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VORMITTAG

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Als seine nächste Pflicht betrachtete er George Köhler. Auch er musste es erfahren. Auch dort war die Frage: Wie würde er auf den Tod von Red Warhol reagieren?

Was hatte wohl in dem Brief gestanden, der Red Warhol so verärgert hatte? Der auf dem gelben, dicken Büttenpapier?

Köhler öffnete in einem goldenen Seiden-Hausanzug mit großen dunklen Blumen und einem Halstuch. Ezra war geschockt. Wer geht mit einem elegant geschlungenen Halstuch schlafen?

Köhler schaffte es dann wortlos, ihm eine Gnade zu erweisen, indem er die Türe freigab und ihn mit einer Handbewegung ins Zimmer einlud.

„Es gab ein Problem“, eröffnete Ezra tapfer.

Der Mann schenkte ihm einen kühlen, müden Blick.

„Wir hatten einen Todesfall hier in der Nacht.“ Ezra war keineswegs sicher, wie erfahrene Hoteldirektoren solche Mitteilungen verpackten. Aber vielleicht wollte er sie gar nicht allzu sorgfältig verpacken. Vielleicht war direkt, unkompliziert und hart das Richtige. Was für ein Gesicht würde er von Köhler zu sehen bekommen?

„Red Warhol ist erschossen worden“, sagte er daher, um die Reaktion zu sehen.

Zuerst zeigte sich nichts auf dem Gesicht – der Kopf ging ein kleines Stück zurück. Der Mann zog die Luft scharf durch die Zähne, dann plötzlich großes Erstaunen. „Wo denn?“, fragte der Mann in Gold mit künstlich aufgerissenen Augen.

Dass einer wissen wollte, wo, war erstaunlich, die meisten fragten eher, wie. Und was sollte Ezra antworten? Die Wahrheit war: wahrscheinlich im Hof und dann weggeräumt… Sollte er das sagen? War es richtig, so zu antworten?

Er dachte kurz und fasste das Problem dann fest am Schopf, und ließ es im Dunkel: „Die Polizei ist noch vor Ort und untersucht den Fall“, sagte er tonlos – neutral und verschlossen. Das war wohl am besten.

Der andere presste die Lippen zusammen, voll konzentriert – er hatte etwas zu klären. Ezra beobachtete nun ein hektisches Minenspiel. Schließlich stieß der Mann mit dem Halstuch Worte heraus: „Warhol und ich hatten früher unsere Probleme, aber bei diesem Projekt haben wir Frieden geschlossen, gemeinsam geht alles leichter“, tönte er.

Ezra war sehr daran interessiert, was das für Probleme waren. Auch hatte er nicht gewusst, dass das vor Ort ein gemeinsames „Projekt“ war… So konnte er aber nicht danach fragen. Nein, so plump waren keine Antworten zu bekommen…

Was für einen Kampf hatten die beiden wohl gefochten – sicher beruflich – zwei ganz verschiedene Männer waren aneinandergeraten. Worüber? Köhler war wohl auch Journalist? Denn Warhol hatte so gut wie nichts Anderes gemacht – Journalismus und große Aktionen, die oft weit in politische Systeme eingriffen. Eine Auseinandersetzung konnte wohl nur im Beruflichen abgegangen sein. Schauspieler und Journalist, war das möglich? Köhler sah mehr wie ein Schauspieler aus, aber Warhol hätte mit einem Schauspieler nur kurzfristig Berührung gehabt. Wenn die beiden mehr miteinander zu tun hatten, musste Köhler Journalist sein.

Ezra wählte seine Worte sorgfältig. „Aufdeckungsjournalismus hat seine Klippen…“, keine Frage, eine Feststellung – einfach – leicht, ein Lächeln, intensives Betrachten des Schlüsselbundes. Ezra schlüpfte so in die Rolle des devoten Butlers, eines gefälligen aber sehr gut informierten Hotelportiers, des Dieners, der alle Hintergründe kennt, verständnisvoll und wissend… Das hoffte er, auszustrahlen, um etwas Neues zu erfahren, knapp hinter der Türe in George Köhlers Zimmer.

