Читать книгу Wir kamen mit der Mayflower - S.C. Bauer - Страница 10

Der Sturm

Оглавление

Wir be­fin­den uns auf ho­her See, als die May­flo­wer in die Win­ter­stür­me ge­rät. Das Schiff tanzt wild auf und ab in dem un­ru­hi­gen Ozean und wir wer­den or­dent­lich durch­ge­schüt­telt. Ich den­ke be­un­ru­higt an Pe­ters Wor­te, die nun wahr zu wer­den schei­nen.

Durch das Schau­keln des Schif­fes, wird das flaue Ge­fühl im Ma­gen, zu an­hal­ten­der Übel­keit.

Unser Le­ben, das zu­vor schon sehr un­be­quem war, wird nun zur Qual.

Der Sturm presst das Schiff in die Flu­ten und durch den Druck dringt Was­ser durch die Rit­zen des Schif­fes, und durch­nässt uns bis auf die Haut. Das sti­cki­ge feuch­te Zwi­schen­deck, auf dem wir zu­sam­men­ge­pfercht hau­sen, ist er­füllt von dem Wür­gen und Spu­cken, das uns der dau­ern­de Brech­reiz ab­ver­langt. Das Ge­räusch der ge­quäl­ten Men­schen, die ihren Ma­gen­in­halt wie­der nach oben be­för­dern und der wi­der­lich säuer­li­che Ge­ruch von Er­bro­che­nem wir­ken an­ste­ckend und kaum einer von uns bleibt von der See­krank­heit ver­schont.

Die See­leu­te ma­chen sich über unser Elend lus­tig und be­schimp­fen uns als stin­ken­de lä­cher­li­che Land­rat­ten, die es ver­die­nen wür­den, dass die See sie ver­schlingt. Ein Mat­ro­se treibt es be­son­ders wild mit sei­nen Ver­un­glimp­fun­gen. »Ich freue mich schon da­rauf, euch den Fi­schen zum Fraß vor­zu­wer­fen. Hof­fent­lich kre­piert ihr bald an eu­ren Lei­den! Dann wer­de ich mir all eu­re Sa­chen neh­men und mir ein gu­tes Le­ben da­mit ma­chen«, ruft er uns ge­häs­sig zu. Mich er­schreckt sein Hass auf uns und ich ver­su­che, nicht hin­zu­hö­ren und ihn so gut es geht zu mei­den.

Wil­liam But­ten, der jun­ge Mann, der mit Sa­muel Ful­ler, Su­san­nahs Bru­der, als Die­ner an Bord kam und der die gan­ze Zeit schon kränk­lich ist, geht es be­son­ders schlecht. Er ist blass und dünn und hat mit einem hart­nä­cki­gen Hus­ten zu kämp­fen. Nun macht ihm die See­krank­heit noch mehr zu schaf­fen, so­dass er apa­thisch auf sei­nem Stroh­sack liegt und sich kaum noch rührt.

Sa­muel Ful­ler, der in Lei­den eine Aus­bil­dung als Chi­rurg ab­sol­viert hat, küm­mert sich um ihn. »Wir müs­sen ihn auf die Sei­te dre­hen, sonst er­stickt er an sei­nem Er­bro­che­nem«, be­merkt er und Su­san­nah und ich hel­fen ihm da­bei, den jun­gen Mann in die Sei­ten­la­ge zu dre­hen.

»Ich blei­be bei ihm und ach­te da­rauf, dass er sich nicht wie­der auf den Rü­cken rollt«, er­klärt sich Su­san­nah be­reit. Ihr Bru­der nickt ihr dank­bar zu und geht zu sei­nem Stroh­sack, um ein we­nig zu schla­fen. Ich set­ze mich zu ihr und leis­te ihr Ge­sell­schaft.

