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Am Ronneby-Fluss

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Freitag, den 1. April

Weder die Wildgänse noch Fuchs Smirre hatten geglaubt, dass sie sich je wieder begegnen sollten, nachdem sie Schonen verlassen hatten. Doch nun hatten die Wildgänse ihre Flugroute ja über Blekinge verlegt, und dorthin war auch Smirre gewandert.

Als er eines Nachmittags ein einsames Waldgebiet im mittleren Blekinge durchstreifte, sah er in der Luft eine Schar Wildgänse fliegen. Sogleich bemerkte er, dass eine von ihnen weiß war, und da wusste er ja, mit wem er es zu tun hatte.

Smirre nahm unverzüglich die Verfolgung auf, nicht nur weil er Appetit auf eine gute Mahlzeit hatte, sondern auch um sich für all den Verdruss zu rächen, den ihm die Wildgänse bereitet hatten. Er sah, dass sie ostwärts zum Ronneby-Fluss flogen, dann die Richtung änderten und dem Flussbett nach Süden folgten. Da wurde ihm klar, dass sie sich am Ufer einen Schlafplatz suchen wollten, und er dachte sich, er könnte dort ziemlich leicht ein paar erwischen.

Doch als der Fuchs endlich den Ort fand, an dem sich die Gänse niedergelassen hatten, da war dieser Platz so gut geschützt, dass er nicht an sie herankam.

Zwar ist der Ronneby-Fluss kein besonders großer oder mächtiger Wasserlauf, doch er wird seiner schönen Ufer wegen viel gerühmt. An mehreren Stellen zwängt er sich zwischen steilen Bergwänden hindurch, die senkrecht aus dem Wasser ragen und über und über mit Geißblatt und Faulbaum, Weißdorn und Erle, Eberesche und Weide bewachsen sind. Es gibt kaum etwas Angenehmeres, als an einem schönen Sommertag auf dem schmalen, dunklen Fluss zu rudern und all das sanfte Grün zu betrachten, das sich an den schroffen Hängen festklammert.

Jetzt aber, als sich die Wildgänse und Smirre am Fluss aufhielten, war es kalter, ungemütlicher Vorfrühling. Alle Bäume waren nackt, und niemand hätte sich wohl darüber Gedanken gemacht, ob diese Ufer schön oder hässlich wären. Die Wildgänse priesen sich glücklich, dass sie unter einer so steilen Bergwand einen Streifen Sand entdeckt hatten, groß genug, um ihnen allen Platz zu bieten. Vor ihnen brauste der Fluss, der jetzt durch die Schneeschmelze reißend und mächtig war, hinter sich hatten sie eine unüberwindliche Felsenwand, und die herabhängenden Zweige waren ein gutes Versteck. Besser konnten sie es gar nicht haben.

Die Gänse schliefen sofort ein, doch der Junge konnte kein Auge zutun. Von allen Seiten glaubte er Rascheln und Prasseln zu hören, und seine Unruhe wurde so groß, dass er unter dem Flügel hervorkroch und sich auf den Boden neben die Gänse setzte.

Smirre stand mit langem Gesicht auf dem Berg und schaute zu den Wildgänsen hinunter. »Du kannst die Jagd genauso gut gleich aufgeben«, sagte er zu sich selbst. »Diese Gänse sind dir zu klug. Schlag dir eine solche Beute ein für allemal aus dem Kopf!«

Doch für alle Fälle legte er sich auf den äußersten Rand des Felsens und ließ die Wildgänse nicht aus den Augen. Während er sie betrachtete, erinnerte er sich an alles Böse, was sie ihm angetan hatten. Es war ihre Schuld, dass man ihn aus Schonen verbannt hatte und dass er ins arme Blekinge hatte flüchten müssen. Er wurde so wütend, dass er den Wildgänsen den Tod wünschte, auch wenn er sie selbst nicht verspeisen durfte.