Der gereizte Blick des goldenen Mannes traf ihn jetzt voll, gerade und hart. Der musste darauf eine Antwort geben, konnte diese Situation nicht ohne Erklärung auslaufen lassen. - Er stolperte ein wenig in den nächsten Satz hinein: „Es ist ja ganz normal, dass Journalisten sich gegenseitig genau beobachten. Einer muss wissen, wie der andere arbeitet. Man muss herausfinden, wo die Schweinereien versteckt sind. Anders gibt es keinen griffigen Journalismus.“ Es klang hektisch, laut und wie Rechtfertigung.

Ezra hatte nicht wirklich eine Erleuchtung, aber er schien richtig geraten zu haben. Herr Köhler hatte Herrn Warhol bei irgendetwas erwischt. Irgendeine „Schweinerei“ war aufgedeckt worden. Oder hatte er ihn nicht erwischt und die Schweinerei erfunden? Welche? Hatte das einen Bezug zur augenblicklichen Situation, war diese „Schweinerei“ einen Mord wert?

Herr Köhler machte nun die Türe auf – er wollte Ezra los sein. Und der ging.

Er begab sich zu Zimmer 3, um seine Mitteilung anzubringen. Es dauerte ziemlich lange, bis die Türe aufging. Die Frau hatte perfekt geordnete Haare und eine Sonnenbrille auf. Ezra sagte seinen Satz und wartete auf Reaktion. Aber da kam nichts. Schließlich fragte er noch, ob er helfen könnte…

„Nein“, sagte sie, und ihm blieb nichts übrig, als zu gehen.

Dann kam er zu Zimmer 8. Sie machte auf. Hut hatte sie noch keinen auf. „Ich muss Ihnen sagen, wir haben einen Toten hier im Hotel“, das ging inzwischen ziemlich flüssig.

„Oh“, sagte sie nach einer Weile nachdenklich, „das Ganze ist doch sehr ernst.“ Sie schaute versonnen auf den Stöckelschuh, den sie in der Hand hielt. Dann sagte sie über die Schulter: „Ich dachte nicht, dass es so ernst ist.“ Es klang wie ein kleiner Vorwurf. Dann sah sie Ezra mit ihren grünen Augen Hilfe suchend an: „Und was tun wir jetzt?“

„Die Polizei ist inzwischen im Haus und wird irgendwann bei Ihnen hier vorsprechen. Alles andere geht seinen gewohnten Gang. Soll ich Ihnen in diesem besonderen Fall etwas aufs Zimmer bringen?“ Das sei nicht notwendig, nein.

Wieso ernst? Was war unerwartet ernst? Ezra versuchte, ein Muster zu erkennen. Ein Mord? Aber ja, der ist ernst. Wer erwartet schon einen Mord? Und wer findet ihn dann heiter?

Er begab sich zu Zimmer 7 gegenüber. Der dunkle Mann öffnete nur ungern. Das war zu sehen. Seine Haltung drückte Widerwillen, Ablehnung aus. Sein schwarzes Buch hatte er in der Hand. Ob er es wohl beim Schlafen weglegte? Sicher nicht, der hatte das mit im Bett – wohl unter dem Kopfpolster.

„Ich muss Ihnen sagen, dass wir Polizei im Haus haben“, eröffnete Ezra.

Der Mann zog seine Brauen zynisch hoch: „Das kann doch wohl nicht sein.“ Er sagte das mit einem kleinen, überlegenen Lächeln.

Was heißt, das kann nicht sein? Natürlich war das so nach einem Mord. „Wir haben einen Toten. Deshalb ist das notwendig.“

„Einen Toten?“ Der Mann war deutlich erschüttert und schwer erschrocken. „Das kann nicht sein.“ Für ihn war das unglaubwürdig bis unmöglich. „So etwas gab es hier noch nie – die sind nicht so.“

Während die anderen die Mitteilung eher stoisch aufgenommen hatten, gab es bei ihm echte Erschütterung.

„Ich kann mir vorstellen, dass so etwas in einer so kleinen Gemeinde eher nicht vorkommt.“ Ezra versuchte das Gespräch weiter zu spinnen.

„Sie sind einfach nicht so. Die Polizei ist auf dem Holzweg“, fast zornig wurde ihm das entgegengeschleudert. Dann krachte die Türe zu.

