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Elmers Ansprache bei dem Evangelisten-Meeting war ein Wolkenbruch.

Sie war gegliedert und melodiös, voll gewählter Worte, bezaubernder Anekdoten, erlesenen Gefühls, Bescheidenheit und resoluter Frömmigkeit.

Elmer hatte später Gelegenheit, Bewunderern seiner öffentlichen Ansprachen zu erklären, daß nichts wichtiger sei als Gliederung. Was, so sagte er ihnen, würden sie von einem Architekten halten, der an die Bemalung und die Dachschindeln dächte, das Haus aber nicht entwürfe? Und sein überladenes Gerede an diesem Abend war gegliedert genug.

In Teil eins gestand er, daß er trotz seinen geschäftlichen Erfolgen in Sünden gefallen sei, bevor er, voll Unruhe in seinem Hotelzimmer, müßig in einer Gideon-Bibel geblättert und einen tiefen Eindruck vom Gleichnis von den Talenten empfangen hätte.

In Teil zwei verkündete er in anfeuernden Beispielen aus seiner eigenen Erfahrung den Bargeldwert des Christentums. Er wies darauf hin, daß der Kaufmann meistens einen verläßlichen Mann einem anerkannten Gauner vorziehe.

Bis hierher war er vielleicht eine Kleinigkeit zu realistisch gewesen. Er fühlte, daß Sharon ihn nie an Cecil Aylstons Stelle nehmen würde, wenn sie nicht die Poesie gewahrte, von der seine Seele übersprudelte. Daher erläuterte er in Teil drei, was das Christentum zu mehr als einen bloßen Traum und Ideal, zu einer praktischen menschlichen Angelegenheit mache, sei die Liebe. Er sprach sehr hübsch über die Liebe. Er sagte, die Liebe sei der Morgenstern, der Abendstern, der letzte Glanz auf dem stillen Grab, sie inspiriere gleicherweise Patrioten und Bankdirektoren, und die Musik, was sei sie anderes als die Stimme der Liebe selbst? Er hatte seine Zuhörer (es waren dreizehnhundert, und alle voller Andacht) zu einer idealistischen Höhe erhoben, von der er sie jetzt wie Adler zu einem Tränenpfuhl hinunterschießen ließ:

»Denn, o meine Brüder und Schwestern, so wichtig es auch ist, in weltlichen Angelegenheiten klug zu sein, wahrhaft wesentlich ist nur die künftige Welt, und das erinnert mich, zum Beschluß, an einen sehr traurigen Vorfall, bei dem ich jüngst Zeuge war. In geschäftlichen Angelegenheiten hatte ich sehr oft mit einem sehr hervorragenden Mann namens Jim Leff … Leffingwell zu verhandeln. Ich kann seinen Namen jetzt nennen, weil er bereits in das Reich der Ewigkeit hinübergegangen ist. Der alte Jim war der beste von allen guten Kerlen, aber er hatte böse Fehler. Er trank Schnaps, er rauchte Tabak, er spielte und, es fällt mir schwer, es zu sagen, er hielt seine Zunge nicht immer rein – er nannte den Namen Gottes eitel. Aber Jim hatte seine Familie sehr lieb, vor allem seine kleine Tochter. Nun, sie wurde krank. Oh, welch eine schlimme Zeit war das für dieses Haus! Wie schlich die bekümmerte Mutter auf den Zehenspitzen in das Krankenzimmer und wieder hinaus, wie kamen und gingen die besorgten Ärzte, eilig, ihr zu helfen! Und der Vater, der arme alte Jim, er war niedergebeugt vom Leid, wenn er sich über das kleine Schmerzensbett lehnte, und sein Haar wurde in einer einzigen Nacht grau. Dann kam die große Krise, und vor den eigenen Augen des weinenden Vaters fand das kleine Geschöpf seine Ruhe, und diese süße, reine, junge Seele kehrte zu ihrem Schöpfer zurück.

»Schluchzend kam er zu mir, und ich legte meine Arme um ihn wie um ein kleines Kind. ›O Gott‹, schluchzte er, ›daß ich mein Leben in ruchlosen Lastern verbracht habe, und daß diese Kleine im Bewußtsein dahingegangen ist, ihr Vater sei ein Sünder!‹ Ich dachte ihn zu trösten und sagte: ›Alter Junge, es war Gottes Wille, daß er sie zu sich genommen hat. Sie haben alles getan, was ein Sterblicher tun konnte. Die besten Ärzte, die beste Pflege.‹

»Nie werde ich vergessen, wie verachtungsvoll er auf mich losfuhr. ›Und Sie nennen sich einen Christen‹, rief er. ›Ja, sie hatte ärztliche Pflege, aber eines fehlte – das Eine, das sie gerettet hätte – ich konnte nicht beten!‹

»Und dieser starke Mann kniete gemartert nieder, und trotz all meiner Übung im … trotz meiner vielen Versuche, meinen Mitmenschen die Wege Gottes zu erklären, hier war nichts zu sagen. Es war zu spät!

