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Kapitel 5 Amman, Januar - Juni 2023

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In den ersten Tagen nach unserer Ankunft in Jordanien versuchte ich, mich so schnell wie möglich an die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen. Alles war neu, fremd, aufregend, exotisch. Die Familie bemühte sich, mir zu zeigen, dass sie mich in ihre Kreise aufnehmen möchten. So schien es zumindest, und ich hatte mich bemüht, sie so zu akzeptieren, wie sie waren. Auch wenn mir manches im täglichen Zusammenleben sehr fremdartig erschien. Gewöhnungsbedürftig fand ich das Einnehmen der Mahlzeiten auf dem Boden. Wir aßen für gewöhnlich in dem kleineren Wohnzimmer. Auf dem Teppich wurden große Laken ausgebreitet und die Mahlzeiten in großen Schüsseln darauf platziert. Gegessen wurde mit der Hand. Natürlich nur mit der rechten Hand, das wusste ich schon von Majid, die linke Hand galt als unrein und durfte niemals zum Essen benutzt werden. Meistens war beim Essen die ganze Familie anwesend. Verwandte kamen häufig vorbei, brachten Kinder mit. Die liefen während der Mahlzeiten umher mit den fetttriefenden Fleischstücken in der Hand. Die Fetttropfen zierten ihren Weg bis nach draußen. Niemand störte sich daran, obwohl die Kleinen ihre Hände sogar an dem Polster der Sitzecke abzuwischen pflegten. Sie schrien so laut, dass eine normale Unterhaltung kaum möglich war. Auch dann wurden sie von den Erwachsenen nicht ermahnt.

Majid saß zwischen seinen männlichen Verwandten, warf mir hin und wieder einen flüchtigen Blick zu und lächelte verstohlen. Wenn mal keine männliche Verwandtschaft anwesend war, saß er stets neben seiner Mutter, die ihm liebevolle und bewundernde Blicke zuwarf.

In die Gespräche der Familie wurde ich nur selten mit einbezogen, meistens wurde ich gefragt, wie mein Leben vor Majid ausgesehen hat. Als Übersetzerin diente Alia. Sie war gerade fünfzehn geworden, sprach ganz gut Englisch und war die Netteste in der Familie. Sie ging noch zur Schule, hatte aber bereits einen offiziellen Verlobten. Mehr wusste ich nicht. Die Familie redete nicht gerne darüber.

Natürlich schilderte ich wahrheitsgemäß mein Leben in Deutschland. Zu verbergen hatte ich doch nichts. Ich verschwieg lediglich meine Beziehung zu Stephan. Dass wir zusammen wie Frau und Mann gelebt hatten, hätten sie nicht verstanden. Majid wusste, dass es ihn gab. Es schien ihm nichts auszumachen. Das dachte ich damals zumindest. Meine Schwiegermutter warf mir den ersten, hasserfüllten Blick zu, als ich der Familie von meiner schönen Wohnung berichtet hatte. Schnell blickte sie beiseite, aber ich bemerkte es trotzdem und in meinem Kopf begann es zu rattern. War es so schlimm, dass ich als eine erwachsene und selbstständige Frau allein gelebt habe? Ich bin doch keine von den leichten Mädchen, oder was denken die hier von mir! Irgendwie fand ich die Situation plötzlich seltsam. Als ob ich mich vor ihnen rechtfertigen müsste.

Mein erster guter Eindruck wich nach und nach einer gewissen Unsicherheit. Wie gewöhne ich mich an das alles hier? Kann ich mich anpassen? Dass nicht alles gleich easy sein würde, hatte ich schon gedacht. Aber nun war es viel komplizierter, als mir lieb war. Alles, was ich tat, war irgendwie falsch. Nur Alia kam manchmal vorbei, unterhielt sich mit mir und ich hatte den Eindruck, dass sie mich wirklich mochte. Es freute mich sehr, ich hatte hier sonst niemanden zum Reden. Wir waren uns von Anfang an seltsam vertraut. Meine Schwägerin war wunderschön mit strahlend großen, tiefbraunen Augen. Sie war klein, hatte aber eine makellose Figur. Sie machte die Männer wahrscheinlich ganz wuschig, wenn sie unterwegs war. Natürlich durfte sie das Haus niemals ohne Begleitung verlassen. Zur Schule wurde sie von Majids Chauffeur gebracht und gegen sechzehn Uhr wieder abgeholt. Sie musste sich züchtig kleiden, aber im Haus konnte ich ihre unschuldige Schönheit bewundern. Ich wäre gerne so wunderschön wie Alia. Ich bewunderte ihre Unbekümmertheit, ihre tolle Figur und ihre Jugend. Sie hatte alles noch vor sich, das ganze Leben. Während ich in einer Ehe steckte, die immer mehr einem Gefängnis ähnelte.

