Читать книгу Der chinesische Zwilling - Sarah Engell - Страница 8
Kapitel 5
ОглавлениеSie war bereits da drinnen. Ich drückte die weißen Brautschuhe in den Händen. Vater hielt zwei glänzende Silberglöckchen, mit denen er klingelte, während ich durch die Tür eintrat, und ich traute mich nicht, ihr Gesicht anzusehen.
Es überraschte mich, wie viele Geschenke es gab. Ein Haus, ein Pferd, ein Kühlschrank. Ein Topf voll Silber und ein vergoldeter Vogelkäfig mit einer Zwergwachtel.
Mutter schob mich vorwärts.
Meine Schuhe lärmten auf dem Boden, als ich durch den Raum ging und mich neben meine Braut stellte.
Das Wort fühlte sich eigenartig an. Braut. Sie sah wirklich klein aus.
Ich schielte aus dem Augenwinkel zu ihr.
Mutter hatte recht. Sie war sehr schön. Dennoch konnte ich sie nicht richtig wiedererkennen. Sie hatte ein weißes Seidenkleid an. Ihr Haar war gebürstet und glänzte. Die Augenlider trugen einen Hauch von Perlmutt. In den Händen hielt sie eine weiße Lilie. Erst nach einiger Zeit erkannte ich, dass sie aus Papier war.
„Seid ihr bereit?“, sagte Vater.
„Ja“, sagte ich.
Vater stellte die beiden Silberglöckchen weg und kam zu uns. Seine Krawatte war rot, so wie meine. An der einen Brusttasche steckte eine Goldnadel. Sie betrachtete ich, als er zu sprechen begann.
„Wir haben uns heute versammelt, um einen jungen Mann und eine junge Frau in einer heiligen Ehe zu vereinen.“
Er sprach laut, auch wenn nur wir da waren. Die Worte dröhnten in dem stillen Wohnzimmer. Mutter stand neben ihm und blickte zu Boden. Vater sprach vom Anfang des Universums, davon, wie alles zusammenhing, und währenddessen dachte ich an Schmetterlinge und Geister und daran, im Sandkasten begraben zu werden. Ich dachte an meinen Bruder, der immer noch draußen war.
Vater tätschelte mir die Schulter. „Bist du da, Yin-Yin?“
„Was?“
„Das bist jetzt du.“
Ich blinzelte fest, und alles war wieder da. Die Silberglöckchen und die Hochzeitsgeschenke. Ein Haus, ein Pferd, ein Kühlschrank. Und direkt neben mir: ihre winzig kleinen nackten Füße.
Yin-Yin. So nannte Vater mich immer, wenn er wollte, dass ich etwas tat, wozu ich keine Lust hatte.
Ich kniete mich hin. Fasste sie an einem Knöchel. Es war schwer, ihr die Brautschuhe anzuziehen. Die Füße waren so klein, und auch wenn sie nichts sagte, hatte ich Angst, dass es ihr wehtun würde. Ich schloss die kleinen Silberschnallen und erhob mich wieder. Vater tätschelte mir die Schulter.
Er zog ein Schmuckschächtelchen aus der Jackentasche.
„Willst du, Yin-Yin, Wu-Lin zu deiner Ehefrau nehmen?“
„Ja“, sagte ich.
„Und willst du, Wu-Lin, Yin-Yin zu deinem Ehemann nehmen?“
„Ja“, sagte Mutter, da Wu-Lin nicht antwortete.
Die Ringe waren dünn und glänzten. Sahen wie echtes Gold aus.
Wu-Lins Haut sträubte sich, als ich ihr den Ring über den Knöchel schob.
Den anderen Ring streifte ich mir selbst über. Beugte und streckte die Finger.
Mutter trocknete sich wieder unter den Augen, und Vater hielt die Handflächen über uns.
„Ich ernenne euch hiermit zu Mann und Frau. Du darfst die Braut küssen.“
Ich sah Wu-Lin an. Sah wieder weg.
Mein Metallherz trommelte immer stärker. Der Rest des Körpers war erstarrt.
„Du bist ein großer Junge“, sagte Vater.
Ich nickte. Ich trug eine Krawatte wie Vater. Ich schaffte das schon.
In meinem Kopf rauschte es, als ich die Luft anhielt und mich vorbeugte. Dann küsste ich Wu-Lin auf den Mund.