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Der Storch

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Montag, den 28. März

Die Wildgänse, die auf dem Eis des Vombsees schliefen, wurden am frühen Morgen durch laute Rufe aus der Luft geweckt.

»Trirop! Trirop!«, tönte es. »Trianut, der Kranich, lässt Akka, die Wildgans, und ihre Schar grüßen. Morgen findet der große Kranichtanz auf dem Kullaberg statt.«

Akka reckte sogleich den Kopf in die Höhe und antwortete: »Gruß und Dank! Gruß und Dank!«

Dann flogen die Kraniche weiter, doch die Wildgänse hörten sie noch lange über jedem Feld und jedem Waldhang rufen: »Trianut lässt grüßen. Morgen findet der große Kranichtanz auf dem Kullaberg statt.«

Die Wildgänse freuten sich über diese Botschaft sehr. »Da hast du aber Glück«, sagten sie zum weißen Gänserich, »dass du den großen Kranichtanz erleben darfst.«

»Gibt es denn etwas Besonderes zu sehen, wenn Kraniche tanzen?«, fragte er.

»Das hast du dir im Traum noch nicht vorgestellt«, entgegneten die Wildgänse.

»Wir müssen nun überlegen, was wir mit dem Däumling machen, damit ihm kein Unglück passiert, wenn wir morgen zum Kullaberg reisen«, sagte Akka.

»Wenn die Kraniche es nicht erlauben, dass er ihrem Tanz zusieht«, sagte der Gänserich, »dann bleibe ich bei ihm.«

»Kein Mensch durfte jemals an der Versammlung der Tiere auf dem Kullaberg teilnehmen«, sagte Akka. »Aber darüber können wir später noch reden. Jetzt müssen wir erst einmal daran denken, dass wir etwas in den Bauch bekommen.«

Damit gab Akka das Zeichen zum Aufbruch. Bis zu diesem Tag hatten die Gänse auf den Feldern um Öved äsen können, ohne von Fuchs Smirre gestört zu werden. Doch als sie jetzt dorthin kamen, lauerte er schon auf sie und verfolgte sie von einem Acker zum anderen, so dass sie nirgends Ruhe zum Fressen hatten. Akka begriff, dass er sie nicht in Frieden lassen würde, fasste einen raschen Beschluss, erhob sich in die Luft und flog mit ihrer Schar mehrere Meilen weiter. Erst auf den sumpfigen Wiesen etwas südlich von Glimmingehus ließ sie sich nieder.

Der Junge saß den ganzen Tag am Ufer eines kleinen Teichs und blies Rohrpfeife. Er hatte schlechte Laune, weil er den Kranichtanz nicht sehen durfte, brachte kein Wort heraus und sprach weder mit dem Gänserich noch mit irgendjemandem sonst.

Er dachte an das Eichhörnchen, dem er beigestanden hatte, und fand es bitter, dass Akka ihm immer noch misstraute.

Das sumpfige Wiesengelände, auf dem die Gänse ästen, war auf der einen Seite von einem breiten Steinwall begrenzt. Und da geschah, als der Junge am Abend den Kopf hob, um doch ein paar Worte zu sagen, dass seine Blicke auf diesen Steinwall fielen. Er stieß einen leisen Schrei der Verwunderung aus, und sofort sahen alle Gänse auf und starrten in dieselbe Richtung wie er. Im ersten Augenblick glaubten sie wie der Junge auch, dass alle grauen runden Steine, aus denen der Wall bestand, Beine bekommen und sich in Bewegung gesetzt hätten, doch bald erkannten sie, dass eine Schar Ratten darüber lief. Sie hatten große Eile und drängten sich in dichten Reihen, und so viele waren es, dass sie für eine gute Weile den ganzen Wall bedeckten.

Der Junge hatte schon damals, als ein großer, starker Mensch, vor Ratten Angst gehabt. Wie sollte er sich jetzt nicht fürchten, wo er so klein war? Bei ihrem Anblick lief ihm ein kalter Schauer nach dem anderen den Rücken hinunter.

