Читать книгу Kein Sommernachtstraum - Sanne Prag - Страница 7

MITTAG

Оглавление

Ezra stand an den Tischen vor den Resten der Pressekonferenz und musste aufräumen. Ein Tablett mit Gläsern klirrte leise auf seiner Hand denn er machte wieder einmal einen seiner unmöglichen Jobs. Er fühlte sich nicht sicher, denn es war ihm klar, dass er an diesem Ort ein Wespennest behüten sollte. Der Job war durch Wolfgangs Verbindungen zustande gekommen. Wolfgang, der Freund seiner Kindertage, war Techniker in einem System, das im weitesten Sinne der Landesverteidigung zugeordnet wurde. Und kürzlich erst war er zurückgekommen - von irgendwo aus dem Nahen Osten, und hatte sich sofort gemeldet, dringend, kein Aufschub: „Bist du frei oder machst du was? Nur Studium? Gut. Du wirst gebraucht. Sofort. Wir haben ein massives Problem und alles muss schnell gehen – große Orientierung ist leider nicht möglich. Du musst improvisieren und wahrscheinlich alle deine Systeme einschalten. Streng geheim und akut. Zu wenig Zeit für ordentliche Planung, und die Geheimhaltung macht eine größere Organisation unmöglich.“

Seit fünf Tagen behütete Ezra nun sein Wespennest. Er hatte noch nicht wirklich Überblick und Wolfgang wusste zuerst einmal auch nichts Genaues und hatte ihn vertröstet – er käme bald – musste noch etwas regeln.

Es gab ein langes Telefonat mit der Stimme seines Auftraggebers und die ganze Aktion wurde gestartet, dringend, sehr dringend. Ezra musste sofort aufbrechen, vor fünf Tagen, sehr zeitig in der Früh, zu einem „Waldhotel“. Die staatliche Sicherheit war verunsichert. Man war an höchster Stelle beunruhigt. So viel war klar, sonst nichts. Ezra musste einspringen, musste all seine Fähigkeiten einsetzen, an einem Ort im Wald, weit weg von allem, was die Zivilisation geschaffen hatte.

Von was allem? Denn das war es genau, wofür er zuständig war. Er musste ein Hotel herstellen. Man hatte ihm großzügig Geld gegeben und …

Ein Ort fernab von unkontrollierbaren Menschenströmen musste aktiv werden und unverdächtig. Das Waldhotel hatte eine Aufgabe, war Zentrum… Wovon? Keiner hatte ihn wirklich aufgeklärt. Er hatte eine Reihe von Personen zu betreuen und es war etwas im Gange, aber keiner sagte ihm genau, was.

Da war einmal Frau Dr. Dilmon. Es ging darum, ob sie wirklich Frau Dr. Dilmon war oder nicht, so viel wusste er. Sie war nach ihrer Befreiung in dieses Waldhotel gebracht worden – um sich auszuruhen?

Eine gefährliche Frau? Sie musste betreut und gleichzeitig beobachtet werden. Sie durfte aber nie auf die Idee kommen, dass sie beobachtet wurde. Das was er da zu gestalten hatte, musste aussehen wie ein abgelegenes Hotel, musste sich anfühlen wie ein abgelegenes Hotel und keiner durfte auf die Idee kommen, dass es kein Hotel war. Das sagten die Anweisungen am Telefon.

Wolfgang würde am nächsten Nachmittag eintreffen, oder irgendwann, wenn er wegkonnte. Vielleicht kam dann Klarheit?

Ezra trug Krüge und Gläser zurück in den Raum, den sie Küche nannten, und blickte dabei aufmerksam um sich. Jeder kleinste Hinweis, jedes ungewöhnliche Moment konnte später von großer Bedeutung sein. Die letzten Journalisten tröpfelten aus dem Saal. Da kam wieder dieser Mann herein, den er seit dem frühen Morgen beobachtete. Er schlich herum und schrieb ständig konzentriert in ein kleines, schwarzes Buch. Dieses Buch musste einen, großen Wert darstellen, denn der ließ es keine Sekunde aus den Augen. Immer lag es neben seiner rechten Hand. Beim Frühstück, beim Sitzen in der Halle… Zwischendurch machte er Eintragungen. Er schrieb immer einige Zeilen und legte es dann wieder weg. Möglichst unschuldig hatte Ezra versucht, einen Blick auf das Heiligtum zu erhaschen. Das war aber nicht gelungen… Schließlich stand der Mann vor seinem Pult und wollte ein Zimmer. Gut, das war schließlich der Zweck eines Hotels.

