Читать книгу Kein Sommernachtstraum - Sanne Prag - Страница 13
MORGEN
ОглавлениеEzra war ganz früh beim Aufwachen eingefallen, dass er vergessen hatte, das Haus mit dem Baum zuzusperren. Er hatte aber keine Lust, im ersten Morgengrauen loszugehen, um das zu erledigen.
Er tapste vorsichtig und noch wenig kompetent zum Wasserhahn. Seinen Schlafplatz hatte er in dem klein-winzigen Raum neben dem Empfang eingerichtet. Ein dunkles Gefühl von ständiger Bereitschaft trieb ihn dazu, sich nicht allzu weit von seiner Kontrollstation zu entfernen.
Über dem Mini-Waschtisch hing ein verwitterter Spiegel. Aus dem blickte ihm ein blasses Gesicht mit schwarzen Punkten entgegen. Er wischte über die glänzende Fläche, aber die schwarzen Punkte blieben hinter dem Glas. Der Hahn hustete und würgte Wasser heraus. – Der Installateur musste heute sowieso nochmals kommen, - hatte er auch versprochen. Ezra besah sich, was da aus dem Hahn kam, und hatte den Eindruck, dass es nicht sauber war. Er zog sich daher Hose und Hemd an und ging in den Küchengang, um Mineralwasser zu holen.
Alles war still und leer. Ein Totenhotel hatte seine Zombies noch nicht freigegeben… Oder kicherte da jemand?
Er ging in die noch unbewohnte Küche und schaute vorsichtig aus dem Fenster. Eine graublaue Dämmerung wurde vor den Scheiben langsam heller. Nein, keine seltsamen Flugobjekte – doch nicht in der Früh. Aber vier Jugendliche versuchten gerade, vom Hof ins Haus zu kommen. Die Türen waren noch abgesperrt. Seine hilfreichen Geister kamen erst um halb 7 aus ihren Wohnstätten im Ort und hatten einen Schlüssel.
Die Jugendlichen ließen es bei einem Versuch bewenden und verschwanden kichernd ums Eck. Nein, beschloss Ezra, er würde sie nicht hereinlassen. Die sollten schauen, wie sie`s schafften – tat ihnen gut, wenn nicht alles für sie funktionierte. Er nahm die Mineralwasserflasche mit und ging noch einmal schlafen – das hatte er nötig.
Aus der Ferne hörte er Kichern von der Treppe im Haus. Irgendwie hatten sie es geschafft, ins Haus zu kommen…
Eine Stunde später wachte er wieder auf. Es war gut, dass er angezogen war. Denn nun würde das „Hotel“ bald leben. Er glättete seine Haare und zog den Kragen gerade. Kein Geräusch. Da nahm er den Schlüssel, um zu dem anderen Gebäude zu gehen - absperren. Eine absolut notwendige Maßnahme, damit sich keiner in die dunklen Löcher verirrte. Vielleicht war auch noch der eine oder andere Sessel unter dem Haufen, den er liegen gesehen hatte…
Als er die Türe aufmachte, lag dort etwas, was er am Vortag nicht gesehen hatte. Es war ziemlich groß – er hätte es sehen müssen, sogar beim Licht vom Handy.
Es war ein Mensch.
Da lag ein Mensch und aus seinem Rücken ragte eine dünne Stange – ein Pfeil. Er berührte ihn vorsichtig – fühlte sich an wie Metall. Das Gesicht konnte er nicht sehen. Aber es war ein Mann.
Ihm war heiß und kalt gleichzeitig. Es war nicht die erste Leiche, die er in seinem Leben fand. - Seine seltsamen Jobs brachten immer wieder Probleme mit sich. Aber es stellte sich auch immer wieder in solchen Situationen die gleiche Frage: Wie sieht man, ob man die Rettung rufen muss oder ob das nicht mehr notwendig ist und man nur die Polizei verständigt? In Büchern fanden die immer ganz leicht heraus, ob da noch ein Pulsschlag war oder nicht. Er war nie sicher.
Er versuchte, einen Puls zu fühlen. Die Hand fühlte sich kalt und teigig an. Der Hals auch. Vielleicht war der aber nur unterkühlt? Die Rettung konnte da nichts mehr ausrichten, oder doch?
Er sperrte die Türe sorgfältig zu, lief ein Stück in den Wald und rief Wolfgang an.
„Sei doch nicht so ungeduldig“, sagte die tiefe Stimme. „Ich bin schon auf der Strecke.“
„Ich habe hier einen Toten, ermordet mit einem Pfeil.“ Ezra sparte sich die Einleitungen – man kannte sich seit über 25 Jahren. „Gehört das zum Programm?“
Am anderen Ende war es still.
„Ich muss zumindest die Rettung rufen. Vielleicht ist noch Leben in ihm.“
„Ja, musst du, anders geht es nicht. Ich bin in ein wenig mehr als einer Stunde bei dir.“ Wolfgang sagte das ganz ruhig, - kalt und ruhig.