But­tens Zu­stand ver­schlech­tert sich im Lau­fe der Nacht. Er hat kaum noch Kraft, den zä­hen Schleim ab­zu­hus­ten, der ihm ab­wech­selnd mit der wäss­ri­gen Flüs­sig­keit hoch­kommt, die er er­bricht. Su­san­nah holt ihren Bru­der Sa­muel und ich pas­se auf, dass But­ten auf der Sei­te lie­gen bleibt. Dr. Ful­ler legt sein Ohr an den Brust­korb des Jun­gen und schüt­telt be­dau­ernd den Kopf. »Da ist ein Ras­seln und Pfei­fen zu hö­ren, ich fürch­te, er lei­det an der Schwind­sucht. Wir kön­nen nicht viel für ihn tun.« Sa­muel kehrt wie­der zu sei­ner Ko­je zu­rück.

Mei­ne Mut­ter, die nach Eli­za­beth ge­se­hen hat, kommt zu uns he­rü­ber einen Lum­pen an den Mund ge­presst, um das gal­le­bit­te­re Zeug auf­zu­fan­gen, das auch sie stän­dig hoch würgt. Sie wirft einen Blick auf das lei­chen­blas­se Ge­sicht von But­ten und sieht, wie er zit­tert, ob­wohl wir ihn dick in Woll­de­cken ge­wi­ckelt ha­ben. »Geh und hol Dr. Hea­le, den Schiffs­arzt, Pri­scil­la. Er sieht nicht gut aus«, for­dert sie mich mit erns­tem Blick auf.

Ich raf­fe mich auf. Mir ist schwind­lig und trotz­dem ich mich sehr be­mü­he mei­nen Brech­reiz zu unter­drü­cken, kommt mir beim Auf­ste­hen ein Schwall hoch. Ich dre­he mich schnell weg und er­bre­che mich auf die feuch­ten Plan­ken und auf mein Kleid.

Su­san­nah scheint es gar nicht zu be­mer­ken, aber mei­ne Mut­ter wirft mir einen stra­fen­den Blick zu und ich schä­me mich, we­gen mei­ner man­geln­den Selbst­be­herr­schung. Auf wa­cke­li­gen Bei­nen drän­ge ich mich an mei­ner Mut­ter vor­bei, durch die Mas­se der Leu­te, die stöh­nend und wür­gend zu­sam­men­ge­kau­ert da­lie­gen. End­lich er­rei­che ich die Strick­lei­ter, die auf das Ober­deck führt und klet­te­re kraft­los da­ran hoch. Oben weht mir eine fri­sche Bri­se um die Na­se und Gischt spritzt mir ins Ge­sicht. Ich füh­le mich schlag­artig bes­ser und sau­ge die feuch­te Luft er­leich­tert ein.

Am Ober­deck wim­melt es vor Mat­ro­sen, die ver­zwei­felt ver­su­chen, die Se­gel ein­zu­ho­len wäh­rend der Wind das Schiff gna­den­los peitscht und die Wel­len mit oh­ren­be­täu­ben­dem Ge­tö­se gegen die Plan­ken kra­chen. Nie­mand ach­tet auf mich.

Ich gön­ne mir einen Mo­ment und leh­ne mich mit ge­schlos­se­nen Au­gen an die Wand­ver­tä­fe­lung neben der Lu­ke. Als ich die Au­gen wie­der öff­ne, steht plötz­lich Mi­les Stand­ish vor mir. Sei­ne dunk­len Lo­cken sind feucht und wild zer­zaust, sein Ge­sicht ist ge­rö­tet. Er sieht aus, wie der Zau­be­rer Pro­spe­ro aus mei­nen Jung­mäd­chen­träu­men, die ich hat­te, nach­dem ich Shakes­peares Stück, »Der Sturm«, ge­lesen ha­be.

Er mus­tert mich mit be­sorg­tem Blick. »Geht es euch nicht gut, Miss Mul­lins.«

Ich füh­le mich zu elend, um geist­reich zu ant­wor­ten, und schütt­le nur un­glück­lich den Kopf. Sei­ne Au­gen sind vol­ler Mit­leid. Lie­be­voll legt er mir einen Arm um die Hüf­te und stützt mich, als er mich sanft zu einem der Auf­bau­ten führt, wo wir vor der sprit­zen­den Gischt ge­schützt sind. Ich las­se mich auf einem höl­zer­nen Vor­sprung nie­der und er nimmt an mei­ner Sei­te Platz. Noch im­mer liegt sein Arm um mei­ne Hüf­te und er zieht mich be­schüt­zend an sich, weil ich vor Käl­te und Er­schöp­fung zit­te­re. Einen kur­zen Mo­ment schä­me ich mich, denn er muss den Ge­ruch des Er­bro­che­nen wahr­neh­men, das auf mei­nem Kleid ge­lan­det ist. Wenn es so ist, so lässt er sich nichts an­mer­ken.

