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Kapitel 2 Offenbach, August - September 2022
ОглавлениеMajid zog mich schnell in seinen Bann, überhäufte mich mit Komplimenten und ich wurde zunehmend ein willenloses Opfer seiner raffinierten Verführungskünste. Nach einer gefühlten Ewigkeit sexueller Enthaltsamkeit genoss ich meine neue Liebe in vollen Zügen. Wir liebten uns fast jeden Tag und mir war völlig egal, was Majid von der sexuellen und kulturellen Freiheit der deutschen Frauen dachte – ich begehrte seinen warmen Körper, seine zärtlichen Hände auf meinen wohlgeformten, weiblichen Rundungen. Meine kleine Zweizimmerwohnung in der Innenstadt von Offenbach bot uns die begehrte Abgeschiedenheit für unsere endlosen Bettmanöver.
„Himmlisch war's, wenn ich bezwang
Meine sündige Begier,
Aber wenn's mir nicht gelang,
Hatt ich doch ein groß' Pläsier.“
Heinrich Heine
In meinen Augen war Majid der ideale Lover. Trotz seiner fast vierzig Jahre war er auf dem Höhepunkt seiner sexuellen Leistungsfähigkeit.
Ich zerfloss förmlich in seinen Umarmungen und gab mich ihm hin, ohne über die Konsequenzen oder über die doch noch recht unsichere, gemeinsame Zukunft nachzudenken. Ich wollte seine Frau, sein bester Freund sein, mit allem Drum und Dran. So schnell wie möglich, aber das war nicht so einfach.
Er war so anders als die Männer, die ich bisher hatte. Ich war von Majids gefühlvoller Art mir gegenüber einfach überwältigt. Er schaute mich die ganze Zeit so liebevoll an, berührte zärtlich meine Hände, strich mir über die Haare – es war mehr, als ich nach so einer kurzen Zeit erwartet hätte. Mit jedem Blick, mit jedem Wort fühlte ich seine Gefühle zu mir. Meine anfängliche Skepsis, ob er es ehrlich mit mir meinte, verflog mit der Zeit. Ich fing an, ihm zu vertrauen, mein Herz sagte, dass es nicht nur gespielt sein konnte. Fortwährend machte mir mein wundervoller Jordanier nette Komplimente, er gab sich Mühe, sein Deutsch zu verbessern und brachte mir bei, wie man leckere Gerichte aus seiner Heimat zubereitete.
Er sprach nicht viel über sich. Aber einiges erfuhr ich dennoch über ihn, vor allem über seine Familie in Amman, der Hauptstadt Jordaniens und seinen Beruf als Juwelier. Er wollte in Europa nach Geschäftskontakten Ausschau halten und war von einem alten Studienkommilitonen nach Frankfurt eingeladen worden. So hat mich das Schicksal in seine Arme getrieben. Majid war Witwer, seine jordanische Frau Nur und seine kleine Tochter Jamila waren vor fünf Jahren bei einem Hausbrand ums Leben gekommen. Er erzählte mir, dass die Brandursache bis heute nicht geklärt wurde. Die Ermittlungen der Polizei waren eingestellt worden. Natürlich habe ich nicht viele Fragen gestellt – ich konnte mir vorstellen, wie schmerzhaft das für ihn war. Das Einzige, was ich für ihn tun konnte, war, für ihn da zu sein und sein Schweigen zu akzeptieren.
Über seine Familie habe ich nur erfahren, dass sie sehr traditionell lebt. Sie besaßen in Amman ein schönes, großes Haus und auf dem Land ein Anwesen mit einem Stück Land, auf dem sie Ziegen und Schafe züchteten. Sie gehörten einem alten, als vornehm geltenden Beduinen-Stamm der Sani an, die als besonders künstlerisch und handwerklich begabt galten. Schon sein Vater war ein traditioneller Goldschmied, Majid hatte sein Talent geerbt. Er war sehr stolz auf seine Kunst und das, was er sich mit eigenen Händen erarbeitete. Majid präsentierte mir einige Exemplare der von ihm designten und handgemachten Schmuckstücke, die er als Muster für eventuelle Geschäftspartner in einem großen Koffer aus schwarzem Leder mitgebracht hatte. So schönen Schmuck hatte ich bisher noch nie gesehen. Als klar wurde, dass wir ineinander verliebt waren und zusammenbleiben wollten, hat mir mein Märchenprinz einen wunderschönen goldenen Armreif und ein Paar goldene, mit kostbaren Rubinen verzierte Ohrhänger geschenkt. Die Schmuckstücke erinnerten wahrlich an Ali Babas Sesam öffne dich. Ich war überglücklich und fühlte mich wie eine Prinzessin. In meinen Gedanken wanderte ich in meine Jugend zurück, erinnerte mich an all die orientalischen Prinzessinnenbücher, die ich damals wie ein trockener Schwamm aufgesogen hatte. Ich hatte in meiner Nase wieder den Geruch fremder Welten. In meinen Träumen wollte ich schon immer auf einem Kamel durch den Wüstensand reiten, in einer grünen Oase Rast machen, von den wohlschmeckenden Datteln kosten. Ich sah vor meinen Augen ganz deutlich imaginäre, geheimnisvolle Bilder des Orients. Ich hatte den heißen Wüstenwind förmlich auf meiner Haut gespürt.
