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Er mußte in fünf Tagen die Arbeit von neun Tagen tun, neun Städte besuchen, aber er war am Sonntag abend wieder in Sautersville, er war im Elfuhrzug nach Lincoln – in seinem neuen braunen Anzug.

Sein Interesse für Sharon Falconer war zu zitternder Leidenschaft geworden, der ersten wirklichen Leidenschaft in seinem Leben.

Es war zu spät am Abend für einen großen Abschied, aber mindestens hundert Brüder und Schwestern waren auf dem Bahnhof, sangen »Gott leite dich, bis wir einander wiedersehen« und drückten Sharon Falconer die Hand. Elmer sah seinen pistongewaltigen Yankeefreund, Art Nichols, bei den übrigen von der Evangelistenmannschaft stehen – da war der Assistent Cecil Aylston, der fette, sentimentale Tenorsolist, die Pianistin, der Geiger, der Kinderevangelist und die Direktrice für persönliche Arbeit. (Der Pressechef, dieser wichtige Mitarbeiter, war in Lincoln und bereitete alles für die Ankunft des Herrn vor.)

Sie boten das Bild einer verschlafenen Theatertruppe, wie sie da auf ihren Koffern herumsaßen und die Einfahrt des Zuges erwarteten, und ganz wie Komödianten sahen sie erschreckend anders aus als in ihren Bühnenrollen. Die blutarme hübsche Pianistin, die für die Öffentlichkeit seraphische Silbergewänder trug, war jetzt ganz einfach ein Kleinstadtmädchen in zerdrücktem blauen Serge; die Direktrice für persönliche Arbeit, die in ihrer Leinenkutte wie eine Nonne ausgesehen hatte, war in keckes, schwarz gerändertes Rot gekleidet und schenkte den verliebten Blicken des deutschen Geigers mehr Aufmerksamkeit als den Abschiedshymnen. Der Reverend Cecil Aylston gab einem Hoteldiener Aufträge wegen des Gepäcks, mehr in der Art eines Unterquartiermeisters als eines Oxforder Mystikers.

Sharon selbst war in strahlendem Weiß der Magnet für sie alle. Ein dicker, bärtiger Presbyterianer-Geistlicher summte um sie herum und hielt ihren Arm in mehr als frommem Eifer fest. Sie lächelte ihn an (zu Elmers Wut), sie lächelte ebenso den Prediger der »Jünger« an, sie drückte mit Wärme alle Hände und lauschte zärtlich jedem Ruf »Gelobt sei Gott, Schwester!« Aber ihre Augen sahen müde aus, und Elmer bemerkte, daß sie die Lippen hängen ließ, als sie sich von ihren Verehrern abwandte. Ganz jung sah sie da aus, abgespannt und schutzlos.

»Armes Ding!« dachte Elmer.

Kreischend, mit flimmernden Lichtern, kam der Zug herein, die Truppe tummelte sich mit ihren Koffern. »Adieu – Gott segne Sie – Gott helfe bei Ihrer Arbeit!« schrien alle … alle außer dem Kongregationalistengeistlichen, der verdrossen am Rande der Menge stand und einem Pfarrkind erklärte: »So, jetzt macht sie sich davon, nach sechs Wochen Arbeit, für sich allein mit so viel Geld, daß unsre ganze Kirche zwei Jahre damit auskommen könnte!«

Elmer stellte sich neben seinen musikalischen Freund Art Nichols, und als sie in den Wagen hinaufsprangen, murmelte er: »Art! Art! Ich hab' Ihre Magenmedizin da!«

»Fein!«

»Hören Sie. Passen Sie mal auf. Richten Sie's so ein, daß Sie neben Sharon sitzen. Dann gehen Sie ziemlich bald raus, um zu rauchen –«

»Sie hat's nicht gern, wenn man raucht.«

»Sie brauchen's ihr ja nicht zu sagen! Gehen Sie raus, damit ich mich hinsetzen und bißchen mit ihr reden kann. Eine wichtige geschäftliche Sache! Wegen – eine feine neue Stadt für ihre evangelistische Arbeit. Da: stecken Sie das in die Tasche. Und in Lincoln werd' ich noch mehr für Sie auftreiben. Jetzt los, und gehen Sie mit ihr hinein.«

