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Eindruck schinden, wenn’s geht

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21. und 27. Februar 1944

Liebe Bessie,

Deinen Brief vom 1. Januar habe ich am 7.2.1944 erhalten und seitdem reiße ich mir was auf, um Dir eine »Bombenantwort« zu schicken, fühle mich aber so ungeschickt wie eine Ballerina in Kommißstiefeln, die weiß, ihre treuen Anhänger klatschen sowieso, egal wie sie ihre Pirouetten dreht. Ich könnte Dich umarmen, bis Du umfällst! Die schamlose Schmeichelei, die Du mit der Suppenkelle verteilt hast, war durchaus willkommen – sie ist mir runtergegangen wie Öl und ich kann glatt mehr vertragen! Ja, ich könnte Dich umarmen – eine Angelegenheit, die nichts zu tun hat mit dem akuten Frauenmangel in dieser Gegend und größtenteils symbolisch für mein Vergnügen steht, dass Du Qualitäten zu schätzen weißt, die so wenige andere zu sehen vermögen und die ich eigentlich gar nicht besitze. Ich muss gestehen, dass Deine schockierende Begeisterung bei mir jeden Gedanken an »Bekanntschaft« vertreibt und dass ich das Aufziehen einer ganz neuen Atmosphäre in unserem Briefwechsel feststelle, einer, auf die Du besser ein Auge hast.

Um lieber ehrlich als diskret zu sein: Briefe von den Lieben daheim enthalten manchmal komische Bemerkungen. Als ich selbst einen aufs Boot schickte, habe ich ihnen von meinem ersten Brief von Dir erzählt. Zurück kam eine Wettervorhersage: »Vielleicht erholt sie sich ja, indem sie sich Dich schnappt.« Ich habe natürlich keinen derartigen Wunsch, aber verlass Dich drauf, dass ich keinem von Deinem letzten Brief erzählt habe und froh war, dass ich ihn vor meinem Bruder verbergen konnte. Da erwische ich mich bei dem alten Trick mit Heimlichtun und Leugnen, der die Frühstadien all meiner kleinen Herzensgeschichten bestimmt hat, seit die erste Postangestellte auf Probezeit meine Wege gekreuzt hat. Ich stelle fest, ich stecke, ob ich will oder nicht, still und leise mitten in einer kleinen Liebelei, und ich will Dich nur warnen, das endet alles in einem Riesenkuddelmuddel, wenn Du nicht aufpasst. In mir steckt nicht mal für fünf Pfennig eine »heilsame Beziehung«. Ich erwärme mich für die Freundin in Dir und ich hoffe, das bleibt auch unser gemeinsamer Treffpunkt, obwohl ich ahne, dass Du desto unzufriedener sein wirst, je mehr ich Dir schreibe.

Hoffentlich denkst Du nicht, ich hätte Deinen Brief bloß als Schulterklopfen für mich betrachtet. Als ich ihn las, habe ich auch Hurra geschrien. Du findest diesen Versuch sicher etwas »gezwungen«. Ich glaube, es stimmt, dass, wenn man natürlich sein will, man es nicht ist. Wenn Du mich verstehst, Du hast mich ein bisschen »aufgeweckt«. Und ob ich Dich beeindrucken will, na klar. Du sagst, Dein Kopf ist ein unsortierter Abfalleimer und Dein jugendliches Verlangen nach Weiterkommen bleibe unerfüllt. Ich kann mich bei mir nicht an viel jugendliches Verlangen erinnern (außer dass ich noch weiß, dass der Filmstar Madeleine Carroll einmal darin vorkam). Ich bin froh, dass Du meine Ansicht darüber teilst, dass andere besser nichts vom Inhalt unserer Briefe erfahren. Das wird viel befriedigender sein, wir werden einander durch eine »Vertraulichkeits«-Abmachung viel besser kennenlernen.