Als Smirres Zorn ein solches Maß erreicht hatte, hörte er ganz nahe in einer großen Kiefer etwas rascheln. Ein Eichhörnchen eilte den Stamm hinunter, heftig verfolgt von einem Marder. Keins der beiden Tiere bemerkte den Fuchs, und der blieb still sitzen und sah der Jagd zu, die von einem Baum zum anderen ging. Er betrachtete das Eichhörnchen, das sich so leicht zwischen den Zweigen bewegte, als könnte es fliegen. Er betrachtete den Marder, der die Baumstämme so sicher hinauf- und hinunterlief, als wären es ebene Pfade im Wald. »Könnte ich nur halb so gut wie einer von den beiden klettern«, dachte der Fuchs, »dann dürften die da unten nicht lange ruhig schlafen.«

Sowie der Marder das Eichhörnchen gefangen und die Jagd beendet hatte, ging Smirre auf ihn zu, blieb jedoch zwei Schritte vor ihm stehen, um zu bezeigen, dass er ihm die Beute nicht wegnehmen wolle. Er grüßte ihn überaus freundlich und gratulierte ihm zu seinem Fang, wobei er sich so gewählt ausdrückte, wie es die Art der Füchse ist. Der Marder aber, der sich mit seinem langen schmalen Körper, dem feinen Kopf, dem weichen Fell und dem hellbraunen Fleck am Hals wie ein kleines Wunder an Schönheit ausnahm, war in Wirklichkeit ein ungehobelter Waldbewohner und würdigte ihn kaum einer Antwort. »Dennoch wundert es mich«, sagte Smirre, »dass sich ein so tüchtiger Jäger wie du mit Eichhörnchen begnügt, wo es doch viel besseres Wildbret in Reichweite gibt.« Hier machte er eine Pause, doch als ihn der Marder nur unverfroren angrinste, fuhr er fort: »Ist es wohl möglich, dass du die Wildgänse nicht gesehen hast, die unterhalb dieser Bergwand stehen? Oder reichen deine Kletterkünste vielleicht nicht aus, um bis zu ihnen zu gelangen?«

Diesmal brauchte er auf die Antwort nicht zu warten. Der Marder fuhr mit gekrümmtem Rücken und gesträubtem Fell auf ihn los. »Hast du Wildgänse gesehen?«, fauchte er. »Wo stehen sie? Sag das sofort, sonst beiße ich dir die Kehle durch!«

»Na, vergiss nicht, dass ich doppelt so groß bin wie du, und bemüh dich um ein wenig Höflichkeit! Nichts täte ich lieber, als dir die Wildgänse zu zeigen.«

Im nächsten Augenblick eilte der Marder den Steilhang hinunter, und während Smirre seinem schlangengleichen Körper zusah, der sich von Zweig zu Zweig schwang, dachte er: »Dieser schöne Baumjäger hat das grausamste Herz im ganzen Wald. Ich glaube, die Wildgänse können mir ein blutiges Erwachen verdanken.«

Doch gerade als Smirre schon den Todesschrei der Gänse zu hören glaubte, sah er, wie der Marder von einem Zweig fiel und in den Fluss plumpste, so dass das Wasser hoch aufspritzte. Gleich darauf ertönten kräftige Flügelschläge, und alle Wildgänse schwangen sich in eiliger Flucht empor.

Obwohl Smirre die Verfolgung sofort aufnehmen wollte, musste er doch erst erfahren, wie sich die Wildgänse hatten retten können, und blieb deshalb sitzen, bis der Marder den Berg hinaufgeklettert war. Der arme Kerl war triefend nass und machte ab und zu halt, um sich mit den Vorderpfoten den Kopf zu reiben. »Habe ich mir doch gleich gedacht, dass du ein Tolpatsch bist und in den Fluss fällst!«, sagte Smirre verächtlich.

»Ich war nicht tolpatschig, du brauchst mich nicht zu beschimpfen«, sagte der Marder. »Gerade als ich auf einem der untersten Zweige saß und schon überlegte, wie ich die Gänse zerreißen könnte, stürmte ein kleiner Knirps hervor, der nicht größer als ein Eichhörnchen war, und warf mir einen Stein auf den Kopf. Ich fiel ins Wasser, und bevor ich herausklettern konnte …«

Weiter brauchte der Marder nicht zu erzählen. Smirre war längst auf und davon und hinter den Wildgänsen her.

Währenddessen war Akka auf der Suche nach einem neuen Schlafplatz südwärts geflogen. Es gab noch einen letzten Schimmer Tageslicht, so dass sie einigermaßen sehen konnte.

Sie folgte dem Fluss, solange er wie eine schwarze, funkelnde Schlange, die sich durch die Landschaft wand, zu erkennen war. Auf diese Weise kam sie nach Djupafors, dem tiefen Wasserfall, wo sich der Fluss zuerst in einer unterirdischen Rinne versteckt und dann klar und durchsichtig, als wäre er aus Glas, in eine enge Schlucht hinunterstürzt, um sich auf ihrem Grund in glitzernde Tropfen und fliegenden Schaum zu zerschlagen. Unterhalb des weißen Falls lagen ein paar Steine, zwischen denen das Wasser in wilden Wirbeln toste, und hier wollte Akka bleiben. Auch dies war ein guter Schlafplatz, vor allem zu so später Abendstunde.

