Читать книгу Ein Kleid aus Seide - Sanne Prag - Страница 11

MITTAG

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Theresa hatte ein Problem.

Die Polizei überschwemmte neuerlich das Haus, die Burg, den Hof, den Garten, und die wollten etwas von ihr. Ritas Tod hatte eine große Bresche in ihre Brust gerissen, wie ein tiefer Spalt, der alles freilegte. Wie aufgerissene Erde nach einem Erdbeben. Man sah in den zerfetzten Grund, der sonst immer bedeckt war. Feine braune Wurzeln, aus ihrer dunklen Heimat gerissen, wurden den Blicken freigegeben. Sie hatte das Gefühl, als ob man in ihre Brust schauen konnte, und ihr bloßes, nacktes Herz machte dort bup, bup, bup in dem geöffneten Raum. Man konnte einfach hineingreifen, hinein in das, was da lebte, es zusammendrücken, herausziehen…

Sie hatte versucht, alles wieder auf die Reihe zu kriegen, sich zu beruhigen und wieder vernünftig zu werden. Da stand ein Polizist hinter ihr. Er fragte, ob sie Theresa Rugola hieße, und sie solle mitkommen. Was um Himmels willen wollten die von ihr? Sie hängte das leerste Gesicht ein, das sie konnte, ausdruckslos, unberührt, einfach, so sicher wie eben möglich. Sie ging mit ihm, weil ja nichts Anderes möglich war. Durch Gänge, über Treppen, schließlich landeten sie bei einer Türe. Dahinter waren schrille, aufgeregte Worte zu hören. Die Türe wurde aufgerissen. „Sie beschuldigen mich! Wie komme ich dazu!“, schrie Frau Ponhomy aufgebracht. Ein Herr in mittlerem Grau sprach mit beruhigend tiefer, sonorer Stimme, wie mit einem störrischen, nervösen Pferd. Aber die Burgherrin war nicht zu beruhigen. „Es ist ja klar, dass immer nur die Ehefrau in Frage kommt, wenn einer stirbt. Immer nur die Ehefrau kann ihm hinübergeholfen haben. Mein Mann hatte zwar schwierige Kontakte in ganz Europa, auch über Europa hinaus, ständig war er in Angst und Sorge, aber die Ehefrau ist es gewesen!“ Sie lief heraus und knallte Theresa und dem Polizisten die Türe vor der Nase zu. Gestern, mit der hübschen Samenkapsel auf dem Kopf und den tiefen Ponyfransen, war sie ein viel netteres Pferd gewesen.

Der Polizist klopfte vorsichtig und schob Theresa ins Zimmer. Ein Riesenraum, kalt, an der Ecke einer langen Tafel saß der mittelgraue Mann mit einem jungen Mann, der auf einem Laptop schrieb. Theresa ging wie auf dem Laufsteg auf die beiden zu. Sie taufte den älteren der beiden Graumann. Der erhob sich höflich und sagte eine Reihe von Sachen, die sie alle nicht verstand, weil ihr Hirn auf Abwehr geschaltet war.

Dann kam die Frage: Ob sie irgendetwas zu den beiden Todesfällen wisse, sagen könne. Was konnte sie wissen?

„Fangen wir an, uns gemeinsam zu überlegen, was sie gestern wohl gemacht haben“, meinte er mit der beruhigenden, sonoren Pferdestimme. Theresa hielt ihren Blick leer, ihre Stimme leer, schließlich konnte sie noch nicht erkennen, um was es ging. „Ich habe gearbeitet“, wisperte sie so blöde wie möglich.

„Ja, das verstehe ich. Nur, wie genau war das?“

Theresa blickte ihn verständnislos an. Er sollte bitte genau sagen, was er wollte, damit sie entscheiden konnte, was sie ihm mitteilte und was nicht.

„Sie waren den ganzen Tag hier und die Modeschau war erst für Abend geplant.“ half er ihr.

„Ja“, sagte Theresa nachdenklich.

„Wie verlief denn ihr Tag hier?“

„Ja, ich bin aufgestanden“, wisperte Theresa träumerisch und machte Pause, eine lange Pause.

Der Herr beobachtete sie genau: War sie blöde oder nur vorsichtig? Er versuchte zuerst, sie für vorsichtig zu halten, und gab ihr daher eine Erklärung – ein 18-jähriges Model war wahrscheinlich kaum an kriminellen Aktivitäten beteiligt. Es war mehr die Frage, ob sie etwas gesehen hatte, etwas wusste. „Wir versuchen, Informationen aller Art zu sammeln“, sagte er ihr, „weil beide Todesfälle zwar scheinbar Unfälle waren, es spricht aber einiges dagegen.“

„Oh“, sagte Theresa und ihre Hirnmaschine lief an. Dass Ponhomy von irgendjemandem umgebracht worden war, konnte sie gut glauben. Aber Rita? Wer sollte Rita etwas antun wollen? Warum sollte irgendjemand Rita umbringen wollen? Während sie an Rita dachte, stahlen sich Tränen in ihre Augen, ungeplant, ungewollt, leise.

