn, mit auffallendem Halstuch – ich kann‘s mir einfach nicht vorstellen …“, fügte sie hinzu.

Dann näherten sich die Schritte der beiden der Ecke. Ezra nahm langsam und deutlich sichtbar sein Tuch von der Türschnalle und begab sich offiziell zu seinem Empfang. Als er an den beiden vorbeiging, sagte Warhol: „Bleib bescheiden, Mädchen, einfach passiv freundlich. Ist kein Grund zum Stress, du musst Ruhe bewahren, auch wenn es dir schwer wird…“ Red Warhol ging festen Schrittes voran, sie folgte zögernd.

Da fiel Ezra der Brief ein. „Eine Nachricht liegt für Sie am Empfang“, sagte er über die Schulter. Die Dilmon hatte einen sehr schönen spanischen Schal um den Körper geschlungen, den zog sie jetzt fester um sich. Warhol drehte um und folgte Ezra. Er nahm den Brief aus dickem gelblichen Büttenpapier und riss ihn achtlos mit dem Daumen auf. Lässig schaute er das Blatt an und dann wurde sein Blick konkret. Auf der Stirne bildeten sich einige feste Falten. Er war wütend, eindeutig sehr wütend. Er knallte den Brief auf Ezras Theke. Drehte sich um, drehte sich dann aber zurück und nahm den Brief wieder auf und ging knackig hinaus - in einer schwarzen Wolke. Ezra schaute ihm nach. Er hätte gerne erfahren, was in dem Brief stand.

Da kam die rothaarige Dame mit ihrem unwirschen Partner zurück. Sie waren aus gewesen. Sie hatte extrem hohe Stöckelschuhe an, extravagante Schuhe in blasslila mit einer kecken Schleife am Außenrand. Konnte wohl kein Waldlauf gewesen sein, dachte Ezra. Er fand es seltsam, dass das Pärchen gerade diesen Ort besuchte, hier mitten im Wald, mit eleganten Stöckelschuhen…

Er schaute die lila Schleife an. Die beiden passten nicht in den Wald. Er nicht und sie schon gar nicht. Wenn jemand so auffallend nicht passt, konnte der wohl kein gewöhnlicher Tourist sein? Oder? Vielleicht konnte er aber gerade dann kein Statist vom Geheimdienst sein? Oder? Das doch am wenigsten. Die würden doch wohl perfekt passen?

Sie tänzelte auf Ezra zu. Ezra schenkte ihr das Hotellächeln und sah aus dem Augenwinkel, dass die Katze noch immer den Sessel bewachte – die Maus war also noch gut aufgehoben.

„Wann gibt´s denn Nachtmahl?“, zwitscherte die Dame mit den roten Haaren fröhlich.

Ezra ließ kurz die düsteren Bilder aus der Küche vorbeilaufen. 18 Uhr hatten sie natürlich nicht geschafft. Die Frage kam gottseidank deutlich später: „Ich denke, in einer halben Stunde…“ sagte er beflissen.

„Oh fein“, strahlte sie, „und wo ist der Dingsda?“ Ezra überlegte fieberhaft, was sie gemeint haben könnte. Sie wartete, und als nichts kam, versuchte sie es genauer: „Na, der Dingsda, wo man isst.“ Sie sah Ezra erwartungsvoll an. Ihr Partner hatte die buschigen Brauen tief über die Augen gezogen und schaute unwillig.

Ezra erkannte, dass nach dem Speisesaal gefragt worden war. Er war gefordert.

Für ihn war das eine von den besonderen Problemzonen. Sie hatten nur einen sehr kleinen Raum als Essraum herrichten können, weil es einfach keine andere Möglichkeit gab. Nur vier kleine Tische passten dort hinein, und das mit Mühe. Durch die Invasion der Schulklasse war das sicher zu wenig. Zimmer 2 hatte Frau Dr. Dilmon, Zimmer 3 die elegante grauhaarige Journalistin von der Pressekonferenz – er hatte sie seither noch nicht zu Gesicht bekommen. Wo war die übrigens? Zimmer 4 würde noch einen Bewohner bekommen, der war in dem seltsamen Gästebuch vorgemerkt. Zimmer 5 Warhol, Zimmer 6 hatte ein zerbrochenes Fenster. Zimmer 7 gehörte dem Mann mit seinem kleinen schwarzen Buch. Zimmer 8 dem Pärchen, Zimmer 9 hatte das Loch im Boden, Zimmer 10 der Psychologin. Das nächste für den Mann mit dem gelben Sportwagen – wie hieß der doch gleich? George …? Die Tische reichten einfach nicht und jetzt auch noch die Horde 17-Jährige...