Wie auf ihrem ersten Schlafplatz dachte keiner der Reisenden im Geringsten daran, dass sie an einen schönen, weit berühmten Ort gekommen waren. Sie fanden es wohl eher unheimlich und gefährlich, auf glatten, nassen Steinen mitten in einem donnernden Wasserfall zu schlafen. Aber sie mussten ja schon zufrieden sein, wenn sie vor Raubtieren sicher waren.

Die Gänse schliefen sofort ein, doch der Junge fand keine Ruhe.

Nach einer Weile näherte sich am Ufer Fuchs Smirre. Sogleich entdeckte er die Wildgänse in den schäumenden Wirbeln, und ihm war klar, dass er sie auch diesmal nicht erreichen konnte. Doch für alle Fälle setzte er sich auf das Ufer und ließ sie nicht aus den Augen. Er fühlte sich tief gedemütigt und fürchtete sein ganzes Ansehen als Jäger gefährdet.

Auf einmal erblickte er einen Fischotter, der mit einem Fisch im Maul aus der Stromschnelle kroch. Smirre ging auf ihn zu, blieb aber zwei Schritte vor ihm stehen, um anzuzeigen, dass er ihm die Beute nicht wegnehmen wolle.

»Ich finde es merkwürdig, dass du dich mit Fischen begnügst, wo doch die Steine draußen voller Wildgänse sind«, sagte er. Der Otter wandte nicht einmal den Kopf dorthin. Er war wie alle Otter ein Landstreicher, hatte viele Male im Vombsee gefischt und kannte Fuchs Smirre sehr gut. »Ich weiß wohl, wie du es anstellst, wenn du eine Forelle ergaunern willst, Smirre«, sagte er.

»Ach so, du bist das, Gripe«, entgegnete Smirre und freute sich, denn diesen Otter kannte er als einen kühnen, tüchtigen Schwimmer. »Wenn du die Wildgänse doch nicht erreichen kannst, dann ist es mir freilich klar, dass du sie nicht einmal ansehen willst.« Der Otter, der Schwimmhäute zwischen den Zehen hatte, dazu einen kräftigen Schwanz zum Rudern und einen wasserdichten Pelz, wollte sich jedoch nicht nachsagen lassen, dass es eine Stromschnelle gab, die er nicht bezwingen könnte. Er drehte sich um, und sowie er die Wildgänse im Wasser erblickte, ließ er den Fisch fallen und stürzte sich vom steilen Ufer hinunter in den Fluss.

Wenn es schon richtiger Frühling gewesen wäre und die Nachtigallen in den Park Djupadal zurückgekehrt wären, dann hätten sie viele Nächte von Gripes Kampf mit der Stromschnelle gesungen. Der Otter wurde mehrmals von den Wellen weggedrückt und flussabwärts getrieben, doch er kämpfte sich immer wieder auf den richtigen Kurs zurück. Er schwamm durch Totwasser, er kletterte über Steine und kam den Wildgänsen näher und näher. Das war ein gefährliches Unternehmen und hätte es wohl verdient, von den Nachtigallen besungen zu werden.

Smirre folgte ihm mit den Augen, so gut er konnte. Endlich sah er, dass der Otter zu den Wildgänsen auf die Steine kroch. Da aber ertönte ein gellender, wilder Schrei. Der Otter stürzte rücklings ins Wasser und wurde fortgerissen, als wäre er ein blindes, neugeborenes Kätzchen. Gleich darauf waren kräftige Flügelschläge zu hören. Die Gänse erhoben sich und flogen davon, um sich einen neuen Schlafplatz zu suchen.

Bald kehrte der Otter zurück an Land. Er sprach kein Wort und leckte sich nur die eine Vorderpfote. Als Smirre ihn wegen seines Misserfolgs verspottete, rief er aus: »An meiner Schwimmkunst hat es nicht gelegen, Smirre! Ich hatte die Gänse schon fast erreicht und wollte gerade zu ihnen klettern, da kam ein kleiner Knirps gelaufen und schnitt mir mit irgendeinem scharfen Eisen in den Fuß. Das hat so weh getan, dass ich den Halt verlor, und dann hat mich die Strömung fortgerissen.«

Weiter brauchte er nicht zu erzählen. Smirre war längst auf und davon und hinter den Gänsen her.

Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden

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