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Leben an Bord
ОглавлениеNachdem wir nun bereits zwei Monate an Bord leben, sehne ich mich danach, wieder an Land zu wohnen.
All meine Träumereien, die ich von Schiffen und abenteuerlichen Reisen gehabt habe, sind mir restlos vergangen.
Ich empfinde das Leben an Bord schier unerträglich. Überall liegen, sitzen und stehen Menschen. Wir kleben förmlich aneinander. Dazwischen türmen sich unsere Kleider und Geschirr. Manche Leute haben ihre Haustiere bei sich. Es gibt Käfige mit Vögeln und einige haben ihre Katzen mitgebracht, was ständig für Aufruhr sorgt, wenn die Katzen gegen die Käfige springen und die Vögel in Todesangst darin herumflattern.
Es gibt keinen trockenen Ort, alles ist irgendwie feucht und modrig. Keiner von uns kann sich ordentlich waschen an Bord und der Gestank, nach menschlichen Ausdünstungen und schmutzigen Kleidern ist überwältigend. An den groben Bretterverschlägen unserer behelfsmäßigen Kojen, hängen Eimer, die zur Verrichtung der Notdurft dienen. Obwohl sie häufig geleert werden, ist der Geruch bestialisch. Die ständige Dunkelheit, die uns auf dem Zwischendeck umgibt, ist zermürbend.
Es gibt kaum Platz zu kochen und die Frauen drängen sich an den behelfsmäßigen Kohlepfannen. Jede Familie ist für die Zubereitung ihres eigenen Essens zuständig. Der Schiffskoch versorgt nur die Besatzung.
Eines Tages bin ich dabei, Lunch für meine Familie zu machen. Wir kriegen täglich die Rationen für unsere Familien, von einem der Quartiermeister zugeteilt. Heute habe ich ein Stück eingesalzenes Rindfleisch bekommen mit Zwiebeln und Bohnen. Ich mache einen Eintopf daraus, aber es dauert ewig, bis das zähe Fleisch so durchgegart ist, dass es genießbar wird. Einige Frauen warten mit ihren Körben voller Essen, dass ich endlich die Kochstelle verlasse, sodass sie dran kommen.
Einer von ihnen wird die Warterei zu bunt und sie drängt sich an den anderen vorbei. »Komm Mädchen, mach weiter! Was kochst du da, Stiefelfetzen?«, fährt sie mich an und schubst mich grob zur Seite.
Ich erkenne in ihr Mrs. Billington, die mir mit ihrer Familie unangenehm im Gedächtnis geblieben ist. Ich bin zu erschrocken, um etwas zu erwidern, und starre sie nur aus großen Augen an. Da schiebt sich eine schlanke blonde Frau, deren schwangerer Bauch sich deutlich unter den Falten ihres Kleides wölbt, zwischen uns und baut sich vor Mrs. Billington auf. »Wenn ich es abwarten kann, das Dinner für meine Familie zu kochen, bevor ich niederkomme, dann werdet ihr euch wohl auch in Geduld fassen können.«
Sie klingt sehr bestimmt und starrt der älteren Frau, die zwar stämmig aber deutlich kleiner ist als sie, streng in die Augen. Die umstehenden Frauen murmeln zustimmend und Mrs. Billington schaut sich unsicher um. »Na ja, wie ihr meint Mrs. White«, gibt sie kleinlaut nach und trollt sich wieder in die Schlange der Wartenden zurück. Mrs. White lächelt mich triumphierend an und zwinkert mir zu. Ich erwidere dankbar ihr Lächeln und trete wieder an meinen Kessel und rühre in dem Ragout.
»Lass dich nicht einschüchtern, die alte Katze hat längst keine Krallen mehr, sie kann nur noch fauchen«, flüstert sie mir verschwörerisch ins Ohr. Ich unterdrücke ein Kichern und flüstere zurück. »Dennoch hat mich ihr Fauchen beeindruckt. Danke für ihre Hilfe Mrs. White.«
»Susannah«, verbessert sie mich freundlich, »du musst wissen, die Billingtons sind hier nicht erwünscht, sondern nur geduldet. Das beinhaltet, dass sie sich ordentlich zu benehmen haben. Wie ist dein Name?«
Ich laufe rot an, wegen meiner Unhöflichkeit, mich nicht vorgestellt zu haben. »Verzeiht mir, ich bin Priscilla Mullins.«
Susannah lächelt nachsichtig. »Können wir uns nicht duzen? Wenn du mich so ehrerbietig ansprichst, komme ich mir vor, wie eine alte Matrone. Du bist aus London nicht wahr?«
Susannah scheint richtig nett zu sein.
