Читать книгу Ein Kleid aus Seide - Sanne Prag - Страница 6
NACHMITTAG DES NÄCHSTEN TAGES
ОглавлениеNach dem Cocktailempfang war Ruhe bis am Abend gewesen. Sie hatte in dem Bett gelegen und die saubere Bettwäsche genossen. Einfach, weich, breit, ein Bett nur für sie, und keine Erinnerungen an den Beginn der Schmerzen. Einfach löschen, jedes Bild, das auftauchen wollte, wurde sofort gelöscht, sofort weggeschickt.
Am Abend hatten sie eine der üblichen Shows. Sie hatte hin- und herüberlegt und sich schließlich entschlossen, Inge den Fleck am Oberarm zu zeigen – angeblich von dem Randstein, über den sie gestolpert war. Inge war gar nicht wütend auf sie, und sie hatten die Modelle entsprechend ausgesucht. Es war noch immer schwierig mit dem Gehen, aber doch inzwischen Routine. Die dunklen Flecken an den Fußgelenken mussten nicht besprochen werden, denn sie hatten keine Erklärung.
Dann wieder Bett, herrliches weißes Bett. Und ein sehr später Morgen. Warum Jagdgesellschaften so seltsame Geräusche mit irgendwelchen Blechinstrumenten machten, war Theresa nicht erklärlich. Es schien sie alle anzuturnen, wenn irgendjemand in eine Trompete blies. Aber dann waren die alle weg und es war still gewesen. Herrlich, absolut still, man hörte sogar die Vögel zwitschern.
Rita war zu ihr gekommen, in bequemen, weichen Sachen. Sie war auf rosa Wölkchen und hatte ein Problem: Futzi, der Mann ihrer Zukunft, hatte ihr gesagt, sie solle zu ihm kommen. Sie hätten am Nachmittag etwas Besonderes vor und er wünschte sich sehr, sie bei sich zu haben. Vielleicht etwas Kirchliches? Futzi war doch so katholisch. Nur zarte Küsse auf die Wange hielt er für angebracht. Die vornehme Familie war auch sehr katholisch, das war so in Italien.
Sie hätte gesagt, sie müsste zum Auftritt am frühen Abend. Und er: „Das brauchst du dann vielleicht nicht wieder, wenn du nicht willst.“ Und jetzt dachte sie zwar, dass das ein Heiratsantrag war, aber sicher konnte sie nicht sein. War das ein Heiratsantrag?
Theresa sagte ihr, dass das wie Heiratsantrag klang, aber man sollte besser nicht seinen Job riskieren wegen fröhlicher Nachmittagsstunden. Rita schaute unglücklich. Hin- und hergerissen, zwischen ewiger Liebe und Job war sie überfordert.
Theresa merkte das und schlug ihr vor: „Ich decke dich. Wenn du zu spät kommst, sage ich, dir ist schlecht, und dass du dich ständig übergibst, und dass du kommst, wenn es dir besser geht. Schaut eh keiner nach.“ Rita war erleichtert.
Theresa war dann im Haus ein wenig herumgeschlendert, hatte ihre Maske besucht und durchs Fenster die Dame Ponhomy mit schicker, roter Samenkapsel in ein vornehmes Auto steigen gesehen, einen dunkelgrünen Jaguar. Frieden, keine Forderung an sie, wieder kurz ruhen.
Die Rückkunft der Jäger war gedrückt, fremd, eigenartig. Kein Lärm, keine Blasinstrumente. Man hörte nur ein Scharren im Hof. Sie hätte so gerne nachgeschaut, aber sie konnte nicht ans Fenster. Der Widerstand war so stark, dass sie einen Meter Abstand halten musste.
Schnell zog sie sich an, einfach, keine Arbeitsausstattung.
Im Hof lag eine Form mit einer Plane zugedeckt. Metall und Räder sah sie, und eine weiße Plastikdecke darüber. Was da lag, erinnerte sie an einen Menschen. Die Gesellschaft schlich bedrückt herum. Dann kam ein Polizeiwagen mit Leuten mit Uniform und ohne. Es dämmerte ihr, dass irgendjemand einem Unfall zum Opfer gefallen war. Kein Wunder, wenn so viele Personen im Wald herumliefen, und jeder hatte eine Waffe.
Einer in einem Schutzanzug ging hin und schaute unter das Tuch. Dann bedeutete er zweien, dass sie das Ganze ins Haus bringen sollten.
Sie konnte Ponhomy nicht sehen, aber es war vielleicht besser, nicht ihn zu fragen, er war am Vortag so ungehalten gewesen. Sie schaute über die Menschen und ihr Blick fand einen alten Herrn, der geeignet schien. Er steckte unglücklich in einem Jagdgewand und stand im Hof hilflos herum. Zu dem ging sie. „Entschuldigen…“, murmelte sie und zupfte an seinem Ärmel. Er drehte sich zu ihr um. Ohne Schminke und Verkleidung sah Theresa wie 17 aus, was sie ja fast auch war. Sein Blick wurde heller, freundlicher und interessiert.
„Ich wollte nur wissen, was da passiert ist“, sagte Theresa mit leisem Stimmchen.
„Ponhomy ist erschossen worden“, sagte der Herr.
Oh verdammt, dachte Theresa, das schöne Projekt weg. Das war schlimm. Aber er hatte sich wohl auch nicht erschießen lassen wollen.
„Wer bist denn du?“, fragte der Herr, offensichtlich hielt er Theresa für jünger als 17, obwohl er ihr nur bis ans Brustbein reichte.
„Ich bin eins von den Models hier bei der Modenschau, bin nur nicht hergerichtet“, erklärte sie.
„Musst du denn in deinem Alter so etwas machen? Du gehörst doch in die Schule.“ Der Vorwurf war nicht zu überhören.
Sie lachte. „Ja, Schule…“, sagte sie träumerisch.
„Bist rausgeflogen?“, fragte er mit grimmig zusammengezogenen Brauen.
Sie lächelte ihn an wie eine Sphinx, weil sie sich entscheiden musste, wie sie damit umging. Der war ganz sicher nicht aus der Modebranche. Da musste man nicht so aufpassen, was man erzählte: „Ich hab meine Schule in Bugoyne fertiggemacht. Mit 15, und dann musste ich weg.“
„Wo ist Bugoyne?“, fragte er.
„In Bosnien.“ Ihm wurde einiges klar. Sie kam aus dem Krieg…
Da kam ein Polizist auf sie zu und bat den Herrn, hineinzugehen, wegen der Befragung. Er ging widerwillig, drehte sich immer wieder zu ihr um. Er hätte gerne noch mit ihr gesprochen, das merkte sie. Sie blieb zurück. Ponhomy erschossen? Was bedeutete das für sie? Konnte sie irgendetwas tun, um die Situation zu verbessern?
Ein Pickup kam in den Hof gefahren. Voll beladen. Zwei jüngere Männer stiegen aus. Der eine kleiner als Therese und blond. Der andere größer, fest und dunkel. Die beiden schauten sich um, mussten sich orientieren.