Читать книгу Nach dreizehn Jahren - Sofie Schankat - Страница 8
ОглавлениеWunden
Der Mann klopfte mit den Fingern abwartend aufs Armaturenbrett. Er musste gleich rauskommen. Jeden Moment würde es so weit sein. Nach und nach kamen die Spieler aus der Halle, die er alle nicht mehr kannte. Er hatte in den letzten Jahren bloß noch Markus Sladowskis Werdegang verfolgt, nicht jedoch die DEL, geschweige denn die Heschbacher Geparden. Er kannte bloß noch die Spieler aus den späten Neunzigern und frühen Zweitausendern. Das waren Zeiten damals … Die ruhmreichen Jahre der Geparden, mit der Legende Michael Rahde. Was der im Verein nicht alles umgekrempelt hatte … Zurecht war er eine Legende und ein Idol für das deutsche Eishockey.
Der Mann musste kurz lächeln bei den Erinnerungen an damals. Aber wie alles im Leben war auch diese Zeit vorbeigegangen und hatte nichts als bittersüße Erinnerungen hinterlassen. Der Mann kannte keinen der Spieler, die da aus der Halle kamen – keinen bis auf einen, den achtzehnjährigen Jakob Thiel nämlich, der mit sechzehn seinen DEL- Vertrag bei den Geparden unterschrieben hatte und in diesem Sommer von einem NHL-Team gedraftet worden war. Aber den konnte man ja auch gar nicht nicht kennen. Der war doch beinahe so etwas wie ein deutscher Sidney Crosby – jeder Deutsche, der wenigstens ein kleines bisschen etwas auf Eishockey gab, hatte ihm doch vor zwei Jahren zu Füßen gelegen. Eigentlich war es doch verwunderlich, dass er nicht gleich in Amerika in der AHL im Farmteam geblieben war. Unmöglich, den nicht zu kennen. Was für eine Ehre für Markus Sladowski, ihn trainieren zu dürfen.
Markus Sladowski, der neue Assistenztrainer der Geparden Heschbach. Heschbach. Der Mann ließ seinen Blick über den Parkplatz schweifen. Er war ihm all die Jahre genau so in Erinnerung geblieben, wie er ihn jetzt in Realität wieder vor sich sah.
Dass er noch einmal hierher zurückkehren würde … das hatte er vor kurzem noch nicht für möglich gehalten. Er war davon überzeugt gewesen, für immer ganz weit weg zu gehen, an einen Ort, mit dem er überhaupt nichts verband.
Obwohl die Erinnerungen immer bleiben würden, und vermutlich hätte ihn an jedem Ort wieder irgendetwas erinnert. Dafür saßen die Wunden zu tief. Wunden, die auch dreizehn Jahre nicht hatten heilen können. Sie würden immer offen bleiben. Vielleicht nicht völlig offen und ungeschützt, aber es hatte sich bloß ein kleiner Film darübergelegt. Wie bei einer Nässwunde. Und in jeder Sekunde war er der Gefahr ausgeliefert, gegen irgendetwas zu stoßen, das sie wieder aufriss – und bei einer Nässwunde war das Risiko einer darauffolgenden Blutvergiftung nicht gering.
Und nun fand er sich doch in Heschbach wieder, an dem Ort auf der Welt, an dem die Gefahr, die Wunden wieder aufzureißen, am allergrößten war. Aber seine … seine Neugierde hatte dann letztendlich doch gesiegt. Neugierde und … nein, eigentlich waren es die Erinnerungen, die Wunden selbst, die ihn dazu gebracht hatten, gegen seinen klaren Verstand zu handeln und hierher zurückzukommen. Hätte er es nicht getan, dann hätte er niemals Ruhe gefunden. Er musste sie sehen. Wenigstens ein Mal.
Wenn du sie gesehen hast… dann kannst du deine Ruhe finden und es hinter dir lassen. Zumindest so weit, wie es möglich ist.
Der Mann zog sich die Cap noch etwas tiefer in die Stirn. Unter der Cap und dem Schal floss ihm der Schweiß bereits in Strömen den Rücken hinunter. Ob er so noch zu erkennen war? Nein. Bestimmt nicht. Gerade, als er darüber nachdachte, ob er nicht doch lieber auch noch eine Sonnenbrille aufsetzen sollte – ihm widerstrebte das, da er durch eine Sonnenbrille einfach nicht die Realität sah, sondern bloß einen verdunkelten Schatten – sah er einen Mann aus der Halle treten.
Der Mann zuckte zusammen. Er kannte Markus von Fotos, doch ihn jetzt mit eigenen Augen zu sehen, so verändert … Er war alt geworden. Und streng und ernst. Der Mann sah das sofort, auch auf die Entfernung. Das war nicht mehr der Sonnenschein-Markus. Das war ein Mann, der vom Leben böse überrascht worden und der dazu gezwungen worden war, seine Pläne zu ändern, mit ihnen jedoch nicht hatte glücklich werden können. So sah wohl ein vom Leben gezeichneter und vom Schicksal getroffener Mensch aus. Nichts mehr war von dem freundlichen, sanften, liebevollen und lebensfrohen jungen Mann mit den goldigen Haaren und den dunklen Augen übrig geblieben.
Der Mann beobachtete mit einem seltsamen Gefühl der Leere und Fremde, wie Markus über den Parkplatz ging, seine Sporttasche über der Schulter, und ein Auto aufschloss. Von Markus’ damaligen DEL- Gehalt war inzwischen vermutlich nicht mehr viel übrig – aber es musste ihnen ganz schön gutgehen. Veronica musste doch Millionen eingenommen haben, so erfolgreich, wie ihre Bücher auf der ganzen Welt verkauft wurden.
Der Mann hatte sich … er hatte sich eine glückliche Familie vorgestellt, zufrieden und harmonisch und fröhlich. Doch ihn beschlich plötzlich die Ahnung, dass es so nicht sein würde. Vielleicht hatte er sich auch all die Jahre eine Bilderbuchfamilie vorgestellt, um sich selbst zu beruhigen. Da war Angst, was ihn nun nach all den Jahren tatsächlich erwarten würde.