Deine Ansichten über die »Zeitverschwendung«, die eine geplatzte Herzensgeschichte mit sich bringt, teile ich nicht.

Du sagst, es sei seltsam, dass ich so wenig von Frauen wüsste, aber abgesehen von dem wichtigen Versäumnis, dass ich noch nie mit einer geschlafen habe, halte ich mich für fähig, eine Hinterlist zu merken, wenn ich sie vor mir habe, und ich glaube nicht, dass Frauen in irgendeiner wichtigen Hinsicht so schrecklich anders als Männer sind. Wenn ich Dir wirklich hinknallen sollte, was ich schon weiß, dann müsste ich zugeben, dass ich sehr häufig durch das Verhalten vieler Geschlechtsgenossen verwirrt bin und gelegentlich nicht nur ein wenig über mein eigenes grüble.

Es tut mir leid, dass Du Dich wegen meinen Bemerkungen über Schachspiel, Garten, Schweine auch nur ein bisschen »zum Heulen« gefühlt hast. Wofür Du Dir Deine Tränen aufsparen solltest, sind so große Käfer und Flöhe, deren Größe zwar nicht so mordsmäßig eindrucksvoll ist, die einen aber viel besser ärgern können. Zu meiner Wonne besitze ich ein Betttuch, das sich auf der Haut sehr hübsch anfühlt, verglichen mit den groben Militärdecken. Nachts, wenn die Flöhe aktiv sind und ich sie mit meinen atemlosen Flüchen nicht zur Ruhe bringen kann, packe ich mein Bettlaken und meinen nackten Leib hinaus ins Freie und drehe und wende das Tuch in der sehr kalten Nachtluft. Dann gehe ich wieder ins Bett und stecke mir die Zipfel des Betttuchs dicht um den Hals, um mein lästiges Überfallkommando draußen zu halten. Die letzten paar Monate sind in Sachen Hitze ganz angenehm gewesen und die Flöhe sind dünn gesät. Ich freue mich nicht gerade auf den Sommer.

Damit weiter zu unseren Schweinen – gestern kam für das Männchen (Eber) der Tag, dass er zum Schlachten geschickt wurde. Ein halbes Dutzend von uns war abkommandiert, um verschiedene Teile des wuchtigen, dreckigen, unglücklichen Biests zu halten, während der Mann, der alles über Schweine weiß, dem armen Vieh einen Eimer fest über Kopf und Schnauze klemmte. Ursprünglich war ich abgestellt, das rechte Ohr zu packen, aber im Handgemenge zu Anfang stellte ich fest, dass ich das rechte Bein umklammerte, an dem ich mich dann festhielt, während es aus dem Stall trottete, und heftig riss, als wir es irgendwie, trotz einem Verzweiflungskampf und herzzerreißenden Schreien, auf den Laster bekamen, der sein Leichenwagen sein sollte. Gleich als es oben war, wurde es sehr still und fing dann an, nach etwas Essbarem zu schnuppern. Am Nachmittag ereilte es sein menschengewolltes Schicksal und heute Morgen, als ich vom Abendessen kam, sah ich seine Zunge, sein Herz, die Leber und ein Bein am Dach der Kirchenbaracke hängen. Ich hatte damals meine Bedenken, es zu essen, als es noch die Hälfte der hundertfünfzehn Kilo hatte, die es bei seinem Tod wog. Jetzt aber nicht mehr. Ich komme sicher nicht drumherum, das arme alte Schwein zu essen. Die Sau lebt noch, sie hat eine große und wund aussehende Hängepartie und wird in drei Wochen Mutter. Ihren Nachwuchs essen wir vermutlich zu gegebener Zeit.

Da sitze ich nun, dem Namen nach Soldat, und werde weichherzig wegen einem Schwein. Und dabei hat man vor zwei Wochen vier unserer Jungs abkommandiert, um drei der Lagerhunde zu erschießen, die reinsten Welpen, fröhlich, gut gelaunt, glücklich, die irgendwie Geschwüre am Ohr hatten und deshalb abgeschafft werden mussten. Diesen Kumpels drehte sich wirklich der Magen um und sie waren todelend.

