Читать книгу Sagen Sie doch, was Sie wollen! - Saskia Schottelius - Страница 7

1.2 Sprachmissbrauch

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»Kein schlechter Gedanke«

Schauen wir uns die verschiedenen Arten von »Sprachmissbrauch« – denn darum handelt es sich, sobald wir Sprache als verletzendes Instrument oder sogar als Waffe benutzen – etwas genauer an:

Negative FormulierungenNegative Worte: nicht, kein, nein, nie; Präfixe und Suffixe wie Miss-, -los; Harte Worte, SchimpfwörterNegative Imperative: Pass auf, lass das sein, geben Sie herMetaphorische Sprache: fühle mich »kaputt«, »ausgelaugt«, »zerbrochen«Ex negativo gedacht: Sie rufen außerhalb unserer Bürozeiten an; letztes Jahr standen hier Rosen
Positiv gemeint, aber doppelt negiert2 oder relativiertNicht schlecht, nicht übel, nicht neu, kein Fehler, kein schlechter Gedanke/keine schlechte Idee, da kann man nicht meckern, ich kann nicht klagen, da hab ich nichts dagegen, das ist auch nicht dumm; ich will Sie nicht weiter langweilen …Echt gut – das kann ich nicht anders sagen! Tu dir keinen Zwang an! Sie hat nicht ganz Unrecht. Red keinen Unsinn. Mach keinen Blödsinn.Da kann man nicht nein sagen. Das ist nicht von schlechten Eltern! Mach uns keine Schande! Eigentlich ganz gut, ziemlich toll, schon klasse, ganz gut (im Sinne von »mittelmäßig«) halt (Modewort im Sinne von »eben«)3, oder ich weiß nicht was
Positive Formulierungen, negativ gemeint4Das hast du ja mal wieder toll gemacht!Bist du auch schon da!Das hat mit gerade noch gefehlt!Ich werd dir gleich helfen!Na, hast du dich schick gemacht? Ich mach dir Beine!Hast du ’ne Ahnung!Gute Frau …Mach doch, was du willst!Das wär ja noch schöner!Sie können sagen, was Sie wollen!/Sagen Sie doch, was Sie wollen!

Negative Formulierungen

Beobachten wir unsere Alltagssprache, so fällt auf, dass wir Botschaften an andere häufig in Form von Befehlen oder Verboten aussenden. Wir rechtfertigen das gerne mit Zeitdruck (schnell ein Kind vor einer Gefahr warnen) oder behaupten, das sei im Arbeitsalltag klarer, praktischer, verständlicher usw.

Unser Denken: prinzipiell offen für mindestens zwei Aspekte

In Wirklichkeit haben wir nie gelernt und noch weniger geübt, die Dinge andersherum auszudrücken, eben positiv, bejahend – und das bedeutet: motivierend. Wie jedes Ding, so hat auch die Sprache, jedes Wort, jede Formulierung zwei Seiten. Und dahinter steht unser Denken: prinzipiell immer offen für mindestens zwei Aspekte. Das kennen Sie doch: Das Glas ist halbvoll oder halbleer.

Harte Worte: die fallen oft in Streitgesprächen. Aber haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, dass es tatsächlich harte und weiche Worte gibt? Berühmteste Beispiele dazu sind »maluma« und »takete«. Na, wie klingt das in Ihren Ohren? »Maluma« klingt weich, freundlich und angenehm, »takete« spitz, scharf und kantig-grantig. Selbst die Worte, die ich wähle, um beides zu beschreiben, passen wiederum in diese Kategorien. Das ist übrigens nicht nur Spielerei. Unsere Konsonanten – je nachdem wo sie im Mund- oder Rachenraum gebildet werden – können weich und hart sein. Nach dieser »Lautverschiebung« können wir Sprachen, Dialekte und ganze Völkergruppen voneinander unterscheiden – je nachdem ob die Konsonanten hart und kräftig (p, t, k), mittel (b, d, g) oder weich gesprochen werden (f, th, ch): Pater – Vater – Father5. Unsere negativen Formulierungen und Imperative gehören über ihre negative Botschaft hinaus meistens auch noch zu den harten Worten und unser Tonfall wird ziemlich schroff dabei. Hören Sie mal nach!

Positiv gemeint, aber …

Eigentlich wollten Sie etwas Positives sagen: freundlich, unterstützend, anerkennend. Aber Sie sagen es nicht. Stattdessen verpacken wir unsere Begeisterung oder Lobeshymne in kleinmachende, abschwächende und einschränkende Wortklammern: »eigentlich, ziemlich, irgendwie, sozusagen …« – selten hat etwas einfach Spaß gemacht oder jemand wirklich etwas uneingeschränkt gut gemacht.

Es scheint schwer zu sein und große Gefahren nach sich zu ziehen, etwas Positives beim Namen zu nennen. »Frau Haupt, das haben Sie ausgezeichnet gemacht.« Na, hören Sie schon das »aber«? Richtig, wir können kaum etwas hervorheben, ohne nicht im gleichen Atemzug die »Gunst der Stunde« zu nutzen und gleich wieder mit schweren Sprachgeschossen aufzufahren: »aber bitte vergessen Sie die Rechnungen nicht«.

