Читать книгу Dame ohne König - Sigrid Ellenberger - Страница 20
14 Minuten später...
ОглавлениеMeine Mutter kam atemlos bei mir an, sichtlich enttäuscht, dass bei mir noch alle Gliedmaßen an den richtigen Stellen saßen. Mir blieb gerade genug Zeit, sie einzuweisen, welche Möbel wie viel kosten sollten und wann welche Interessenten kamen. In meiner Hektik hatte ich völlig vergessen, etwas Essbares auf den Tisch zu zaubern.
„Ich habe ganz vergessen, zu kochen“, lächelte ich Mutti unschuldig an.
„Auf gut deutsch, meine Enkelkinder haben noch nichts gegessen.“
„Deine Tochter auch nicht!“
Schließlich gab es mich ja auch noch.
Sie wandte sich pikiert in Richtung Küche ab und murmelte so etwas wie „was habe ich da nur erzogen – wie konnte das nur so schiefgehen?“
„Danke, Mutti und tschüss.“
Während der, für meine Mutter viel zu kurzen, Konversation, war ich in ein apricot farbenes Kostüm geschlüpft, hatte meinen Augen die Bekanntschaft eines mittelgrauen Kajalstifts zuteil werden lassen, hatte einen Hauch von Rouge auf meinen Wangen verteilt, die Locken mit Haarlack versiegelt und meinen Lieblingslippenstift aufgelegt.
Nachdem die Tür hinter mir ins Schloss gefallen war, fühlte ich mich erleichtert und aufgekratzt. Himmel, war ich nervös. Dabei holte ich doch nur meine erste Arbeit ab...
Ich rannte aus dem Haus, setzte mich in meinen achtundneunziger Renault, Marke roter Rostbomber und fuhr los. Beziehungsweise, ich wollte losfahren, als es ganz erbärmlich krachte. Da stand, wie aus dem Nichts, ein funkelnagelneuer Audi A6, metallicblau. Vorher war von dem nicht das Geringste zu sehen gewesen und nun stand, zugegebenermaßen etwas fehl am Platz, mein Rosti mitten in seiner Seite.
„Scheiße!“, fluchte ich wenig damenhaft.
Der Audi fuhr, völlig legitim, auf der Straße, auf die ich auffahren wollte. Nach der geltenden Straßenverkehrsordnung hatte er ohne Frage Vorfahrt.
„Pass doch auf!“, schimpfte Klein-Ego, der gerade sein Mittagsschläfchen halten wollte.
Aber der sollte sich da gefälligst raushalten.
Ich stieg schuldbewusst aus und murmelte: „Entschuldigung, war meine Schuld.“
Ich sah kurz auf. Dann sah ich etwas länger auf und musste wohl ausgesehen haben, wie eine Kuh, wenn es donnert.
Dieser Typ, dessen Wagen ich gerade gerammt hatte, war der reinste Augenschmaus. Ich war mir sicher, dass ich träumte. So etwas passierte nicht im richtigen Leben.
„Ist Ihnen etwas passiert?“
Er schmunzelte angesichts der starren Augen, die ihn anglotzten.
„N-n-n-nein“, stotterte ich wie ein Schulmädchen. „Es geht mir gut. Und Ihnen?“
„Ich bin o.k.“
Er schaute lange auf sein demoliertes Auto.
„Aber ich glaube, der hier hat leichte Probleme.“ Dabei deutete er auf seinen Audi, den eine mindestens achtzig Zentimeter lange Kratzspur zierte, die da eindeutig nicht hingehörte.
„Ich bin natürlich schuld“, gestand ich ein und kramte im Handschuhfach nach meiner Versichertenkarte und meinem Führerschein.
Ich schaute auf die Uhr.
„Ich habe einen dringenden Termin. Müssen wir jetzt die Polizei rufen?“ fragte ich und deutete auf meine Armbanduhr. Bei Umberto würden sie sich schon über meine Unzuverlässigkeit Gedanken machen.
„Den Unfallbericht für die Versicherung können wir auch selbst schreiben. Wir sind uns ja einig.“
Diesen Augen musste man einfach glauben.
„Ich mache nur noch ein paar Bilder, wie Ihr Renault so in meinen Audi gekuschelt ist...“
Ich sah mich schon in seine Arme gekuschelt und säuselte: „geben Sie mir doch einfach Ihre Adresse und die Telefonnummer, ich rufe Sie sofort an, wenn ich von meinem Termin zurück bin. Wo ich wohne, wissen Sie ja.“
„Ich bin nur auf Geschäftsreise hier aber Sie können mich heute Abend im „Hotel Marie“ erreichen. Meinen Wagen muss ich in die nächste Werkstatt bringen und mir direkt einen Mietwagen besorgen.“
Ich hatte es schrecklich eilig!
