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Kapitel 8
ОглавлениеDrei Tage waren Martin und Phillip ziemlich beschäftigt. Es galt Vorbereitungen zu treffen, wobei der Umstand, dass sie nicht wussten, wie diese Vorbereitungen aussehen sollten, die Sache nicht leichter machte.
Sie fanden, es sei eine große Sache, dieses Gipfeltreffen der Anführer in Atlantis, das erste seiner Art. Ihnen war klar, dass sie ihre Freunde repräsentierten. Absolut sicher waren sie sich darin, dass viele Frauen dort sein würden. Martin musste ununterbrochen daran denken, dass Gwen sicher auch da sein würde.
Beide reisten für ein gründliches Umstyling in ihre jeweilige Ursprungszeit zurück. Eddie, Jimmys ehemalige rechte Hand, entpuppte sich als äußerst hilfreich bei diesem Unterfangen. Sie hatten ihm nach Jimmys Versuch, alle zu töten, zunächst nicht über den Weg getraut, andererseits hatte Jimmy ja auch versucht, Eddie zu töten. In den zwei Monaten seit dem Zwischenfall hatten Phillip und Martin Eddie ziemlich gut kennengelernt. Es stellte sich heraus, dass er ein sehr interessanter Kerl war – und er war besessen von Männermode.
Er zeigte ihnen, dass ein Zauberer durch das Besuchen bestimmter Zeitpunkte, die einige Monate auseinander lagen, im Nu hochwertige Maßanfertigungen bekommen konnte. Zumindest im Empfinden des Zauberers.
Sie erstanden beide neue, schwarze Smokings, die einfach zeitlos waren. Sie besorgten sich neue Anzüge, sorgfältig dazu ausgewählt, sie würdevoll erscheinen zu lassen, und als solche nicht allzu altmodisch. Sie holten sich Freizeitbekleidung und Badehosen (es ging schließlich nach Atlantis), die dann doch ein wenig altmodisch waren und jeder einen Haarschnitt, der laut und deutlich verkündete: Ich komme aus dem Jahr, aus dem ich komme.
Phillip beschloss, für die kurze Dauer seiner Abwesenheit, Tyler und Eddie seine Aufgaben als Vorsitzender zu übertragen. Es war nicht kompliziert. Im Grunde trug er Eddie auf, Tyler regelmäßig Bericht zu erstatten, und Tyler sagte er, er solle sich bereithalten, Eddies Berichte entgegenzunehmen. Irgendwie gefiel Phillip der Gedanke, das mittelalterliche England zu verlassen und in den Händen eines schwarzen und eines asiatischen Mannes zurückzulassen.
Martin tat es leid, Roys Ausbildung nicht abschließen zu können. Noch mehr tat ihm leid, dass Roy darüber nicht unglücklich zu sein schien und eifrig vorschlug, Jeff solle doch die Ausbildung übernehmen.
Gary war ein paar Tage lang sauer, weil Martin und Phillip ihn nicht mitnehmen wollten, doch dann kam ihm und Martin die Idee, einen großen Auftritt zu planen.
»Sieh mal«, sagte Martin, »das wird das erste Mal sein, dass Vertreter aller Gemeinschaften von Zauberern an einem Ort zusammenkommen. Jeder soll wissen, dass wir angekommen sind.«
»Sie werden es wissen, weil sie sehen werden, wie wir ankommen«, meinte Phillip.
Martin schüttelte den Kopf. »Nein, Phil, das siehst du völlig falsch. Das sind nicht einfach ein Haufen Leute, die zu einem Treffen kommen.«
»Doch, genau das«, widersprach Phillip.
»Nein, eben nicht«, sagte Martin, um nach kurzer Pause fortzufahren: »Na gut, eben doch, aber eben auch wieder nicht.«
Phillip fragte: »Hat der Satz beim Zusammensetzen in deinem Kopf noch Sinn gemacht, oder machst du einfach den Mund auf und lässt die Worte rauspurzeln wie sie wollen?«
Martin nahm sich einen Augenblick, um seine Gedanken umzuformulieren. »Es ist nicht einfach ein Haufen Leute, die zu einem Treffen kommen. Es ist auch eine Gruppe von wichtigen Leuten, die den Rest der Welt im Namen ihrer Gemeinschaften begrüßen. Das ist wie die Eröffnungsfeier bei den Olympischen Spielen.«
Phillip erwiderte: »Ich dachte eher an eine UNO-Konferenz.«
Gary warf ein: »Ehrlich gesagt hatte ich das trimagische Turnier aus Harry Potter vor Augen.«
»War ja klar«, murmelte Martin. Dann, an Phillip gewandt, sagte er: »Sieh mal, ich habe nachgedacht. Wir müssen einen großen Auftritt hinlegen, okay? Vertrau mir.«
»Na gut«, sagte Phillip, der darüber einfach nicht weiter streiten wollte. »Olympische Eröffnungsfeier. Meinetwegen. Was schlägst du vor? Sollen wir Trainingsanzüge tragen, in Kreisformation einlaufen und eine Fahne vor uns hertragen?«
Martin und Gary sahen sich an. Martin sagte: »Weißt du, das wäre ziemlich witzig.«
»Nein, ihr braucht etwas Eindrucksvolles. Etwas, mit dem ihr die Aufmerksamkeit der Leute erregt.«
Phillip schlug vor: »Wie wär's mit zwei ausgewachsenen Männern, die aus dem Nichts auftauchen und aussehen wie verantwortungsvolle, vernunftbegabte Erwachsene?«
»Für den Anfang nicht schlecht«, sagte Gary. »Aber stell dir das mal vor: Zwei ausgewachsene Männer, wie du sie nennst, krabbeln aus einem flammenden Spalt im Boden, Schwefel und verdammte Seelen speiend.«
»Spuckt der Spalt Schwefel, oder wir?«
Gary meinte: »Wir können beides probieren, und wir nehmen dann, was auch immer besser ankommt.«
»Ich sehe, worauf ihr hinauswollt, Jungs«, sagte Phillip. »Aber in einer solchen Situation ist weniger doch bestimmt mehr.«
»Ja«, pflichtete Gary ihm bei, »und wenn weniger mehr ist, dann muss mehr, logischerweise, noch viel mehr sein als das.«
Schließlich gab Phillip auf. Er sagte Gary und Martin, sie sollten machen, was sie wollen, bat sie aber inständig, es nicht zu protzig werden zu lassen.