Der graue Herr bemerkte das sehr wohl. Er reichte ihr ein Taschentuch und meinte: „Die junge Dame war wohl eine Freundin. Es tut mir leid. Die Sache ist die, dass sie wahrscheinlich erschlagen wurde. Das vorgetäuschte Bild stimmt nicht, ist einfach falsch. Der Stein in Hundeform war zwar ursprünglich oben knapp unter der Decke, und wahrscheinlich war er auch schon ein wenig locker, aber er wurde herausgebrochen, ist nicht von allein gefallen. Er hat auch nicht den Kopf ihrer Freundin aus voller Höhe getroffen, sondern nur mit einer Wucht von etwa zwei Metern, und er wäre beim Fallen weiter in Richtung der Wand gelandet, wenn er von seinem ursprünglichen Platz gekommen wäre.“ Er ließ diese Erklärung wirken. Er wollte Mitarbeit von ihr, nicht Widerstand.

Theresa verdaute die Information mühevoll, langsam und schmerzhaft. Rita war erschlagen worden. Aber warum um Gottes Willen?

Was war jetzt wichtig? Festzustellen, wo die Gefahr lag, einfach genau die Areale der Sicherheit abgrenzen, und vor allem die der Unsicherheit. Wo nahm hier Mord seinen Ausgang? „Und Ponhomy?“, fragte sie still, ihr Blick war inzwischen wach, wenn auch immer noch vorsichtig.

Graumann nahm das wahr und hatte eine Entscheidung in einer schwierigen Situation zu treffen. Eigentlich wollte er nicht so viel Information ausgeben, aber wenn er jetzt dicht machte, würde sie auch dicht machen und er bekäme keine Antworten mehr. Die Geschichte über den Tod von Ponhomy wären in Kürze sowieso Allgemeingut. Die Zeitungen lagen auf der Lauer und würden toben. Daher war Geheimhaltung sinnlos, bis auf einige Details. „Ponhomy wurde mit einer Schrotflinte in den Rücken geschossen, aus etwa drei Metern Entfernung“, offenbarte er. „Ein Jagdunfall sieht anders aus.“

Da gab es also eine gefährliche Schrotflinte und gefährliche Steine, die aus Wänden gebrochen wurden, erkannte Theresa.

„Könnten Sie in den letzten Tagen irgendetwas beobachtet haben? Könnten Sie z.B. einen Grund nennen, warum ihre Freundin dort war, wo sie umgekommen ist?“, fragte er eindringlich.

„Rita wollte gestern ihre Liebe treffen. Ich habe sie gedeckt, weil sie zur Show nicht zurück war. Das war so ausgemacht.“ Graumann war nicht Udo. Sie hatte beschlossen, dass sie ihm solche Dinge sagen wollte. „Futzi wollte ihr wahrscheinlich einen Heiratsantrag machen, und deshalb war das so wichtig“, erzählte Theresa nun willig. „Sie war noch bei mir, bevor sie weggegangen ist.“

Graumann hatte zu denken.

„Warum sie dort war, wo sie gefunden wurde, kann ich mir nicht vorstellen“, fuhr Theresa fort. „Am ehesten hat sie sich verlaufen. Rita hatte keinen sehr guten Orientierungssinn. Es war für sie immer schwierig, irgendwo hinzufinden. Ich denke mir, Futzi hat sie hergebracht, irgendwann in der Nacht, und hat sie beim Tor rausgelassen, und sie hat geglaubt, sie findet ins Zimmer...“

… Und dann war sie in einem entlegenen Winkel des Hauses gelandet, wo keiner rechnete, dass irgendjemand hinkommt. Und was hatte sie dort getroffen? Was war ihr begegnet? Was hatte ihr das Leben gekostet? Das konnte sich der Kommissar nicht einmal annähernd vorstellen. Aber immerhin war ein Stückchen des Unerklärlichen heller geworden. Das schöne Kleid war nicht ein Teil der Modeschau, sondern ein Tribut an die Liebe. Sie war schon lange vor der Modeschau weggegangen, um Liebe zu treffen. Wahrscheinlich war sie erst nach der Modeschau zurückgekommen, das war etwa zehn Uhr. Und nach Verdacht des Arztes hatte sie dann bald ihr Ende gefunden. Wo war sie hineingestolpert, das arme hübsche Ding? Und wer war Futzi? Laut fragte er: „Wer ist Futzi?“

„Das weiß ich auch nicht“, sagte Theresa. „So lange war das noch nicht. Ich weiß nur, Futzi hat sich sehr bemüht. Tolle Einladungen zum Demel und in die Oper und riesen Blumensträuße. Irgendein Italiener aus guter Familie, sehr katholisch.“ In Graumanns Kopf kreiste die Frage, wie Futzi wohl aufzustöbern war. Da sagte Theresa: „Ich habe schon etwas Komisches gehört, was Ponhomy betrifft.“

Herr Graumann musste sein Programm umstellen, umschalten auf Ponhomy.

„Mit irgendeiner Frau hat er vor der Türe zum Empfangsraum gesprochen, vorgestern. Es ging um Geld. Sie sollte irgendetwas bezahlen und sagte, sie könne nicht so viel locker machen. Er sagte, das sei ihm wurscht, und sie müsse schauen, wo sie es herkriegt, sonst müsste sie die Folgen tragen, oder so ähnlich.“

Ja, das klang wie Erpressung. Herr Graumann wurde deutlich fröhlicher – ein klares Motiv.



Ein Kleid aus Seide

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