Mit Blick auf Streitereien in der Nachkriegszeit, wenn sie mir, weil ich mir Veränderungen wünsche, Treulosigkeit und fehlenden Patriotismus vorwerfen werden, habe ich kürzlich für mich den »Africa Star« beantragt, den hier die meisten Kumpels tragen. Habe eben erst gehört, dass ich ihn bekomme.

Wenn Du weißt, dass ich hier am 16. April eingetroffen bin und die Feindseligkeiten am 12. Mai eingestellt wurden, kannst Du sehen, wie kinderleicht man an Orden kommt. So ist das sehr häufig mit Auszeichnungen, die es angeblich für Tapferkeit gibt.

Mein Dad, ein hundertprozentiger alter Imperialist, ist bestimmt entzückt; besser mit zwei Söhnen angeben, die den Orden haben, und im Geist baumeln die dann neben seinen – macht zusammen acht; obwohl er selber der Gefahr tatsächlich am nächsten bei der Belagerung von Ladysmith kam (in einem Krieg, den Du vielleicht verurteilt hättest?).7 Seit Kriegsbeginn hat sich mein Dad Ordensbändchen an die meisten Jacketts und Westen nähen lassen und lässt sie dann blitzen, wenn er einkaufen geht! Meine Mutter kommt nach Hause und jammert, dass man kein Nierenfett bekommt. Bert kommt heim mit einem kostbaren halben Pfund, das er einem für Orden empfänglichen Ladenbesitzer aus der Nase gezogen hat. Einmal konnte meine Mutter kein Soda bekommen, da ging mein Dad los und bestellte 25 Kilo, die tatsächlich noch am gleichen Nachmittag eintrafen, zur gemischten Freude meiner Mutter! Ich kann Dir jede Menge Sachen von meinem Dad erzählen, der viele Fehler hat und eine Eigenschaft, die einen mit ihm versöhnt, nämlich dass er für seine Familie durch dick und dünn geht, egal was ist.

Gerade habe ich ein Taschenbuch gesehen, »Living in Cities«, schildert sehr attraktiv ein paar Grundsätze für den Städtebau nach dem Krieg. Ich denke immer, wie gut es uns Vorstadtbewohnern geht8, verglichen mit den Leuten, die an solchen Orten wie der Roseberry Avenue oder Bethnal Green Road leben und auch sterben, und das sogar ganz glücklich, weil sie nie erfahren, was sie verpasst haben.

Da sah ich einen Plan für ein neues Haus mit einem eingebauten Buchregal oder zumindest einem Platz dafür und hielt das für eine ziemlich gute Idee, vor allem, weil meine drei-, vierhundert unscheinbaren Dinger momentan ganz oben auf einem Schrank gequetscht, verkeilt, gepackt liegen. Bei mir habe ich jetzt nur einen Atlas, ein Wörterbuch, »Walden« von Thoreau (schon mal reingeschaut – eine Philosophie), Auszüge aus R. L. Stevenson und »The Shropshire Lad« von Housman.

