Читать книгу Das Böse aus dem Morgenland - S.M. Jansen - Страница 11
Kapitel 1 Flug Nr. LH692, Amman - Frankfurt, November 2025
ОглавлениеManchmal denke ich, dass alles im Leben vorbestimmt ist. Ja, ich bin davon überzeugt. Aus tiefstem Herzen glaube ich daran. Wir können vieles beeinflussen, aber manche Ereignisse lassen uns staunen und nicht immer kann man sich darauf vorbereiten, was uns im Leben begegnet. Rückblickend kann ich behaupten, dass ich durch die hier beschriebenen Erlebnisse ein anderer Mensch geworden bin, selbstbewusst und stark. Dafür bin ich sehr dankbar.
Meine Geschichte ist schön und morbide zugleich, tragisch, romantisch, wild, beschämend, traurig – unglaublich! Jetzt, auf dem Weg nach Hause denke ich mit tiefer Wehmut zurück, aber es war nicht immer so. Vor meinen mit Tränen gefüllten Augen laufen kaleidoskopähnlich bunte Bilder ab. Bilder der glücklichen Vergangenheit, einer romantischen, wilden Liebe über zwei Kulturen, zwei Kontinente hinweg. Wir beide waren damals jung und rastlos, so kam es mir jedenfalls vor. Die Welt hatte uns offen gestanden, vor allem für mich, für die große Träumerin aus dem kühlen Deutschland, die dem Zauber des Orients nicht widerstehen konnte.
Als ich das erste Mal den Boden des Flugzeugs betrat, um mein Traumland kennenzulernen, fühlte ich mich beinahe, wie sich Kolumbus bei seiner Jungfernfahrt gefühlt haben musste. Dieses Empfinden war so unbeschreiblich, dass ich es für immer in meinem Gedächtnis bewahren möchte. Meine Erwartungen waren groß, zu groß vielleicht, und es ist schade, dass ich dieses wunderschöne Land und ihre Bürger nicht aus einer anderen, schöneren Perspektive kennenlernen durfte. Der Orient hatte sich mir von seiner dunkelsten Seite gezeigt.
Vielleicht, mit genug Abstand, irgendwann in der fernen Zukunft, werde ich die Orte der schrecklichen Geschehnisse wieder aufsuchen, mich mit meiner dramatischen Vergangenheit auseinandersetzen, Land und Leute von einer anderen Seite kennenlernen.
Ich denke an meine Familie, an Deutschland und freue mich unendlich auf mein altes neues Leben in Offenbach, das ich damals so voreilig und überstürzt weggeworfen habe.
Dankbar, dass ich den Weg zurück antreten durfte und voller Vorfreude sah ich aus dem Fenster der Lufthansa-Maschine in die indigoblaue Nacht. Gedankenverloren starrte ich in die Tiefe und versuchte, mich abzulenken. Der Flug, obschon nur Mittelstrecke, kam mir endlos vor.
»Etwas zu trinken, Madame?« Die Stimme einer freundlichen Flugbegleiterin riss mich aus meinem Tagtraum. Ich nickte und zeigte auf die Wasserflasche auf ihrem Getränketrolley. Das kühle Wasser erfrischte mich. Ich versuchte, mich etwas zu sammeln, sah mich um. Mein attraktiver Sitznachbar schlief tief in seinem Sitz versunken, sein Kopf ruhte auf einem aufblasbaren Kissen und ich beobachtete, wie sich sein Brustkorb im Rhythmus seines Atems lautlos hob und senkte. Es war mitten in der Nacht, die meisten Mitreisenden schliefen, das schummrige Licht ließ mich nicht so weit sehen. Ich war wohl die Einzige, die wach war. Noch eineinhalb Stunden Flug, dann würde ich endlich in Frankfurt landen, dort wo damals alles so märchenhaft angefangen hatte. Seufzend löste ich mich von meinen Gedanken. Die monotone, angenehm temperierte Musik, die über einen Kopfhörer aus meiner Smartbrille strömte, machte mich schläfrig. Gähnend lehnte ich mich zurück, schloss die Augen und fiel in einen leichten, friedlosen Schlaf.