»O meine Brüder, meine Geschäftskollegen, wollt auch ihr die Reue verschieben, bis es zu spät ist? Das ist eure Sache, sagt ihr. Ist sie das? Ist sie das? Habt ihr ein Recht, allen, die euch die Nächsten und Liebsten sind, die bittere Bürde eurer Sünden aufzuerlegen? Seid ihr euren Sünden mehr zugetan als eurem lieben kleinen Sohn, eurem hübschen Töchterchen, eurem liebevollen Bruder, eurem prächtigen alten Vater? Wollt ihr diese strafen? Wollt ihr? Liebt ihr wirklich keinen Menschen mehr als eure Sünden? Tut ihr das aber, so steht auf. Ist keiner da, der aufstehen und einem Geschäftskollegen helfen will, diese Botschaft großer Freude in die Welt zu tragen? Wollt ihr nicht kommen? Wollt ihr mir nicht helfen? Oh, kommt! Kommt vor und laßt euch die Hand von mir drücken!«

Und sie kamen, zu Dutzenden, weinend, während er über seine eigene Güte weinte.

Später standen Sharon und Elmer in dem abgeschlossenen Raum hinter den weißgoldenen Tribünen und sie rief: »Ach, es war schön! Wirklich, fast hätt' ich selber geweint! Elmer, es war einfach herrlich!«

»Hab' ich sie gekriegt? Hab' ich sie gekriegt? Hab' ich? Hören Sie, Sharon, ich freu' mich riesig, daß es gut gegangen ist, weil es Ihr Abend war, und ich hab' mir Mühe gegeben, alles zu machen, was ich konnte!«

Mit ausgestreckten Armen ging er auf sie zu, und diesmal arbeitete er nicht mit der falschen Glut der Liebesdiplomatie. Er war der kleine Junge, den es nach dem Lob seiner Mutter verlangt. Aber sie wich vor ihm zurück und bat, ohne alle Ironie:

»Nicht! Bitte!«

»Aber, haben Sie mich nicht gern?«

»Ja, doch.«

»Wie gern?«

»Nicht sehr. Ich kann niemand sehr gern haben. Aber ich hab' Sie gern. Eines Tages werd' ich mich vielleicht in Sie verlieben. Ein ganz klein wenig. Wenn Sie mir nicht zu sehr zusetzen. Aber nur physisch. Niemand«, voll Stolz, »kann meiner Seele nahekommen!«

»Halten Sie das für anständig? Ist das nicht sündhaft?«

Sie flammte auf. »Ich kann nicht sündigen! Ich stehe über der Sünde. Ich bin wirklich und wahrhaft heilig! Was immer ich auch tun mag, und sei es auch in Unheiligen Sünde, bei mir wird Gott es zu seiner Verherrlichung wenden. Ich kann Sie so küssen« – Sie berührte flüchtig seine Wange, »ja, so oder leidenschaftlich, fürchterlich leidenschaftlich, und es würde doch nur ein Symbol meiner völligen Vereinigung mit Jesus sein! Ich habe Ihnen von einem Wunder erzählt. Sie werden das nie verstehen können. Aber Sie können mir dienen. Möchten Sie das?«

»Ja, ich möchte … Und ich hab' noch nie in meinem Leben jemand gedient! Ob ich kann? Ach, schmeißen Sie diesen teesaufenden Schlappschwanz, den Cecil, raus und lassen Sie mich mit Ihnen arbeiten. Brauchen Sie nicht solche Arme um sich, jetzt und später, die Sie schützen können?«

»Vielleicht. Aber ich darf nicht gedrängt werden. Ich bin ich! Ich bin es, die wählt!«

»Ja. Es wird wohl so sein, Sharon. Ich glaube, Sie haben mich ganz hypnotisiert, oder so was.«

»Nein, aber vielleicht werd' ich's tun, wenn mir mal was dran liegt … Ich kann alles tun, was ich will! Gott hat mich für sein Werk erwählt. Ich bin die Reincarnation der Jungfrau von Orleans, der Katharina von Siena! Ich habe Visionen! Gott spricht zu mir! Ich hab' Ihnen einmal gesagt, daß ich nicht Verstand genug hab', um mit den männlichen Evangelisten zu rivalisieren. Lüge! Falsche Bescheidenheit! Die sind Gottes Boten, ich aber bin Gottes rechte Hand!«

Sie sang es mit zurückgeworfenem Kopf, mit geschlossenen Augen, und sogar während er zitterte: »Mein Gott, sie ist wahnsinnig!« machte er sich nichts daraus. Er würde alles aufgeben, um ihr zu folgen. Stammelnd sagte er ihr das, doch sie schickte ihn weg, und er schlich in einer Demut fort, die er nie gekannt hatte.

Sinclair Lewis: Die großen Romane

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