Читать книгу Wir kamen mit der Mayflower - S.C. Bauer - Страница 4
Reisevorbereitungen
ОглавлениеMein Bruder Joseph ist jetzt den ganzen Tag draußen und hackt Brennholz klein für den Winter. »Das Haus muss mit Werg abgedichtet werden. Der Wind pfeift durch alle Ritzen«, meint meine Mutter.
Mein Vater schüttelt den Kopf: »Das lohnt sich kaum mehr«.
Er hat unser Haus vor kurzem an Mr. Bothell verkauft. Es dauert nun nicht mehr lange, bis wir fortgehen.
Ich belausche ein Gespräch meiner Eltern und erfahre, dass mein Vater zufrieden ist mit dem Verkauf. Er will die 280 Pfund, die er für unser Haus gekriegt hat, in eine Gesellschaft investieren, die von einer Gruppe von Kaufleuten gegründet wurde. Die Merchant Company finanziert unsere Reise.
Ich weiß nicht genau, wo wir hingehen und auch Joseph, mein jüngerer Bruder hat keine Ahnung. Wir haben nur erfahren, dass es ein Land ist, das sehr weit von England entfernt liegt. Wir sind beide neugierig und auch ein wenig ängstlich, weil wir nicht wissen, was uns dort erwartet.
Mein Vater nimmt Joseph mit auf den Markt, wo er zwei Ziegen und sechs Hühner kauft. Von unseren Schweinen hat er fast alle verkauft, nur vier junge Säue behalten wir. »Wir nehmen die Tiere mit, wenn wir aufbrechen«, sagt er.
Es wird unser letzter Winter in Dorking sein. Im nächsten Frühling fahren wir. Meine Mutter ist beschäftigt mit Packen. Wir müssen Werkzeuge, Kleidung und Hausrat mitnehmen. »Dort, wo wir hingehen, gibt es keinen Markt auf dem wir etwas kaufen können«, sagt sie.
Ich schaue sie ungläubig an.
Joseph hat von meinem Vater erfahren, wohin unsere Reise geht. »Wir segeln mit einem großen Schiff in die Kolonien, der Neuen Welt. Dort leben noch nicht viele Menschen und niemand stört sich an unserem Glauben«, erzählt er mir aufgeregt. Ich bin begeistert, dass sich mein Wunsch auf einem Schiff in ferne Länder zu segeln, nun doch erfüllen wird.
»Wie ist wohl das Leben in den Kolonien?«, frage ich Joseph. Er weiß es nicht und fragt meinen Vater danach. Mein Bruder erfährt, dass wir uns erst ein Haus bauen müssen und dass mein Vater jagen und fischen wird, damit wir zu essen haben. Wir nehmen auch Saatgut mit, sodass wir Getreide anpflanzen können.
Ich habe tausend Fragen, beherrsche mich aber. Meine Mutter bemerkt meine Neugierde. »Mach dir nicht so viele Gedanken, davon bekommst du Kopfweh. Vertrau lieber auf Gott den Herrn«, ruft sie mich zur Ordnung.
An einem Sonntag, nach dem Gottesdienst höre ich wie Reverend Thomas sich mit meinem Vater und einem großgewachsenen Mann mittleren Alters unterhält. Er heißt Christoper Martin und ist einer unserer Reisegefährten.
Er spricht sehr von oben herab mit meinem Vater und ich finde ihn nicht sehr sympathisch. Mein Vater scheint sich an seiner Arroganz aber nicht weiter zu stören und ich behalte meine Gedanken für mich.
»Mr. Mullins, ihr müsst endlich Mr. Weston kennenlernen. Er hat so viel für unser Unternehmen getan. Kommt doch mit nach London, wenn wir uns dort nächste Woche mit Robert Cushman und John Carver treffen«, lädt er meinen Vater ein.
Mr. Cushman und Mr. Carver sind die Vertreter einer puritanischen Gemeinschaft aus Leiden in Holland, die sich uns anschließen wird.