Garys Versprechen, es gerade protzig genug zu machen, beruhigte Phillip nicht sonderlich.
Dann endlich war der Zeitpunkt gekommen. Ihre Koffer waren gepackt und standen bereit. Phillip hatte einen schokobraunen Hartschalenkoffer von Samsonite, Martin einen schwarzen Stoffkoffer auf Rollen. Ihre Haare waren perfekt gestylt. Eine knackige Igelfrisur bei Martin, perfekt geföhnte Außenwelle und Mittelscheitel bei Phillip. Sie waren bereit.
Die Jungs trafen sich zur Verabschiedung in Martins Lagerhaus.
»Okay, alle herhören«, sagte Phillip. »Genau zwei Wochen, dann sind wir wieder zurück.«
»Ja, wieso eigentlich, Junge?«, fragte Roy. Mit seinen über sechzig Jahren gefiel es Roy sehr, Phillip Junge zu nennen. Mit seinen über vierzig Jahren gefiel es Phillip sehr, dass es jetzt jemanden gab, der ihn Junge nennen konnte. »Warum erst in zwei Wochen? Ihr seid Zeitreisende. Warum nicht unmittelbar nachdem ihr abgereist seid?«
»Bei kurzen Ausflügen machen wir das normalerweise auch so«, erklärte ihm Phillip, »aber manchmal, bei längeren Reisen, ist es einfach weniger verwirrend. Außerdem, wenn man länger in der Vergangenheit gelebt hat, wird einem irgendwann klar, dass man sie nicht in allen Einzelheiten sehen muss.«
Martin fragte Gary: »Ist unser Auftritt vorbereitet?«
»Jau«, sagte Gary, »das Makro ist so eingerichtet, dass der Satz, der euch hin transportiert, es automatisch mit auslöst.«
»Muss ich was Bestimmtes tun?«, wollte Phillip wissen.
»Nein«, antwortete Gary, »das Ganze ist um die Grundidee herum entwickelt worden, dass du herumstehst wie ein Stock.«
»Sehr vernünftig«, sagte Phillip.
Tyler fragte Martin: »Was ist dein Plan für Gwen?«
»Ich werde versuchen, cool zu bleiben.«
Phillip kam in den Sinn, dass versuchen, cool zu bleiben bedeuten konnte, zu versuchen, so zu tun, als sei alles in Ordnung, was gut wäre. Es konnte aber auch bedeuten, zu versuchen, so zu tun, als sei man ein richtig cooler Typ, was wiederum katastrophal schlecht wäre.
Man verabschiedete sich. Anweisungen wurden gegeben. Strenge Ermahnungen an Gary wurden ausgesprochen. Es war Zeit aufzubrechen. Martin und Phillip standen Seite an Seite, Zauberstäbe in der einen, Koffer in der anderen Hand und sagten zugleich: »Transporto unua Atlantis kunveno.«
***
Viele, viele Jahre früher und viele, viele Meilen entfernt materialisierten zwei Gestalten. Es war unmöglich, Genaueres zu erkennen, da sie in Schatten gehüllt waren, trotz der Sonne, die hell vom Himmel schien.
Einen Augenblick stand das unerklärlicherweise verschattete Duo regungslos da, dann wurden sie von einem grellen Licht erfasst und man konnte unschwer erkennen, dass es sich um Martin und Phillip handelte. Phillip zuckte geblendet zusammen und hielt sich die Hand vor die Augen. Martin sprang in die Luft, viel höher und eleganter, als er es ohne magische Hilfe gekonnt hätte. Er führte einen perfekten Roundhouse-Kick aus, der noch eindrucksvoller wirkte, weil Martin in einer Hand den Stab und in der anderen Hand den vollgepackten Koffer hielt. Am höchsten Punkt des Sprungs erstarrte er mitten in seiner Bewegung. Während er so in der Luft hing, erschien hinter ihm ein Panorama aus Explosionen, blutrünstigen Orks und einem Pontiac Fiero, der über eine Schlucht zu springen schien. Martin und die Szenerie blieben einen Augenblick lang hinter Phillip wie eingefroren, sodass das Publikum den Eindruck gewinnen musste, auf ein Filmposter zu blicken. Auf ein Poster zu einem actionlastigen Buddy-Film, über einen Vielflieger-Kung-Fu-Zauberer und seinen prüden, verwirrten Partner. Von irgendwoher kam noch ein E-Gitarren-Solo, dann verschwand die kitschige B-Movie-Herrlichkeit mit einem Mal. Martin vollendete seinen Überflug und landete auf Phillips anderer Seite. Mit sorgfältig einstudierter Lässigkeit hob er seinen Blick, um die Reaktionen des Publikums auf ihren Auftritt entgegenzunehmen.
