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3 | DER VORGANG DES ERWACHENS
ОглавлениеDas Erwachen selbst ist ein plötzlicher und dramatischer Vorgang, aber die Ereignisse, die dahin führen, dürften in der Regel Schritt für Schritt eintreten. Manchmal sind tragische Vorkommnisse wie z.B. eine lebensbedrohende Krankheit, der Verlust der Mobilität, einer Karriere, eines geliebten Menschen oder finanzielle Schwierigkeiten hilfreich, um das rauhe Äußere all unserer Identitätsschichten aufzuweichen, so daß das innere Wissen um unser wahres Wesen zutage treten kann.
Als ich über den Vorgang des Erwachens bei anderen las, bin ich auf ein paar Gemeinsamkeiten gestoßen.
Es kommt zu einer todesähnlichen Erfahrung, bei der das Ego bzw. die persönliche Identität verlorengeht.
Es wird der Versuch aufgegeben, den gesamten Prozeß und alle Aussagen in bezug auf Gott oder spirituelle Dinge zu verstehen. Schließlich läßt man von jeglicher Anstrengung im Hinblick auf das Erwachen ab.
Diesem folgen anfänglich Wellen der Verzückung, die später in ein Gefühl tiefen Friedens einmünden.
Die zwei Jahre, die ich in Erwartung meines Urteils in diesem »Kerker von Kalkutta« verbrachte, bildeten das letzte intensive »Suchen« auf meiner Reise. Ich hatte Zugang zu sämtlichen Büchern, Kassetten und Videos, die man mir schickte, und da ich meine Metallkoje nicht verlassen konnte, gab ich mir eine Überdosis an Metaphysik und Meditation. Gerade in dem Moment, wo ich das Distriktgefängnis verließ, um in ein Bundesgefängnis auf Terminal Island in San Pedro, Kalifornien, verlegt zu werden, trafen mich die ersten Schockwellen intuitiver Erkenntnis. Sie konzentrierten sich um eine Technik der Selbstbefragung, die ich sehr intensiv praktiziert hatte: »WER BIN ICH?« Ich erahnte, daß ich mit meinem begrenzten Geist weder Gott erkennen noch dem spirituellen Weg folgen konnte, also gab ich es einfach auf. Mit diesem Ergeben kam die erste Flutwelle der Erleichterung und Seligkeit. Ein paar Wochen später war ich auf Terminal Island gerade damit beschäftigt, mich das erstemal innerhalb von zwei Jahren wieder an den Anblick von Sonne, Mond, Sternen, Meer, Möwen, Pelikanen, Seehunden, Blumen, Bäumen und Gras zu gewöhnen, als mich die zweite Phase dieses Ergebensprozesses traf. Ich wußte nicht nur nichts über Erleuchtung, ich konnte auch nichts dafür tun! Auch auf diese Erkenntnis folgten wieder haushohe Wellen von Glückseligkeit und Erleichterung. Das Erwachen war jetzt vollständig. Danach kamen dann die Auswirkungen dieses intuitiven Erkennens in meinem alltäglichen Leben. Diesen Vorgang nenne ich inzwischen »Erlösung.«
Lassen Sie uns aber noch einen Moment bei diesem Erwachensprozeß bleiben. Um diesen individuellen Sack von Haut und Knochen für das Erwachen vorzubereiten, zerschlug der GEIST bedenkenlos jegliche Vorstellung von einer persönlichen Identität bzw. einem »Ego«, das er bis an diesen Punkt so sorgsam vorbereitet und genährt hatte.
Ich wurde nicht nur aus einem bequemen Leben voller Spaß und liebevoller Unterstützung herausgerissen und dann in diesen »Kerker von Kalkutta« gesteckt, sondern ich erlitt einen psychischen Tod, der in jeder Hinsicht so real wie der letzte Vorhang selbst war. Vom Tage meiner Verhaftung an und für mindestens die ersten zwei Monate danach fühlte ich mich wie ein wandelnder, sprechender Toter, der keine Ahnung hat, wer er ist. Ich wußte nur, daß es keine Verbindung mehr zu dem gab, was ich zuvor für »mich« gehalten hatte. Aber irgendwie spürte ich, daß diese Todeserfahrung, wie schrecklich sie auch war, mit einer schon bald stattfindenden Wiedergeburt verknüpft war. Noch besser gefiel mir der Gedanke, daß ich in einem 50-jährigen Körper wiedergeboren werden würde, anstatt noch einmal die Demütigungen des Kindseins ertragen zu müssen.
Na gut, ich geb ja zu, daß es in den Jahren davor Zeiten gegeben hat, wo ich (wahrscheinlich unter dem Einfluß von Zauberpilzen) inspiriert ausrief: »Herr, nimm mich jetzt um jeden Preis. Ich will nach Hause! Ich werde alles tun, um zu dir zu gelangen!« Ich glaube jedoch nicht, daß der endgültige Tod des Ego jemals schmerzlos vonstatten geht oder das Ego freiwillig losgelassen wird, ganz gleichgültig was der unwissende Mund auch sagt.