Jetzt war ich eine erwachsene Frau, aber die Welt von damals hatte mich nie wirklich losgelassen. Meine Familie fand meine Vorliebe für die Welt aus 1001 Nacht gewöhnungsbedürftig. Aber sie ließen mich gewähren. Wahrscheinlich hatten sie gehofft, es würde sich mit der Zeit einfach abschwächen oder sogar ganz verschwinden. Aber im Gegenteil, meine ungestillte Sehnsucht steigerte sich, wurde noch viel intensiver.
Majid sprach mit der Zeit ganz gut deutsch, er hatte einige Jahre Deutsch bei einem Privatlehrer gelernt. Ich fand es natürlich toll und war noch mehr davon überzeugt, dass es kein Zufall sein konnte mit uns beiden. Es war eine schicksalhafte Begegnung. Manchmal fragte ich mich, warum er gerade mich auserwählt hatte. An mir war doch nichts Besonderes – eins zweiundsechzig klein, zweiundsiebzig Kilo Lebendgewicht, saphirblaue Augen und blonde, schulterlange Haare. Mein Hüftgold störte ihn anscheinend nicht. Und ich hatte immer solche Komplexe deswegen. Ich aß gern, am liebsten Schokolade und Eis, aber auch etwas Herzhaftes verschmähte ich ungern, was sich auf der Waage bemerkbar machte. Dagegen anzukämpfen fiel mir schwer. Diäten brachten nichts, irgendwann hatte ich dann aufgegeben, versuchte meine Rundungen zu akzeptieren. Ich kam mit mir ins Reine. Eine beachtliche Portion Humor, Lebenslust, Kreativität, gepaart mit einem leichten Hang zu Hysterie, ja, so war ich. Eigentlich fand ich mich ganz gut so, wie ich war. Manchmal konnte ich aber auch melancholisch sein. Ich war weiß Gott nicht ohne Makel! Also warum gerade ich, warum wählte Majid ausgerechnet mich aus?
Schon nach ein paar Wochen zog er bei mir ein. Wir entschlossen uns, zu heiraten – es ging nicht anders. Majid war Moslem. Er sagte mir eines Tages bei einem Spaziergang am Mainufer, dass seine strenggläubige Familie niemals eine außereheliche Beziehung akzeptieren würde. Meine frische Liebe zu Majid wurde damit auf eine harte Probe gestellt. Heiraten wollte ich eigentlich nicht. Am dreizehnten August machte mir mein Jordanier einen überraschenden Heiratsantrag. Romantisch und einfallsreich für einen Mann, ganz nach meinem Geschmack. Es war ein Samstag und ich wollte nach einem üppigen Frühstück eigentlich gleich zur Mia. Wir waren zum Shoppen verabredet. Majid kaute in der Küche an seinem letzten Brötchenhappen, als es unten an der Tür klingelte. »Ja«, rief ich in den Hörer der Gegensprechanlage und drückte, ohne eine Antwort abzuwarten, auf den Knopf, um die Tür zu öffnen. Wer kann das sein? Wir erwarteten niemanden. Ich öffnete nur widerwillig die Wohnungstür und sah genervt auf die Uhr.
Hinter einer Wand aus karminroten Rosen schaute ein Männerkopf hervor. Der Bote lächelte mich freundlich an. »Frau Bea Wozniak?«, wollte er wissen.