Martins Blick traf den blauesten Himmel, den er je gesehen hatte, über dem blauesten Ozean, den er je gesehen hatte. Zu seiner Rechten befanden sich ein üppiger, grüner Palmenwald und Buschland. Unter seinen Füßen war Sand, dessen Farbe und Beschaffenheit der von Zucker glich. Direkt vor ihm sah er Gwen stehen, allein und barfuß am Strand. Sie hatte immer noch eine reizende Bob-Frisur, aber die Sonne hatte ihre Haare zu einem etwas helleren Braun gebleicht, als sie es bei ihrem letzten Treffen getragen hatte. Sie trug einen ähnlichen Kapuzenumhang, wie zu ihrer Zeit in England. Nur war dieser aus leichterem Stoff, eher dazu geeignet seinen Träger vor Sonne zu schützen als vor Regen und Wind. Unter dem Umhang trug sie ein leichtes, knielanges Sommerkleid. Ihre Sandalen hingen an ihren Fingern, was sie jedoch nicht daran hinderte, betont langsam zu applaudieren.
Phillip rief: »Gwen!« Er ließ seinen Koffer fallen, eilte zu ihr und umarmte sie ungestüm.
»Phillip«, sagte Gwen, »es ist schön, dich zu sehen.« Während sie sich so umarmten, stellte Martin seinen Koffer ab und näherte sich, um ebenfalls Hallo zu sagen.
Die Umarmung endete irgendwann, doch anstatt Gwen loszulassen, hielt Phillip sie auf Armlänge und besah sie sich genau.
»Gwen, du siehst großartig aus.«
Martin stimmte ihm innerlich zu.
Sie dankte Phillip, nachdem er sie losgelassen hatte. Martin machte Anstalten, sie jetzt auch zu umarmen, hielt aber inne, als sie ihm ihre Hand entgegenhielt. Es fiel ihm unheimlich schwer, ihr die Hand zu schütteln, ohne seine Enttäuschung zu zeigen.
»Gwen«, sagte Martin, »großartig, dich zu sehen.«
»Dich auch, Martin. Offensichtlich habt ihr die Schale bekommen.«
»Oh ja. Übrigens, danke für die Star-Wars-Anspielung.«
Gwen lächelte. »Keine Ursache.«
Nachdem Gwen angemessen begrüßt worden war, widmete Phillip seine Aufmerksamkeit ihrer Umgebung. »Es ist wunderschön hier, Gwen. Wo sind wir?«
»Wir sind auf einer Insel, wenige Meilen vor der griechischen Küste. Wir befinden uns, unglaublicherweise, im Jahr 368 vor Christus. Andere Abgesandte haben Transportkoordinaten bekommen, die sie direkt in die Stadt bringen, aber ich wollte ein wenig Zeit haben, um Hallo zu sagen und um ein paar Dinge erklären zu können.« Sie begann den Strand entlang zu gehen und die beiden Männer folgten ihr.
»Eins nach dem anderen«, sagte Phillip. »Wie geht's dir, Gwen? Wie gefällt dir das Leben in Atlantis?«
Gwen antwortete: »Atlantis ist großartig. Du wirst es ja bald sehen. Es ist nicht perfekt, aber nahe dran.«
Martin meinte: »Ach, echt? Weil, ich meine nur, ich war etwas überrascht, so bald wieder von dir zu hören.«
»Was meinst du damit?«, fragte Gwen.
»Es ist nur, als du weg bist, da bin ich schon davon ausgegangen, wieder von dir zu hören, nur nicht so schnell. Ich dachte, du würdest es länger aushalten, als nur ein oder zwei Monate.«
Martin sah Gwen an. Sie erwiderte den Blick, aber sie lächelte nicht. Martin sah Phillip, der hinter ihr stand. Er machte große Augen und er hatte die Zähne zusammengebissen.
»Für dich waren es ein oder zwei Monate, Martin«, sagte Gwen. »Ich bin seit über zwei Jahren hier.«
Martin hielt inne. Gwen und Phillip taten das nicht.
»Ah«, sagte Martin. »Das ist schon eher das, was ich erwartet habe.«
Gwen wurde weder langsamer, noch sagte sie ein Wort. Phillip schaute sich zu Martin um und gab ein freudloses Kichern von sich. Nach einer Weile ging Martin schneller, um zu den beiden aufzuschließen.
»Also«, sagte Phillip, um das Schweigen zu brechen, »wo gehen wir hin?«
»Nach Atlantis«, antwortete Gwen. »Es sind ein paar Meilen, aber ich habe ein Boot.«
»Warum fliegen wir nicht einfach?«, fragte Martin.
»Weil wir uns im Flug schlecht unterhalten können, und es gibt ein paar Dinge, die ihr wissen solltet.«
Als sie um eine Biegung kamen, die am Rand der Insel entlang verlief, sahen sie eine hölzerne Anlegestelle, die vom Strand aus ins Wasser hinausragte.
»Womit sollen wir anfangen?«, fragte Phillip.