Merkwürdigerweise schienen die Wildgänse denselben Abscheu vor den Ratten zu empfinden wie er. Sie sprachen sie nicht an, und als sie vorbeigezogen waren, schüttelten sich die Gänse, als hätten sie Schlamm zwischen die Federn bekommen.

»So viele graue Ratten unterwegs«, sagte Yksi von Vassijaure, »das ist kein gutes Zeichen!«

Der Junge wollte die Gelegenheit nutzen und mit Akka über den Kullaberg reden. Doch wieder wurde er daran gehindert, denn unter den Gänsen ließ sich blitzschnell ein großer Vogel nieder.

Dieser Vogel sah aus, dass man annehmen konnte, er hätte sich Körper, Hals und Kopf von einer kleinen weißen Gans geliehen. Doch zu alledem hatte er sich große schwarze Flügel, lange rote Beine und einen dicken langen Schnabel zugelegt, der für den kleinen Kopf viel zu groß war und ihn nach unten zog, was ihm einen bekümmerten, traurigen Ausdruck verlieh.

Akka brachte rasch ihre Deckfedern in Ordnung, ging auf den Storch zu und neigte dabei viele Male den Hals. Es erstaunte sie nicht, dass er schon Ende März nach Schonen gekommen war. Sie wusste, dass die Storchenmännchen beizeiten und noch vor den Weibchen die Ostsee überqueren, um nachzusehen, ob das Nest im Winter nicht Schaden genommen hätte. Sie konnte nur nicht verstehen, was es zu bedeuten hatte, dass er gerade sie aufsuchte.

»Ich will doch nicht hoffen, dass mit Ihrer Wohnung etwas nicht in Ordnung ist, Herr Ermenrich«, sagte Akka.

Der Storch stand lange Zeit da und klapperte nur mit dem Schnabel, bevor er sich mit heiserer, schwacher Stimme über alles Mögliche beklagte: Sein Nest, das sich hoch oben auf dem Dachfirst von Glimmingehus befand, sei von den Winterstürmen völlig zerstört, die Bauern von Schonen eigneten sich nach und nach sein gesamtes Besitztum an, legten seine Sümpfe trocken und machten seine Moore urbar. Er habe die Absicht, dieses Land zu verlassen und niemals zurückzukehren.

Während der Storch seine Klage vortrug, musste Akka, die Wildgans, die überall schutzlos und gefährdet war, unwillkürlich denken: »Wenn es mir so gut ginge wie Ihnen, Herr Ermenrich, dann würde ich Klagen für unter meiner Würde halten. Sie sind ein freier, wilder Vogel geblieben, und doch ist Ihr Ansehen bei den Menschen so hoch, dass niemand einen Schuss auf Sie abgeben oder ein Ei aus Ihrem Nest stehlen würde.« Aber dem Storch sagte sie nur, sie könne sich nicht vorstellen, dass er von einem Haus wegziehen wolle, das seit seiner Errichtung den Störchen Zuflucht geboten habe.

Da fragte der Storch rasch, ob die Gänse die grauen Ratten gesehen hätten, die nach Glimmingehus unterwegs seien. Als Akka erwiderte, sie habe das Teufelspack bemerkt, begann er von den tapferen schwarzen Ratten zu erzählen, die so viele Jahre die Burg verteidigt hätten. »Aber in dieser Nacht werden die grauen Ratten Glimmingehus in ihre Gewalt bekommen«, sagte er seufzend.

»Warum gerade in dieser Nacht, Herr Ermenrich?«, fragte Akka.