Jetzt gerade konnte er dem kleinen schwarzen Buch nicht weiter auf den Grund gehen. Er musste zuerst einmal diese Psychologin finden und sie in ihr Zimmer bringen. Sie war in den Garten gegangen, hatte er bemerkt, oder dorthin, wo einst Garten gewesen war.

Ezra fragte sich, was man ihr erzählt hatte. Ihm hatte man gesagt, dass eine Psychologin käme und dabei helfen sollte, die Situation mit Frau Dr. Dilmon richtig einzuschätzen. Mehr nicht. Er fühlte sich in einem Sumpf von Geheimhaltung gefangen und hatte sein Wespennest zu hüten…

Er traf die Gesuchte langsam zwischen den Häusern wandernd. Gerade war sie stehen geblieben und schaute mit Staunen auf das Haus, durch das der Baum gewachsen war. In den Hang hinein gebaut war eines dieser Fachwerk-Konstrukte. Daneben lagen noch Balken und Steine von einst verstreut. Man hatte sie in der Wiese vergessen. Sie waren liegen geblieben und inzwischen waren Bäume gewachsen und zogen ihre Wurzeln durch den Boden. Sie hatten sich breite Stämme zugelegt und mächtige Laubdächer umschlossen die alten Häuser.

Man baute die Häuser einst wofür? Meierhof, Wirtshaus, oder Hotel? Schichtmauern: Einige schwere Quader lagen noch zwischen den Waldriesen, früher ein günstiger, solider Unterbau. Darüber wuchsen leichtfüßig die Holz-unterteilten Wände in die Höhe mit Fenstern in dunklen Rahmen. Auf jeden Fall hatten sie einst eine Aussicht gehabt – wohl auf den Fluss und das Dorf, das in der Tiefe unter den Häusern lag – eine schöne Aussicht. Dann waren vielleicht unruhige Zeiten gekommen und das Haus wurde vergessen - es wuchs in den Wald ein. Er überwucherte in Jahrzehnten die Wände, die Dächer und, wie man sehen konnte, sogar das Innere der Gebäude, weil die Menschen es verlassen hatten waren Berggeister eingezogen. Waren die Bäume Parasiten? Nein. Der Berggeist hatte Samen gebracht, hatte sein Kind an den Ort gesetzt und es spielen lassen. Es schaute aus jedem Baum und erzählte von seinem Alter: Neunmal Wiese und neunmal Wald – bin neunmal so viel Jahre alt… Menschenwerk war in die Zeit eingewachsen, Blatt für Blatt, Jahr für Jahr.

Häuser waren letztendlich für Menschen da. Das ganze hatte aber lange geschlafen, unbewohnt. Als er kam, hatte er dort eher ein Geisterschloss gefunden als ein Hotel. Er hatte drei Tage Zeit gehabt und auf der Spinnweben-beladenen Theke lag damals ein Gästebuch mit einer Reihe Namen. Das waren Gäste, die er erwarten sollte. Kräftige Damen aus dem nahen Dorf standen bereit mit Gummihandschuhen, Kübeln, und was man sonst noch benötigt, um die Räume von Spinnweben zu befreien und mit neuer Wäsche zu versehen… Jemand hatte Vorbereitungen getroffen – den Rest musste Ezra selbst erledigen.

Ein perfektes Hotel in drei Tagen, wie sollte er das schaffen? Er verbesserte: Er würde versuchen, etwas herzustellen, das zumindest als Hotel durchgehen konnte, vielleicht als romantisches Hotel?

