Читать книгу Die Schwelle - Sascha Heeren - Страница 15

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Bill, du gottverdammter Arsch!

Natürlich steckte Bill dahinter. Das war seine Rache dafür, dass er die Datei im falschen Verzeichnis abgespeichert hatte. Und Bills Eskapade auf der Tanzfläche dank Sams Streich war wohl auch irgendwie damit verknüpft. Klar!

Aus dem Augenwinkel sah er, dass Goforths Bürotür weit offenstand. Sein Blick fiel auf den klobigen Holzschreibtisch. Dann auf ein halbes Tier, das an der Wand in den Raum hineinhing und beinahe den Eingang versperrte. Eine in der Mitte halbierte Antilope – eine sehr eigensinnige Jagdtrophäe. Zahlreiche kleinere Trophäen heimischer Rehböcke schmückten die seitliche Wand. Ihn beschlich das Gefühl, wenn er nur lange genug suchte, einen Mitarbeiterkopf zu finden. Zugetraut hätte er es Goforth.

Neugierig ging Sam zur Tür. Das Büro war leer.

„Machen Sie Schluss damit, sonst tu ich es. Ich bring dich um, du dreckiger Hurensohn!“, zischte es aus dem Inneren.

Er trat über die Schwelle.

Aktenschränke bis unter die Decke. Ein paar Familienfotos und ein Spruchbild: CARPE DIEM. Es hing verstaubt zwischen den Trophäen.

Er war gewissermaßen unbefugt eingetreten und brauchte eine gute Ausrede, wenn er nicht als erste Mitarbeitertrophäe enden wollte.

Plötzlich stand Goforth im Türrahmen.

„Hallo, Sam“, begrüßte er ihn verdutzt, aber professionell, so, wie ein erfahrener Chef es mit peinlichen Situationen umzugehen versteht.

„Was geht hier vor?“, fragte Sam abwesend und schaute sich weiter um, schließlich war er nicht ohne Grund reingekommen: Er wurde gelockt.

„Was kann ich für dich tun, mein Junge?“

Vatermasche. Sam wurde speiübel. Er hasste ihn noch mehr, wenn er ihm so kam.

„Nichts, Sir. Ich hab nur nach ’nem Word-Schnellstarthandbuch gesucht.“

Die Geschichte mit der Stimme aus Goforths Büro wollte er für sich behalten: keine gute Geschichte.

„Ist das alles?“, fragte Goforth.

„Ja, das ist alles.“

„Ich werde das Servicecenter anweisen, dir eins zu schicken. Einverstanden?“

„Toll, danke.“

„Wiedersehen, Sam.“

Er war freundlich. Aber da schwang etwas Bedrohliches in seinem Tonfall mit, etwas, das durch ein Lächeln verborgen blieb.

Erwische ich dich noch mal in meinem Büro, dann nagele ich dich höchstpersönlich an die Wand!

„Das Word-Schnellstarthandbuch?“, flüsterte ihm Michelle Brown vom Besuchersessel in seinem Büro entgegen.

Unter ihrem Rocksaum sah er ihre blasse Haut. Ihre Beine waren fest übereinandergeschlagen, als wollten sie sagen:

Um hier was zu öffnen, brauchst du mehr als ’n Brecheisen, mein Junge.

„Hä? Hi, Michelle.“

Nein, Michelle ist kein Brecheisen.

„Das Word-Schnellstarthandbuch? In Goforths Büro? Du hast geschnüffelt, was?“ Sie zwinkerte ihm zu wie wohl einst der Löwe der Antilope an Goforths Wand.

„Und du hast gelauscht, was?“

Sam ließ sich nichts anmerken. Er behielt eine unbeteiligte Miene bei.