Ich nicke erfreut und taue langsam auf. »Gerne. Nicht ganz. Meine Familie stammt aus Dorking in Surrey. Ich bin mit meinen Eltern und meinem Bruder hier.«
Susannah nickt. »Ja, ich habe euch schon gesehen. Ihr seid mit den Martins und den Hopkins befreundet«.
Ich verziehe das Gesicht und schnalze mit der Zunge. »Die Familie Hopkins haben wir erst an Bord kennengelernt und meine Mutter hat sich mit Mrs. Hopkins angefreundet. Ob man das Verhältnis meines Vaters zu Mr. Martin als Freundschaft bezeichnen kann, weiß ich nicht. Ich denke, es ist eher eine Zweckgemeinschaft.« Mir schießt plötzlich der Gedanke durch den Kopf, dass mich meine Mutter scharf tadeln würde, wenn sie mich hören könnte, wie ich wenig schmeichelhaft über andere Leute rede, aber Susannah lacht über meine unverblümten Worte.
»Was für ein Glück! Ich habe mich schon gefragt, wie man mit einem derartig unangenehmen Menschen, wie Mr. Martin befreundet sein kann. Seine Frau mit ihrer sauertöpfischen Miene erscheint mir auch nicht gerade als Quell purer Freude.«
Hastig schaue ich mich um, ob jemand unsere Worte gehört hat, aber wir haben leise gesprochen und die anderen Frauen unterhalten sich ebenfalls, während sie warten. Niemand achtet auf uns. Ich nicke und lächle Susannah verschwörerisch zu und freue mich, weil sie offenbar ehrliche Worte bevorzugt, anstatt des manierlichen unverbindlichen Geplauders.
Mein zähes Rindfleisch scheint nun genügend weich gekocht und ich hebe den Topf von der Kohlenpfanne. Susannah stellt ihren eigenen Kochtopf auf die Feuerstelle und beginnt Fleisch und Zwiebeln hineinzuschneiden. »Es hat mich gefreut dich kennenzulernen. Ich muss jetzt das Essen zu meiner Familie bringen, bevor es kalt wird«, verabschiede ich mich von Susannah.
Sie nickt mir zu. »Wir sehen uns Priscilla.«
Ich bin fröhlicher, als zuvor und eile mit dem schweren Topf zu meiner Mutter, die sich um Mrs. Hopkins kümmert, die Zahnschmerzen hat und von Brechreiz und Übelkeit geplagt wird. Wir alle leiden unter Zahnschmerzen und blutenden Geschwüren im Mund. Der damit einhergehende Mundgeruch ist mir peinlich und ich spüle ständig mit Salzwasser, das fürchterlich brennt und nur wenig hilft. Viele von uns werden von Krankheiten geplagt. Manche husten ständig und einige haben Muskelschmerzen und offene Geschwüre an den Beinen. Unser Befinden wird durch die feuchte stickige Enge in der wir leben, nicht besser.
»Ich habe keinen Hunger. Bring deinem Vater und den Jungen den Eintopf«, wehrt meine Mutter ab, als ich ihr eine Schüssel des Ragouts anbiete.
Constance hat schon vor mir für ihre Familie gekocht und der Fisch, der ihrer Familie zugeteilt wurde, war schnell gar. Dazu gab es bei der Familie Hopkins Kekse, Bier und Käse. »Mutter hat nur Bier getrunken und an einem trockenen Keks geknabbert«, erzählt sie mir ein wenig verzagt. Ich werfe einen Blick auf Mrs. Hopkins. Sie ist bleich und sieht nicht gut aus. Ihr Bauch steht wie ein Berg von ihr ab. Wir sind nun alle sicher, dass sie ihr Kind, während der Reise bekommen wird. Ich schaue Constance mitfühlend an und biete ihr etwas von dem Ragout an. Sie lächelt mir zu und isst ein paar Löffel davon.
Joseph, Robert und mein Vater kauen an dem zähen Fleisch herum und ich selbst bringe kaum einen Bissen runter. Peter gesellt sich gut gelaunt zu uns. »In den Mannschaftsräumen am Oberdeck ist es besser als hier«, bemerkt er und rümpft die Nase wegen des Gestanks hier unten. Ich kriege ihn nur selten zu Gesicht, da er sich häufig bei den Matrosen aufhält. Er bildet eine Ausnahme und die Besatzung duldet ihn unter sich, weil er ein besonders fröhliches und einnehmendes Wesen hat. Auch mögen sie seine Hündin und spielen mit ihr an Deck. John Goodman und andere junge Männer haben versucht sich ebenfalls den Seeleuten anzunähern, wurden aber barsch zurückgescheucht ins Zwischendeck.
Captain Jones erlaubt uns allen, nur selten nach oben zu gehen. Er findet es zu gefährlich und hat Angst, dass einer von uns über Bord fällt.
