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Kapitel 4

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Die Festung, auf die Maksim und Rodica umzuziehen gedachten, lag in der Nähe der Wasserfälle. Kaskaden eiskalten Gletscherwassers stürzten von bemoosten Felsen in einen Teich, aus dem ein tosender Gebirgsbach seinen Anfang nahm und nach vielen Meilen in den Qanaxini-Fluss mündete. Bei geöffneten Fenstern hörte man das Rauschen des Wassers. So stellte Arik sich das Geräusch der Meeresbrandung vor.

Ihm gefiel die Festung. Sie lag westlich von Tyr, nahe einem Reisepfad ins Niemandsland. Auf ihr wurden die Pferde der Tyr großgezogen. In den weitläufigen Ställen standen tragende Stuten, Fohlen und Jungpferde, deren Ausbildung zu Schlachtrössern im Alter von drei Wintern begann. Das Wohngebäude war klein. Es bot Raum für ein Dutzend Krieger und doppelt so viele Knechte und Mägde. Daneben gab es Scheunen, eine Schmiede, einen Brunnen und die unerlässliche Wehrmauer. Vor dem Tor lagen Bergweiden, auf denen die Pferde gehütet wurden.

Rodica stand mit glänzenden Augen in dem leeren Raum, den sie gerade besichtigten. »Das wird unser Wohngemach«, verkündete sie. »Man kann von hier weit ins Land blicken!«

Mariana trat an das offen stehende Fenster. Sonnenstrahlen fielen auf den Steinfußboden. Das Gemach lag im obersten Stock des Wohngebäudes und ermöglichte den Blick über die Mauer. »Über die Weiden und den Wald bis hin zu den Wasserfällen! Seht nur, wie das Wasser diesen glitzernden Nebel über dem Teich bildet! Es ist wunderschön.«

»Gleich nebenan ist das Schlafgemach«, fuhr Rodica fort. »Mit derselben Aussicht.«

Ariks Schwester lief in den angrenzenden Raum. »Oh, hier ist viel Platz! Du kannst bestimmt noch deinen Sekretär und das kleine Bücherregal aufstellen!« Ein Quietschen und Knarren ertönte, dann kam sie zurück. »Das Bleiglas im Fenster drüben hat einen Sprung. Ihr solltet den Glasmacher bitten, das zu reparieren, bevor ihr einzieht. Und die Scharniere müssen geölt werden.«

»Richtig, das hatte ich ganz vergessen.« Rodica blickte sich zufrieden um. »Ich denke aber, dass ich den Sekretär hier unterbringen werde. Wir werden nur Sessel aufstellen, keinen Diwan. Und Maksim braucht keinen Tisch für Pergamente oder Karten.«

Arik blendete die sich entspinnende Diskussion, welche Einrichtungsgegenstände wo hingehörten, aus, wanderte zum Fenster und beugte sich hinaus. Im Hof flickten zwei Knechte Zaumzeug und Sättel. Die Bediensteten waren Menschen, die ihren Pflichten tagsüber nachgingen. Die Krieger bestanden zur Hälfte aus Ewigen und Menschen und zur anderen Hälfte aus Vampiren, die sich die Tages- und Nachtwachen über die Festung und die Herde teilten. Er, seine Schwester und eine Handvoll Ewiger hatten Rodica hierherbegleitet, damit sie entscheiden konnte, welche Möbelstücke sie und Maksim benötigten. Gleich würden sie nach Tyr zurückkehren, ein kurzer Ritt, der den halben Nachmittag dauerte, und auf dem sie vier Pferde, deren Ausbildung beendet war, mitnahmen.

Er würde Rodica und Maksim vermissen. Sicher, er gönnte ihnen von ganzem Herzen, dass sie sich zurückzogen und das Leben genossen. Maksim konnte seiner Passion für die Pferdezucht frönen und Rodica wurde befreit von der Notwendigkeit, dem Haushalt der Burg vorzustehen. Das war es nicht, was ihn trübsinnig machte. Es war etwas anderes. Rodica würde sterben. Damit wäre nichts mehr wie früher. Keine Gespräche mit ihr über die Bücher, die sie genauso gern las wie er. Die Geschichten vor dem Kaminfeuer, wie sie Maksim kennengelernt hatte oder über ihre Winter im Niemandsland. Oder ihr Verständnis für seine Nöte mit dem Schwertkampf. Er seufzte. Am schlimmsten wäre, dass sie einfach nicht mehr da sein würde.

»… schaue mal, wie weit sie mit den Pferden sind. Wir müssen bald los, wenn wir rechtzeitig zum Abendmahl zurück sein wollen!«, brachte ihn die Stimme seiner Schwester und der nachfolgende Knall der zuschlagenden Tür in die Wirklichkeit zurück.