»Schön, ich werd's versuchen.«

In dem finsteren, übel riechenden Wagen, der heiß und überfüllt war – Frauen, deren Mieder unter dem angestrengten Atmen knarrten, Bauern, die in Hemdsärmeln schnarchten – stand Elmer hinter der Bank, auf der die Schultern Art Nichols sich wie ein dunkler Fleck abhoben und ein weißes Leuchten zeigte, wo Sharon Falconer saß. Für Elmer schien sie das Universum in Flammen zu setzen. Sie war so köstlich, Zoll für Zoll; er hatte nicht geahnt, daß ein menschliches Wesen so köstlich und zauberhaft sein könnte. In ihrer Nähe zu sein, war begeisternd genug … fast begeisternd genug.

Sie redete nicht. Er hörte nur Art Nichols näseln: »Was meinen Sie dazu, wenn wir paar von diesen Niggersongs verwenden würden?« und ihre schläfrige Antwort: »Ach, heute wollen wir nicht mehr drüber reden.« Dann sagte Art bald: »Ich will mal raus auf die Plattform und bißchen Luft schnappen«, und der heilige Platz neben ihr war frei für den aufgeregten Elmer.

Sehr nervös schlüpfte er hin.

Sie war ganz in sich zusammengesunken, setzte sich aber auf, starrte ihn im trüben Licht an und sagte mit einer ernsten Höflichkeit, die ihn mehr wegwies als jede Grobheit: »Es tut mir sehr leid, aber dieser Platz ist besetzt.«

»Ja, ich weiß, Schwester Falconer. Aber der Wagen ist überfüllt, ich will mich nur niedersetzen und ausruhen, solang Bruder Nichols wegbleibt – das heißt, wenn Sie mir's erlauben. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an mich erinnern. Ich bin – ich hab' Sie vor dem Zelt in Sautersville kennengelernt. Reverend Gantry.«

»Ach«, ganz gleichgültig. Dann rasch: »Ach ja, Sie sind der Presbyterianergeistliche, der wegen Trinken geflogen ist.«

»Das ist ganz und gar –!« Er sah, daß sie ihn beobachtete, und merkte, daß sie weder ihr heiliges, noch ihr tüchtiges Wesen hatte, sondern ein ganz neues, privates, spottlustiges Wesen. Entzückt fuhr er fort: »– ganz und gar nicht richtig. Ich bin der Mann von der Christian Science-Kirche, der geflogen ist, weil er am Sabbat die Chordirigentin geküßt hat.«

»Ach, das war aber leichtsinnig von Ihnen!«

»Sie sind also wirklich ein Mensch?«

»Ich? Du lieber Himmel, ja! Nur zu sehr Mensch.«

»Und Sie sind's müde?«

»Was?«

»Die große Miss Falconer zu sein, die, wenn sie sich eine Zahnbürste kaufen will, in keine Drogerie gehen kann, ohne daß der Kommis brüllt: ›Gelobt sei Gott, wir haben ein paar ausgezeichnete Patent-Zahnbürsten, hallelujah!‹«

Sharon kicherte.

»Und sind es müde«, seine Stimme war jetzt einlullend, »daß Sie's nie wagen dürfen, müde zu sein, wie heute abend, und daß Sie niemand haben, an den Sie sich lehnen können!«

»Ich vermute, mein lieber ehrwürdiger Bruder, daß das ein freundliches Anerbieten ist, ich möchte mich an Sie lehnen!«

»Nein. So unverschämt könnt' ich nicht sein! Ich hab' eine Todesangst vor Ihnen. Sie haben nicht nur Ihre Schönheit – nein! bitte lassen Sie sich von mir sagen, wie ein geistlicher Kollege Sie sieht – und Ihre wunderbare Tribünenerscheinung, ich glaube, Sie haben auch Verstand.«

»Nein, den hab' ich nicht. Gar kein Verstand. Alles Gefühl. Das ist das Malheur mit mir.« Das klang jetzt ganz wach, und auch freundlich.