Peter ist der Einzige, der es wagt, eine Bemerkung zu dem Eintopf zu machen. »Priscilla, du hast nicht zufällig, das Rindfleisch mit dem Schuhwerk deines Vaters verwechselt, oder?«
Joseph und Robert prusten los und auch ich muss grinsen. Aber mein Vater weist ihn streng zurecht. »Sei dankbar, dass dir der Herr etwas zu essen gibt. Es steht dir nicht zu, darüber zu spotten.«
Peter zuckt gleichmütig die Schultern, erwidert jedoch nichts. Wir essen schweigend mit gesenktem Blick weiter.
Ich frage mich insgeheim, warum unser Leben immer so bitter ernst sein muss und Fröhlichkeit und Spaß, als lasterhaft angesehen werden. Peter scheint ähnlich wie ich zu denken, aber er ist ein Mann und ihm steht es frei, sich eine Meinung zu bilden. Ich habe mich hingegen zu fügen. Jetzt meinem Vater und sobald ich verheiratet bin, meinem Mann. Dieser Gedanke stimmt mich ein wenig traurig. So sehr ich mich auch bemühe, es will mir nicht gelingen, mein Los anzunehmen, und meine Sehnsüchte nach einem schwer fassbaren Mehr, das ich mir vom Leben erwarte, zu vergessen.
Obwohl Susannah gut zehn Jahre älter ist, als ich freunden wir uns an, was Constance ein wenig kränkt. Ich bemühe mich, sie einzubeziehen in die Freundschaft mit Susannah, aber obwohl sie sehr reif für ihr Alter ist, hat sie mit ihren 14 Jahren andere Interessen, als wir beide.
Sie wendet sich vermehrt Mary Chilton und Elizabeth Tilley zu, die in ihrem Alter sind und ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich sie vernachlässige.
Susannah scheint jedoch froh zu sein, sich mit mir alleine unterhalten zu können. Sie behandelt mich wie eine Gleichaltrige und ich genieße ihre Aufmerksamkeit. Unsere Gespräche bedeuten mir sehr viel und so verdränge ich die Schuldgefühle wegen Constance.
Susannah erzählt mir mehr von den Leuten aus Leiden und von ihrer Familie. »Ich habe hier all meine Angehörigen. Da ist natürlich mein Mann William und unser fünfjähriger Sohn, Resolved. William und ich kennen uns schon von Kindheit an und es war wenig überraschend für alle, als wir geheiratet haben. Ich bin eine geborene Fuller. Mein Bruder Edward ist mit seiner Frau Ann, seiner Tochter Alice und seinem Sohn Samuel an Bord. Mein anderer Bruder Samuel, hat seine Frau und seinen kleinen Sohn in Leiden zurückgelassen. Er will sie erst nachkommen lassen, wenn das Leben in der Kolonie gesichert ist. Du musst wissen, dass er schon zweimal verwitwet ist und keine dritte tote Ehefrau riskieren will. Samuel hat einen jungen Diener, William Butten, bei sich und mein Mann und ich haben zwei Lehrlinge, William Holbeck und Edward Thompson, die von meinem Mann das Gewerbe des Buchdruckers erlernen. Ann meine Schwägerin und ich teilen uns die Arbeit, so habe ich gelegentlich Zeit für ein kleines Schwätzchen mit dir.«
Sie stupst mir freundschaftlich mit dem Zeigefinger an die Nase.
»Dann kennst du also die Leute eurer Gemeinschaft gut?«, frage ich neugierig und hoffe, dabei etwas über Miles Standish zu erfahren.
»Ja natürlich. Wir alle gehören der Gemeinde von Pastor John Robinson an.«
»Ihr seid alle Separatisten?«
»Die meisten von uns. Reverend Carver ist dir ja schon bekannt. Die Schwester seiner Frau ist mit Pastor Robinson verheiratet und er kam durch seine Ehe zu unserer Gemeinde. Mein Mann William und Isaac Allerton sind führende Gemeindemitglieder, ebenso wie Edward Winslow. Mein Bruder Samuel ist Diakon und William Brewster ist der Kirchenälteste wie du weißt. Er hat als Professor in Leiden Englisch unterrichtet und ist ein sehr gebildeter Mann, der Griechisch und Latein spricht. In England stand er in diplomatischem Dienst, bis ihm sein Glaube in die Quere kam und seine Karriere beendete. Gemeinsam mit John Robinson hat er unsere Gemeinde gegründet und dafür gesorgt, dass unsere Leute in Leiden eine Zuflucht fanden, als die Verfolgungen durch die Krone in England unerträglich wurden.«
Ich nicke verständnisvoll. »Mein Vater wurde auch verhaftet, wegen seiner Überzeugungen. Ich weiß, dass es gefährlich ist, wenn man eine eigene Meinung hat«, sage ich und denke an die Pamphlete, von denen John Goodman erzählt hat.