Es kam mir zu der Zeit etwas merkwürdig vor, aber etwa nach einem Jahr im Distriktgefängnis überkam mich plötzlich wie aus heiterem Himmel das Interesse, die Werke von Ramana Maharshi zu lesen. Ich erinnerte mich an diesen Namen aus ferner Vergangenheit aus dem Munde von Rajneesh. Ich hatte mir gerade ein Jahr lang mehrere Hundert Bänder von gechannelten Wesen wie Ramtha, Seth, Abraham, Lazarus, Emanuel, Bartholomew (mein Lieblingswesen) und unzähligen »aufgestiegenen« Meistern wie Sananda und Ashtar angehört. Daraus können Sie ersehen, daß mein Wunsch nach Ramana zu dem Zeitpunkt recht abwegig war. Zusammen mit Ramanas Büchern schickte mir ein Freund ein Exemplar von I Am That von Maharaj Nisargadatta und Wake Up and Roar I und II von Poonjaji. Alle diese Männer stehen im wesentlichen in derselben Tradition des Advaita-Vedanta3 oder der Nichtzweiheit und verfolgen eine ziemlich geradlinige und am Advaita orientierte Denkrichtung. Das war höchst interessant. Ich verschlang ihre Werke zu der Zeit und las sie immer wieder, weil ich darin etwas fand, was mir Zeichen gab. Aber was mich wirklich traf, war das Buch eines gewissen Ramesh Balsekar, eines Schülers von Nisargadatta, das ich zufällig ein Jahr später in die Hände bekam, nachdem ich die anderen Advaita-Leute gelesen hatte. Er sagt zwar nichts anderes als seine Freunde, aber er drückte es höchst anmutig in nur einem Satz aus, der mir mitten ins intuitive Herz ging. Seine Meister hatten mir ein paar Advaita-Kostproben gegeben, die ein Jahr brauchten, um bis in mein Herz durchzudringen, sowie Mantras in Form von Fragen wie »WER BIN ICH?« und voilà! Der Blitz schlug ein. In seinem ersten Kapitel sagte er nichts weiter als: »Es gibt nur BEWUSSTSEIN (die QUELLE – ALLES, WAS IST – GOTT).« WOW!!! Er sagte es, und ich konnte es tatsächlich sehen, erkennen, fühlen, wie es in mir brannte, und anfangen, es zu leben.
In der Advaita-Lehre ist Gott die QUELLE und das SUBJEKT allen BEWUSSTSEINS. Alles andere ist die Erscheinung bzw. das Objekt des SUBJEKTS. Aber in diesem Fall sind SUBJEKT und Objekt ein und dieselbe Energie.
Die Rolle des »Handelnden« kann nur dem SUBJEKT zukommen, wenn wir diese beiden Begriffe SUBJEKT und Objekt in der Welt der Zweiheit bzw. Erscheinungen erst einmal in der Vorstellung getrennt haben.
Die Rolle dessen, der »gehandelt« wird, der Marionette sozusagen, kann nur dem Objekt des Subjekts zukommen und nicht dem Subjekt weiterer Objekte.
Also Leute, darauf läuft‘s hinaus! Ihr habt keinen freien Willen. Ihr trefft nicht die Wahl.
Ihr seid nicht der Handelnde.
Und es gibt da draußen auch keinen anderen Handelnden.
Es gibt nur BEWUSSTSEIN, das jeweils durch den einzelnen Körper/Geist-Organismus, unseren Sack von Haut und Knochen, handelt.
Wenn Ihnen dies erst einmal klar ist, und damit meine ich so klar wie z.B. dem Apostel Paulus, als er durch eine Art göttlichen Blitz niedergestreckt wurde und ihm die Unwissenheit seines früheren Denkens wie ein Licht aufging, dann, würde ich sagen, haben Sie Ihren Weckruf erhalten. Allein der Gedanke, daß BEWUSSTSEIN alles ist, was es gibt, und daß ich nicht der Handelnde bin, hielt mich monatelang in einem Glückseligkeitstaumel gefangen. Ich kann gut nachvollziehen, wie Buddha einfach zwei Wochen lang unter seinem Bodhi-Baum sitzen blieb, als er seinen Weckruf gehört hatte. Ramana Maharshi saß drei Jahre lang reglos auf einem Berggipfel, nachdem sein Wecker losgegangen war. Er war tatsächlich so ausgemergelt und von Insekten zerfressen, daß er kaum wieder den Berg herunterkam.
Das Erwachen selbst ist ein plötzliches Ereignis. Es mag so aussehen, daß sich die dahin führenden Ereignisse nach und nach einstellen, aber was passiert, ist folgendes: Nehmen wir an, wir alle erklimmen Stufe um Stufe zum Erwachen. Das SCHICKSAL, die Dienerin der QUELLE, hat festgelegt, daß der und der auf der 697. Stufe erwacht. Dieser müht sich also Jahr um Jahr ab und erreicht Stufe Nummer 692, auf der er allmählich das Licht am Horizont erblickt. Aber auf Stufe 697 macht es plötzlich PENG! Da ist es, anscheinend plötzlich, obwohl es bis dahin 696 Stufen gebraucht hat, um ihn für das Erwachen aufzuweichen.
So, damit haben Sie den Zauberwecker für Ihren Weckruf:
»Es gibt nur Bewußtsein.«
»Du bist nicht der Handelnde.«
Warum drang also in der ganzen Zeit, wo ich Ramana, Nisargadatta und Poonjaji im Jahr zuvor gelesen hatte, dieses durchschlagende Wissen nicht zu mir durch? Es stand bei allen in ähnlicher Form geschrieben, nur nicht in genau denselben Worten. Ich verstand sie nur nicht, weil ich meine vorbestimmte Stufe noch nicht erreicht hatte. Aber als ich »zufällig« auf ein Buch von Ramesh stieß und seine einleitenden Worte las, da stand ich plötzlich da auf meiner symbolischen Stufe 696 mit einem Fuß in der Luft. All die vorangegangenen 54 Jahre waren nur ein Weichmachungsprozeß für diesen einen überwältigenden Augenblick gewesen. Die zwei Jahre in dieser Gefängniszelle hatten jegliches Hängen an der EgoIdentität so weit ausgelöscht, daß die QUELLE jetzt als Identität des ICH-BIN-DAS-SUBJEKT durchdringen und aufscheinen konnte.