Als ich Majid vor drei Jahren kennengelernt hatte, war ich eine gesunde, ziemlich attraktive und ein wenig schüchterne Frau in den besten Jahren. Ich wurde gerade dreiunddreißig, ich fühlte mich bereit für eine neue Liebe. Ich lebte allein in meiner kleinen Zweizimmerwohnung, bescheiden, aber gemütlich und geschmackvoll eingerichtet. Reichtümer hatte ich keine, aber das war sowieso nicht mein Ziel. Ich fühlte mich wohl so. Nur am Wochenende und an den Feiertagen fehlte mir eine Person, mit der ich etwas unternehmen, an die ich mich lehnen, mit der ich zusammen einen schönen Abend verbringen konnte. Ansonsten aber war ich mit meinem Leben im Reinen. Viele Hobbys hatte ich nicht, aber die bereiteten mir viel Spaß. Ich sammelte mit Begeisterung Schneekugeln. Ja, ich muss zugeben, es klingt vielleicht kindisch, aber Schneekugeln fand ich seit meiner Kindheit faszinierend. Inzwischen umfasste meine Sammlung über hundert, von klein und günstig bis groß und teuer. Sie standen überall in meiner Wohnung verteilt. Hatte ich wieder einmal meine melancholische Phase, schüttelte ich sie und bekam sofort gute Laune.
Am Wochenende las ich gern, am liebsten Frauenromane oder Biografien berühmter Persönlichkeiten. Ich kuschelte mich aufs Sofa, las stundenlang auf meinem neuen E-Book-Reader und litt mit den Protagonisten mit.
Sport mochte ich nicht, aber ich ging gerne spazieren und hatte mich für einen Bauchtanzkurs angemeldet. Die orientalische Musik in Verbindung mit den kunstvoll verzierten, bunten Kostümen der Tänzerinnen übte auf mich einen besonderen Reiz aus. Gern wollte ich eine von ihnen sein. Am Anfang schämte ich mich ein wenig wegen meiner üppigen Kurven, bis mir die Kursleiterin klar machte, dass es für die Bauchtänzerinnen ein Vorteil ist, wenn sie etwas Fleisch auf den Rippen haben. Also entspannte ich mich allmählich und gab mir viel Mühe, die Schritte zu erlernen. In einem türkischen Geschäft in der Innenstadt fand ich zwei passende hübsche Bauchtanzkostüme, die ich kurz entschlossen erstand. Sie waren nicht gerade billig, dennoch musste ich sie unbedingt haben. Bauchtanz war für mich ein idealer Ausgleich zum Beruf und dem tristen Alltag.
Manchmal dachte ich daran, wie es wäre, wenn ich Kinder hätte, ich mochte Kinder gern, aber ich war nicht ganz sicher, ob ich den hohen Anforderungen des Mutterseins gerecht werden konnte. Mein Gefühl sagte mir, dass ich diese Verantwortung noch nicht zu übernehmen bereit war. Außerdem hatte ich keinen passenden Mann, der sich als Vater für mein Kind eignen würde. Also ließ ich mir in meiner Frauenarztpraxis ein Implantat einsetzen. Ich wollte nichts riskieren. Vorerst war das Thema Kinder für mich erledigt.
Meine Arbeit als Büroangestellte in einer großen, deutschen Versicherungsgesellschaft machte mir auch nach Jahren noch viel Spaß und ich hatte tolle Arbeitskollegen, mit denen ich öfter nach Feierabend durch die Innenstadt zog. Wir tranken ein paar Gläser Wein, unterhielten uns, spielten Dart, Billard, Playstation Ten. Mein Leben war vielleicht etwas spießig, aber ich fühlte mich wohl. Meine letzte, längere Beziehung lag schon zwei Jahre zurück, es hat nicht sein sollen. Stephan war eigentlich ein netter, zuverlässiger Partner, aber nach vier Jahren Beziehung merkten wir beide, dass sich etwas verändert hatte. Die Zärtlichkeiten wurden mit der Zeit weniger, auch der Sex. Jeder verfolgte eigene Interessen. Wir wohnten zusammen und doch waren wir zwei Fremde. Hungrig nach Liebe, Zärtlichkeiten und Aufmerksamkeit unternahm ich alles um unsere Beziehung zu retten, aber Stephan übersah meine kleinen und größeren Hilferufe, ich fühlte mich in unserer Beziehung oft einsamer, als wenn ich alleine wäre. Die Luft war endgültig raus. Wir hatten uns in aller Freundschaft getrennt.