Susannah sieht mich prüfend an. »Ja, das ist wahr«, fährt sie fort, »wir haben alle gefährliche Überzeugungen«.
Sie scheint darauf zu warten, dass ich etwas sage, aber ich will ihr nicht verraten, was uns John Goodman anvertraut hat. »Bist du auch mit den Bradfords bekannt?«, frage ich in der Hoffnung, dass ich so das Gespräch auf Miles Standish lenken kann.
»Die Bradfords kenne ich sehr gut. Dorothy Bradford ist die Nichte meines Mannes. Sie hat William Bradford schon mit 16 Jahren geheiratet und wir fanden alle, auch ihr Vater, der ein bedeutender Kirchenältester in Amsterdam ist, dass sie viel zu jung war, um eine Ehefrau zu werden. Aber William liebt sie aufrichtig und Dorothy ist ein zerbrechliches Geschöpf. Sie neigt zur Schwermut und braucht einen starken Beschützer, bei dem sie sich anlehnen kann. William behandelt sie oft wie ein Kind aber es tut ihr gut, dass er sie verhätschelt«.
»Haben sie Kinder?«, frage ich neugierig.
Susannah nickt. »Sie haben einen dreijährigen Sohn und Dorothy war außer sich, als sie erfahren hat, dass sie ihn nicht mitnehmen darf. Sie hat tagelang geweint und kein Wort mit ihrem Mann gesprochen, aber Williams Entscheidung war völlig richtig. Der Kleine ist kränklich und schwach und hat kaum eine Chance eine so lange Reise unbeschadet zu überstehen. Er ist bei liebevollen Menschen, dem Ehepaar Southworth untergebracht, die gut für ihn sorgen. Er kann nachkommen, wenn das Leben in der Kolonie sicher ist und er ein wenig älter und kräftiger ist.«
Sie hat bisher kein Wort über Miles Standish verloren und ich fasse mir ein Herz und frage sie direkt nach ihm.
»Captain Standish ist ein Gentleman von der Isle of Man. Er stammt aus einer begüterten adligen Familie und war ein hochrangiger Offizier, in der Armee von Königin Elizabeth. William Bradford, der ebenfalls aus besseren Kreisen kommt, und mit ihm schon länger befreundet war, hat Pastor John Robinson vorgeschlagen, ihn als militärischen Führer für unsere Expedition anzuheuern, um die Verteidigung unserer Kolonie aufzubauen und ihn mit der Errichtung eines Forts zu betrauen.«
»Ist er auch ein Separatist?«
Susannah runzelt die Stirn. »Nein, er gehört nicht zu unserer Gemeinde, sofern er überhaupt an einen Gott glaubt«, erwidert sie geringschätzig.
»Du magst ihn also nicht?« Ich kann mir meine Neugier nicht verbeißen.
»Wenn du mich so direkt fragst- Nein, nicht besonders. Er hat einen hitzigen Charakter und geht keinem Streit aus dem Weg. Edward Winslow, der ein kluger Mann ist und ihn aus England kennt, hat Pastor Robinson von ihm abgeraten.«
»Nun, das kann ich mir gut vorstellen. Einem verstaubten Langweiler, wie Mr. Winslow, muss jeder temperamentvolle Mensch zuwider sein«, verteidige ich impulsiv Captain Standish.
Susannah sieht mich prüfend an. »Was interessiert es dich, was andere über Miles Standish denken?«
Ich zucke verlegen die Schultern und fühle mich ertappt. »Gar nichts. Ich mag nur nicht, wenn Leute vorschnell verurteilt werden.«
»Dafür bist du aber fix mit deiner Meinung über andere«, hält sie mir entgegen. »Mr. Winslow ist durchaus kein Langweiler. Er ist ein sehr gebildeter Mann mit diplomatischem Geschick und stammt aus einer wohlhabenden hoch angesehenen Familie.«
Nun ist es an mir mich zu wundern, dass Susannah so entschlossen Partei ergreift für Edward Winslow. »Na das klingt doch nach wahrer Bewunderung! Er muss dich ja mächtig beeindruckt haben, dein Mr. Winslow«, ziehe ich sie auf.
Susannahs Gesicht läuft rot an und ich weiß ich habe einen Nerv getroffen.
»Ach du mit deinen Fragen! Lerne die Leute selbst kennen und entscheide dann, wen du magst und wen nicht.«
»Dich mag ich«, erwidere ich und drücke ihr einen Kuss auf die Wange.