Читать книгу Wir kamen mit der Mayflower - S.C. Bauer - Страница 9
Der edle Ritter
ОглавлениеEs ist einer jener seltenen Tage, an denen uns Kapitän Jones erlaubt, uns ein wenig auf dem Oberdeck die Füße zu vertreten. Die See ist ruhig, es weht eine frische Brise, die die Segel strafft und die Sonne eines goldenen Oktobertages wärmt uns Haut und Herz.
An diesem Sonntag hält Reverend Carver eine Predigt an Deck. »Nach unseren ganzen Beschwerlichkeiten belohnt uns Gott nun für unsere Beharrlichkeit und unser Vertrauen in seine Führung. Seht Brüder und Schwestern, wie gut es die See mit uns meint und wie freudig uns die Wellen des Ozeans unserer neuen Heimat entgegentragen!«
»Also wenn er da nicht den Tag vor dem Abend lobt«, raunt mir Peter voller Zweifel ins Ohr.
»Schscht. Kannst du nicht einmal Ruhe geben und die Hoffnung, die durch seine Worte erweckt wird, in uns wirken lassen«, zische ich verärgert.
»Nicht wenn ich es besser weiß. Der gute Reverend Carver hat keine Ahnung von der Seefahrt. Ich habe jedoch mitbekommen, dass Kapitän Jones und seine Offiziere mehr als besorgt sind, weil wir uns noch weit von unserem Ziel entfernt befinden. Er lässt sich durch das gute Wetter nicht täuschen und die erfahrenen Seeleute sind überzeugt, dass wir unweigerlich in dieser Jahreszeit in die Winterstürme geraten werden.«
Ich schaue ihn ängstlich an.
Die Zuversicht, die Mr. Carvers Predigt in mir geweckt hat, ist dahin und ich folge dem Rest seiner Worte nur noch mit halbem Herzen.
»Lasst uns dem Herrn danken, für all seine Wohltaten«, schließt Reverend Carver und wir senken unsere Köpfe in schweigendem Gebet. Von der Mannschaft dröhnt Johlen und Feixen zu uns herüber. Sie verachten uns für unseren Glauben und lassen keine Gelegenheit aus, uns deswegen zu verhöhnen.
Die Besatzung steht uns, bis auf wenige Ausnahmen, feindselig gegenüber. Sicher, es sind Seeleute und ihr Umgangston ist rau, aber sie behandeln uns sehr unhöflich und manche von ihnen scheinen uns regelrecht zu hassen. Ich habe keine Erklärung dafür, aber es macht mich traurig und ich fürchte mich vor diesen derben Leuten.
Es bleibt natürlich nicht aus, dass ich Miles Standish begegne. Er sieht mich immer noch mit diesem durchdringenden Blick an, sobald wir uns über den Weg laufen, aber langsam gewöhne ich mich daran. Ich finde es sogar aufregend, dass er mich so eingehend mustert. Da ich nicht viel habe, das mir Freude bereitet, erlaube ich mir selbst das Herzklopfen und die wohlige Wärme in meinem Bauch, die durch seine Blicke erzeugt werden. Natürlich bemühe ich mich, mir nichts anmerken zu lassen, denn ich weiß, dass meine Mutter mich hart zurechtweisen wird, wenn sie davon erfährt.
Manchmal rufe ich mich jedoch selbst zur Ordnung und sage mir, dass es sich wirklich nicht schickt, über einen verheirateten Mann nachzudenken. Aber ich ertappe mich immer wieder dabei, wie meine Gedanken um ihn kreisen.
Captain Standish wohnt nicht bei uns im Zwischendeck, sondern teilt sich eine Kabine mit John Alden, dem Küfer und anderen Offizieren. Seine Frau Rose ist bei der Familie Bradford hier auf dem Zwischendeck untergebracht und sieht nicht viel von ihm. Unwillkürlich frage ich mich, ob seine Ehe glücklich ist.