»Weil gestern Abend fast alle schwarzen Ratten zum Kullaberg gezogen sind, im Vertrauen darauf, dass sämtliche anderen Tiere auch dorthin eilen«, sagte der Storch. »Doch wie Sie sehen, sind die grauen Ratten zu Hause geblieben. Jetzt sammeln sie sich, um heute Nacht in die Burg einzudringen, denn da wird sie nur von ein paar alten Schwächlingen verteidigt, die nicht mehr zum Kullaberg ziehen konnten. Sie werden ihr Ziel wohl erreichen, doch ich, der ich so viele Jahre mit den schwarzen Ratten in guter Nachbarschaft gelebt habe, möchte höchst ungern am selben Ort wie ihre Feinde wohnen.«

Akka hob den Kopf. »Haben Sie die schwarzen Ratten benachrichtigt, Herr Ermenrich?«, fragte sie.

»Nein«, antwortete der Storch, »das hätte keinen Zweck. Bevor sie zurück sein können, ist die Burg eingenommen.«

»Da sollten Sie nicht so sicher sein, Herr Ermenrich«, sagte Akka. »Ich kenne eine alte Wildgans, die hätte schon Lust, derartige Freveltaten zu verhindern.«

Als Akka diese Worte sprach, hob der Storch den Kopf und sah sie mit großen Augen an. Das war auch kein Wunder, denn die alte Akka hatte weder Schnabel noch Klauen, die zum Kämpfen taugten. Außerdem war sie ein Tagvogel, und sobald die Dämmerung hereinbrach, schlief sie unweigerlich ein, während die Ratten ihre Kämpfe gerade in der Nacht ausfochten.

Doch Akka war offenbar fest entschlossen, den schwarzen Ratten beizustehen. Sie rief Yksi von Vassijaure und befahl ihm, die anderen zum Vombsee zu führen, und als die Gänse Einwände machten, sagte sie gebieterisch: »Ich glaube, es ist für uns alle am besten, wenn ihr mir gehorcht. Ich muss zu dem großen Steinhaus fliegen, und wenn ihr mitkommt, dann werden uns die Leute vom Hof ganz bestimmt sehen und abschießen. Der Einzige, den ich auf dieser Reise bei mir haben will, ist der Däumling. Er kann mir von großem Nutzen sein, denn er hat gute Augen und kann sich nachts wachhalten.«

Als der Junge Akkas Worte hörte, machte er sich so groß, wie er nur konnte, legte die Hände auf den Rücken, reckte die Nase in die Höhe und trat vor. Doch sowie der Storch den Jungen erblickte, geriet er in Bewegung. Bis dahin hatte er nur dagestanden, nach Art der Störche, den Kopf gesenkt und den Schnabel an den Hals gedrückt. Jetzt aber ertönte tief in seiner Kehle ein Gurgeln, als würde er lachen. Er packte den Jungen blitzschnell mit dem Schnabel und warf ihn ein paar Meter in die Luft. Dieses Kunststück wiederholte er siebenmal, während der Junge schrie und die Gänse riefen: »Was tun Sie da, Herr Ermenrich? Das ist kein Frosch. Das ist ein Mensch, Herr Ermenrich!«

Endlich setzte der Storch den Jungen auf den Boden, zum Glück unversehrt. Dann sagte er zu Akka: »Ich fliege jetzt zurück nach Glimmingehus, Mutter Akka. Alle, die dort wohnen, waren bei meiner Abreise in großer Angst. Aber sie werden sich schon beruhigen, wenn ich ihnen berichte, dass Sie und der Däumling herbeieilen, um sie zu retten.«

Dann reckte der Storch den Hals, schlug mit den Flügeln und schoss davon wie ein Pfeil von einem straffgespannten Bogen. Obwohl Akka wusste, dass er sich über sie lustig gemacht hatte, ließ sie sich nicht davon anfechten. Sie wartete, bis der Junge seine Holzschuhe wiederfand, die der Storch ihm abgeschüttelt hatte, setzte ihn dann auf ihren Rücken und flog hinter dem Storch her. Der Junge hatte sich so über den Storch geärgert, dass er vor Wut schnaubte. Diesem langen Rotbein wollte er schon zeigen, was Nils Holgersson aus West-Vämmenhög für ein Kerl war!