Ich emp­fin­de die Wär­me sei­nes Kör­pers so tröst­lich, sei­ne Um­ar­mung so wohl­tu­end, dass ich mei­ne Scham ver­ges­se und mit einem Seuf­zer mei­nen Kopf ein­fach an sei­ne Schul­ter le­ge. Er wiegt mich leicht in sei­nen Ar­men und ich füh­le mich si­cher und ge­bor­gen, wie nie zu­vor in mei­nem Le­ben. Es ist als wä­ren wir ganz al­lei­ne auf der Welt, nur wir bei­de und die Nacht und der Wind und das To­sen der Wel­len. Sei­ne Nä­he be­sänf­tigt so­gar die quä­len­de Übel­keit in mei­nem Ma­gen und ich füh­le, wie ich wie­der Kraft und Mut schöp­fe.

Mit mei­ner neu er­wach­ten Ener­gie fällt mir wie­der der Grund ein, wa­rum ich auf das Ober­deck ge­kom­men bin. Ich lö­se mich aus sei­ner Um­ar­mung und er lässt mich so­fort los. »Cap­tain Stand­ish, könnt ihr mir sa­gen, wo ich Dr. Hea­le fin­de? Wil­liam But­ten geht es sehr schlecht und er braucht ihn.« Er hört mir auf­merk­sam zu und hilft mir auf­zu­ste­hen. »Na­tür­lich. Ich wer­de ihn ho­len Miss Mul­lins. Aber ihr müsst wie­der nach unten ge­hen. Es ist hier zu ge­fähr­lich für euch in dem Sturm.« Er wirkt hilfs­be­reit und be­sorgt und ich bin ihm dank­bar, für sei­ne Für­sor­ge.

Er führt mich über die glit­schi­gen, feuch­ten Plan­ken si­cher zu­rück zu der Lu­ke, die zum Zwi­schen­deck führt und war­tet bis ich unten an­ge­langt bin. Dann eilt er fort und holt Dr. Hea­le. Übel­keit und Brech­reiz er­grei­fen so­fort wie­der von mir Be­sitz, als mir der Ge­stank und die ab­ge­stan­de­ne, mod­ri­ge Luft ent­gegen­schla­gen. Ich kämp­fe um mei­ne Selbst­be­herr­schung und schaf­fe es, zu Su­san­nah an But­tens La­ger zu ge­lan­gen, oh­ne mich er­neut zu über­ge­ben. Sie sieht mich fra­gend an. »Der Dok­tor wird gleich hier sein«, ver­si­che­re ich ihr. Sie sieht furcht­bar er­schöpft aus. Unter ihren Au­gen lie­gen dunk­le Schat­ten und im­mer wie­der führt sie einen Stoff­lum­pen an ihre zit­tern­den Lip­pen um die Spu­cke, die ihr hoch­kommt weg­zu­wi­schen.

»Wann hast du das letz­te Mal et­was ge­ges­sen?«, fra­ge ich sie.

Su­san­nah schüt­telt den Kopf. »Ich krie­ge nichts runter. Al­lei­ne bei der Vor­stel­lung dreht sich mir der Ma­gen um.«

Ich sor­ge mich um sie. Sie sieht ma­ger aus, nur ihr Leib wölbt sich ge­ra­de­zu gro­tesk her­vor. Das Kind in ihr zehrt ihre letz­ten Re­ser­ven auf. »Geh, und ver­su­che ein we­nig zu schla­fen, ich blei­be bei ihm«, sa­ge ich mit­lei­dig.

Su­san­nah lä­chelt mich dank­bar an. »Schaffst du es al­lei­ne?«

Ich ni­cke zu­ver­sicht­lich, ob­wohl mir nicht da­nach zu­mu­te ist. »Ja, sei un­be­sorgt. Geh nur.«

Sie müht sich auf und geht mit un­si­che­ren Schrit­ten zu der Ko­je ihrer Fa­mi­lie.

