Читать книгу Unvergängliches Blut - Die Erben - S.C. Keidner - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеDie Vorbereitungen für seine Ernennung zum Herrscher waren in vollem Schwung und Damien wünschte sich nichts sehnlicher, als dass es vorbei sein möge.
Burg Tyr wurde von oben bis unten geputzt. Kein Raum, in dem man nicht über Wassereimer stolperte. Die Täfelungen der Flure und Gemächer wurden mit Öl poliert, die silbernen Türgriffe in der Form eines Wolfskopfs auf Hochglanz gebracht, Gemälde abgestaubt, Teppiche geklopft, die Wände der Halle geweißt und die Quartiere der Gäste vorbereitet. Im Waschhaus arbeiteten die Bediensteten Nacht und Tag, um die Laken, Decken und Tücher, die man benötigen würde, sauber zu bekommen. Die Knechte trieben die Schafe und Ziegen auf Bergwiesen in der Nähe, damit in den Ställen Platz für die Pferde der Gäste geschaffen wurde. Rodica plante mit den Köchen das Festessen. Wein musste eingekauft werden und die Jäger bekamen den Auftrag, eine ausreichende Zahl an Hirschen und Rehen zu erlegen. Musikanten sollten das Mahl mit kurzweiligen Melodien begleiten. Wie vorhergesagt, stürzten sich die Schneider auf sie. Die Frauen erhielten Festkleider. Maksim, Arik und er sollten aufwendig bestickte Hemden und Umhänge zu schwarzen Hosen und Stiefeln tragen.
Damien flüchtete vor alldem in sein Studierzimmer. Taran war zu ihren Schwertübungen gegangen. Er hätte sich ihr gern angeschlossen, aber es galt, die Korrespondenz zu erledigen.
Heute war wieder ein Stoß Briefe aus allen Himmelsrichtungen gekommen, Dankesworte für die Einladung zu den Feierlichkeiten und Grußworte, die ihm zur Ernennung zum Herrscher gratulierten und der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass die beidseitigen Beziehungen fruchtbar sein mögen. Das Schöffenkollegium der blauen Stadt dankte Maksim für die Zusammenarbeit und zwei Stämme bestätigten die Zahl der Krieger, die an den Feierlichkeiten teilnehmen würden.
Außerdem hatte ein Bote einen Brief von Milo gebracht.
Damien schob die anderen Pergamente beiseite und riss das Wachssiegel auf. Er hatte Milo in seinem letzten Schreiben gebeten, über eine Stellung im Rat nachzudenken, und die Antwort gespannt erwartet. »Bruder, du hast eine Sauklaue«, murmelte er und überflog die zwei Bögen, bevor er sich in sie vertiefte: Bruder, ich danke Dir für Dein Schreiben. Es hat mich im tiefen Süden des Gebirges erreicht. Es gab Wajaren, die dachten, sie könnten hier ungestraft Viehdiebstähle begehen. Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Sie haben falsch gedacht. Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu Deiner Ernennung zum Herrscher über die Stämme. Maksim hat den richtigen Nachfolger gewählt! Seine Gründe für die Abdankung kann ich nachvollziehen. Ich wünsche ihm und Rodica noch viele glückliche Winter. Deinen Vorschlag, Mitglied des Rats zu werden, nehme ich gern an. Schließlich benötigst du jemanden, der Dich auf den Boden der Tatsachen zurückholt, wenn Dir die Anbetung durch Deine Untertanen zu Kopf steigt! Was die Bekämpfung der Wajaren angeht, habe ich durchaus Ideen. In den letzten Wintern erschien es mir immer mehr wie ein sinnloser Kampf: Kaum hat man Wajaren in einer Ecke des Gebirges erledigt, tauchen sie in einer anderen wieder auf. Und sie geben sich nicht mehr mit Raubzügen zufrieden. Ich denke, die Gerüchte über Blutshäuser werden Tyr erreicht haben. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass man das Übel an seiner Wurzel packen muss, um es auszulöschen. Wajaren sind von den Stämmen Verstoßene. Es entbehrt nicht der Ironie: Die Fürsten denken, sie lösen ein Problem, wenn sie von ihrem Recht auf Bestrafung kleiner Verbrecher Gebrauch machen und Diebe oder Betrüger von ihren Ländereien vertreiben. Stattdessen fällt das Problem mannigfaltig auf sie zurück, wenn aus dem Dieb oder Betrüger ein Wajare wird. Ich frage mich, ob man da nicht einhaken sollte. Kann die Bestrafung nicht eine sein, die diese Männer und Frauen nicht zu Wajaren macht? Wie das Einkerkern? Oder Strafzahlungen? Das