Eines Nachts kann ich einfach nicht schlafen. Ich wälze mich unruhig auf meinem feuchten Strohsack, der nach Schimmel riecht hin und her. Rund um mich liegen meine Eltern und mein Bruder und schlafen tief und fest. Robert Carter liegt neben Joseph und schnarcht lautstark. Ich habe das Gefühl, nicht richtig atmen zu können, und beschließe, mich auf das Oberdeck zu schleichen, um ein wenig Luft zu schnappen. Leise stehe ich auf und klettere an der Strickleiter hoch und durch die Luke zum Oberdeck. Ich spähe vorsichtig hinaus, denn wenn mich jemand von der Mannschaft sieht, werde ich sicher wieder zurückgeschickt.
Vom Back, an der spitzen Seite des Schiffes, wo sich der Abort der Mannschaft – ein Bretterverschlag mit einem Holzeimer darin- befindet, weht der beißende Gestank nach Exkrementen herüber. Ich suche dem Geruch zu entkommen und bewege mich auf die Mitte des Schiffes zu, wo die Luft besser ist. Es brennt nur eine Öllampe beim Hauptmast, die einen schwachen Lichtschein verströmt und mir den Weg weist. Ich drücke mich an der Reling entlang und sauge die frische Luft begierig ein.
»Es ist keine gute Idee so nah an der Reling zu stehen, Miss Mullins.« Ich fahre erschrocken herum, als ich die warme tiefe Stimme hinter mir höre. Vor mir steht Captain Standish und in seinen gewohnt interessierten Blick mischt sich Besorgnis. »Ich …, ich wollte nur ein wenig frische Luft«, stammle ich tonlos und senke den Blick, weil ich spüre, wie ich erröte.
»Dann werde ich euch Gesellschaft leisten und auf euch aufpassen.« Sein Ton ist befehlsgewohnt und duldet keinen Widerspruch.
Ich habe einen Kloß im Hals und mir fällt nichts ein, was ich sagen könnte. Ich fühle mich unbeholfen, wie ein ungebildetes Bauernmädchen und das macht mich ärgerlich. Entschlossen hebe ich meinen Blick und schaffe es, ihn anzusehen.
Er lächelt sein kleines überlegenes Lächeln, das mir mittlerweile schon vertraut ist. Diesmal störe ich mich an seiner Überlegenheit und antworte sarkastisch: »Nun dann wird Gott wohl weniger zu tun haben, wenn ja ihr auf mich achtgebt.«
Er lacht verdutzt auf. »Ihr überrascht mich Miss Mullins. Humor ist sonst nicht das erste Talent einer Frau.«
Ich lächle und freue mich über sein Kompliment. »Humor kostet nichts und erleichtert unser Leben«, gebe ich altklug zurück.
Er schmunzelt. »Ist euer Leben so schwer, dass ihr es erleichtern müsst?«
Seine Frage lässt mich nachdenklich werden. »Unser Schicksal ist durch Gott von jeher festgelegt, Mr. Standish. Es ist vermessen darüber zu klagen«.
Mein Vater wäre stolz auf meine Antwort.
Miles hat den bitteren Unterton in meiner Stimme jedoch gehört. Neugierig sieht er mich an. »Gut gesprochen Miss Mullins. Offenbar habt ihr John Knox Schriften studiert. Aber seid ihr auch damit einverstanden?«
Ich spüre, wie ich verlegen werde. Er kann anscheinend wirklich meine Gedanken lesen. Ich bin zudem überrascht, dass er Knox erwähnt hat. Bisher habe ich Miles Standish eher für einen forschen Soldaten gehalten, aber nun bin ich beeindruckt, weil er gebildet ist.
Einer der Offiziere kommt aus dem Poop House und enthebt mich der Notwendigkeit einer Antwort. Er runzelt verärgert die Stirn, als er mich da stehen sieht. »Passagiere haben hier nichts zu suchen. Geht wieder aufs Zwischendeck, Miss«, fordert er mich brüsk auf.
