Читать книгу Unvergängliches Blut - Die Erben - S.C. Keidner - Страница 9

Kapitel 7

Оглавление

Jesko wiederzusehen schmerzte. Das überraschte sie. Immerhin waren seit ihren gemeinsamen Nächten sechs Winter vergangen, in denen sie kaum mehr einen Gedanken an ihn verschwendet hatte. Sie hatte gedacht, sie sei über ihn hinweg. Aber dem war wohl nicht so. Bei der Begrüßung hatte sie sich nichts anmerken lassen und Jesko gegrüßt wie einen entfernten Bekannten. Das Zusammentreffen mit ihm war weitaus weniger peinlich gewesen als befürchtet.

Mehr als peinlich war ihr allerdings, wie Hroar Gisher sie beim folgenden Morgenmahl von seinem Platz an der Tafel aus anstarrte. Er hatte keine Gefährtin und sie ging jede Wette ein, dass er sich überlegte, welche strategischen Vorteile ihm die Tochter des Herrschers als Gefährtin brachte. Gisher beäugte den leeren Platz an ihrer Seite. Sie sandte ein Stoßgebet zu den dunklen Göttern, dass er nicht auf die Idee kam, sich dort hinzusetzen.

Jesko betrat mit seiner Mutter die Halle. In einem prächtigen Wams aus roter und blauer Seide, einem weißen Hemd und schwarzen Hosen sah er umwerfend aus. Er blickte sich suchend um, lächelte strahlend und steuerte auf sie zu. Sie betete, dass Gisher sich doch neben sie setzen möge. Er war eindeutig das kleinere Übel.

Jemand plumpste auf den freien Platz und fragte: »Ich darf doch, oder?«

Milo.

Jesko runzelte die Stirn und gesellte sich zu seiner Mutter. Hroar Gisher betrachtete Milo mit zusammengezogenen Augenbrauen. Sie hingegen wäre dem Krieger am liebsten um den Hals gefallen. Ihr erleichtertes Lächeln sagte wohl etwas in dieser Richtung aus, denn Milo meinte: »Ich will Gisher seine Beute entreißen.«

Sie lachte. »Beute?«

»Du hast Eindruck auf ihn gemacht. Also, wenn du das Mahl mit ihm verbringen möchtest.« Er machte Anstalten aufzustehen.

»Untersteh’ dich!«, zischte sie.

Ein zufriedenes Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Er setzte sich bequemer hin. »Dein Wunsch ist mir Befehl. Gisher wische ich gern eins aus.«

»Du magst ihn nicht besonders?«

»Genauso wenig, wie Damien ihn mag, auch wenn ich verstehe, warum er ihn in den Rat geholt hat.« Er zuckte mit den Schultern. »Gisher ist stets auf seinen Vorteil bedacht, das muss man wissen, wenn man mit ihm zu tun hat. Er ändert seine Meinung, wie es ihm nützt.«

»Vater meint, dass sein strategisches Verständnis dem Rat helfen würde.«

Bevor er etwas entgegnen konnte, ließ ein Klopfen vom Kopf der Tafel alle verstummen. Maksim erhob sich und richtete die üblichen Grußworte an die Gäste. Marianas Aufmerksamkeit schweifte ab.

Verstohlen betrachtete sie Milo, der Maksims Worten lauschte, die Unterarme auf den Tisch gestemmt, die Hände übereinandergelegt. Das Leinenhemd, dessen Ärmel er hochgeschoben hatte, betonte seinen kräftigen Oberkörper und die Narben an den Armen erzählten Geschichten von Schlachten und Kämpfen. Welche Abenteuer er wohl erlebt hatte?

Maksim setzte sich und das Essen wurde auf Holzbrettern gereicht. Es gab Braten und Gemüse. Ein gedämpftes Gemurmel erhob sich. Besteck klirrte, jemand lachte leise.

Milo drehte den Kopf und zwinkerte ihr zu. Hitze stieg ihr in die Wangen. Jetzt starrte sie ihn schon an, wie Hroar Gisher sie anglotzte! »Was ist?«, fragte er.

