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5 | DAS GLÜCKSGEFÜHL

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Erinnern Sie sich daran, als Sie noch Jungfrau waren und sich Ihre Freunde über ihre Orgasmen unterhielten? Sie konnten sich nur vorstellen, wovon sie sprachen. Aber als Sie zum erstenmal selbst einen Orgasmus erlebt hatten, gab es keinerlei Zweifel daran, ob Sie einen gehabt hatten oder nicht. Der Unterschied, ob man einen hatte oder nicht, ist einfach zu groß, als daß man es anzweifeln könnte. Nun, dasselbe gilt für das »Erwachen«. Gleichzeitig mit der »Erlösung« des Erwachens stellt sich das »Glücksgefühl« ein. Aber im Gegensatz zu einem Orgasmus, der nur ein paar Sekunden anhält, ist das Glücksgefühl fast ständig da. Wenn Sie einmal erkannt haben – »ICH BIN DAS« – sind Sie nie wieder derselbe Mensch.

Ich kann Ihnen keine akkurate Definition von diesem Glücksgefühl geben, aber ich kann es beschreiben. Die erste und vorherrschende Erfahrung des Glücksgefühls ist die überwältigende Freiheit. Das war für mich etwas ironisch, weil ich immer gehört hatte, daß das Erwachen hauptsächlich durch Verzückung gekennzeichnet sei, und hier saßich nun in einem Hochsicherheitsgefängins mit Schießtürmen und rasierklingenscharfem Stacheldraht um mich herum und spürte nichts weiter als Freiheit. Ja, es gibt auch die Erfahrung von Glückseligkeit, aber die ist nicht so dominierend und beständig wie die totale Freiheit von Begrenzungen. Wenn man in Verzückung gerät, gebärdet man sich vorübergehend wie ein tolpatschiger Dummkopf, während einem das erfüllende Gefühl der Freiheit ein normales Leben ermöglicht.

Die sekundäre Wirkung des Glücksgefühls besteht in einem ganz ausgeprägten Gefühl tiefen Friedens. Eines Friedens, von dem es in der Bibel heißt, er übersteige jegliches Verstehen. Dieser Frieden beruht zum Teil auf der Einsicht, daß – da es nur BEWUSSTSEIN gibt – auch alles wahrhaft gut und richtig ist. Man kommt sich vor wie im freien Fall des Lebens und des menschlichen Dilemmas, aber da ist ein riesiges Sicherheitsnetz, das einen auffängt, falls sich Angst einstellt. Während ich damals in einem Meer von Leiden und inneren Konflikten schwamm und nur gelegentlich auf eine Insel der Erleichterung traf, läßt mich das Glücksgefühl jetzt in einem Ozean von Frieden leben, in dem ich nur ab und zu auf eine Insel momentaner Verkrampfung stoße. Vor meinem Erwachen spürte ich ständig trotz all der Dinge, die ich besaß – Reichtum, Gesundheit, romantische Liebe, Macht oder Erwachsenenspielzeuge – eine frei schwebende, große Angst, daß etwas ganz schrecklich schief lag, daß ich kurz vor einer Katastrophe stand und daß ich durch einen bösen Zufall auf dem falschen Planeten geboren worden war. Gleich unter diesem Gefühl eines bevorstehenden Verhängnisses wütete ein anderer Störenfried, der diese Angst schürte. Ich mußte irgendwie etwas schrecklich Wichtiges tun, aber ich wußte einfach nicht, was. Und so stürzte ich mich in einen endlosen Kampf mit meinen Waffen der Ablenkung wie Drogen, Sex und Rock‘n‘Roll, um das durch diese Ängste ausgelöste Unbehagen und sogar spürbare Leid wenigstens für eine Weile zu lindern.