Oder machen Sie mal einen Punkt hinter Ihrem Lob: »Das gefällt mir sehr gut.« Was würde passieren? Alle warten geradezu schon darauf, dass da noch etwas hinterherkommt: »Was will der/die denn jetzt schon wieder von mir? Der will sich wohl bei mir einschleimen. Der will mich wohl verschaukeln.« Frei nach dem Motto: »Der, der lobt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.« Ja, lügen wir denn alle immer? Nein. Wir haben es nur nicht gelernt und sind es nicht gewohnt, Anerkennung auszudrücken und auch anzunehmen. Das ist in unserer Gesellschaft nicht üblich.

Der, der lobt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.

Stattdessen benutzen wir doppelte Negationen, die für die anderen doppelt schmerzhaft sind, wenn wir den psychologischen Effekt von negativer Sprache bzw. negativen Sprechens bedenken. Warum muss ich sagen, da hab ich nichts dagegen, wenn ich eigentlich dafür bin? Wie kommt es zu der »Anerkennung« »das ist nicht von schlechten Eltern«, wobei es die Formulierung, »das ist aber von guten Eltern« gar nicht gibt? Und muss ich mich auf eine angebotene Praline mit »da kann ich nicht nein sagen« bedanken, wenn ich doch einfach »o ja gerne« sagen könnte?

Wenn ich nach einem wunderbaren Abend sage: »Das Musical war ganz toll. Das kann ich nicht anders sagen!«, dann nehme ich mein uneingeschränktes Lob gleich wieder in Schutz, so als wäre es verboten, etwas so uneingeschränkt Positives zu formulieren. Warum soll ich es denn anders sagen können? Heißt das, in unserer Gesellschaft muss eigentlich anders, nämlich negativ-»kritisch« gesprochen werden, um ernst genommen zu werden? Was für ein Bild wirft das auf unsere Lebenswirklichkeit? Oder ist das nur ein speziell deutsches Phänomen?

Ich glaube nicht, denn in vielen anderen Sprachen finden sich ähnliche Wendungen. Das bedeutet aber, etwas überzogen formuliert, dass wir in einer Welt leben, die vom Negativen ausgeht. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist eine hervorragende Leistung nämlich nicht ganz so negativ, zum Beispiel »gar nicht so schlecht«. Oder, wenn ich davon ausgehe, dass in unserer Welt immer geklagt wird, kann ich, wenn es mir sehr gut geht, erklären: »Och, ich kann nicht klagen!« Ist das Essen gut, dann ist es eben nur so gut, dass man sagen kann: »Das Essen war echt prima, da kann man nicht meckern!«

Negativ gemeint, aber …

Oft lügen, vertuschen oder verdrehen wir einfach auch, weil wir es ebenso nicht gelernt haben, klar und deutlich, bestimmt und doch sachlich unsere Meinung zu sagen. Verrückterweise sind die wenigen klaren positiven Sätze (wie »das hast du ja toll gemacht«), nach denen unser Ich so dürstet, genau da zu finden, wo sie wieder völlig entwertet werden, »ver-rückt« werden, nämlich negativ gemeint: »Das hast du ja mal wieder toll gemacht!« Da heißt es nicht: »Juhu, schön, dass du schon da bist«, sondern: »Schön, dass du auch schon da bist« – nämlich viel zu spät, wie sich am Unterton heraushören lässt.

Und warum machen wir das? Weil wir feige sind. Weil wir Angst haben, die Wahrheit, nämlich ein klarer Vorwurf, könnte viel zu hart klingen, die anderen könnten sauer auf uns sein, und wir selber wollen auch gar nicht zugeben, wie enttäuscht wir sind. So helfen uns diese verlogenen Formulierungen, Wut und Ärger hinunterzuschlucken und höchstens noch in Form von Magenschmerzen weiter zuzulassen.

»Ich bin total sauer auf dich. Seit einer halben Stunde warte ich hier vor der Tür und jetzt ist mir der Spaß am Kino vergangen.« Sagen wir das, haben wir wenigstens die Chance auf ein klares Wort wie »Entschuldigung« und können unseren Zorn »austragen«. Bei »Toll, dass du auch schon da bist« begegnet uns eher ein ebenso unehrliches wie vertuschendes »Ach, lass mich doch in Ruhe« und der Abend ist gelaufen. Glauben Sie, dass der andere das ernst meint und wirklich in Ruhe gelassen werden will? Nein, natürlich tut es ihr oder ihm Leid – »irgendwo«. Nur, wie sag ich das?

»Sagen Sie doch, was Sie wollen!« Der Titel dieses Buches ist genauso zweischneidig, je nach Akzent. Das könnte eine Aufforderung sein zum klaren, bestimmten und offenen Sprechen. Dahinter hören wir aber auch ein »Ach, sagen Sie doch, was Sie wollen …« (ich glaub Ihnen sowieso nicht/ich hör doch nicht auf Sie). Schöne, neue Welt.

Sagen Sie doch, was Sie wollen!

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