»Fangen wir mit dem Gipfel an«, erwiderte Gwen. »Wie es in der Einladung stand, sind Vertreter aller Zeitreisenden-Kolonien hierhergebracht worden. Zwei Mitglieder jeder Gruppe, jeweils der Anführer und noch ein weiterer, meistens der Stellvertreter oder der beste Freund des Anführers. Es wird euch freuen zu hören, dass eure Gruppe zu den größten gehört. Die meisten Kolonien sind bedeutend kleiner.«
Martin fragte: »Welches sind denn die größten?«
»Also, zum einen seid da ihr, denn ihr repräsentiert ganz Europa, das Europa eines der offensichtlichsten Zeitalter. China und Bagdad sind in etwa so groß wie ihr, die Größte aber ist Atlantis.«
»Echt?«, fragte Martin. »Atlantis ist die Größte?«
»Denk mal drüber nach«, erwiderte Gwen, »wir haben den Großteil der Frauen aus fast allen Gruppen. Natürlich sind wir die Größte.«
Martin hob abwehrend die Hände. »Okay, schon klar. Du hast ja recht. Ich hatte nur gehofft, andere Kulturen wären netter zu Frauen, die Magie anwenden, sodass sie nicht auch das Gefühl haben, hierherkommen zu müssen.«
»Bedauerlicherweise ist das Leben für Frauen, die Magie anwenden, ziemlich unangenehm, so gut wie überall und zu fast jeder Zeit«, sagte Gwen. »Der einzige Ort, an dem sie genauso behandelt werden wie die Männer, ist die Kolonie der Zigeuner in Paris in den 1480ern. Und auch nur, weil die Einheimischen dort die männlichen und weiblichen Zigeuner gleichermaßen schlecht behandeln.«
Sie liefen eine Weile schweigend nebeneinander her und dachten über die Natur des Menschen nach, bis Gwen das Schweigen brach. »Jedenfalls werden wir Beschlüsse zu einigen Belangen fassen, die unsereins betreffen. Wie wir den Missbrauch unserer Fähigkeiten verhindern können, wie wir uns nennen werden, solche Dinge.«
»Warum nennen wir uns nicht einfach Zauberer?«, fragte Martin.
»Weil wir nicht alle als Zauberer auftreten. Es gibt Fakire, Philosophen, Weise, Alchimisten, Medizinmänner, Hexer und einige Magier. Ihr werdet auf Leute aus aller Welt treffen, aus allen bekannten Epochen. Im Moment verwenden wir den Begriff ›Zeitreisende‹, aber das trifft es auch nicht ganz. In Atlantis nennen wir uns einfach Schamaninnen.«
»Weil ihr alle Frauen seid.«
»Und weil es lustig ist, Zungenbrecher damit zu machen. Schamhafte Schamaninnen schmähen des Schas Schabernack. Siehst du?«
»Großartig«, sagte Phillip. »Zwei Wochen geplante Unstimmigkeiten mit Leuten, die es nicht gewohnt sind, mit Ihresgleichen zu verhandeln. Ein Wunder, wenn wir überhaupt etwas zustande bringen.«
»Das wird kein Problem werden«, sagte Gwen. »Unsere Anführerin, Brit, wird das Ganze leiten. Das kann sie wirklich gut.«
»Schade, dass eure Anführerin damit beschäftigt sein wird und nicht als Vertreterin von Atlantis dabei sein kann.«
Gwen lachte. »Oh, sie ist auch eine unserer Abgesandten.«
»Warte mal«, warf Phillip ein, »hat denn keiner Angst, dass sie, ich sag mal, sich selbst bevorzugt?«
Gwen antwortete: »Glaube mir, das wird kein Problem werden. Sie ist sich selten mit sich selbst einig. Hier ist das Boot.« Gwen deutete zum Ende des Stegs, an dem, auf den ersten Blick, keine Boote festgemacht zu sein schienen. Als Phillip und Martin genauer hinsahen, erkannten sie jedoch eine durchsichtige Schale, die auf dem Wasser auf und ab tanzte. Diese war wesentlich größer, als die, die Phillip erhalten hatte. Selbst wenn man wusste, dass sie da war, sah man eher ihren Schattenwurf und den Abdruck im Wasser, als dass sie selbst wirklich zu sehen war. Wenn Martin die Augen zusammenkniff, konnte er gerade so den durchsichtigen Boden erkennen und eine Sitzbank, die rund um die Innenseite verlief.
Gwen ging zum Ende des Stegs, schlüpfte in ihre Sandalen und stieg über dessen Rand in das beinahe nicht sichtbare Boot. Martin und Phillip folgten ihrem Beispiel. Als sie alle Platz genommen hatten, sagte Gwen: »Bring mich nach Hause.« Das Boot erhob sich etwa einen halben Meter über die Oberfläche und setzte sich in Bewegung. Es fuhr schnell genug, um voranzukommen, aber langsam genug, dass der Fahrtwind nicht unangenehm wurde.
Phillip betrachtete den Rand des fliegenden Schalenbootes und fragte: »Ist es auch aus Diamant?«
Gwen lächelte. »Ja. Ein automatischer Algorithmus fügt ein Molekül nach dem anderen zusammen. Das ergibt unglaublich haltbare Strukturen, und wenn man es richtig durchdenkt, kann man fast alles herstellen. Außerdem lässt es sich wegen der molekularen Reinheit gut handhaben, levitieren oder teleportieren, ohne auseinanderzubrechen. Es war eine der ersten Innovationen der Brits.«
Phillips Nationalstolz ließ ihn sich in die Brust werfen. »Wir Briten haben das erfunden? Wann?«
Gwen kicherte. »Nicht die Briten. Die Brits. Zwei unserer Anführerinnen heißen Brit.«
»Ah«, sagte Martin, »wie die Magnusse.«
»Nein«, erwiderte Gwen. »Überhaupt gar nicht wie die Magnusse. Das ist eines der Dinge, auf die ich euch vorbereiten wollte.« Gwen stieß einen tiefen Seufzer aus, überlegte kurz und fuhr dann fort: »Es ist so. Es gibt drei Personen, die in Atlantis das Sagen haben. Sie bilden so eine Art Ratsversammlung. Es gibt die Präsidentin, die wir alle wählen. Zurzeit ist das eine Frau namens Ida. Dann gibt's da noch Brit, unsere wahre Anführerin. Sie hat Atlantis gegründet und ist der intelligenteste Mensch, den ich jemals getroffen habe. Sie gehört aus Respekt dazu. Sie hat das alles eigenhändig erschaffen. Sie ist … tja, sie ist einfach erstaunlich. Ihr werdet es sehen.«
»Und die Dritte, die andere Brit? Was ist mit ihr?«, fragte Martin.