Miles hebt beschwichtigend die Hand. »Andrew, sie will nur ein wenig frische Luft schnappen, und ich passe schon auf sie auf.«
Andrew schüttelt unwillig den Kopf. »Kapitän Jones hat angeordnet, dass keiner der Passagiere im Dunkeln auf das Oberdeck darf«, beharrt er eigensinnig.
Mir ist die Situation unangenehm. »Schon gut. Ich gehe wieder nach unten«, flüstere ich eingeschüchtert.
»Ich werde euch begleiten Miss Mullins«. Miles Standish nimmt meinen Arm und führt mich behutsam zu der Luke, die ins Zwischendeck führt. Seine Hand ist angenehm warm auf meinem Arm und ich fühle ein Prickeln, das sich in meinem Körper ausbreitet.
Vor der Luke bleibt er stehen. Noch immer hält er mich fest und sein durchdringender Blick bohrt sich in meine Augen. Ich starre ihn wie hypnotisiert an. Einen Moment lang glaube ich, dass er mich küssen wird. Aber das ist absurd. Der Offizier steht noch immer an der Reling und beobachtet uns.
»Schlaft gut Miss Mullins.« Miles Stimme ist wie Samt und ich habe das Gefühl als würden seine Worte mich streicheln. Endlich lässt er meinen Arm los und ich verspüre einen Hauch von Bedauern. Ich finde keine Worte und nicke nur, dann wende ich mich schnell ab und steige die Strickleiter hinunter. Unten angekommen sehe ich, dass er mir nachsieht. Sein Blick ist unergründlich.
Ich schleiche behutsam zurück zu meinem Strohsack. Alle schlafen. Keiner hat bemerkt, dass ich weg war. Ich schließe die Augen und sehe Miles vor mir. Mit seinem Bild vor Augen falle ich in einen unruhigen Schlummer.
Ein paar Tage später stehe ich mit Susannah auf dem Oberdeck, an einem Zuber voller Meerwasser. Wir sind damit beschäftigt Wäsche zu waschen. Das Salzwasser lässt den Stoff der Kleider brüchig werden, aber es ist die einzige Möglichkeit unsere Sachen zu säubern.
Captain Standish geht an uns vorüber und nickt mir lächelnd zu. Mein Herz klopft mir bis zum Hals und ich erwidere sein Lächeln.
Es bleibt Susannah nicht verborgen, dass eine eigentümliche Spannung zwischen Miles Standish und mir ist, die mich verlegen werden lässt.
»Du weißt schon, dass er verheiratet ist?«, fragt mich Susannah in ihrer direkten Art.
»Ich weiß nicht, was du meinst«, protestiere ich in dem schwachen Versuch zu leugnen.
»Komm schon Priscilla, ich sehe doch, wie du ihn ansiehst«, bohrt sie weiter.
Ich wende meinen Blick ab und schrubbe energisch an der Wäsche.
Susannah seufzt. »Ich kann dich verstehen. Er ist ein umwerfender Mann. Stolz, mutig, entschlossen und sehr selbstbewusst. Er hat Persönlichkeit und ist zweifelsohne eine Führernatur. Wie könntest du nicht von ihm angetan sein, zumal er sich offensichtlich für dich interessiert?«
Ich werfe ihr einen scheuen Seitenblick zu und sie nickt aufmunternd.
»Aber er hat eine Frau«, wende ich zögernd ein.
Susannah gibt ein schnaubendes Geräusch der Entrüstung von sich. »Oh ja, die hat er. Obwohl er sie am liebsten vergessen würde. Er hat sie bei den Bradfords untergebracht, wie du weißt, und sieht so selten wie möglich nach ihr.«
In der engen Gemeinschaft in der wir leben, ist es mir nicht verborgen geblieben, dass die Begegnungen der Beiden wenig angenehm sind. Sobald Rose ihren Gatten zu Gesicht bekommt, macht sie ihrer Enttäuschung Luft und zetert anklagend, dass er sich so gut wie gar nicht um sie kümmert, was offensichtlich stimmt.