„Schön. Ich rufe gleich meine Versicherung an und melde das alles. Bis heute Abend dann.“
Meine alte Gurke von Auto hatte gerade mal eine zerbeulte Stoßstange und ein paar Kratzer von dem Crash davongetragen. Ich konnte ohne Probleme damit weiterfahren. Das Renaultchen hatte ganze Arbeit geleistet: selbst kaum was abgekriegt und einem neuen Audi so zugesetzt!
Ich musste an Klaus denken und fing an zu grinsen. Der hätte bestimmt eine schreckliche Szene daraus gemacht und mich in Grund und Boden geschimpft. Aber: es gab keinen Klaus mehr in meinem Leben und das erleichterte mich in diesem Moment gerade sehr.
Endlich, immer noch zitternd – ob vom Unfall oder vom Mann wusste ich nicht genau – kam ich bei Umberto an. Ich meldete mich an der Zentrale und hoffte, die Dame mit den knallrot lackierten, mindestens drei Zentimeter langen Nägeln, konnte meinen Puls nicht hören.
„Signore Castello erwartet Sie bereits“, flötete sie. Ein Wunder, dass sie nicht schnippisch hinzufügte: „seit mindestens einer Stunde!“
Bei dem Gedanken, von dem charmanten Tonio persönlich erwartet zu werden, huschte ein Anfall von Schulmädchenröte in mein Gesicht.
Klein-Ego ermahnte mich, diese saublöde Erröterei endlich sein zu lassen, ich sei schließlich einunddreißig Jahre alt! Das Wort EINUNDDREISSIG betonte er aber auch so was von unnötig deutlich. Korinthenkacker.
„Hallo Constanze. Danke, dass Sie kommen konnten. Möchten Sie einen Kaffee? Einen Espresso oder Cappuccino?“
War ich denn zum Kaffeeklatsch oder zum Arbeiten hier?
„Nein, danke. Wo ist der Text?“
„Oh, wie unsensibel. Du Schnepfe, was soll der denn von dir denken?“ schimpfte Klein-Ego schon wieder aus seiner Ecke.
Konnte dieser kleine Dreckskerl sich nicht mal aus meinem Leben raushalten? Was ging ihn das überhaupt an?
„Hier.“
Tonio überreichte mir einen Packen Papier.
„Der PC steht im Zentrallager zur Abholung bereit.“
Das klappte ja wie am Schnürchen. Ich schaute mir kurz den Text an und blätterte durch das Paket.
„Könnten Sie das bis übermorgen schaffen?“
Eine charmant italienisch-deutsch klingende Stimme holte mich in die Realität zurück.
„Aber ja, kein Problem.“
Hatte ich das gesagt? Ich hielt mindestens dreißig Seiten voller technischer Details zu einem Kühl-Gefrier-Gerät in den Händen. Und das auf italienisch.
„Schön. Ciao, Constanze und vielen Dank. Sie sind ein Schatz.“
Tonio drückte mir die Hand und verabschiedete sich sichtlich erleichtert.
Leider fehlten mir im richtigen Moment immer die passenden Sprüche.
Also machte ich mich auf den Weg, um den PC abzuholen.
„Angeschlossen wird er wie gehabt, Sie kriegen das schon hin. Das Programm finden Sie unter „Dateien“, aber Sie kennen sich ja sicher aus.“
Und weg war der Mensch aus dem Zentrallager!
Woher sollte eine seit sechs Jahren als Kindermädchen und Haushälterin praktizierende Hausfrau wissen, wie man einen Computer anschließt und bedient?
Ich nahm mir insgeheim vor, meine alte Schreibmaschine auszupacken und auf die alte, konventionelle Weise meinen Text zu übersetzen. Schließlich ging das ja früher auch!
Ich lud alles – und das war nicht wenig – in meinen rostigen Renault und fuhr zurück nach Hause.
Meine Mutter hatte in der Zwischenzeit meine Wohnzimmercouch, den Schrank, den Wohnzimmertisch und mein komplettes Schlafzimmer verkauft.
„Hier war ja einiges los“, stellte ich zufrieden fest.
Meine Mutter rollte die Augen, warf theatralisch die Hände in die Luft und drückte mir das eingenommene Geld in die Hand.
„Es war SCHRECKLICH!“
Sie sackte, einer Ohnmacht nahe, auf ein einsam auf dem Boden liegendes Kissen. Swenja und Julia stürzten auf sie uns spielten Indianer. Das war zu viel für Mutti.
„Kind, du hast doch nichts dagegen, wenn ich jetzt nach Hause fahre?“
Und schon war sie aus der Tür.