Sie wollte ehrlich sein. »Ich habe mich gefragt, woher all diese Narben kommen. Und was du erlebt hast.«

»Es sind nicht unbedingt schöne Geschichten, die hinter den Narben stecken.«

»Das ist mir klar.« Sie schob eine Karotte mit der Gabel durch den Bratensaft. »Es ist nur: Du hast das Leben eines Kriegers geführt. Ob ich jemals das Leben eines Kriegers führen werde, ist fraglich. Ich … mich interessiert nur, wie so ein Leben ist. Oder besser gesagt, war, denn Schlachten wird es für dich hoffentlich auch nicht mehr geben.« Sie schob sich die Karotte in den Mund.

Er lächelte verhalten. »Es war eine harte Zeit. In der ich viel über Mut, Freundschaft und Loyalität gelernt habe. Dein Vater und später deine Mutter waren stets an meiner Seite. Jeder von uns hatte seine Bürde zu tragen. Taran war zur Sklavin gemacht worden. Damien musste sich seinem Vater im Kampf stellen. Und ich musste mich gegen den Mann wenden, der mir das Leben gerettet hat.«

»Der dir das Leben gerettet hat?«, wiederholte sie verwirrt.

»Damien hat dir also nichts über mich erzählt?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur, dass du vom Stamme der Yirdar kommst. Den es nicht mehr gibt.«

»Das ist richtig. Es war ein kleiner Stamm. Aber unsere Krieger waren gefürchtet.«

»Was ist passiert? Wie ist der Stamm erloschen?«

»Durch rohe Gewalt.« Er seufzte. »Unser Stammesgebiet war zu klein, um uns versorgen zu können. Daher brauchten wir Gold, mit dem wir Nahrung und andere lebensnotwendige Dinge bezahlten. Um an Gold zu kommen, dienten sich die Krieger den Fürsten anderer Stämme als Söldner an. Eines Tages kamen Aufforderungen von zwei Stämmen, die im Krieg miteinander lagen, sich ihnen anzuschließen. Die Yirdar entschieden sich für eine Seite und die Krieger zogen ins Feld. Der andere Stamm nahm das nicht hin. Die Zurückgebliebenen wurden kurz danach überfallen und niedergemetzelt, um die Yirdar für ihre Wahl zu bestrafen.«

Mariana stockte der Atem. Milo fuhr fort: »Ich war damals sechs Winter alt. Ich hatte mir in meinem Raum eine kleine Höhle gebaut, indem ich in einer Ecke Steine schräg aufgeschichtet hatte, wie ein Zelt, das gegen die Wand lehnte. Für jemand Außenstehendes und im Dunkeln sah es wohl aus, als sollten die Steine die Wand stützen. Nur so kann ich mir erklären, dass ich die Nacht überlebte, in der wir überfallen wurden. Ich spielte in meiner Höhle, als sie kamen. Ich hörte die Schreie, das Brüllen der feindlichen Kämpfer und konnte das Feuer riechen, das sie gelegt hatten.«

Wie schrecklich das gewesen sein musste! Ohne zu überlegen, legte sie ihre Hand auf die seine und spürte raue Haut unter den Fingern. Milo bemerkte die Berührung nicht. Sein Blick sagte ihr, dass er weit weg war, in einer fernen Vergangenheit, zwischen brennenden Dächern und den blutigen Leichen der Angehörigen seines Stammes.