Ich se­he ihr nach und schi­cke ein Stoß­ge­bet zum Him­mel, dass al­les für sie und ihr un­ge­bo­re­nes Kind gut ge­hen mö­ge.

Mi­les kommt mit Dr. Hea­le im Schlepp­tau zu uns. Der jun­ge Arzt hört die Brust von Wil­liam But­ten ab, wie zu­vor schon Sa­muel Ful­ler. Dann fühlt er den Puls am Hals des Kran­ken. Schließ­lich seufzt er. »Seid ihr mit dem jun­gen Mann ver­wandt, Miss?«

Ich schütt­le den Kopf. »Nein. Er ist der Die­ner von Sa­muel Ful­ler. Ich hel­fe bloß, ihn zu pfle­gen.«

Dr. Hea­le sieht mich trost­los an. »Ich den­ke nicht, das er es schaf­fen wird. Sei­ne Lun­ge wird von einer Krank­heit ver­zehrt, die er schon län­ger ha­ben muss.«

Ich ni­cke und sei­ne Wor­te stim­men mich trau­rig. Auch wenn ich den jun­gen Mann nicht ken­ne und mich erst um ihn küm­me­re, seit er krank ist, be­daue­re ich, dass er ster­ben wird.

Plötz­lich er­tönt von oben ein lau­tes Kra­chen ge­folgt von dem Ge­räusch zer­split­tern­den Hol­zes und die Wucht eines Auf­pral­les lässt das Schiff bis in die letz­ten Fu­gen er­zit­tern. Einen Mo­ment lang fürch­te ich, dass die May­flo­wer aus­ei­nan­der­bre­chen wird. Sie macht einen Rie­sen­satz und wir al­le wer­den durch­ei­nan­der­ge­wir­belt. Kör­be mit Klei­dern, Stüh­le und Le­bens­mit­tel flie­gen durch die Ge­gend und die Ei­mer voll von Er­bro­che­nem und Ex­kre­men­ten er­gie­ßen sich über das gan­ze Chaos. Ich ha­be Glück, da ich schon bei dem Kran­ken auf sei­nem Stroh­sack ge­ses­sen ha­be und weich fal­le, aber But­ten rollt mit sei­nem Kör­per über mich und drückt mich zu Bo­den.

Mi­les und Dr. Hea­le, die zu Bo­den ge­wor­fen wer­den, ste­hen rasch auf und zie­hen But­ten von mir runter und hel­fen mir mich auf­zu­rich­ten. »Pri­scil­la, bist du in Ord­nung?«, ruft mir Mi­les zu und nennt mich in der Auf­re­gung das ers­te Mal beim Vor­na­men. Das fällt zum Glück aber nie­man­dem auf in dem Durch­ei­nan­der. Ich ni­cke und er bahnt sich sei­nen Weg durch das Ge­wirr aus Men­schen und Gegen­stän­den. Dr. Hea­le folgt ihm. Ich rapp­le mich hoch, um nach mei­ner Fa­mi­lie zu se­hen.

Die Leu­te sind in hel­ler Auf­re­gung, es ent­steht ein Tu­mult, als al­le ge­mein­sam zu der Lu­ke drän­gen, um auf das Ober­deck zu ge­lan­gen. Re­ve­rend Car­ver ver­sucht mit Mr. Brews­ter, sie zu be­ru­hi­gen. »So war­tet doch! Einer nach dem An­de­ren. Ihr könnt nicht al­le gleich­zei­tig hoch!« Mr. Brad­ford und Mr. Hop­kins kom­men hin­zu und unter­stüt­zen die Bei­den, in­dem sie die Leu­te zu­rück­drän­gen und da­für sor­gen, dass sie nur ein­zeln hoch­klet­tern.