„Wir haben mehrere Möglichkeiten zur Auswahl“, sagte Ezra daher gefällig. Er begleitete das Paar zur Türe von dem winzigen Speiseraum und sagte: „Sie könnten hier einen Tisch auswählen oder im Foyer“ – er hatte die Tische von der Pressekonferenz neu angeordnet. Die konnten zur Not als Esstische durchgehen. „Wo Sie möchten, wählen Sie. Ich kann Ihnen aber auch einen Tisch ins Freie stellen lassen – es ist ein sehr schöner Abend…“ Die Möglichkeit war ihm gerade eingefallen. Wenn er ihnen das schmackhaft machen konnte, konnte er das Gedränge aus dem Speisesaal bekommen und auch das aus seinem Empfangsraum. Hatte er nicht noch zwei Gartentische mit einigen Sesseln im Haus mit dem Baum schlummern gesehen?

Mit besonders freundlicher Stimme gurrte er: „ ...und sagen Sie mir Ihre Entscheidung. Ich komme dann gleich wieder. Ich stelle nur die Gartentische auf.“

Mit dem Schlüssel bewaffnet eilte Ezra in den Hof und näherte sich dem Haus, wo er glaubte, die Gartentische gesehen zu haben. Da hörte er ein seltsames Geräusch – wie Wind in Telegrafendrähten. Es war aber kein Wind, gar keiner. Er hörte einen singend-fiebrigen Ton – sehr seltsam. Ezra blickte nach oben. Die Bäume ließen nur einen schmalen Ausschnitt des späten Himmels frei. Einige rosa Abendwolken lugten in das Loch und dann sah er etwas Dunkles über die Bäume fliegen. Es war ziemlich groß. Das schaltete plötzlich etwas wie einen fahlen Suchscheinwerfer ein. Der tauchte einen kreisrunden Bereich im düsteren Hof in ein blassblaues Licht. Blassblaue Kiesel waren in dem Kreis zu sehen, der über den Boden wanderte. Ezra konnte nicht erkennen, was da herumschwirrte. Er dachte, dass seine Jugendlichen irgendetwas Ferngesteuertes über dem Hotel fliegen ließen. Wahrscheinlich hatte die Horde, die am Nachmittag gekommen war, irgendetwas mitgebracht… Wo hatten die das große Ding gehabt? Doch wohl nicht im Rucksack? Oder war es aufblasbar? Ein surrender Zeppelin? Es sah aber eher rund aus, nicht länglich, wie Zeppeline nun mal sind. Es verschwand singend hinter den Baumriesen.

Er sperrte die frisch gestrichene Türe auf. Am Innenrand des Türstockes hingen noch Spinnweben, die verklebte Sorte, in der sich im Laufe der Zeit Holzbrösel gefangen hatten. Sich darum zu kümmern, hatte er keine Zeit gehabt. Er schaltete seinen eigenen Suchscheinwerfer ein, sein Handy. Im Lichtkegel lag dort alles Mögliche auf einem Haufen, aber auch drei Gartentische und einige Sessel. Eilig räumte er die Gartenmöbel in den Hof. Stellte die drei Tische auf und verteilte die Sessel einigermaßen regelmäßig. Er hatte nur sein allgegenwärtiges Tuch bei der Hand und wischte kurz die gröbsten Spinnweben weg. Dann stürmte er in die Küche: „Wo sind die Tischtücher?“, rief er.

Die Tische wurden mit hübschen, neuen Tüchern zugedeckt. Morgen musste er das Ganze ernsthaft reinigen lassen. Da war es dann hell, jetzt war es am dunkel werden und daher romantisch, man sah vor allem nicht so genau.

Als er zurück zu seinem Pult lief, hatte das Paar sich entschlossen, einen Tisch beim Empfang zu belegen – das war wohl gut, wenn seltsame Flugobjekte mit Scheinwerfern über dem Hof kreisten. Es war nicht zu erwarten, dass die beiden Freude damit hatten.

Er würde die jugendliche Horde in den Hof verbannen zu ihren Flugobjekten...

ENDE ERSTER TAG

Kein Sommernachtstraum

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