Langsam dämmert es mir, dass wir eine große Gruppe von Leuten sein werden, die auf zwei Schiffen in die Neue Welt segeln. Ich finde es beruhigend, dass die Puritaner aus Leiden, den gleichen Glauben haben, wie wir. Ich hoffe, dass wir uns gut verstehen und uns gegenseitig helfen werden.
Natürlich bin ich neugierig mehr über sie zu erfahren. Sobald mein Vater aus London zurückkehrt, lauschen Joseph und ich an der Tür, als er meiner Mutter von ihnen berichtet. »Stell dir vor Alice, es sind Separatisten. Wir denken, wir sind vermessen, weil wir verschiedene Inhalte unserer Kirche ablehnen. Aber diese Leute, die im Exil in Leiden leben, sind noch drastischer in ihren Ansichten. Sie wollen die Kirche Englands verlassen, wollen gar nicht zu einer zentralen Kirche gehören, sondern jede Gemeinde soll eine Kirche für sich sein. Sie denken, wir haben alle die gleichen Rechte und keiner steht über dem Anderen. Sie nennen sich selbst Saints, dazu auserwählt, Großes zu vollbringen im Namen Gottes.«
Die Antwort meiner Mutter ist zu leise, als dass ich sie verstehen kann. Ich habe fürs Erste genug gehört.
Dunkel erinnere ich mich daran, dass die Separatistenbewegung von Reverend Brown vor gut 40 Jahren gegründet wurde. Damals herrschte über England noch King James Vorgängerin die große Königin Elizabeth, die eine liberale Protestantin war. Doch die Lehren von Brown waren auch ihr zu radikal.
Die Separatisten lehnen nicht nur Weihnachten, Ostern und alle Heiligentage ab, sondern stellen die gesamte Kirchenhierarchie einschließlich aller Riten außer Abendmahl und Psalmen infrage. Selbst das »Vater unser« wollen sie nicht als bibeltreu gelten lassen.
Ihr Schicksal war schließlich besiegelt, als sie auch noch die Autorität der Königin als Kirchenoberhaupt anzweifelten. Queen Elizabeth ließ Brown und seine Anhänger, Barrow, Greenwood und Penry verhaften und wegen Hochverrats hinrichten.
Ich bin beunruhigt zu hören, dass unsere neuen Reisegefährten dieser extremistischen Lehre anhängen, und mache mir Sorgen, wie wir mit ihnen auskommen werden. Aber ich behalte meine Gedanken für mich. Meine Mutter hält Sorgen für überflüssigen Ballast, der unseren Geist verwirrt. »Die Wege des Herrn sind unabänderlich. Wir müssen uns seiner Führung beugen wie ein Blatt im Wind, sonst werden wir zerschmettert.«
Einige Wochen später begleiten wir meinen Vater, als er sich wieder nach London aufmacht und ich lerne Mr. Carver und Mr. Cushman kennen. Beide erscheinen mir freundlich und höflich und ich kann in ihrem Auftreten nichts Fanatisches erkennen, was mich eindeutig beruhigt. Die Gespräche führen die Männer anschließend alleine, während meine Mutter und ich Nadeln und Wolle in einem Laden am Hafen kaufen.
Auf der Rückfahrt von London wirkt mein Vater nachdenklich. Es hat damit zu tun, dass es Neuigkeiten wegen unseres Landpatentes gibt: »Das Patent wurde erteilt, gilt aber nur für das Gebiet an der Mündung des Hudson River.« Meinem Vater scheint nicht zu gefallen, dass unser Patent nur für eine begrenzte Region in der Neuen Welt gilt.
Schon im vergangenen Juni haben Mr. Cushman und Mr. Carver versucht von der London Company, die über Land in der Kolonie Virginia verfügt, ein Patent mit der Erlaubnis zu erhalten, dort zu siedeln. Aber die Bemühungen sind gescheitert und einige Holländer haben den beiden Agenten das Angebot gemacht, die Reise zu unterstützen. Davon hat wiederum die London Company erfahren und Thomas Weston ins Spiel gebracht.