»Ja«. Ungläubig schaute ich auf den riesigen Strauß und überlegte schnell, von wem er stammen könnte. Der Bote reichte mir die Blumen, ich unterschrieb und schon war er wieder weg.
Majid sah mich mit unschuldigem Blick an, aber mir wurde klar, dass er dahintersteckte. Der Strauß war so opulent, dass ich erst mühsam nach einer passenden Vase fischen musste, um die prächtigen Blumen mit Wasser zu versorgen. »Sie sind wunderschön, Liebling!«
Ich bedankte mich mit einem leidenschaftlichen Kuss. Er lächelte verschmitzt, wie ein Bub, der einen Streich ausgeheckt hat, nahm aus seiner Hosentasche ein rotes, samtenes Schächtelchen und übergab es mir. »Bea, du bist die Frau, mit der ich in Zukunft mein Leben teilen möchte. Willst du meine Frau werden?« Seine Augen schauten mich erwartungsvoll an.
Ich zögerte einen Augenblick, bis ich meine Sprache wiederfand. Mein Herz pochte vor Aufregung. Meine Finger zitterten, als ich die Schatulle öffnete, einen goldenen Ring mit einem großen Brillanten herausnahm und auf meinen linken Ringfinger schob. Überglücklich schmiegte ich meine Arme um seinen Hals und überwarf ihn mit zärtlichen Küssen. Ich sagte »Ja«.
Irgendwie ging mir das alles doch viel zu schnell, aber mir wurde klar, dass mit diesem Mann alles anders war. Unkonventionell, aufregend, ich wollte diesen Zauber nicht zerstören. Mein wunderbarer Mann zeigte Verständnis für meine Bedenken. Er wartete geduldig, bis ich mich mit dem Gedanken, doch so schnell zu heiraten, schließlich angefreundet hatte und wir gemeinsam zum Standesamt gingen, um die Formalitäten zu besprechen. Natürlich mussten eine Menge Dokumente für mich und für ihn besorgt, Übersetzungen in Auftrag gegeben werden, aber wir waren beide zuversichtlich – wir taten das Richtige.
Wir konsultierten einen Imam, der uns von Majids Studienfreund empfohlen worden war. Der alte Mann war freundlich und gab mir Auskunft auf alle meine Fragen in Bezug auf die traditionelle islamische Trauung. Majid schlug mir vor, seinen Glauben anzunehmen, damit wir, wie er sagte, eine richtige islamische Ehe führen könnten. Ich bat ihn um Bedenkzeit. Ich wusste nicht viel über seine Religion, so schnell wollte ich mich dann doch nicht entscheiden. An den folgenden Abenden las ich zu Hause auf dem Sofa die deutsche Qur'an-Übersetzung. Ich wollte mehr über die fremde Religion erfahren, wollte mir ein Bild verschaffen, sehen, was auf mich zukäme, wenn ich Majids Vorschlag annehmen würde.
In den kommenden Wochen stellte ich meinen orientalischen Schönling meiner Mutter und meinem Stiefvater vor. Eines Sonntags brachte ich ihn einfach so, ohne die beiden vorher zu informieren, mit zum Sonntagskaffee. Sie gaben sich ihm gegenüber dezent zurückhaltend, aber durchaus freundlich. Stiefvater taxierte meinen Neuen mit nachdenklichem, durchdringendem Blick. Mutters Gesicht verriet, dass sie ihn offenbar attraktiv fand. Bei Kaffee und Kuchen brillierte Majid mit gepflegter Unterhaltung und erzählte exotische Anekdoten aus seiner Heimat, was vor allem bei meiner Mutter seine Wirkung nicht verfehlte. Jan dagegen blieb kühl und zurückhaltend.
Beim zweiten Sonntagsbesuch verrieten wir lächelnd unsere Heiratsabsichten und stießen auf offenkundige Ablehnung. Das war zu erwarten. Also unternahm ich mit meinem Liebsten gleich nach dem Mittagessen einen ausgiebigen Spaziergang, um meinen Eltern Zeit zu geben, den Schock zu verarbeiten.
Irgendwann gaben sie uns mehr oder weniger freiwillig ihren Segen. Natürlich musste ich erst einmal meine skeptischen Eltern von der Richtigkeit meines Vorhabens überzeugen. Aber so richtig glücklich wirkten sie nicht. Ich nahm es hin. In meiner leicht naiven, unschuldigen Art dachte ich, das wird schon alles. Natürlich.