Wir alle versuchen so weiterzumachen, als wären wir zuhause, und wo wir etwas anders machen, unternehmen wir Sachen, die wir gerne zuhause gemacht hätten, wenn sich die Gelegenheit geboten hätte. Die Armee verwandelt sehr wenige Heilige in Teufel, obwohl das leichter sein mag als umgekehrt. Ein Sergeant Major ist normalerweise ein kleinwüchsiger, bellender Typ, »eine Miene mehr des Zornes als des Leidens«. Aber der, den wir haben, könnte uns nicht besser behandeln, wenn er unser leiblicher Vater wäre. Er macht selber mehr Arbeitsdienste als sonstwer im Lager, bittet einen, Sachen zu machen, gibt nie den Befehl. Als er vor drei Monaten hier ankam, hatten wir nur ein dreckiges altes Zelt, um darin zu essen, und das war’s. Seitdem haben wir mehrere neue Zelte dazubekommen, reichlich Gestelle und Tische, ein Waschzelt mit Zementboden, Dutzende von Spielen, jede Woche einen Whistabend, eine kleine Bibliothek. Früher konnten wir nur in unserem Zelt baden, Methode Benzinkanister. Jetzt benutzen wir die Duschen in der Stadt und fahren dafür mal eben 65 Kilo meter. Wenn das die Army ist – also, schlecht ist sie nicht.

Jeden Samstag kriegen wir einen Film gezeigt; egal, wie das Wetter ist, er läuft unter freiem Himmel, das Publikum (Parkett) sitzt auf Benzintonnen, während die in der Loge auf den Fahrzeugen sitzen, von denen viele mehrere Meilen herkommen, weil es üblicherweise das einzige große Ereignis der Woche ist. Ich habe schon im strömenden Regen dagesessen, über mir eine Bodenplane. Ich saß auch schon da, während mich ein Sturm buchstäblich umgeschmissen hat und Barbara Stanwyck (in »The Great Man’s Lady«, sie spielte eine Brünette) mich im übertragenen Sinn umschmiss. Nur gelegentlich verlässt ein Schwächling die dichtgedrängte Menge. Wir nehmen unseren Spaß ernst und so oft wir ihn kriegen können, obwohl ich immer an das Freilichttheater im Regent’s Park denken muss, als wir uns damals auf einem strahlendhell erleuchteten Rasen den »Sommernachtstraum« ansahen, während über uns am Himmel ein Vorkriegsscheinwerfer tanzte.

George Formby hat seit seiner Fahrt hierher zwar eine Menge geredet, aber (in der Öffentlichkeit) kein Wort darüber, wie ihm hinten aus seinem Bus zehn Flaschen Bier abhanden gekommen sind. Ein paar Jungs, bei denen ich damals war, haben das Mopsen und anschließende Trinken erledigt, deshalb weiß ich das!

Die besten Wünsche, Freundin (Herr, vergib mir!)

Chris

1 Beispielsweise schrieb er, dass er »das Feld der Beredsamkeit mit herausragendem Genie und erhabenem Stil« beherrsche.

2 Die Briefe des Aristoteles, auf die sich Demetrios bezieht, sind nicht erhalten. Der Ratschlag, zu »sprechen, wie du schreibst«, ist zu einer klassischen Ansicht geworden und Jane Austen gab ihm unter zahllosen anderen den Vorzug. Wir kommen später darauf zurück.

3 Zitiert nach Alain Boureau, »The Letter-Writing Norm, a Medieval Invention«, in: Roger Chartier/Alain Boureau/Cécile Dauphin (Hgg.), Correspondence. Models of Letter-Writing from the Middle Ages to the Nineteenth Century. Cambridge (Polity Press) 1997.

4 Eventuell leitete sich der Titel ab von The Image of Idleness (1555), einem fiktiven Briefwechsel zwischen einem Junggesellen und einem verheirateten Mann, geschrieben von »Oliver Oldwanton« (»alter Schamloser«) mit einer Widmung an »Lady Lust«.

5 Zitiert nach Jean Robertson, The Art of Letter Writing: An Essay on the Handbooks Published in England During the Sixteenth and Seventeenth Centuries. Liverpool (University Press) 1942.

6 Bd. 1, 459 übs. Tietz (Diogenes; A. d. Ü.)

7 1899/1900 im Zweiten Burenkrieg; die Einschließung der britisch gehaltenen Stadt war eine verlustreiche Episode. (A. d. Ü.)

8 Chris Barker lebte in Tottenham, Bessie Moore in Blackheath.

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