Weston ist ein aalglatter Eisenhändler aus London, der nur seinen Profit im Sinn hat. Er wittert die Gelegenheit auf ein gutes Geschäft und verspricht, sich bei der London Company dafür einzusetzen, dass doch noch die Urkunde so ausgestellt wird, dass wir in ganz Neuengland siedeln können. Zudem hat er angeboten, private Investoren für das Unternehmen zu gewinnen, und so ist es zur Gründung der Gesellschaft der Kaufleute gekommen, die jetzt unsere Reise finanziert.
Als der Frühling da ist, steigt in mir die Aufregung wegen der bevorstehenden Reise. Eines Nachmittags kommt Mr. Martin mit Thomas Weston zu uns. Meine Mutter und ich dürfen bleiben und hören was die Männer mit meinem Vater besprechen. Mr. Weston ist sehr aufgebracht. Offenbar gibt es Schwierigkeiten wegen des Vertrages mit den Kaufleuten.
»Mr. Mullins, es ist ein Jammer. Ich war bei der London Company und konnte erwirken, dass ein weiterer Punkt in das Landpatent eingefügt wird, sodass unsere Siedlungserlaubnis für ganz Neuengland gilt. Ich arbeite noch daran, dass die Regierung dieser Regelung zustimmt. Ich denke, wir kriegen es durch. Aber es gibt Probleme mit den Geldgebern der Merchant Company. Sie murren weil sich die Kosten der Reise bisher auf fast 7000 Pfund belaufen. Wegen der hohen Summe, die das Unternehmen verschlingt, wollten einige schon abspringen. Ich musste Zugeständnisse machen, damit sie weiterhin ihr Kapital in die Reise stecken. Es gibt jetzt eine Bedingung die verlangt, dass alle Siedler bis zur Begleichung der Schulden täglich arbeiten müssen, um die Investition mit Profit zurückzuzahlen. Die ursprüngliche Bedingung, dass an zwei Tagen der Woche für eigene Erträge gewirtschaftet werden kann, wurde aus dem Vertrag gestrichen. Wie soll ich das den Leuten aus Leiden beibringen? Sie werden damit nicht einverstanden sein«, klagt Mr. Weston.
Mir erscheint die neue Klausel unannehmbar. Es bedeutet, dass wir uns alle jahrelang abschuften müssen, um unsere Schulden bei den Kaufleuten zu begleichen und kein eigenes Vermögen aufbauen können. Mein Vater wirkt genauso irritiert wie ich. »Verzeiht mir Mr. Weston, aber auch ich finde, dass die geänderten Bedingungen eine Zumutung sind. Ich werde so auch nicht unterschreiben.«
Mr. Weston kriegt einen hochroten Kopf und ich sehe, wie ihm eine Ader an der Stirn anschwillt vor Zorn. »Macht es besser Mr. Mullins, wenn ihr könnt. Ich bin nicht imstande die Geldgeber umzustimmen. Sie bleiben bei ihren Forderungen.«
Ich hege heimlich den Verdacht, dass Thomas Weston die neuen Bedingungen gut heißt. Immerhin hat er selbst sein Kapital in die Unternehmung gesteckt und ist einer der führenden Personen der Gesellschaft der Kaufleute.
Mein Vater setzt zu einer scharfen Erwiderung an, doch Mr. Martin beeilt sich zu beschwichtigen: »Aber bitte meine Herren! Wir sind doch Gentlemen. Gewiss werden wir eine Lösung finden, die uns alle zufriedenstellt.«
Sie finden sie nicht und einigen sich schließlich darauf, vorerst die geänderten Bedingungen für sich zu behalten und Mr. Carver und Mr. Cushman davon nichts zu erzählen.
Ich mache mir Sorgen, dass das Unterfangen gänzlich scheitert. Mein Vater hat all sein Geld in das Unternehmen gesteckt. Mr. Martin, hat doppelt so viel, wie wir zu verlieren, da er noch viel mehr investiert hat.