Ein paar Augenblicke später stand Akka im Storchennest von Glimmingehus. Es war groß und prächtig, hatte als Unterlage ein Rad und darüber mehrere Schichten aus Zweigen und Grasbüscheln. Weil es so alt war, hatten viele Büsche und Kräuter schon Wurzeln geschlagen, und wenn die Storchenmutter in der runden Vertiefung in der Mitte auf ihren Eiern saß, konnte sie sich nicht nur an der herrlichen Aussicht über einen großen Teil von Schonen erfreuen, sondern auch Heckenrosen und Hauslauch betrachten.

Beide, der Junge und Akka, erkannten, dass hier etwas Ungewöhnliches vor sich ging und jegliche Ordnung außer Kraft setzte. Auf dem Rand des Storchennestes hockten nämlich zwei Waldkäuze, eine alte, graugestreifte Katze und ein Dutzend uralter Ratten mit schiefgewachsenen Zähnen und triefenden Augen, Tiere also, die man sonst nicht eben friedlich beieinander sieht.

Keines von ihnen wandte sich Akka zu oder hieß sie willkommen. Sie waren voll und ganz damit beschäftigt, ein paar lange graue Linien anzustarren, die auf den winternackten Feldern sichtbar wurden.

Alle schwarzen Ratten verhielten sich still. Sie wussten wohl, dass sie weder ihr Leben noch die Burg verteidigen konnten. Die beiden Waldkäuze verdrehten ihre großen Augen mit den Federkränzen und berichteten mit ihren schaurigen, scharfen Stimmen von der großen Grausamkeit der grauen Ratten. Sie mussten nun ihr Nest verlassen, weil diese Neuankömmlinge weder Eier noch frischgeschlüpfte Junge schonten. Die alte, gestreifte Katze war davon überzeugt, dass die grauen Ratten, wenn sie in so großer Zahl in die Burg eindrangen, sie totbeißen würden, und sie beschimpfte die schwarzen Ratten unaufhörlich: »Wie konntet ihr nur so dumm sein und eure besten Krieger davonziehen lassen! Wie konntet ihr den grauen Ratten nur vertrauen! Das ist überhaupt nicht zu verzeihen!«

Die zwölf schwarzen Ratten erwiderten darauf kein Wort, aber der Storch konnte es trotz seines Kummers nicht lassen, die Katze zum Narren zu halten. »Fürchte dich nicht, Hauskatze Måns!«, sagte er. »Siehst du nicht, dass Mutter Akka und der Däumling gekommen sind, um die Burg zu retten? Du kannst gewiss sein, dass es ihnen gelingen wird. Ich muss mich jetzt zum Schlafen aufstellen, und ich tu es ganz unbesorgt. Wenn ich morgen früh aufwache, wird es auf Glimmingehus bestimmt keine einzige graue Ratte geben.«

Der Junge zwinkerte Akka zu und bedeutete ihr, dass er den Storch hinunterstoßen wolle, wenn der sich nun auf den äußersten Rand des Nestes, ein Bein hochgezogen, zum Schlafen aufstellte, doch Akka hielt ihn zurück. Sie wirkte ganz und gar nicht verärgert und sagte in zufriedenem Ton: »Es wäre wohl übel bestellt, wenn man in meinem Alter nicht mit schwierigeren Situationen als dieser fertigwürde. Wenn Sie, Herr Waldkauz und Frau Waldkauz, nur ein paar Besorgungen für mich erledigen möchten, wo Sie sich doch die ganze Nacht wachhalten können, dann wird schon alles gut gehen, denke ich.«

Das wollten die beiden Käuze gern tun, und nun bat Akka den Kauzmann, die schwarzen Ratten, die zum Kullaberg gezogen waren, aufzusuchen und ihnen zu raten, schleunigst nach Glimmingehus zurückzukehren. Die Kauzfrau schickte sie zu Flammea, der Schleiereule, die im Dom von Lund zu Hause war, und gab ihr einen so geheimen Auftrag mit, dass sie ihn nur im Flüsterton anzuvertrauen wagte.

Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden

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