Gelegenheiten, jemanden kennenzulernen, hatte ich genug, es mangelte mir nicht an Kontakten. Leider hat es nie jemanden gegeben, der dauerhaft ernstes Interesse an mir gezeigt hätte. Es hatten sich ein paar One-Night-Stands ergeben, die ich zwar genoss, dann aber auch schnell bereute. Man kann auf diese Weise wohl keinen Mann fürs Leben finden.
Ich hatte mich bereits als Kind nach Liebe und Zuneigung gesehnt. Meine Eltern hatten sich schon sehr früh scheiden lassen, da war ich gerade neun Jahre alt. Mein Vater zog von heute auf morgen aus. Für mich war es ein Schock. Ich weinte tagelang in meinem Zimmer und wünschte mir, dass er zurückkäme. Vergeblich. Meine Mutter ging ab sofort arbeiten. Sie hatte eine Stelle als Verkäuferin in einem Schuhgeschäft bekommen und war nur noch selten zu Hause.
Meine geliebte Oma kümmerte sich um mich, wenn ich aus der Schule kam. Alles war plötzlich ganz anders als früher, als wir noch mit meinem Vater zusammenlebten. Im Haus fehlten seine Fröhlichkeit, sein Lachen, sein Humor und die Geborgenheit, die er ausstrahlte. Seine lustigen Streiche, die er wie ein kleiner Junge täglich ausheckte und mich damit zum Lachen brachte. Mein Vater war für mich ein Held. Ich vergötterte ihn. Und nun war er nicht mehr da.
Großmutter Jolanda versorgte mich gut, aber sie war schon sehr betagt. Natürlich konnte sie meinen geliebten Vater nicht ersetzen. Ich vermisste ihn so sehr. Ich traf ihn nur noch selten, meist zu besonderen Gelegenheiten. Vielleicht ein- oder zweimal im Jahr, wenn er beruflich in der Stadt zu tun hatte. Ich fühlte mich von ihm im Stich gelassen. Irgendwann brach der Kontakt völlig ab. Ich verarbeitete meine Einsamkeit und Enttäuschung in meinen Gedichten. Es waren überwiegend traurige, nachdenkliche Gedichte voller Sehnsucht. Ich hörte Musik in meinem Zimmer, kapselte mich fast völlig von der Außenwelt ab und fand Trost in meinen Gebeten. Ich wurde christlich erzogen, und immer wenn ich mich einsam fühlte, ging ich in die Kirche. Die Ruhe und Atmosphäre des Gotteshauses wirkte behaglich und wohltuend. Ich glaubte an Gott und vertraute ihm.
Nach fünf Jahren als alleinerziehende Frau lernte meine Mutter meinen Stiefvater kennen und lieben. Sie heirateten schon drei Monate später und sie war wieder glücklich. Mein Stiefvater Jan wurde für mich eine Art väterlicher Freund. Er passte gut zu unserer kleinen Familie. Das Verhältnis zwischen ihm und mir war sehr gut. Es gab nur selten Streit, meistens, wenn ich abends zu spät nach Hause kam. Dann machte er sich große Sorgen und konnte nicht schlafen, bis ich endlich in meinem Bett lag. Es war anders als damals mit meinem Vater, aber ich brauchte einen männlichen Part in meinem Leben. Jan war gut für meine Mutter, ich gönnte ihr von ganzem Herzen ihr Glück. Bis heute sehne ich mich so sehr nach Liebe, Zärtlichkeit, all das, was ich früher von meinem geliebten Papi bekommen hatte und all die Jahre so unendlich vermisste.