Am Weg zu seinem Empfangspult überlegte Ezra, was das eben zu bedeuten hatte. War der Mann aus der Region und verteidigte seine Gemeinde? Aber so hatte es nicht wirklich geklungen. Wer war „einfach nicht so“? Mit einem Mord hätte der nicht gerechnet. Womit hatte der dann gerechnet?

Ezra ging mit dieser Frage den langen Gang bei den Zimmern entlang und scannte im Vorbeilaufen kurz die Ecken – keine Spinnweben, keine Mäuse. Hatte er etwas übersehen? Eine große Vase mit Blumen überdeckte Risse in der Wand. Die hatte er erst am Vortag dort arrangiert – wegen der Risse. In seiner Hektik und dem Stress fragte er sich auch kurz, ob er gestern vielleicht einen Toten im Hof übersehen hatte. - Nein, sicher nicht. Der wäre sogar ihm aufgefallen. Wolfgang hatte vermutet, dass Warhol im Hof erschossen wurde. Er müsste also zuerst einmal im Hof gelegen haben.

Wann war das Ganze wohl passiert?

Er hatte jedenfalls gar nichts bemerkt. Wann hatte er denn im Hof zu tun gehabt? Ezra konnte sich einfach nicht erinnern, wann er dort war. Sein letztes Bild waren die Tische und Sesseln mit den Tischtüchern – die hatte er aber eigentlich nicht in den Hof gestellt. Er hatte sie zwar aus dem Haus geholt, wo er den Toten dann gefunden hatte, aber nicht in den Hof gebracht, sondern nur durchgetragen. Hatte da vielleicht etwas gelegen, was dort nicht hingehörte? Nein, sicher nicht.

Er hatte alles in den Durchgang zum Parkplatz gestellt, weil dort die Türe neben dem Speiseraum ins Freie führte. Man konnte von dieser Stelle nicht wirklich in den Hof hineinsehen, weil die Hausecke den Blick verstellte. Seine Gedanken kreisten um den Toten und gleichzeitig schuldbewusst um alles, was er übersehen haben konnte und im Hintergrund arbeitete sein Organisator-Hirn und plante die To-do-Liste für den nächsten Tag. Die Zahnräder knirschten im Kopf.

Er musste bei seinem Empfang vorbeischauen, ob inzwischen irgendwelche neuen Probleme auf seinem Pult lagen – natürlich unlösbar. Selbstverständlich - so war das in diesem Haus. Da kam ein Mädchen die Treppe hoch. Ein hübsches, blondes Ding. Eine von denen, die im ersten Morgengrauen draußen waren – warum auch immer – vielleicht Außerirdische betreuen oder Flugkörper parken…? Irgendwas in der Art.

Sie lächelte ihn fröhlich an. Er würde dann gleich auch dem Lehrer Mitteilung von dem Toten machen, aber wahrscheinlich wusste der es schon. Jetzt fand Ezra es gut, wenn er ohne lange Umwege fragte: „Wie seid ihr denn in der Früh wieder reingekommen?“

„Oh“, sagte sie. Sie hatte eine attraktive Stimme, wie eine Jazzsängerin, fand Ezra.

„Ich weiß, dass ihr draußen wart – und ihr hattet wohl keinen Schlüssel?“

„Mmmkrm.“ Sie war verlegen. Schließlich bekannte sie: „Das Fenster von der alten Speisekammer haben wir gestern aufgemacht, damit wir wieder rein konnten.“

Also Planung – hier war Logik am Werk. Himmel, die alte Speisekammer, die war einer von den Dunkelräumen, die noch keine Abklärung bekommen hatten – nur die Kühlkörper hatte er hineingestellt, - für Besucher absolut ungeeignet. Das Fenster war auch ziemlich schmal. Es war deutlich höher als breit. Das Bild tauchte vor Ezras Augen auf, er hätte große Mühe gehabt, dort durchzuklettern. Es ist erstaunlich, wie schlank sich so ein Jugendlicher machen kann, wenn er wo rein oder raus wollte. Wie eine Ratte.

Sie lächelte wieder und musste dann lachen.

Konnte er nach ihrem UFO fragen?

Das verlangte vielleicht zu viel Beichte auf einmal...

Kein Sommernachtstraum

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