Gwen schien sich etwas zu winden. »Seht ihr, hier wird es etwas kompliziert. Es gibt keine andere Brit. Es ist die gleiche Brit. Brit ist zwei Leute, man könnte auch sagen, sie sei eine Person zweimal. Es ist so: Brit ist zurück durch die Zeit gereist, etwa hundert Jahre, und sie hat Atlantis errichtet. Sie hat es entworfen, hat alles geplant, hat dafür gesorgt, dass alles funktioniert. Dann ist sie in die Welt hinaus und hat Menschen dazu ermutigt, in die Stadt zu ziehen und sie zu bevölkern. Sie haben Häuser eingerichtet und Geschäfte eröffnet. Sie haben ihr Werk mit Leben gefüllt und es zu einer richtigen Stadt gemacht. Erst hat sie Gebäude hingestellt, dann hat sie es zu der Stadt gemacht, die sie heute ist.«
»Sie klingt ja großartig«, sagte Phillip.
»Das ist sie auch«, stimmte Gwen ihm zu. »Das Problem ist: Bevor sie all das gemacht hat, ist sie das erste Mal in die Vergangenheit gereist, elf Jahre zurück. Da hat sie Atlantis schon fertig vorgefunden – und sich selbst getroffen. Sie hat erfahren, dass sie bereits zuvor schon einmal zurück in der Zeit gereist war, um Atlantis zu errichten, damit alles bereit sein würde, wenn sie ankommt.«
Es folgte eine lange Pause, die von Phillip beendet wurde, der schrie, das alles mache keinen Sinn und die ganze Sache sei absurd! Dicht gefolgt von Martins Zustimmung, gefolgt von Gwens Zustimmung zu ihrer beider Zustimmung, aber auch ihrer Versicherung, das alles sei wirklich wahr oder jedenfalls erscheine es so.
»Brit hat eine Theorie zum Hergang. Wenn sie es erklärt, macht es Sinn.«
»Na dann, lass hören«, sagte Martin.
Gwen schüttelte den Kopf. »Da musst du sie fragen. Es ergibt nur einen Sinn, wenn sie es erklärt.«
Phillip verzog das Gesicht. »Das gefällt mir nicht.«
Gwen erwiderte: »Das war mir klar«, während sie ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter legte. »Du hast jede Menge Zeit, Brit über all das hier Fragen zu stellen. Fürs Erste musst du dir nur klarmachen: Es gibt zwei Brits. Wir nennen sie Brit die Ältere und Brit die Jüngere und sie sind ein und dieselbe Person. Unterschiedlichen Alters.«
Martin atmete hörbar aus. »Das werden wir ja bestimmt problemlos auf die Reihe kriegen.«
Gwen fügte noch an: »Oh, ich sollte noch erwähnen, dass sie beide das gleiche Alter haben. Körperlich. Ihr werdet sehen.«
Die beiden Männer wirkten nicht sehr überzeugt.
Gwen erzählte weiter: »Die Konferenz war die Idee von Brit der Älteren. Sie hat früh erkannt, wie leicht es für einen von uns sein würde seine Fähigkeiten zu missbrauchen. Das wollte sie verhindern, gleichzeitig sollten aber auch alle zusammenarbeiten, und die Leute mögen es nicht, wenn ihre Macht beschnitten wird. Weil sie die Anführerin der ältesten bekannten Zeitreisekolonie ist, genießt sie den Luxus, Zeit zu haben. Sie hat mit all den Mädels gesprochen, die aus allen Kolonien nach Atlantis gekommen sind. Sie hat jeweils einen bestimmten Zeitpunkt ausgesucht, ein oder zwei Monate, nachdem jemand versucht hat, seine Macht zu missbrauchen. Dann hat sie die Anführer zum Gipfel hierher eingeladen. So konnte sie sicher sein, dass alle in der richtigen Verfassung zur Zusammenarbeit sein würden.«
»Und natürlich war Brit die Jüngere einverstanden«, warf Phillip matt ein.
»Nein. Brit die Jüngere fand es manipulativ. Sie haben ein … nun ja … schwieriges Verhältnis.«
»Aber, sie sind dieselbe Person«, entfuhr es Phillip.
Gwen zuckte mit den Schultern.
»Deswegen sind wir jetzt eingeladen worden«, sagte Martin. »Weil Jimmy vor zwei Monaten versucht hat, uns alle umzubringen.«
»Das heißt, sie weiß von der Sache mit Jimmy«, sagte Phillip. »Das ist mir ein bisschen peinlich.«
Gwen sagte: »Das muss dir nicht peinlich sein. Ich habe Brit die ganze Geschichte erzählt und sie war auch der Meinung, Jimmy müsse weg. Er sei offensichtlich gefährlich, gierig, manipulativ und grausam.«
»Ich bin froh, dass wir da einer Meinung sind«, antwortete Phillip.
Gwen schirmte ihre Augen mit der Hand ab und blickte in die Ferne. »Sie hat auch gesagt, es mangelt ihm an Weitblick und er denkt in einem zu kleinen Maßstab.«
»Was soll das denn heißen?«, fragte Martin.
