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Kapitel 9

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Die letzten Strahlen der Sonne waren hinter den Bergen verschwunden. Über Burg Tyr hing die graue Scheibe des Mondes und tauchte das Gebirge in gespenstisches Licht.

Von seiner Unterkunft in einem der Türme hatte Jesko einen beeindruckenden Ausblick auf die Bergketten, deren Kuppen am Horizont mit der Nacht verschmolzen. Weit unterhalb der Burg lagen dunkle Wälder. Zwischen den Bäumen blitzte im Mondlicht gelegentlich das dahineilende Wasser eines Bergbachs auf. Der Jagdruf eines Uhus erklang von den Felsen, um die sich der Weg von der Burg ins Tal schlängelte.

Burg Tyr. Seit unzähligen Wintern war sie das Zentrum der Macht im Qanicengebirge. Raiden Tyr hatte von hier aus regiert, jetzt Maksim D’Aryun. Und bald wieder ein Tyr, Damien, der Gefährte von D’Aryuns Tochter. Hier lebte ein Großteil der Krieger, die Schlachten gesehen und im Rebellenkrieg gekämpft hatten. An Tyr wandten sich die Herrscher der Menschen und die Kämpfer der Ewigen, wenn sie ihre Belange mit dem Vampirvolk besprechen wollten. Hier wurden Entscheidungen getroffen. Es ging um Krieg und Frieden, Gesetze und Bestrafungen, Gold und Besitzungen. Jesko meinte, die Macht spüren zu können, als hätten sich die Mauern damit vollgesogen.

Das war etwas anderes als die Dinge, um die sich seine Mutter und er kümmerten. Bis kurz vor ihrer Abreise nach Tyr hatten sie besprochen, wer welche Felder bestellte und was auf ihnen angebaut werden sollte. Dann musste der Handel mit der blauen Stadt kontrolliert werden. Er hatte Wajaren, die häufig die Höfe im Westen überfielen, aufgestöbert und geköpft.

Lange Zeit hatte er mit alldem nichts zu schaffen gehabt. Es schien sein Los zu sein, seinem älteren Bruder Hamil als Krieger zu dienen, sollte der Mutters Nachfolge antreten. Das hatte ihm erst nichts ausgemacht. Es gab Schlimmeres als das sorgenfreie Leben eines Kriegers in Zeiten des Friedens. Hamil war derjenige, der über Pergamente gebeugt dasaß und Weizenmengen aufrechnete, während er, Jesko, seine Kampfübungen abhielt und sich vergnügte.

Doch irgendwann begann es, dieses eifersüchtige Stechen, wenn Hamil von den Kriegern ehrerbietig gegrüßt, seine Meinung ernst gehört und seine Entscheidungen angenommen wurden. Ganz besonders, wenn Jesko überzeugt war, dass er die bessere Entscheidung getroffen hätte. Aber das interessierte niemanden. Für die anderen war er der charmante Jesko, ein guter Krieger. Nicht mehr und nicht weniger.

Die Eifersucht auf Hamil wuchs und brodelte. Jesko versuchte, sich mit dem Gedanken zu trösten, dass sein Bruder niemals Fürst Shazad werden würde. Schließlich war Mutter unsterblich. Doch die Eifersucht blieb, wurde zur Wut und der Überzeugung, dass seine Talente vergeudet wurden.

Da kam ihm die Idee, das Abenteuer zu suchen. Er wollte Einzigartiges leisten, das ihn heraushob aus der Masse der Krieger auf Shazad. Er besprach sich mit seinem Bruder im Blute, Adelph. Doch der schüttelte den Kopf. »Welche Abenteuer willst du denn erleben, Jesko? Wajaren töten? Das bringt dir keinen Ruhm.«

Das war ein guter Punkt. »Aber hier werde ich wahnsinnig. Wir sitzen herum, absolvieren unsere Waffengänge, trinken und vergnügen uns mit Frauen. Nicht dass mir das nicht gefällt. Aber auf Dauer? Hamil ist derjenige, der sich mit den Regierungsgeschäften befasst. Dafür bekommt er Anerkennung und Respekt. Und wir?«

»Es ist unsere Aufgabe, zu kämpfen.«

»Kämpfen? Diese lächerlichen Waffengänge auf dem Kampfplatz?«

Adelph starrte ihn einen Moment reglos an. »Du willst regieren?«

»Wenn es das ist, was mir Anerkennung und Ruhm verschafft: Ja.«

»Nun, es gäbe da einen Weg ‒.«

Den Weg hatte es gegeben. Hamil war gestorben. Das hatte Jesko wenig ausgemacht. Sein Bruder war doppelt so alt wie er gewesen. Sie hatten nichts gemeinsam gehabt. Er folgte ihm als Erbe der Fürstin Shazad nach. Diese Stellung konnte Jesko nichts und niemand streitig machen, insbesondere, seit der einzige Mitwisser, Adelph, tot war. Jesko hatte gedacht, alles erreicht zu haben. Doch jetzt erkannte er, dass es da viel mehr gab, was es zu erreichen galt.

Mariana. Es war damals dumm gewesen, sich mit ihr, einer jungen und unerfahrenen Kriegerin, einzulassen. Er bevorzugte erfahrene Frauen, die wie er das Vergnügen suchten. Mariana verliebte sich prompt in ihn. Das hatte er nicht vorhergesehen. Ihm tat es leid. Er mochte sie, aber er liebte sie nicht, was er ihr sagte. Und dass es ein Fehler gewesen sei. Sie hatte ihn mit erstarrter Miene angehört, war nicht mehr in seine Nähe gekommen und, den dunklen Göttern sei Dank, kurz darauf nach Tyr zurückgekehrt.

Sechs Winter waren seitdem ins Land gegangen und Mariana zur Erbin des Herrschers über die Stämme geworden. Was war, wenn sie sich einen Gefährten nahm? Sicherlich würde sie ihre Aufgaben an ihn übertragen, sobald sie sich um ein paar Kinder kümmern musste, oder? Ihr Gefährte übernahm bestimmt die Herrschaft, sollte Damien sterben oder wie Maksim beschließen abzudanken.

Der Gefährte der Tochter des Herrschers über die Stämme, eine Stellung, die Jesko sich gut vorstellen konnte. Und von der er gedachte, sie zu erlangen. Sie war der Grund gewesen, seine Mutter nach Tyr zu begleiten. Er musste Mariana für sich gewinnen. Das würde schwer werden, wie ihre kalte Miene ihm jedes Mal zeigte, wenn sie sich begegneten.

Außerdem gab es Konkurrenz. Hroar Gishers Blicke waren nicht nur ihm aufgefallen. Und dieser Milo, der ihm bei dem Mahl den Platz neben ihr weggenommen hatte? Den hatte er des Öfteren mit ihr gesehen, aber diese Begegnungen erschienen ihm unverfänglich. Milo Yirdar war Damien Tyrs Bruder im Blute und insofern zur Familie gehörig. Nein, Gisher war derjenige, auf den er achten musste.

Was Mariana anging, musste er zu Kreuze kriechen. Er wollte sich bei ihr für sein damaliges Verhalten entschuldigen, auf seine jugendliche Unbedarftheit hinweisen und ihr seine Freundschaft anbieten. Dann würde er darauf hinarbeiten, dass sie sich in ihn verliebte.

Unvergängliches Blut - Die Erben

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