Im Internet hatte ich ein paar Freunde, mit denen ich Abend für Abend chattete. Sie wurden bald zu meiner Ersatzfamilie. Ich war dankbar für die Zuneigung, die ich bekam. Meine Freunde im Netz sorgten für die nötige Abwechslung, insbesondere die Freundschaft zu Hannah und Ricky gab mir Kraft, die Stunden der Einsamkeit zu vergessen. Wir sprachen über Liebe, Freundschaft, über ihre und meine Nöte. Hannah war jünger als ich, gerade etwas über zwanzig. Wir verstanden uns dennoch sehr gut, der Altersunterschied spielte keine Rolle. So ging es über viele Monate, bis Hannah überraschend und aus heiterem Himmel heiratete und der Kontakt abbrach. Der homosexuelle Ricky hingegen stand mir immer treu zur Seite, auch nachdem er mit seinem Lebensgefährten nach Australien gezogen war. Ricky war immer für mich da, zwar nur virtuell, aber treu und zuverlässig. Es half mir ein wenig, meine Probleme zu betäuben, jedoch nicht, sie loszuwerden. An manchen Tagen war der Schmerz so groß, dass ich mich selbst zu verletzen begann. Ich ritzte mit einem Küchenmesser meine Unterarme. Der körperliche Schmerz drängte den seelischen in den Hintergrund. Ich verbarg die Narben unter langen Ärmeln, auch im Sommer. Ich konnte mein Geheimnis lang für mich behalten. Als Mutter es bemerkte, zwang sie mich zu einer Therapie, wofür ich ihr heute noch dankbar bin. Schon nach relativ kurzer Zeit hatte ich mich von diesem Albtraum befreien können. Später hatte ich Stephan kennengelernt. Wir waren Freunde geworden und schließlich ein Liebespaar.
Eines Tages im August ging ich mit meinen beiden Arbeitskollegen Julian und Mia wie üblich nach Feierabend ins Joy in der Frankfurter Innenstadt, unserer Lieblingslounge. Es war Freitagabend, Fußgängerzone, hier pulsierte das urbane Leben. Der Abend war noch warm, die Sonne verschwand gerade hinter dem Horizont und verwöhnte uns mit den letzten, warmen Strahlen. Unsere Stimmung war ausgelassen, den Arbeitsalltag hatten wir weit hinter uns gelassen. Die Musik im Hintergrund unterstrich unsere heiteren Gefühle und das stimmungsvolle, flackernde Licht der Kerzen versetzte unsere kleine Truppe in eine fast schon romantische Stimmung. Wir tranken Calvados, lachten und genossen das gerade begonnene Wochenende.
Da sah ich ihn und mir wurde ganz heiß: Geschätzte eins fünfundachtzig groß, schlank, aber kräftig, dunkelbraune, leicht gewellte Haare, dunkle Augen, olivfarbene Haut – ein Orientale. Gefesselt starrte ich in seine Richtung. Mein Herz schlug schneller, als er mich ansah. Etwas in seinem Blick ließ mich innerlich erzittern. Er sah so stolz aus, so männlich!
Ich spürte die körperliche Begierde in mir aufsteigen, hatte ich doch schon ewig keinen Mann mehr gehabt, aber da war noch viel mehr. Seine Blicke und seine Körperhaltung verrieten ihn – auch er fand mich offensichtlich attraktiv. Dieser Mann ließ mich wieder zu einer begehrenswerten Frau werden.
Nach einem intensiven Blickwechsel und den ausgetauschten eindeutigen Signalen kam das Objekt meiner weiblichen Begierde mit zwei Drinks in der Hand zu mir. Mit einem zauberhaften Lächeln in den Augen sprach er mich an, den Moment nutzend, als meine beiden Begleiter auf der Tanzfläche ihr tänzerisches Können zum Besten gaben.
Ich war entzückt und verlegen zugleich. Wir fühlten uns von Anfang an magisch zueinander hingezogen.