In meiner Naivität dachte ich, dass, wenn ich schnell arabisch lernte, sich die Herzen der Familie für mich öffnen würden. Aber dem war nicht so. Sie redeten fast gar nicht mit mir und kümmerten sich nicht um mich. Ich merkte schnell, sie wollten mich nicht kennenlernen. Ich hatte nie eine Chance bekommen. Nach ein paar Wochen konnte ich ein klein wenig von dem Gesprochenen verstehen, nach zwei Monaten sprach ich ein paar Brocken arabisch, wenn auch mit Akzent. Leider hat das die Einstellung der Familie mir gegenüber nicht verändert. Sie blieb am liebsten unter sich. Meine Bemühungen, mich zu integrieren, eine von ihnen zu werden, blieben erfolglos. Wie sehr wünschte ich mir, es wäre anders.

Tagsüber saß ich meistens allein im Garten und las meine E-Books oder wenn es in der alles vernichtenden Mittagshitze nicht möglich war, verzog ich mich in unser Schlafzimmer, wo die stets eingeschaltete Klimaanlage für eine angenehme Temperatur sorgte. Majid war fast den ganzen Tag unterwegs, erst arbeitete er in seinem Geschäft und später traf er sich mit seinen Freunden, wo sie in einem Café literweise Kaffee tranken und Shisha rauchten, eine arabische Realität.

Die Familienmitglieder gingen ihren gewohnten Beschäftigungen nach, ohne sich über mich Gedanken zu machen. Niemand sah nach mir. Lediglich, wenn sich alle zum Abendessen versammelten, wurde nach mir geschickt. Alia oder Majid holten mich und wir aßen zusammen.

Meine Schwiegermutter hatte den ganzen Tag in der Küche zu tun, so viele hungrige Mäuler mussten täglich gestopft werden. Sie kochte offensichtlich gerne, in ihrer langen Abaya bewegte sich diese kleine, dickliche Frau erstaunlich flink. In Jordanien wird levantinisch gekocht. Die Küche zeichnete sich durch große Vielfalt und Variantenreichtum aus. Schon früh am Morgen war sie mit den Frühstücksvorbereitungen beschäftigt. Es musste reichlich gedeckt werden, die Meute hatte Hunger. Zum Frühstück gab es meistens Brot mit Butter, Honig, Marmelade, Quark, Eier, alles frisch und sehr üppig. Zum Lunch aßen wir gerne Mezzah, Hummus (eine Art Erbsenpüree mit Gewürzen), frisches Gemüse aus dem Garten, mit Knoblauch gefüllte Auberginen in Minze mariniert und Pecannüsse. Das Abendessen wurde für gewöhnlich zwischen 19 und 20 Uhr eingenommen. Die Zeit nach dem Essen verbrachte die Familie meistens gemeinsam. Sie unterhielten sich miteinander, sahen fern, die Frauen fertigten kleine Kunstwerke aus Stein, Ton und Perlenschmuck. Alia war oft im Internet und traf dort ihre Schulfreundinnen.

Ich vertrieb mir die Zeit mit Lesen oder suchte im Internet nach einfachen jordanischen Kochrezepten. Eine gute Köchin war ich nie, aber ich gab mir immer viel Mühe, das Kochen zu erlernen und hier wollte ich jordanisch kochen lernen. Mehrmals hatte ich angeboten, in der Küche zu helfen, aber ich wurde von meiner Schwiegermutter jedes Mal mit einem höflichen Lächeln weggeschickt. In mir wuchs der Verdacht, dass sie eine Ungläubige nicht an ihr Essen lassen wollte. Vielleicht dachte sie, ich würde es verunreinigen. Warum wollen sie mich nicht? Bin ich nicht gut genug für Majid? Wenn ich die Küche betrat, verstummten die Gespräche, als wollten sie etwas vor mir verheimlichen. Selbst Alia machte mit. Obschon sie immer sehr freundlich und nett zu mir war, wollte sie keine Fragen beantworten, die die Familie betrafen. Was darf ich nicht erfahren? Was verheimlichen sie vor mir? Ich war mir ganz sicher, dass etwas in dieser Familie nicht stimmte.

Eines Abends hörte ich zufällig, wie sich Majid am Telefon mit einem Mann stritt. Er wurde laut, schrie mit den Händen fuchtelnd in den Hörer. Das machte mich auf das Gespräch aufmerksam. Wiederholt nannte er den Namen Alia, mehr verstand ich leider nicht. Wie schade! Ich muss unbedingt arabisch lernen! Meine Neugierde wurde geweckt. Wer ist dieser geheimnisvolle Mann? Warum war Majid so wütend geworden?

Das Böse aus dem Morgenland

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