Das Glücksgefühl verwandelte all dies in das beständige Wissen, daß nicht nur alles gut und richtig ist, sondern auch, daß es nichts zu tun gibt oder man irgendwo hingehen müsse und daß Verstehen alles ist. Eine andere Ebene des Glücksgefühls ist die süße Freude, durch die man alles durch die Augen der QUELLE als frisch und neu erfährt. Die gesamte Natur, alle anderen Menschen, alles Belebte und Unbelebte ist gleiches und reines BEWUSSTSEIN und sollte als solches angenommen und verstanden werden. Die Dinge sind, wie sie sind! Was für eine Freude! Und da Sie für keinerlei Kausalität oder Wirkung mehr verantwortlich sind, können Sie durch das Glücksgefühl alles so genießen – wie es ist! Sie brauchen nichts zu verändern, verbessern oder vernichten. Einfach sein und das, was ist, als das genießen, was es ist! Die Erfahrung ähnelt einem beständigen Freudegefühl, das alles wie ein Summen oder Raunen begleitet. Es ist nicht die taumelnde Verzückung, die einen manchmal umhaut, wenn man unter Tränen nur noch Stoßseufzer der Dankbarkeit von sich geben kann.

Ich hätte, ehrlich gesagt, Mitgefühl als wichtigsten Ausdruck des Erwachens und des Glücksgefühls erwartet. Ich hatte ja viel über Buddha und seine starke Betonung von Mitgefühl gelesen. Aber wenn ich so die Welt und das Dilemma des Menschen aus der Perspektive der QUELLE heraus sehe, dann sehe ich die Dinge einfach in ihrem Sosein, genau wie sie sein sollen – vollkommen von der inneren Weisheit des BEWUSSTSEINS belebt, gestaltet und gelenkt. Und somit ist meine Reaktion: »Ah, das Leben ist guuuuuuut! Ich sehe jetzt hinter dem augenscheinlichen Leiden eine harmonische Gleichung von Freiheit und Begrenzung, an der sich das BEWUSSTSEIN erfreut. Laut der Schöpfungsgeschichte hat Gott nach der Erschaffung der Welt gesagt: »Meine gesamte Schöpfung ist gut.« Dies ist zu meiner Definition von Liebe geworden. Die Dinge so annehmen – wie sie sind, weil es nichts anderes als BEWUSSTSEIN gibt. Sicher, es gibt auch noch Empfindsamkeit und Mitgefühl für das Leiden anderer, aber es liegt alles etwas anders, als es zu sein scheint. Durch den Erlösungsprozeß vertieft sich ganz allmählich das Verständnis, durch das das Leidensdilemma des Menschen als unergründliche WEISHEIT der QUELLE angenommen wird.

Das Glücksgefühl setzte sofort mit dem Erwachen ein und bescherte mir eine ganz neue Erfahrung. Ich nenne diese Empfindung einfach mal das »Wicdcrcrlangen der ursprünglichen Unschuld« im Gegensatz zur »Erbsünde«, die wir alle aus der Bibel kennen. Für mich ist die Erbsünde der von der QUELLE geschaffene Zustand, der das Dilemma des Menschen erzeugt. Zu unseren körperlichen Merkmalen gehört u.a. auch ein Gehirn bzw. Intellekt, dessen Funktion als Empfänger des BEWUSSTSEINS darin besteht, Sinnesdaten zu erfassen, sofort zu analysieren und zu vergleichen, um dann ein von Polaritäten bestimmtes Urteil abzugeben: gut oder schlecht, akzeptabel oder unakzeptabel sowie angenehm oder unangenehm. Dies entspricht dem göttlichen Plan, auch wenn jedes Werturteil zu einer begrenzenden Verengung führt. Selbst wenn man etwas als »wunderbar« beurteilt, ist die Kategorie »wunderbar« nur dann möglich, wenn es auch das Gegenteil »schrecklich« gibt. Adam und Eva verloren ihre ursprüngliche Unschuld und wurden aus dem Garten Eden vertrieben, als sie vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen aßen. Sie gerieten mit anderen Worten aus ihrem glückseligen Zustand ursprünglicher Unschuld in den Konflikt der Erbsünde, indem sie von da an jeden Gedanken bewerten mußten. Jetzt hat sich der Vorgang wieder umgekehrt, und aus der Sichtweise der QUELLE, die alles als Ausdehnung des BEWUSSTSEINS und in seinem Sosein annimmt, spielen Werturteile, Vergleiche und Meinungen keine Rolle mehr. Und man hat das Gefühl, als sei einem eine schwere Last von Kopf und Seele genommen worden. Das meine ich, wenn ich sage, ich hätte meine ursprüngliche Unschuld wiedererlangt, und sie ist wesentlicher Bestandteil des Glücksgefühls. So definiere ich Freiheit.

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