Sie las­sen nur die Män­ner durch und wei­sen uns Frau­en an, zu­rück­zu­blei­ben, bis man weiß, was oben ge­sche­hen ist. Ich se­he mich um und ver­su­che die auf­kom­men­de Pa­nik zu­rück­zu­drän­gen. Im­mer­hin scheint das Schiff ganz ge­blie­ben zu sein, es dringt nicht mehr Was­ser durch die Rit­zen, als sonst auch. Ich at­me ein paar Mal tief durch, zwin­ge mich zur Ru­he und schaue nach Wil­liam But­ten. Er be­wegt sich nicht mehr, liegt re­gungs­los da und ich hö­re ent­setzt auf sei­ner Brust nach einem Herz­schlag. Nichts. Ich pres­se mein Ohr er­neut an sei­ne Brust, doch das ein­zi­ge, was ich hö­ren kann, ist das Rau­schen mei­nes eige­nen Blu­tes, das in mei­nen Oh­ren dröhnt. Plötz­lich bäumt sich Wil­liam But­ten auf und er­bricht einen Schwall Blut über mei­ne Brust. Ich fah­re ent­setzt zu­rück und schwan­ke zwi­schen Ekel und Er­leich­te­rung.

Mein Va­ter ist bei den Män­nern an der Strick­lei­ter, um auf das Ober­deck zu ge­lan­gen. Ich se­he, wie mei­ne Mut­ter auf mich zu stol­pert und krei­de­bleich wird, als sie das Blut auf mei­nem Kleid sieht. »Es ist nichts. Ich hab mir nichts ge­tan, das ist nicht mein Blut«, ru­fe ich ihr be­schwich­ti­gend zu.

Sie seufzt er­leich­tert und hilft mir den halb be­wusst­lo­sen Wil­liam But­ten wie­der auf sei­nen Stroh­sack zu le­gen. Ich grei­fe mir wahl­los einen Schal, der un­weit von mir liegt und wi­sche mir da­mit über Ge­sicht und Hän­de. Ich rei­be an mei­nem Kleid he­rum, aber es ist zweck­los, das Blut klebt ver­mischt mit Schleim eisern da­ran fest.

Lang­sam lässt der Schock nach und ich fra­ge mei­ne Mut­ter nach unse­ren An­ge­hö­ri­gen. »Dei­nem Va­ter und mir ist nichts ge­sche­hen. Jo­seph hat eine Beu­le an der Stirn, aber es ist nichts Ern­stes. Ro­bert hat sich das Schien­bein an­ge­schla­gen, als er durch die Luft flog und hum­pelt jetzt. Von Pe­ter weiß ich nichts, er muss bei der Mann­schaft auf dem Ober­deck sein.«

Ich wa­ge nicht, mei­ne Mut­ter zu fra­gen, was oben ge­sche­hen sein mag, son­dern lau­sche an­ge­strengt auf die has­ti­gen Schrit­te die über unse­ren Köp­fen pol­tern und hö­re Ge­schrei, doch ich kann kein Wort ver­ste­hen. Mei­ne Mut­ter tauscht einen ängst­li­chen Blick mit mir und wir be­kämp­fen unse­re Un­ru­he, in­dem wir be­gin­nen Ord­nung zu schaf­fen.

Cons­tan­ce kommt zu uns ge­lau­fen und bleibt wie an­ge­wur­zelt ste­hen, als sie mich er­blickt. »Al­les in Ord­nung Cons­tan­ce, mir fehlt nichts«, sa­ge ich ru­hig.

Sie schüt­telt un­gläu­big den Kopf. »Mei­ne Gü­te, du siehst aus, als wärst du kopf­über in einen Bot­tich vol­ler Schwei­ne­blut ge­fal­len.«

Ich brin­ge ein schie­fes Grin­sen zu­stan­de.

»Ist eu­rer Fa­mi­lie et­was ge­sche­hen?«, fragt mei­ne Mut­ter sie.

»Nein, wir sind al­le glimpf­lich da­von ge­kom­men. Mei­ne Mut­ter hat mich ge­schickt, um nach euch zu se­hen.«

Mir fällt Su­san­nah ein. »Ich ge­he und schaue nach den Whi­tes und Ful­lers.«

Mei­ne Mut­ter hält mich zu­rück. »Bist du ver­rückt? Su­san­nah er­schreckt sich zu To­de und ver­liert ihr Kind, wenn sich dich so sieht.«

Cons­tan­ce pflich­tet ihr bei.