Ich fühle mich gedrängt ihn dennoch zu verteidigen. »Es verdrießt ihn, dass sie ständig jammert, und klagt.«
Susannah nickt zustimmend. »Ja, sie ist eine rechte Heulsuse, die sich nicht damit abfinden kann, dass ein Ehemann sich anders verhält als der zärtliche Liebhaber, der er, während der Brautwerbung war.«
Ich schaue Susannah überrascht an. Ich habe das noch nie bedacht, sondern hänge ebenfalls gerne romantischen Vorstellungen nach.
Susannah lacht, als sie mein verwundertes Gesicht sieht. »Priscilla, du bist unberührt, du kannst das nicht wissen. Sobald du einen Mann geheiratet hast, verwandelt er sich vom strahlenden Ritter in einen gewöhnlichen Menschen. Wenn du klug gewählt hast, so wirst du dennoch zufrieden sein in eurer Verbindung. Die einstige Romantik wird nun durch Kameradschaftlichkeit ersetzt und eure Liebe wird tiefer.«
Ich lausche gespannt ihren Worten. Sie hat eine Art, die Dinge zu erklären, sodass ich sie verstehen kann. Meine Mutter beschränkt sich stets darauf, mir bloß einzubläuen, was ich zu tun oder zu lassen habe.
»Miles Standish gehört zu jenen Männern, die der ewige Ritter sind. Aufregend und geheimnisvoll. Aber er taugt nicht für den Alltag, glaub mir. Seine Frau kann ein Lied davon singen«, fährt sie fort.
Ich finde ihr Urteil über ihn sehr hart.
»Ich kann nicht glauben, dass er so einen schlechten Charakter hat, wie du meinst«, erwidere ich abwehrend.
Susannah sieht mich verschmitzt an. »Natürlich nicht! Weil du in ihn verliebt bist!«
Ich protestiere, aber sie winkt lässig ab. »Schon gut, Priscilla. Spare dir die Worte. Ich habe nicht gesagt, dass er einen schlechten Charakter hat. Er taugt nur nicht zum Ehemann.«
Ich bin dieses Gespräch nun leid und versuche es zu beenden. »Es erübrigt sich, weiter darüber zu streiten, Susannah. Wie du bereits gesagt hast, ist er verheiratet und somit ist unser Gespräch Zeitverschwendung.«
Aber sie ist noch nicht fertig, mir ihre Sicht der Dinge zu offenbaren. »Genau. Eben darum solltest du bedenken, was es über einen Mann aussagt, der schon eine Frau hat und einer anderen nachstellt. Oder glaubst du, dass er dir die Treue halten würde, mit Leib und Geist?«
Ich schaue sie sprachlos an. Darauf fällt mir nichts mehr ein.
Sie nickt zufrieden. »Denk darüber nach Priscilla, bevor du dein Herz an den falschen Mann verlierst.«
»Weil ja die Richtigen Schlange stehen, nicht wahr«, erwidere ich sarkastisch.
Darüber muss Susannah lachen und ich stimme in ihr Gelächter mit ein.
Unser Gespräch veranlasst mich jedoch dazu, dass ich mich noch mehr bemühe, nicht zu viel über Miles Standish nachzudenken. Aber er sitzt hartnäckig wie eine Klette in den Haaren, in meinem Kopf fest und sobald ich ihn sehe, klopft mein Herz wie wild in meiner Brust. Mir wird bewusst, dass Können und Wollen nicht dasselbe sind und ich muss mir eingestehen, dass ich machtlos gegen die aufkeimenden Gefühle in meinem Herzen bin.