Ezra hatte sich zuerst die fünf Gebäude angesehen und die beiden großen zur Reinigung bestimmt. Die waren am ehesten verwendbar. Die anderen drei waren dunkle Höhlen, Löcher, deren Wiederbelebung einen Zauberer benötigt hätte. Eines hatte einen Backofen, ein dunkles Monster. In den beiden besten gab es so etwas wie Badezimmer am Gang, in einem Waldhotel kann man nicht mit einer Ausstattung rechnen wie im Ritz, tröstete sich Ezra und war besorgt. Wenn Badezimmer Jahrzehnte lang geschlafen hatten, war wohl mit Unannehmlichkeiten zu rechnen… Vielleicht war einer der Bäume durch den Abfluss gewachsen?

Die Damen kamen in Bewegung und am Ende des ersten Tages hatten sie Raum für Raum im Erdgeschoß vom Belag der Zeit geschält und die Holzteile mit Bienenwachspolitur eingelassen. Es roch gut. Ezra hatte Teppiche für die Böden organisiert – das Budget war ja großzügig. Nachher hatte es ausgeschaut wie ein frisch gereinigtes Zisterzienser-Kloster, in dem der letzte Mönch vor einigen Jahren gestorben war. Zwischen den hohen Bäumen herrschte weiterhin eine düstere Atmosphäre. Eigentlich erwartete er, nachts um zwölf den riesigen Geist des Mönches über den Hof schweben zu sehen. Daraufhin fuhr Ezra eilig in die nächste größere Stadt und stellte Pflanzkübeln mit Blumen vor die Eingänge. Nun sah es aus wie ein ausgestorbenes Kloster mit Blumen.

Ezra hatte ein Problem, und noch immer hatte ihm niemand erklärt, welchen Ansprüchen dieses „Hotel“ eigentlich gerecht werden musste. Da besorgte er eine Standtafel, auf die er mit Kreide Preise für Imbiss und Getränke schrieb. Nun sah das Ganze aus, wie ein romantischer Geheimtipp fürs Wochenende. Das kam der Sache schon näher. Viel mehr war in der kurzen Zeit eben nicht drin. Die Badezimmer blieben ein Riesenproblem. Dann kamen auch bald die Menschen, deren Namen im Gästebuch vorgemerkt waren. Frau Dr. Dilmon bezog Zimmer 2. Wer war sie?

Und der Mann mit dem kleinen schwarzen Buch musste dann auch sein Zimmer bekommen. Der ältere Journalist, der die Pressekonferenz organisiert hatte, war untergebracht in seinem vorgemerkten Zimmer 5, und dann war da die elegante Journalistin, auch vorgemerkt. Die sollte auch ein Zimmer haben, und das ältere Pärchen, war schon am Vortag angereist mit vielen Koffern ... Waren die alle Menschen vom Geheimdienst? Oder waren das ganz normale Bürger, die ein paar ruhige Tage verbringen wollten? Waren sie tatsächlich Journalisten oder Schauspieler, vielleicht waren sie von der Regie bestellt als ahnungslose Komparsen? Oder führte einer oder der andere selbst Regie? Für welches Bühnenstück?

Die Damen mit Kübeln und Mobb waren inzwischen schon im zweiten Stockwerk unterwegs. Die Gebäude waren hoch. Es war nicht zu erwarten, dass Ezra Zimmer im zweiten Stock vergeben musste. Es war aber immerhin möglich, dass sich einer von den Gästen aus dem ersten Stock im Haus verlief, und der durfte kein Geisterschloss treffen – es konnte ja ein echter Gast sein. Die Türen der anderen drei Gebäude hatte Ezra sauber gereinigt, teilweise selbst außen neu gestrichen und abgesperrt. Das war die relativ beste Lösung. Passende Schlüssel hatte es natürlich keine gegeben. Er hatte den Schlosser erpresst und am gleichen Tag neue Schlösser einbauen lassen. Hinter diesen Türen war Niemandsland. Unter anderem wuchs eben da ein Baum durch das Erdgeschoss die Treppe hoch und beim einstigen Fenster, das keine Scheibe mehr hatte, hinaus.

In manchen Bereichen hatten sich Spuren von Benützung gefunden. Das waren wahrscheinlich die Jugendlichen aus dem Ort. Vielleicht Liebespaare, romantisch, heimlich und ohne hohe Ansprüche an Reinlichkeit oder Luxus. Opfer der Lust auf kalten, sandigen Böden …

Kein Sommernachtstraum

Подняться наверх