Rodica legte den Arm um ihn. »Ist alles gut, Arik?«

Erstaunt stellte er fest, dass ihm die Augen feucht geworden waren. Er räusperte sich verlegen. »Ich … ich werde euch vermissen.«

Sie drückte ihn an sich. »Keine Sorge, wir verlangen Besuche von unseren Enkeln. Und die Festlichkeiten auf Tyr werden wir uns nicht entgehen lassen! Es wird Spaß machen, als Gast dort zu sein, ohne Sorgen, ob der Braten durch ist oder der Wein schmeckt.« Das Bild, wie Rodica mit dem Hofmarschall im Schlepptau durch die Burg eilte, um Unterkünfte für die Gäste herzurichten, die Jäger zu instruieren, und die Tischordnung festzulegen, würde sich ihnen nicht mehr lange bieten.

»Aber wenn du ‒.« Er verstummte hilflos.

»Ich bin immer noch da, Arik. Und werde auch noch eine ganze Weile da sein.«

»Aber irgendwann ‒.«

»Irgendwann werde ich sterben, genau. Ich sage dir, was ich bereits deiner Schwester gesagt habe: Das ist nun einmal so und wir können es nicht ändern. Du sollst dir keine Gedanken darüber machen.« Ihre Stimme hat den Befehlston, den er gut kannte. Es war derselbe Ton, mit dem sie ihm und Mariana verboten hatte, sie ›Großmutter‹ zu nennen. Alt werde sie früh genug, da brauche man sie nicht schon vorab alt zu machen, hatte sie damals gesagt. Seitdem nannten sie ihre Großeltern beim Namen. »Lebe dein Leben, Arik, das ist das schönste Geschenk, was du mir für meine letzten Winter machen kannst, ganz gleich, ob es zwei, sieben oder fünfzehn sein werden. Es wäre schwer für mich zu ertragen, wenn du wegen mir Trübsal bläst. Das will ich nicht! Versprichst du mir das?«

»Aber ‒.«

»Arik.«

Er senkte den Kopf. Wenn sie in dieser Stimmung war, brauchte er nicht weiterzureden. »Es ist nur um so vieles schöner, wenn du da bist«, murmelte er hilflos. Sie hatte ja recht, es ließ sich nicht ändern. Aber er konnte sich nicht auf Befehl glücklich fühlen.

»Deswegen sollt ihr mich ja besuchen. Ich finde es nämlich schön, euch um mich zu haben. Du musst mir von den Büchern berichten, die du liest! Und von all den anderen Abenteuern, die du noch erleben wirst!«

»Welche Abenteuer? Ich übe den Schwertkampf, das ist nicht besonders abenteuerlich.«

Sie lächelte geheimnisvoll. »Du wirst schon sehen, Arik.«

Verwirrt sah er sie an. Was meinte sie damit? Doch bevor er nachhaken konnte, erscholl von unten ein Ruf. »Es scheint, dass wir losreiten«, sagte Rodica. »Komm!«

Gehorsam eilte er ihr nach in den Hof, wo Mariana und die anderen bereits aufsaßen. Die vier jungen Pferde führten sie an Stricken mit sich. Er schnappte sich den Strick eines kräftigen Rappen und Rodica nahm sich einen Fuchs.

Mariana lenkte ihr Pferd an seine Seite, als sich der Tross in Bewegung setzte und aus dem Tor auf die Weiden trabte. »Alles in Ordnung, Arik? Du bist so still.«

»Ja.« Er seufzte. »Dieser Ausritt hat mir vor Augen geführt, dass Rodica sterben wird. Das ist ein trauriger Gedanke.«

Sie nickte langsam. »Ich habe mit ihr darüber gesprochen. Sie will nicht, dass wir trauern.«

»Das hat sie mir auch gesagt.« Er warf einen Blick über die Schulter. Rodica ritt neben einem der Kämpfer und unterhielt sich angeregt mit ihm. »Sie hat es mir verboten. Und mir gesagt, ich soll mein Leben leben.«

»Die Standpauke habe ich auch bekommen. Ich habe nachgedacht. Wenn es das ist, was Rodica glücklich macht, dann werde ich es tun, habe ich beschlossen. Es fällt mir allerdings schwer. Ich habe ein schlechtes Gewissen dabei.«

»Ich auch. Aber dann denke ich, wenn wir sie andauernd umschwirren, können wir es nicht ändern. Und wir verärgern sie. Dann sind alle unglücklich.«

Mariana lachte. »Wie wahr! Das würde zu etlichen Standpauken führen.«

Er grinste schwach. Rodicas Standpauken, genau wie die ihrer Mutter, wollte man nicht allzu oft zu hören bekommen. »Da ist es besser, ihren Befehlen zu gehorchen, das stimmt. Aber es ist schwer.«

Seine Schwester langte zu ihm hinüber und drückte kurz seine Hand. Ivor, der an der Spitze ritt, rief einen Befehl und der Tross verfiel in langsamen Galopp. Die Geschwister schwiegen für den Rest des Wegs, jeder in Gedanken versunken, aber verbunden in der Sorge um Rodica.

Unvergängliches Blut - Die Erben

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