Aber was soll ich tun? Al­le Ei­mer mit See­was­ser sind um­ge­kippt und das Trink­was­ser in den ver­schlos­se­nen Fäs­sern ist zu kost­bar, um es zum Wa­schen zu ver­wen­den. Cons­tan­ce nimmt ihr Schul­ter­tuch ab und legt es mir um. Mei­ne Mut­ter schaut mich prü­fend an und nickt. »Das soll­te ge­hen.« Mir fällt auf, wie ab­surd die Si­tu­a­tion ist. Kei­ner von uns weiß, ob wir nicht mit­ten auf dem At­lan­tik Schiff­bruch er­lei­den wer­den und mög­li­cher­wei­se wie Rat­ten er­trin­ken aber wir küm­mern uns bloß da­rum, die ar­me schwan­ge­re Su­san­nah nicht zu er­schre­cken, durch mei­nen blut­ge­tränk­ten An­blick.

Viel­leicht ist die gott­ge­woll­te Ord­nung, die uns Frau­en da­zu ver­urteilt ein Schat­ten­da­sein in einer von Män­nern be­herrsch­ten Welt zu füh­ren, doch nicht völ­lig un­be­grün­det, über­le­ge ich flüch­tig.

Ge­mein­sam mit Cons­tan­ce bah­ne ich mir den Weg zu dem Schlaf­platz der Whi­tes. Dort fin­de ich zu mei­ner Er­leich­te­rung eine mun­te­re Su­san­nah, die da­mit be­schäf­tigt ist Ord­nung zu ma­chen. »Sieh dir das an Pri­scil­la! Die fri­sche Wä­sche, voll von Ex­kre­men­ten, Er­bro­che­nem und schlam­mi­gem Dreck!« Sie hält mir an­kla­gend einen un­ap­pe­tit­li­chen Hau­fen Stoff ent­gegen und be­kräf­tigt da­mit mei­ne Ver­mu­tung, dass wir Frau­en tö­richt sind.

»Wie ich se­he, geht es dir gut. Ha­ben wir wirk­lich kei­ne an­de­ren Sor­gen, außer der Un­ord­nung, die hier herrscht?«

Su­san­nah hält in­ne und sieht mich ver­dutzt an. »Nein, ha­ben wir nicht. Uns geht es gut, kei­nem ist et­was ge­sche­hen, wir al­le le­ben noch!«, ruft sie er­regt aus.

»Ja, doch wir wis­sen nicht wie lan­ge noch. Weißt du, was da oben los ist? Viel­leicht geht das Schiff unter und wir ster­ben al­le«, er­wi­de­re ich eben­so auf­ge­bracht.

Ihre Schwä­ge­rin Ann, die den Bo­den wischt, gibt mir die Ant­wort. »Ob heu­te oder mor­gen, wer weiß schon, wann unser Le­ben en­det. Dann dürf­ten wir aus Furcht vor dem Tod, gar nichts tun. So­lan­ge wir at­men, wid­men wir uns den Auf­ga­ben, die der Herr uns gibt. Im Mo­ment ist es not­wen­dig, al­les sauber zu ma­chen, al­so tun wir es.« Ihre Stim­me klingt völ­lig ru­hig. Sie scheint über­haupt kei­ne Angst zu ha­ben.

Ihre Wor­te er­ge­ben Sinn und ich schä­me mich für mei­ne Ner­vo­si­tät. Su­san­nah sieht es mir an und wech­selt das The­ma. »Hast du viel­leicht eine Ah­nung, was ge­sche­hen ist?«

Ich schütt­le den Kopf. »Nein es gab einen ge­wal­ti­gen Krach und dann mach­te das Schiff einen Rie­sen­satz. Mehr weiß ich nicht.«

Su­san­nah nickt und spricht mir Mut zu. »Die Män­ner wer­den das schon wie­der hin­krie­gen, wir müs­sen auf sie ver­trau­en.«

Ich ge­he wie­der zu mei­ner Mut­ter zu­rück um sie bei Wil­liam But­ten ab­zu­lö­sen. Noch im­mer schlin­gert die May­flo­wer wild he­rum und das Ge­pol­te­re auf dem Ober­deck ist deut­lich zu hö­ren. Ich neh­me mir ein Bei­spiel an Su­san­nah und ihrer Fa­mi­lie und be­gin­ne auf­zu­räu­men. Cons­tan­ce ist zu ihrer Fa­mi­lie rü­ber ge­gan­gen und hilft ihrer Mut­ter. Es dau­ert Stun­den, bis wir er­fah­ren, was ge­sche­hen ist.