„Man hört halt, was man hört, abgesehen davon, dass dir zu lauschen, mir immer eine große Freude ist.“

Michelle Brown war Anfang dreißig, sah aber jünger aus. Während bei Tessa das Liebreizende, Zärtliche überzeugte, bestach Michelle durch ihre sinnliche Aura. Tess war lieb, Michelle war geil. Das beschrieb es am besten, auch wenn Sam nicht genau sagen konnte, wo das eine aufhörte und das andere anfing. Ihr glattes kupferfarbenes Haar musste ein kaschiertes erotisches Stromnetz sein. Er war überzeugt, dass er sich einen Schlag holen würde, wenn er es berührte. Aber er war auch überzeugt, dass sie genau wusste, was sie wollte. Sie hatte Anglistik studiert. Irgendetwas mit Shakespeare. Sie machte ihm Angst. Nicht im grausigen Sinne. Er konnte sie nur nicht einschätzen, er wusste zum Beispiel nicht, weshalb ihre Augen funkelten. Wie ihr kupferfarbenes Haar. Das bereitete ihm eine neugierige Angst.

Sam versuchte inständig, nicht wie der kleine Junge zu wirken.

„Könntest du die Plantago-Datei wieder in den Zentralrechner geben?“, schwindelte er. „Ich brauch sie gleich.“

„Und was krieg ich dafür?“

„Äh …“

Er grinste blöd, denn das war nicht die Antwort, die er erwartet hatte.

Obwohl.

„Ich hab nur Spaß gemacht, Sam, ich geb sie gleich zurück.“

„Danke. Darf ich dich was fragen?“

„Klar“, lächelte sie verheißungsvoll.

„Glaubst du, dass es Dinge gibt, die die sichtbare Welt übersteigen?“

Michelle löste ihre übereinandergeschlagenen Beine, sodass Sams Blick über ihre Innenschenkel glitt und er freie Sicht bis zu ihrem Slip bekam. Sie wusste, was sie tat.

„Hm, ich glaube, wir sind umgeben von Dingen, die wir nicht sehen. Oder die wir erst dann sehen, wenn wir anfangen, danach zu suchen.“

Michelle machte es ihm schwer. Sie spielte mit ihm. Wie er jetzt aus der Nummer wieder rauskommen sollte, ohne weiter zu erröten oder sich zum Kasper zu machen, wusste er nicht. (Odysseus hatte ein ähnliches Problem mit der Sirenen-Insel, und auch wenn er letztlich widerstehen konnte, so machte es ihm die Neugier unnötig schwer.) So blieb ihm nur ein Lausbubenlächeln und die Monroe in der Hinterhand.

Er zog Marilyn aus der Brieftasche. Zumindest würde sie ihm etwas Zeit verschaffen.

„Ich weiß, du magst diese alten Filmstars.“

So schlecht diese Überleitung auch war, sie funktionierte.

„Ah! Lass mal sehen!“

Sie riss ihm die Schwarz-Weiß-Postkarte aus der Hand und las das Gedicht auf der Rückseite.

„Sieht aus, als wär jemand schwer in dich verknallt!“

„Ist wohl eher ’n Scherz.“

„Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“

Michelle ließ die Karte spielerisch durch ihre Finger gleiten.

„Welches?“

„Sie ist von mir!“, flüsterte sie, drückte die Karte zärtlich an seine Brust und verließ sein Büro.

„Hat der Katzenstreuner nix zu tun?“

Coon, auf dem Sprung zum Wasserspender, warf einen verächtlichen Blick in Sams Büro.

„Gab’s heute Nachmittag ein Problem mit dem Netzwerk? Eines meiner Dokumente ist verschwunden“, sagte Sam.

„Du hast ein Dokument verschlampt? Du setzt ja echt Maßstäbe in Sachen Inkompetenz!“, stieß Bill kopfschüttelnd aus. „Ruf den Admin an und buch dir einen Grundkurs für Computeranfänger.“

Kopfschüttelnd füllte er den Plastikbecher mit Wasser und setzte sich wieder an seinen Platz.

Die Schwelle

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