»Aber denken Sie doch an alle Seelen, die Sie zur Reue geführt haben. Das macht doch was aus, nicht?«

»O ja, ich glaub' schon, daß – ach, natürlich macht's etwas aus. Es ist das einzige, was zählt. Nur – sagen Sie mir: Was ist wirklich mit Ihnen los? Warum sind Sie nicht in der Kirche?«

Sehr ernst: »Ich war Senior im Mizpah-Seminar für Theologie, hatte aber schon meine eigene Kirche. Da hab' ich mich in ein Mädel verliebt. Ich will nicht sagen, daß sie mich geködert hat. Trotz allem, die Folgen seiner eigenen Dummheit muß man auf sich nehmen. Freilich hat sie – oh, es hat ihr Spaß gemacht, zu sehen, daß ein junger Geistlicher ihretwegen ganz verrückt wird. Sie war so hübsch! Fast so wie Sie, nur nicht so schön, nicht annähernd so schön, und sie hat immer so getan, als ob sie ganz verrückt nach geistlicher Arbeit wäre – das war's, was mich eingewickelt hat. Also. Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Wir waren verlobt, ich dachte an nichts anderes als an sie und unser gemeinsames, der Arbeit des Herrn geweihtes Leben, als ich eines Abends hinkam, und da war sie in den Armen eines anderen! Das hat mich so schwer getroffen, daß ich – Ach, ich hab's versucht, aber ich konnt' ganz einfach nicht weiterpredigen, und so hab' ich's für eine Weile aufgegeben. Und als Geschäftsmann ist mir's gut gegangen. Aber jetzt bin ich bereit, die einzige Arbeit wieder aufzunehmen, die mich immer interessiert hat. Deshalb wollt ich auch im Zelt mit Ihnen reden. Ich hab' ihr weibliches Mitgefühl ebenso sehr gebraucht wie Ihre Erfahrung – und Sie haben mich zurückgewiesen!«

»Oh, das tut mir sehr, sehr leid!« Ihre Hand streichelte seinen Arm.

Cecil Aylston kam und betrachtete sie ohne alle Frömmigkeit.

Als sie Lincoln erreichten, hielt Elmer sie bei der Hand und sagte: »Sie armes, liebes, müdes Kind!« Und: »Wollen Sie mit mir frühstücken? Wo wohnen Sie in Lincoln?«

»Jetzt hören Sie mal, Bruder Gantry –«

»Elmer!«

»Ach, machen Sie sich nicht lächerlich! Weil ich so abgerackert bin, daß es mir hübsch vorkommt, ein menschliches Wesen zu spielen, deshalb dürfen Sie noch nicht versuchen –«

»Sharon Falconer, wollen Sie aufhören, ein Dummkopf zu sein? Ich bewundere Ihr Genie, Ihre wundervolle Arbeit für Gott, aber gerade weil Sie zu groß sind, um eine gewöhnliche Evangeliumstrompete zu sein, bewundere ich Sie von Minute zu Minute mehr. Sie wissen recht gut, daß Sie sehr gern eine Zeitlang einfach, und vielleicht noch mehr als einfach sind. Und jetzt sind Sie viel zu schläfrig, um zu wissen, ob ich Ihnen sympathisch bin oder nicht. Deshalb möcht' ich, daß wir uns zum Frühstück treffen, wenn der Schlaf aus Ihren wunderbaren Augen wieder draußen –«

»Hm. Das klingt ja alles ganz ehrlich außer der letzten Phrase, die haben Sie sicher schon früher mal verwendet. Sie können's ruhig wissen, Sie sind mir sympathisch! Sie sind so restlos unverschämt, so restlos skrupellos und so wohltuend ungebildet! Ich war in der letzten Zeit zu viel mit frömmelnden Leuten zusammen. Und es ist auch interessant zu sehen, daß Sie wirklich glauben, Sie können mich einfangen. Sie sind ein komischer Kerl! Ich wohne im Antler-Hotel in Lincoln – übrigens, es hat gar keinen Sinn, daß Sie versuchen, ein Zimmer neben meinen Räumen zu bekommen, weil ich tatsächlich das ganze Stockwerk genommen hab' – ich erwarte Sie dort morgen um halb zehn zum Frühstück.«

Sinclair Lewis: Die großen Romane

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