Читать книгу Ein Kleid aus Seide - Sanne Prag - Страница 7
SPÄTER NACHMITTAG
ОглавлениеDer Pickup stand an der Mauer. Ezra überlegte, was zuerst zu tun wäre. Er hatte gerade noch gesehen, wie die tote Form ins Haus geschoben wurde, als er ausstieg.
Den Job als Assistent, Bühnenbildner und Mädchen für alles hatte er aufgetrieben, weil er ja schon öfter Film mit Saphyr gemacht hatte. Vielleicht konnte er sich Produktionsassistent nennen? Die Gage war von ihm dieses Mal ein wenig tiefer angesetzt worden, weil er die Arbeit unbedingt haben wollte, und es hatte geklappt.
So konnte er Wolfgang helfen. Der Freund seiner Kindertage brauchte einen Begleiter, einen verlässlichen Helfer, auch einen Grund, anwesend zu sein. Wolfgang hatte Ezra vor fünf Tagen nur mitgeteilt, dass er einen Auftrag von der Zentrale hatte, sehr wichtig und vielleicht gefährlich, und er musste technisches Equipment einbauen und bräuchte einen Grund, warum er auf Leitern stehend Dinge in Burg und Haupthaus montierte. Seine eigenen Arbeitskollegen konnte er nicht brauchen. Ihnen war nie wirklich zu trauen. Alles zwiespältige Typen, raffiniert, hart, tüchtig, aber wohl nicht verlässlich und vor allem nicht bedingungslos auf seiner Seite. Die würden nicht für ihn einstehen, wenn es hart auf hart ging…
Die Sache klänge sehr bedrohlich, hatte Wolfgang zu Ezra gesagt. Wahrscheinlich ganz übel, und keiner wüsste, wie weitreichend. Sie schienen gerade zu einer der weitreichenden Folgen zurechtgekommen zu sein – ein Kegel in dem Spiel war umgefallen, weggeschossen. Ein Kegel weniger, das nannten die dann wohl Jagdunfall.
Ezra sah überall im Hof betretene Leute mit Gewehren stehen. Schrotflinten mehrheitlich, soviel er sah. Ein Jagdunfall? Konnte das tatsächlich ein Jagdunfall sein?
Wolfgang murmelte: „Der Dritte.“
„Wieso der Dritte?“
„Ein Autostopper ist abgängig und ein Bauer auf unklare Art in seinem Stadel verbrannt.“ Das klang sehr ungut in Ezras Ohren.
Ein blasses, sehr großes, dünnes Mädchen in grauen Sachen stand allein. Hatte sich mit einem alten Herrn unterhalten, der gerade von einem Polizisten ins Haus geführt wurde.
Ezra holte sein Handy aus der Tasche und rief in der Produktion an. Saphyr selbst hob ab. „Wir sind gerade in der Burg angekommen und da ist jemand tot“, meldete Ezra. „Polizei rundum. Was sollen wir machen?“
„Wer ist tot?“, fragte Saphyr interessiert. Das Mitgefühl des Produzenten war begrenzt. Sein inneres Auge sah eine Werbekampagne gewaltigen Ausmaßes für seinen Film. Dramatische Entwicklungen waren ihm gerade recht.
Wen konnte Ezra fragen? Handy am Ohr ging er zu einer breiten Dame mit einer weißen Mesche im dunklen Haar, sie trug ein auffallendes Jagdkostüm und einen sehr beunruhigten Blick. Er fragte einfach: „Wer ist tot?“
Sie schaute ihn unglücklich an. „Ponhomy“, sagte sie schließlich.
Saphyr hatte mitgehört. „Verdammt, das bringt das Projekt in Schwierigkeiten.“ Ezra hörte ihn heftig und reichhaltig fluchen. „Finde sofort raus, wer erbt“, brüllte er ins Handy, dass die Luft zitterte. „Wir können das Projekt nicht einfach fallenlassen, nur weil der beschließt, zu sterben.“
Wie sollte das gehen? Ezra konnte nicht von Mensch zu Mensch gehen und fragen, wer Ponhomy beerbt.
Eine kurze Besprechung mit Wolfgang. „Wir tragen die Sachen vielleicht am besten in die Burg und legen sie dorthin, wo sich die Mode von Sanguin eingenistet hat.“
Als sie den Raum gefunden hatten, war dort eine Besprechung in Gang. Das blasse, dünne Mädchen kam auch gerade bei der Türe herein. Udo stellte das Programm auf Trauermode um, grauschwarze Kopftuchkreationen. „ …Blumenköpfe wie nach dem ersten Frost“ – „…der Tod ist anwesend, um Schönheit zu schauen und sie dann verwelken zu lassen“, verkündete er.
Das Mädchen stellte sich hin und hob einen hellen, dünnen Arm. Ein blaurötlich schillernder Fleck auf ihrem Oberarm erinnerte Ezra an den Abdruck einer Hand.