Im April sollen wir abreisen. Mr. Bothell rechnet damit, dass wir unser Haus, das jetzt ihm gehört bis dahin verlassen. Mein Vater kommt nach einer weiteren Unterredung mit Mr. Weston besorgt nach Hause. Er weigert sich, Einzelheiten zu erzählen, weil er uns nicht noch mehr beunruhigen will, aber es ist klar, dass sich unsere Abreise wieder verzögern wird.
Mr. Bothell ist nicht erfreut, verlängert aber die Frist, die wir noch im Haus bleiben können.
Meine ältere Schwester Sarah und mein Bruder William, aus der Ehe meines Vaters mit seiner ersten Frau, kommen uns besuchen. Es ist ein schmerzlicher Tag, denn keiner weiß, ob wir uns je wiedersehen. Mein Vater ist bedrückt und ich weine heimlich im Stall in das Fell einer Ziege. Sie hält ganz still und ich fühle mich etwas getröstet.
Der Sommer steht nun vor der Tür und wir sind immer noch da. Mr. Bothell´s Geduld wird dünn und er setzt uns eine letzte Frist, zu der wir das Haus verlassen müssen.
Mein Vater ist sehr angespannt und meine Mutter wird immer stiller. Mr. Cusham, kommt erneut mit Mr. Carver aus Holland, um die Reisevorbereitungen für die Leidener Gruppe abzuwickeln. Mittlerweile wissen die beiden Agenten der Leidener Gruppe von dem geänderten Vertrag und weigern sich wie erwartet, ihn zu unterschreiben. Sie versuchen, Mr. Weston und die Londoner Kaufleuten umzustimmen, aber die Verhandlungen scheitern.
Anfang Juli erfahren wir von Mr. Martin, dass es nun doch losgeht, obwohl es noch immer keine Einigung wegen des Vertrages gibt. Wir sind erleichtert und hoffen, dass nun die Abreise wirklich bevorsteht.
Mein Vater fährt voraus nach London, mit meinem Bruder Joseph und Robert Carter. Robert ist der Lehrling meines Vaters und wird uns in die Neue Welt begleiten. Ich kann ihn nicht besonders gut leiden, weil er mir gegenüber immer ziemlich schnippisch ist. Sobald mein Vater jedoch in der Nähe ist, behandelt er mich mit heuchlerischer Freundlichkeit.
Mit zwei Fuhrwerken bringt mein Vater unser gesamtes Frachtgut nach London zu dem Schiff. Das zweite Fuhrwerk fährt Robert Carter.
Meine Mutter und ich folgen einige Tage später nach. Ein Cousin von mir, Peter Browne, den ich bis dahin nicht kennengelernt habe, wird uns ebenfalls auf unserer Reise begleiten. Er bringt seine riesige Mastiff-Hündin Birdie mit. Sie leckt mir die Hand und lässt sich von mir streicheln.
Peter lacht. »Nun kleine Cousine, Birdie scheint dich zu mögen«. Er umarmt mich herzlich, was ihm einen strafenden Blick meiner Mutter einträgt.
Peter ist Weber von Beruf und nur ein paar Jahre älter als ich. Er will, sobald er ein Haus und einen Stall hat, Schafe aus England in die Kolonien bringen. »Du wirst sehen Priscilla, wir werden die beste Wolle aus ihren Fellen machen, und wunderbar weiche Stoffe daraus weben«, vertraut er mir an. Seine braunen Augen zwinkern mir lebhaft zu. Ich mag ihn sofort.
Wir haben noch immer eine Menge Gepäck, es sind unsere persönlichen Sachen, die wir während der Reise brauchen und Peter hilft uns, sie im Wagen zu verstauen.
Als der Wagen losfährt, schaue ich mich noch einmal um. Ich muss blinzeln, damit ich nicht weine, als ich das letzte Mal das Haus sehe, in dem ich aufgewachsen bin.
Meine Mutter stupst mich in die Seite und sieht mich vorwurfsvoll an. Sie hat kein Verständnis für Rührseligkeiten und findet sie unangebracht.
Ich schlucke, hole tief Luft und wende meinen Blick nach vorne. Ich bin 17 Jahre alt, als ich im Juli 1620 England verlasse.