Die Män­ner keh­ren völ­lig durch­nässt und er­schöpft zu­rück ins Zwi­schen­deck, das wie­der halb­wegs be­wohn­bar ist. Pe­ter ge­sellt sich hung­rig zu uns. Ich ha­be einen Boh­nen­ein­topf mit Speck ge­kocht und ge­be ihm eine gut ge­füll­te Schüs­sel voll. Mei­ne Mut­ter ver­teilt den Ein­topf an mei­nen Va­ter, mei­nen Bru­der Jo­seph und Ro­bert. Su­san­nah hat uns ab­ge­löst an Wil­liam But­tens Bett, der sich ein we­nig er­holt hat und jetzt schläft. Ich ha­be mein ver­dreck­tes Kleid gegen ein an­de­res ge­tauscht, füh­le mich aber noch im­mer kleb­rig, da ich mich nicht wa­schen konn­te. Ich set­ze mich neben Pe­ter, um zu er­fah­ren, was pas­siert ist. Er schiebt sich den letz­ten Löf­fel des Ein­top­fes in den Mund.

»Eine Rie­sen­wel­le hat das Schiff hoch­ge­schleu­dert und auf das Was­ser zu­rück­ge­knallt. Das hat einen der gro­ßen Mas­ten um­ge­knickt, wie einen Kien­span. So war an eine Wei­ter­fahrt nicht zu den­ken. Al­le wa­ren rat­los und Ka­pi­tän Jo­nes über­leg­te so­gar, nach Eng­land um­zu­keh­ren. Wir al­le wa­ren uns je­doch ei­nig, dass eine Um­kehr kei­nes­falls in Fra­ge kommt, nach­dem wir die Hälf­te des We­ges schon ge­schafft ha­ben. Ich weiß nicht mehr wer den Vor­schlag mach­te, aber wir be­schlos­sen die Schrau­ben­win­de, du weißt schon die­ses rie­si­ge schwe­re Ding, das wir zum Bau­en der Häu­ser an Bord ge­bracht ha­ben, zu ho­len und den Mast da­mit wie­der auf­zu­rich­ten. Al­so hal­fen wir al­le zu­sam­men und schaff­ten es die Win­de an den Mast zu brin­gen. Trotz des Sturms und der wü­ten­den See ge­lang es uns, unter Auf­bie­tung al­ler Kräf­te, den Mast zu heben. Der Schiffs­zim­mer­mann be­fes­tig­te mit ei­ni­gen Leu­ten den Mast mit einer Bauern­schrau­be und nun kann die May­flo­wer wei­ter­se­geln zu den Ko­lo­nien.«

Ich schaue ihn be­wun­dernd an. Ich bin froh, dass wir wei­ter fah­ren kön­nen. Trotz al­ler Wid­rig­kei­ten sind wir so weit ge­kom­men, jetzt müs­sen wir es auch bis zum Ziel schaf­fen. Su­san­nah hat Recht ge­habt, den Män­nern zu ver­trau­en. Of­fen­bar sind die Mit­glie­der unse­rer Rei­se­grup­pe, zä­her und ent­schlos­se­ner als ge­wöhn­li­che Leu­te. Ich den­ke, dass Tap­fer­keit und Mut der Grund ist, dass wir uns so viel zu­trau­en, aber ich bin auch da­von über­zeugt, dass unser un­erschüt­ter­li­cher Glau­be eine gro­ße Rol­le spielt. Ich be­schlie­ße, mir in Zu­kunft mehr Mü­he zu ge­ben, auf Gott zu ver­trau­en, an­statt al­les zu hin­ter­fra­gen.

Wir kamen mit der Mayflower

Подняться наверх