treibt mich seit einiger Zeit um. Eine Position im Rat würde meinen Vorschlägen zur Lösung des Problems dienlich sein. Näheres, wenn ich auf Tyr eintreffe. Trotz der zahlreichen Winter, die ich durch das Gebirge gestreift bin, habe ich erstmalig den Süden aufgesucht. Er unterscheidet sich stark vom Norden. Keine Täler, Schluchten und Flüsse, keine Wälder. Das Land ist karg und trocken, es regnet selten. Die Gebirgskuppen liegen weit auseinander, zwischen ihnen erstrecken sich Ebenen ähnlich der Grasländer, in denen verkrüppelte Büsche und Bäume wachsen. Verstecke vor der Sonne gibt es wenige, ein Grund, warum hier eine überschaubare Anzahl von Vampiren lebt. Ich habe einen kleinen Stamm mit vierzig bis fünfzig Angehörigen und halb so vielen Menschen kennengelernt, die für sie arbeiten. Sie leben von der Viehhaltung und konnten den Wajarenbanden nichts entgegensetzen. Jetzt, nach der Lösung ihres Wajarenproblems, leben sie wieder ihr friedliches Leben. Welches mir persönlich zu friedlich ist. Wie geht es Taran und den Kindern? Erinnere Deine umwerfende Gefährtin bitte daran, dass sie mir Revanche angedroht hatte, nachdem ich sie bei meinen letzten Schwertübungen auf Tyr besiegt habe. Ist das wirklich zwanzig Winter her? Ich mache mich umgehend auf den Weg in den Norden. Ein Bote mit einer Antwort auf dieses Schreiben wird Schwierigkeiten haben mich zu finden, also: Warte ab, bis ich auf Tyr auftauche. Gehabe Dich wohl, oh allmächtiger Herrscher über die Stämme! Dein Bruder im Blute, Milo
Damien lachte. Das war Milo, wie er leibte und lebte.
Er lehnte sich zurück und sah versonnen durch das Fenster auf die dunkle Silhouette der Berge gegen den nächtlichen Himmel. Er und Milo kannten sich seit Kindertagen. Milo, ein Waise, hatte mit ihm die Kriegerausbildung durchlaufen. Sie wurden Brüder im Blute, Kampfgefährten, die in Schlachten aufeinander achtgaben und sich gegenseitig den Rücken deckten. Sie hatten seinem Vater, Raiden Tyr, gedient, bis dieser Maksim die Insignien der Macht entrissen und sich zum Herrscher über die Stämme gemacht hatte. Die Grausamkeiten, die er dabei beging, waren der Grund für Damien und Milo, ihm die Gefolgschaft zu versagen und sich Maksims Rebellion anzuschließen. Damien wurde von seinem Vater lebensgefährlich verletzt und Milo unterstützte Taran bei seiner Pflege. Auch als sich Damiens Bruder Zyrian nach dem Ende des Krieges das Leben nahm, war Milo für ihn da. Nachdem Maksim Raiden getötet und die Macht im Qanicengebirge zurückerobert hatte, war Milo rastlos und zum Wajarenjäger geworden.
Damien fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Mariana und dann auch Maksim hatten den Finger auf die Wunde gelegt. Entgegen dem, was er ihnen gesagt hatte, hegte er durchaus die Befürchtung, dass Milo das Weite suchen würde, falls ihm auf Tyr langweilig wurde, Ratsposition hin oder her.
Wie verhinderte er, dass das passierte? Die Ratsgeschäfte würden Milo in Anspruch nehmen. Aber wie lange füllten sie ihn aus? Er brauchte seinen Bruder im Blute und wollte ihn nicht nur für ein paar Winter an seiner Seite wissen. Zusammen konnten sie vieles bewegen, wenn er es schaffte, Milo auf Tyr zu halten.
Einige Räte würden die Stirn runzeln, Milo neben sich sitzen zu haben, war er doch kein Stammesfürst. Seine unbekümmerte Art machte es nicht einfacher. Aber er hatte einen großen Erfahrungsschatz, der ihnen nutzte. Das würden auch die skeptischen Räte bald bemerken.
Milos Gedanken zu den Wajaren waren vielversprechend. Es stimmte, was er sagte. Die meisten Fürsten vertrieben Stammesangehörige, die sich eines Vergehens schuldig gemacht hatten, aus ihrem Gebiet. Es ging um kleine Ganoven, die mit ihrer Verstoßung zu den Wajaren kamen und dort rasch zu Mördern und Frauenschändern wurden. Wenn man andere Strafen als die Verstoßung vorsah, entzog man den Wajaren den Nachschub an Kämpfern. Aber diese Bestrafungen kosteten Gold. Gefangene mussten bewacht und verköstigt und Verliese vielleicht erst gebaut werden.
Zu diesem Thema würde es in jedem Fall eine lebendige Debatte im Rat geben.