Ein Scheinwerfer wurde aufgedreht. Udo probierte mit einem leichten, grauen Material, steckte Form an ihrem Körper, und Ezra konnte im Scheinwerfer nur diesen bösartig schillernden Fleck sehen, auf einem extrem dünnen Mädchenarm.
Wolfgang hatte zwei sehr schwere, sehr große Taschen herein gebracht. Sein Blick war zornig, unwillig. Schließlich kam er zu Ezra und murrte: „Du musst heimfahren. Das geht so nicht. Wenn schon wieder ein Mord passiert ist, kannst du nicht bleiben.“ Ezra überlegte gerade, wie ein solcher Fleck an eine solche Stelle gekommen sein konnte, außer von einer Hand. Es war fast nicht möglich, sich an diesem Punkt anzuschlagen. Er probierte Bewegungen, bei denen ein solcher Fleck entstehen konnte. „Warum sollte ich jetzt fahren?“, meinte er, während er seinen Arm in verschiedenen Winkeln vom Körper wegschwang. „Ich weiß ja gar nicht, wie das mit dem Film jetzt weitergeht. Vielleicht gibt’s einen anderen Job hier, damit ich dir helfe.“
„Nein, du sollst fahren, weil die Sache stinkt. Ich will nicht auf dich auch noch aufpassen müssen“, sagte Wolfgang grimmig.
Ezra musste lachen. Wolfgang verhielt sich gelegentlich ihm gegenüber wie eine Glucke. Hatte offensichtlich immer wieder das Gefühl, dass ein so verwöhnter Knabe nicht widerstandsfähig sein konnte.
„Ja aber, die Zentrale hat mich gewarnt. Hat gesagt, das da stinkt ganz übel, und dann kommen wir grade zu einem Unfall zurecht. – Kein Mensch glaubt an einen Unfall.“
Wolfgang regte sich sonst nie auf. Er hatte besonderes Wissen seit seiner Kindheit. Sein Vater hatte viel Zeit hinter Gittern verbracht, und als Knabe begegnete ihm überreichlich Erfahrung mit dem kriminellen Teil der Menschheit. Es gab kaum Sicherheit im Kinderzimmer. Mit acht Jahren bereits war er in der Lage gewesen, Schlösser zu knacken und eine Waffe zu laden und war völlig illusionslos. Einbruch, Hehlerei, Fälschungen kamen damals täglich bei ihm vorbei. Rotlichtmilieu und Drogenhandel waren ihm mit zwölf vertraut gewesen wie sein Badezimmer. Ezra hätte davon in seiner heilen Bürgerwelt nie erfahren, hätte es nicht seine Freundschaft mit Wolfgang gegeben. Er hatte sehr viel Wissen von ihm profitiert, fand er selbst, denn dieses Wissen wäre anders nie in seine Nähe gekommen. Seine beiden Mütter hatten sorgfältig darüber gewacht und alles vertrieben, was zwielichtig und interessant war.
Er hatte durch Wolfgang bereits in der Grundschule begonnen, Informationen zu sammeln, die sonst nicht zu haben waren. Nur seine Mutter und seine Tante hatten das anders gesehen – leicht panisch. Dieser Junge ist kein Umgang! Das ist ein übles Pack. Der Vater war schon mehrfach im Gefängnis. Solche Aussagen hatten die Freundschaft sehr vertieft.
„Wo fangen wir an?“, fragte Ezra Wolfgang entschlossen. Er dachte noch immer an das dünne Mädchen. Der Fleck musste von einer Hand sein, er konnte sich keine andere Möglichkeit vorstellen. Er mochte Grobheiten nicht.
„Ich muss das ganze Haus verwanzen und mit Kameras bestücken und keiner darf mich dabei erwischen“, sagte Wolfgang zu seiner Tasche und begann, darin zu kramen. Er war noch immer unsicher, ob er das Risiko für seinen Freund eingehen konnte. Andrerseits, wenn er jetzt seine Arbeit flott vorantrieb, konnte er weitgehend fertig sein, bis klar wurde, was mit dem Filmprojekt geschah. „Ich muss aufpassen, dass keiner auf die Idee kommt, was ich da tue.“
Ezra sagte: „Ach, das ist doch kein Problem. Wir sind beim Filmteam, treffen Vorbereitungen für den Film. Saphyr ist beschäftigt, den Tod von Ponhomy zu vermarkten. Der interessiert sich für die Vorbereitungen nicht, nur für die Erben.“
„Was für Erben?“
„Er wollte, dass ich herausfinde, wer nach Ponhomy erbt. Wegen der Verträge, denke ich. Ich überlege noch, wie ich das angehen könnte.“
Bepackt mit allem Notwendigen, verschwanden sie in den dunklen Gängen der Burg. Udo drapierte gerade dunkelgraue Stoffbahnen auf Theresas Körper.