Gerade war sie mit ihrem Biedergolf um die Ecke gebogen, augenscheinlich höchst erleichtert, dass sie diesem Irrenhaus entfliehen konnte, zupfte Swenja mich am Ärmel.
„Mama, dürfen wir bei Oma schlafen?“
„Julia auch Oma schlafen.“
Konnte den beiden das nicht fünf Minuten früher einfallen?
Ich wartete also exakt zwölf Minuten bevor ich wieder zum Telefonhörer griff und erneut die Nummer meiner Mutter wählte. Komisch, obwohl sie normalerweise genau zwölf Minuten bis nach Hause unterwegs war, ging keiner ans Telefon. Hatte sie sich etwa kurzerhand entschlossen, noch einen kurzen Zwischenstopp beim Friseur oder einer ihrer Bridge-Damen einzulegen?
Meine Mutter benötigte viel Zeit für sich selbst. Wenn ich sie zum Babysitten brauchte, musste ich ihr mindestens drei Wochen vorher Bescheid geben, da sie ständig auf Achse und ausgebucht war. Kurzfristig war ein Vokabular, das nicht in den Wortschatz meiner Mutter passte.
Ich klingelte erneut bei ihr an.
„Perle.“
Die Betonung legte sie, als wäre sie frisch aus Frankreich importiert, auf das letzte e. Perleeeee.
Ich reichte den Hörer an Julia weiter. Wenn Swenja oder ihr Lieblingsschatz Julia sie baten, bei ihr übernachten zu dürfen, standen die Chancen eindeutig besser als bei mir.
„Hallo Omi. Bei dir schlafen? Swenni auch.“
Ich hörte, dass ich nichts hörte.
Keine Reaktion am anderen Ende der Leitung. Lag sie etwa bewusstlos neben dem Hörer?
Julia streckte mir, wiederum wortlos, den Hörer hin.
„Ich bin zwar viel zu alt, um ständig auf deine Kinder aufzupassen aber von mir aus können die beiden heute hier übernachten. Ausnahmsweise! Dass mir das mal nicht zur Gewohnheit wird.“
„Es war Swenjas Idee, Mutti, nicht meine.“
Ich musste das einfach klarstellen.
„O.k., o.k.. Bringst du sie vorbei oder soll ich sie etwa abholen?“
„Nein, ich bringe die beiden heute Abend vorbei. Ich muss sowieso noch etwas erledigen. Ich hatte nämlich einen Unfall und muss noch den Bericht anfertigen.“
„Du hattest einen WAS? Aber das ist mal wieder typisch meine Tochter: nie erzählst du mir was!“
„Es ist ja nichts passiert, nur eine kleine Beule in der Stoßstange. Außerdem warst du sofort verschwunden. Egal. Ich hole die beiden nach dem Aufwachen wieder ab.“
„Nach meinem oder nach deinem Aufwachen?“
Das stellte für Mutti einen himmelweiten Unterschied dar.
„Nach meinem natürlich.“
„Das habe ich befürchtet. Beeil dich.“
„Ja, Mutti.“
„Bis nachher, Kind.“
Ich hasste es, wenn sie mich Kind nannte. Nachdem ich den Hörer ziemlich unsanft auf die Basisstation geworfen hatte, wandte ich mich den Kindern zu.
„Packt mal eure Sachen , ich bringe euch nachher zu Oma. Und vergesst die Zahnbürsten nicht.“
Da der Typ, der die Badezimmerschränkchen kaufen wollte nicht kam und es auch sonst recht ruhig blieb – das Telefon schwieg – konnte ich unvorhergesehenerweise schon am Nachmittag mit der Übersetzung beginnen. Den PC hatte ich zwar angeschaut, aber die vielen Kabel hatten mich eher verwirrt, so dass ich beschlossen hatte, für diese – wirklich nur für diese erste – Übersetzung noch meine Schreibmaschine zu benutzen. Danach würde ich – versprochen! - das Gerät mit den mindestens hundert Kabeln aus seiner Kiste befreien und anschließen.
Für heute Abend brauchte ich noch nicht einmal Susi zum Babysitten, da ich die Mädchen praktischerweise zu Mutti bringen konnte. Bei dem Gedanken daran fiel mir wieder siedend heiß ein, dass ich nicht die allergeringste Ahnung hatte, wie mein Unfallgegner und Traummann eigentlich hieß. Wie blöd war das denn?
Ich musste mich also um einundzwanzig Uhr auf den Weg ins „Hotel Marie“ machen, um Mister Unbekannt zu treffen. Was, wenn er dann immer noch nicht da war? Er musste mich für einen vollendeten Trottel halten. Erst schrammte sie den neuen Audi, fragte nicht nach dem Namen und nicht nach der Uhrzeit. Dabei lernte man das schon im Kindergarten!