Gwen lächelte. »Urteile selbst.« Sie deutete voraus. »Meine Herren, die versunkene Stadt Atlantis.« Martin und Phillip hoben jetzt auch ihre Hände an die Augen, und dort in der Ferne konnten sie sie sehen.
Der Ozean war so reg- wie endlos. Es gab keine Inseln, die die Ebenheit des Horizonts durchbrachen. Doch in der Ferne erschien eine verschwommene Ansammlung Schiffe mit quadratischer Besegelung. Es war nicht leicht, sie anzuschauen. Die Art, wie das Licht schimmerte, strengte ihre Augen an. Es erschwerte das Betrachten der Schiffe noch weiter, dass man nicht ignorieren konnte, was sich oberhalb der Schiffe befand. Über dem schwankenden, schlingernden Flecken Meer schwebte etwas, das aussah wie eine Unzahl hoher Gebäude, die einfach im Nichts zu stehen schienen. Möwen kreisten über der unwirklichen Skyline, während darunter die kleine Armada tanzte.
»Wow«, schnaufte Martin erstaunt.
»Ja«, sagte Gwen. »Das Geniale an Atlantis als Operationsbasis ist, dass es sowieso dazu verurteilt ist zu verschwinden. So konnte Brit bauen, was sie wollte. Natürlich war das, bevor sie wusste, dass nichts was wir tun, eine Auswirkung auf die Zukunft zu haben scheint. Trotzdem war es clever von ihr.«
Martin stieß einen Pfiff aus, dann sagte er: »Eine einzelne Person hat das gebaut? Kein Wunder, dass sie hundert Jahre gebraucht hat.«
»In der ersten Woche hat sie die Stadt entworfen und die Konstruktionsalgorithmen geschrieben. Die hat sie laufen lassen, und der prinzipielle Aufbau war nach ein paar Tagen fertig. Den Rest der Zeit hat sie damit verbracht, eine Kultur einzuführen, Einwanderung zu fördern und ein Regierungssystem zu schaffen. Das war der schwierige Part.«
Phillip sagte: »Jimmy hat Jahre gebraucht, eine Burg zu bauen, dabei hatte er die Hilfe einer ganzen Armee von Bauarbeitern. Wie um alles in der Welt konnte deine Brit das in ein paar Tagen bauen?«
Gwen klopfte gegen die Seite der kristallklaren Schale, welche sie in solch Windeseile zur Stadt brachte. »Genauso wie wir dieses Boot gebaut haben. Ihr vervielfältigt doch Münzen und Nahrungsmittel? Wir machen das Gleiche. Mit einzelnen Atomen. Aber statt die Atome in einem Hut zu replizieren, reihen wir jedes einzelne ganz genau an das jeweils vorher kopierte Atom, nach einem, von einem Computerprogramm vorausberechneten, automatisch ablaufenden Muster.
Kuppeln sind die stabilste Form und am einfachsten zu programmieren. Sie hat die Idee aus einem Science-Fiction-Roman. Da kamen auch jede Menge Kuppeln aus Diamant drin vor, aber sie entschied sich stattdessen für Schalen.«
»Das erklärt, wie sie die Gebäude gemacht hat«, gestand Martin zu, »aber wie hat sie sie dazu gebracht, so in der Luft zu treiben?«
»Hat sie nicht«, sagte Gwen. »Sie treiben, aber nicht in der Luft.« Sie lehnte sich zu Martin hinüber. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter und ihren Kopf neben seinen, während sie, zusammen mit ihm, in die Ferne blickte. Sie deutete auf eins der Schiffe am Rand der glitzernden Armada. »Sieh dir das Schiff da am Ende mit dem blaugestreiften Segel an. Fällt dir daran etwas auf?«
»Ja«, sagte Martin und kniff die Augen zusammen. »Es liegt direkt neben einem Schiff mit dem gleichen Segel.«
»Nein«, erwiderte Gwen. »Schau genauer hin.«
Martin kniff die Augen noch stärker zusammen, dann rief er aus: »Es liegt direkt neben einem halben Schiff mit dem gleichen Segel.« Jetzt wurde Martin klar, was er da sah, und es war nicht das, was er zuerst gedacht hatte. Es waren keine Gebäude, es waren nur die Spitzen der Gebäude. Der leere Raum unter ihnen war gar nicht leer. Es waren Spiegelungen in einer riesigen, gekrümmten, verspiegelten Wand. Das Glitzern war keine Magie, es waren Verzerrungen, verursacht durch die Krümmung des Spiegels, und die abgestrahlte Hitze erzeugte eine Luftspiegelung. Die Stadt schwebte nicht über, sondern sie erhob sich aus dem Wasser.
Die Stadt kam nun ziemlich schnell näher. Die fliegende Halbkugel, die Gwen beharrlich als Boot bezeichnete, bewegte sich eindeutig schneller, als man glaubte. Während die Stadt immer größer vor ihnen aufragte, sagte Gwen zu Martin und Phillip gewandt: »Hört mal, Jungs. Ein Letztes solltet ihr noch wissen. Es gibt ein paar Dinge an Atlantis, auf die ich nicht sonderlich stolz bin.«
»Was meinst du?«, fragte Phillip.
»Dazu muss man wissen«, sagte sie, »es ist eine von Frauen beherrschte Gesellschaft.«
»Wir gehen davon aus, dass es anders werden wird«, sagte Martin.