»Als ich mich raustraute, fand ich erst nur Leichen. Alles Vampire, die Menschensklaven hatten die Angreifer mitgenommen. Meine Mutter, meine Schwestern, die anderen Frauen und Kinder, alle waren tot. Alles war verbrannt. Ich kann mich erinnern, wie ich in qualmenden Trümmern dasaß. Es schneite dicke nasse Flocken. Da hörte ich ein Wimmern. Es war ein Mädchen, zwei oder drei Winter älter als ich. Sie hieß Nina. Ich kannte sie aus unseren gemeinsamen Unterrichtsstunden mit den Gelehrten. Sie war blutüberströmt, aber es war das Blut ihres Bruders, der tot neben ihr lag. Die Kämpfer hatten sie deswegen wohl für tot gehalten. Aber sie hatte sich nur ein Bein gebrochen.« Er schluckte und Mariana drückte seine Hand. »Ich habe versucht, mich um sie zu kümmern, und brachte ihr Wasser aus dem Brunnen und durchgeweichtes Brot, das ich in der Küche fand. Aber mir war klar, dass wir es nicht schaffen würden. Wir brauchten Blut, ganz besonders Nina, um ihre Verletzung zu kurieren. Ich spürte ihn schon, diesen in den Eingeweiden bohrenden Hunger, der einen zum Tobsüchtigen mutieren lässt.« Er zog seine Hand zurück und fuhr sich geistesabwesend durchs Haar, das er heute einfach nach hinten gestrichen hatte. Sie legte ihre Hände in den Schoß, getroffen durch diese Distanz schaffende Geste. »Um es kurz zu machen: Wir hatten Glück. Raiden kam mit seinen Kriegern und Blutsklaven vorbei. Er kehrte von einer Ratssitzung bei Zoltan Lu’sin, dem damaligen Herrscher, zurück und nahm uns mit nach Tyr. Ohne ihn wären wir umgekommen.«

»Aber was war mit den Kriegern der Yirdar? War dein Vater nicht unter ihnen? Ist er nicht zurückgekehrt, als er von dem Massaker hörte?«

Er lachte hart auf. »Nein. Die Krieger stürzten sich in den Kampf gegen den Stamm, der dafür verantwortlich war. Aber sie und der Stamm, der sie angeheuert hatte, verloren den Krieg. Die Sieger stellten sicher, dass es keine Gefangenen der Yirdar gab. Alle Söldner wurden hingerichtet.«

»Wer war dieser siegreiche Stamm? Gibt es ihn noch?«

»Ja.« Milo nickte in Richtung der Fürstin Shazad. »Den gibt es noch.«

»Die Shazad?« Mariana starrte entsetzt auf die Fürstin, die mit Jesko plauderte.

»Nicht die Fürstin. Es war ihr Vater, der Raiden in Dingen wie Grausamkeit durchaus das Wasser reichen konnte. Sie hat ähnlich wie Damien unter den Umtrieben ihres Vaters gelitten und nach seinem Tod große Änderungen bewirkt. Heute sind die Shazad friedlich. Sie haben im Rebellenkrieg an Maksims Seite gekämpft. Aber damals war der Stamm kriegerisch und verbreitete Angst.«

Mariana schob ihr Holzbrett weg. Der Appetit war ihr vergangen. Das Bild eines kleinen Jungen, umgeben von den Leichen seiner Familie im Schnee, stand hartnäckig vor ihrem inneren Auge.

»Nina ist heute die Gefährtin eines Kriegers bei einem Stamm im Norden. Raiden wurde ein Ersatzvater für mich, Damien mein Bruder im Blute. Als Kind habe ich nicht verstanden, dass Raiden grausam und ungerecht war. Das kam erst später. Aber er hat mir das Leben gerettet. Es war schwer, sich gegen ihn zu stellen. Es fühlte sich an, als ob ich meine Familie noch einmal verlöre. Um in Maksim und Damien eine neue zu finden.«

»Und in Mutter und Rodica. Und Arik und mir!«

Der bedrückte Ausdruck wich aus seiner Miene und er lachte. »Ob ich das wirklich will?«

»Milo!« Sie boxte ihm freundschaftlich auf den Arm.

Er drohte ihr mit dem Zeigefinger. »Vorsicht! Sonst fordere ich dich noch zum Waffengang heraus.«

»Morgen Nacht auf dem Kampfplatz.«

»Abgemacht.«

Unvergängliches Blut - Die Erben

Подняться наверх