»Tja«, seufzte sie, »na ja, dann geht davon aus, dass es anders wird, als das, wovon ihr ausgeht.«
Beiden war ganz offensichtlich überhaupt nicht klar, was sie damit meinte.
»Ich versuch's mal so«, fuhr sie fort. »Wart ihr jemals in einer Kneipe, in der ein Junggesellenabschied gefeiert wird?«
Beide Männer nickten.
Gwen fragte: »Wart ihr jemals in einer Kneipe, in der ein Junggesellinnenabschied gefeiert wird?«
Wieder nickten beide Männer.
Gwen fragte: »Wo war es durchgedrehter?«
Das Gefährt gewann jetzt an Höhe und überflog die Schiffe, die sich im Umkreis von Atlantis drängten. Händler der griechischen Antike standen auf ihren Schiffen und reckten die Hälse, um sie vorbeifliegen zu sehen.
Als sie sich dem Rand der Wand näherten, meinte Martin: »Gwen, wenn es eine von Mauern umgebene Insel ist, warum sagt ihr immer ›Atlantis, die versunkene Stadt‹?«
Gwen erwiderte: »Du denkst versunken, wie in versunkene Schätze. Es geht mehr in Richtung abgesenkt, so wie abgesenktes Wohnzimmer.«
Das Gefährt erreichte den Rand der Stadt und stieg noch höher. Von oben sah Atlantis aus, als habe jemand ein Loch in den Ozean selbst gegraben. Die Stadt beschrieb einen perfekten Kreis, und während am äußeren Rand hohe Gebäude standen, fiel das Innere des Kreises steil ab und bildete so eine weitere Schale. Sie war ziemlich unregelmäßig und bestand aus Fenstern, Terrassen und Dachgärten. Alle Gebäude waren aus einem glatten, weißen Material, welches zu Flächen geformt war, die mit abgerundeten Kanten verbunden waren.
Schienen zerteilten die Stadt wie einen Kuchen in einzelne Stücke. Breite, flache Aufzüge voller Menschen bewegten sich langsam auf und ab an ihnen entlang. Terrassenartige Fußwege, die voller Fußgänger waren, breiteten sich in regelmäßigen Abständen über die Stadt aus. Dazwischen fanden sich immer wieder öffentliche Plätze, an denen sich die Menschen treffen und die Aussicht genießen konnten.
Phillip und Martin war sofort klar, dass die Außenwand von Atlantis nichts anderes war, als eine weitere molekülreine Diamantenschale, allerdings sehr viel größer als alle, die sie bis dahin gesehen hatten. Der Rand der Stadt schien mindestens einen Meter dick zu sein. Was sie für eine Wand gehalten hatten, war vielmehr der obere Rand der Schale, welcher aus dem Wasser ragte. Gwen bestätigte das und fügte noch hinzu, er sei aus Sicherheitsgründen teilweise versilbert, und natürlich, weil es einfach cooler aussah.
Im Zentrum der Stadt, am tiefsten Punkt der Schale, befand sich ein ausgedehnter Park. Im Zentrum des Parks erhob sich eine Art spitzes Monument. Große, eindrucksvolle Gebäude, verziert mit Kuppeln und Säulen, umgaben den Park auf allen Seiten.
Während ihr Gefährt zur Landung auf das Zentrum der Stadt ansetzte, wurde klar, dass ihr Ziel eines der Gebäude am Rande des Central Parks war. Martin konnte ein flaches Gebäude ausmachen, das aussah wie aus verschiedenen, zueinander rechtwinklig angeordneten Rechtecken zusammengesetzt. Es war, als hätte man das Haus eines wohlhabenden Actionfilmbösewichts genommen und mit Leuchtfarbe bemalt. Wuchtige Glastüren führten auf einen gewaltigen Balkon, auf dem zwei Gestalten strammstanden. Selbst aus großer Entfernung war zu erkennen, dass sie sich in höchster Alarmbereitschaft befanden. Martin fragte Gwen, was ihr Ziel sei.
»Das Privatquartier von Brit der Älteren«, antwortete Gwen.
»Das leuchtet ein«, sagte Martin, »Sicherlich will sie alle Abgesandten persönlich begrüßen.«
Nach kurzen Schweigen sagte Gwen: »Genau genommen, nein. Sie hat ausdrücklich darum gebeten, dass sie vor dem offiziellen Empfang heute Abend keinen der Abgesandten sehen muss. Dann hat sie mich zur Seite genommen und mir aufgetragen, euch beide umgehend zu ihr zu bringen.«
Phillip hörte ihr nicht zu, er war ganz in Gedanken versunken. Er sah hinab auf das wunderschöne Gebäude und schüttelte angewidert den Kopf.
»Typisch. Sie erbaut die Stadt und gibt sich selbst das schönste Haus, mitten im Stadtzentrum.«
Gwen erwiderte: »Das Haus von Brit der Älteren sieht äußerlich anders aus, aber innen drin sieht es fast genauso aus, wie bei jedem anderen auch. Der einzige wirkliche Unterschied ist die Terrasse. Der ist für offizielle Empfänge und dergleichen. Und ja, die Regierungsgebäude sind ziemlich schick, aber sie haben die schlechteste Lage in ganz Atlantis. Denk mal drüber nach. Es geht nach allen Seiten bergauf. Es ist, wie am Boden einer Kohlegrube zu wohnen. Auf allen Seiten überragt vom Rest der Stadt. Brit findet, das verschafft den Stadtoberen die richtige Perspektive.«
»Du magst sie, nicht wahr?«, fragte Martin.
»Fast jeder mag sie.«
»Fast jeder?«
Gwen seufzte. »Tja, nun, Brit die Jüngere ist nicht gerade ihr größter Fan. Wie gesagt, es ist kompliziert.«
Das Gefährt setzte sanft auf der Terrasse von Brit der Älteren auf, einer Fläche in etwa so groß wie zwei Basketballfelder. Anstatt mit Holz oder Stein war die Veranda mit weichem Gras bedeckt. Es war kein einheitliches Grün, vielmehr waren verschiedene Sorten verwendet worden, sodass es wie eine geschmackvolle Einlegearbeit wirkte. Auf drei Seiten wurde die Terrasse von schmalen, schmuckvollen Geländern begrenzt. Die vierte Seite nahm eine makellos weiße Wand ein, in deren Mitte sich große Fenster befanden. Draußen war es sehr viel heller als im Haus, sodass man nicht erkennen konnte, was sich im Haus befand. Die zwei Personen, die Martin während ihres Landeanflugs gesehen hatte, waren eindeutig Wachmänner. Beide männlich, beide groß gewachsen und schlank, aber dennoch muskulös. Mit großartiger Muskeldefinition, das konnte Martin wegen ihrer Bekleidung gut erkennen. Die bestand nämlich aus einer leichten, blauen Tunika aus halbtransparentem Netzstoff und einer Art Kilt aus schwarzem Stoff, der zugleich eng anliegend und robust war. Der Kilt endete über dem Knie und gab so den Blick frei auf kräftige, unbehaarte Beine. Sie trugen Sandalen mit dicken Lederriemen und klobigen Sohlen.
Martin fragte Gwen: »Werden wir auch so was tragen müssen?«
Gwen schmunzelte und betrachtete Martins bodenlanges, paillettenbesetztes Gewand nebst passendem Hut. »Nein, keine Angst. Wenn euch damit wohler ist, könnt ihr eure Roben anbehalten.«
»Du hast die Roben gemacht«, erinnerte sie Martin.
»Ja, aber ihr seid diejenigen, die sich entschieden haben, sie auch zu tragen«, gab sie zurück.
Die verspiegelten Scheiben glitten sanft auseinander und zwei weitere große, schlanke, muskulöse Wachmänner kamen zum Vorschein, zwischen sich eine Frau. Sie sah aus wie Mitte zwanzig und war etwas kurz geraten. Sie war keineswegs übergewichtig, aber sie war sicherlich auch nicht dürr. Sie trug eine Brille mit schwarzem Rand und ein leichtes, hauchdünnes Kleid. Ihr rotbraunes Haar hing ihr bis auf die Schultern. Trotz ihrer jungen äußeren Erscheinung hatte sie das Auftreten einer reifen Frau, einer Frau, die nicht viel auf das gibt, was andere von ihr halten, weil sie selbst weiß, was sie von sich zu halten hat.
Während die Frau sich näherte, sagte Gwen: »Brit die Ältere, darf ich vorstellen …«
Brit die Ältere schien Gwen nicht zu hören. Sie breitete ihre Arme aus. »Phillip!« Sie ging geradewegs auf ihn zu, atmete tief ein und sah ihn an. »Phillip«, sagte sie nochmals, »es ist schön, dich zu sehen. Ich musste dir einfach schon Hallo sagen, noch vor dem Empfang mit den ganzen anderen Delegierten.«
Phillip warf Gwen einen Blick zu. Die sah verdutzt aus. Er streckte seine rechte Hand aus. »Danke sehr … Ma'am, öh, aber ich glaube, wir kennen uns noch nicht.«
Brit umschloss Phillips Hand mit beiden Händen und lächelte. »Natürlich, stimmt. Wir sind uns noch nicht begegnet, werden wir aber bald.«
»Begegnen wir uns nicht gerade eben?«, fragte Phillip.
»Ja, aber nicht zum ersten Mal. Das kommt später.« Sie lächelte Phillip noch ein wenig an, dann ließ sie seine Hand wieder frei und riss ihre Aufmerksamkeit von ihm los. »Hallo, Martin«, sagte sie strahlend. »Wie gefällt dir Atlantis?«
Martin machte eine leichte Verbeugung und antwortete: »Es ist atemberaubend, aber ich muss sagen, noch mehr beeindruckt mich, wie du sie erbaut hast. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, Makrokopien von Molekülen zu machen. Einfach genial.«
Obwohl Martin es nicht für möglich gehalten hätte, wurde ihr Lächeln noch breiter. »Ja, ich dachte mir, dass du das mehr zu schätzen weißt, als die meisten Leute. Deshalb habe ich Gwen gebeten, dich einzuladen.«
»Oh, äh, hm«, stammelte Martin. »Das kam von dir?«
»Ja. Ihrer Meinung nach hätte ein gewisser Tyler mehr von dem Besuch gehabt. Aber nach allem, was sie mir von dir erzählt hat, und nach allem, an das ich mich erinnern konnte, tja, da war mir klar, dass du Phillip begleiten musst.«
Sie sah Phillip einen weiteren, langen Moment an, dann löste sie ihren Blick, richtete sich auf und sagte: »Meine Herren, es ist wundervoll, euch beide zu sehen. Ich würde liebend gern noch plaudern, aber wir alle haben einen Empfang, auf den wir uns vorbereiten müssen. Danke, Gwen. Ich sehe euch dann alle heute Abend.«
Brit die Ältere machte kehrt und ging zurück in Richtung der verspiegelten Türen, gefolgt von zwei ihrer vier Wachmänner. Das Glas öffnete sich geräuschlos und schloss sich ebenso geräuschlos, nachdem alle drei ins Gebäude getreten waren.