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Kapitel 8

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Sie hatten die Stadtgrenze passiert, und die behäbige, alte Reisekutsche kam nur mehr langsam voran. Penelope und ihre Begleiterin drückten die Nasen an die außen mit Lehm bespritzten Fensterscheiben und konnten kaum glauben, was sie sahen. Auch das Hausmädchen Rosie, das ihnen in London als Kammerzofe dienen sollte und nun auf der gegenüberliegenden Bank saß, hatte seine lebhafte Plauderei eingestellt und war ganz still geworden. Die Aufregung der drei stieg mit jeder Meile, mit der sie sich der Henrietta Street näherten. So viele Menschen! Ja, natürlich, man hatte ihnen erzählt, dass London schmutzig war, aber so schmutzig? Sie hatten erwartet, dass es laut werden würde, aber so laut? Für junge Frauen wie sie, die noch nie aus der beschaulichen Idylle einer ländlichen Umgebung hinausgekommen waren, war dies hier eine völlig unbekannte Welt. Noch nie hatten sie so viele Geschäfte, solch ein Gewirr an noblen Kutschen, einfachen Wagen und Reitern gesehen! Dazwischen Fußgänger, die versuchten, die belebten Straßen mit heiler Haut zu überqueren. Dienstboten eilten, um ihre Verrichtungen auszuführen, Händler schoben ihre Karren und fluchten lautstark, wenn sich ihnen jemand unbeabsichtigt in den Weg stellte. Als die Kutsche zum Stillstand kam, beobachtete Penelope fasziniert einen Scherenschleifer, der ein Messer an den Stein seiner Maschine hielt. „Scheren zwei Penny!“, rief er aus, „Taschenmesser nur ein Penny! Küchenmesser im Dutzend billiger!“

Da presste sich plötzlich von außen das schmutzige Gesicht eines etwa Zwölfjährigen an die Fensterscheibe. Penelope erschrak fürchterlich und fuhr zurück.

„Zündhölzer!“, rief der Bursche, „Kaufen Sie Zündhölzer, Mylady, bitte!“

Das Kind erinnerte sie an ein junges, streunendes Hundebaby, und sofort bekam sie Mitleid. Sie hätte ihm gern eine Packung abgekauft, wagte es aber nicht, den Wagenschlag zu öffnen. Bevor sie Gewissensbisse bekommen konnte, setzte sich die Kutsche zu ihrem Glück wieder in Bewegung und rumpelte weiter über den unebenen, mit einzelnen, großen Steinen befestigten Lehmboden. Nach einer weiteren halben Stunde Fahrt waren die Straßen besser befestigt, die Häuser deutlich eleganter und das Geschrei ringsherum etwas leiser.

Vor einem schmalen Backsteinhaus mit Erker und weißen Sprossenfenstern blieb das Fahrzeug stehen. Der Kutscher sprang vom Bock und betätigte den Türklopfer. Sie hatten ihr Reiseziel erreicht. Die jungen Frauen waren so aufgeregt, dass ihnen das Herz bis zum Hals klopfte. Penelope ergriff die Hand ihrer Begleiterin, sie war ebenso eiskalt vor Aufregung wie ihre eigene.

„Glaubst du, es wird alles gut gehen, Freddy?“, flüsterte sie. „Mir ist gar nicht wohl zumute! Was machen wir, wenn deine Maskerade auffällt? Was sollen wir tun, wenn wir in dieser riesengroßen Stadt verloren gehen? Wie soll ich hier unter all den vielen Leuten bloß einen passenden Gatten finden?“

Frederica war glücklich, in London zu sein, und gleichzeitig wünschte sie sich weit weg.

Als Agathas Sturz entdeckt worden war, war Lady Panswick außer sich gewesen. Nicht nur aus Mitleid für die arme Nichte, die vor Schmerzen wimmerte, sondern vor allem weil ihr waghalsiger Heiratsplan zu scheitern drohte, bevor man überhaupt mit dem Umsetzen begonnen hatte. Mr Grittleton war längst abgereist und mit ihm ihre Aufforderung, alles verfügbare Geld von der Bank abzuheben. Daraus ergab sich für Lady Panswick nur eine einzige mögliche Konsequenz: Penelope musste trotz allem nach London reisen, komme, was da wolle. Wie sehr graute ihr vor dem Gedanken, ihre Tochter nun wohl selbst begleiten zu müssen. Sie hatte sich auf dem gesellschaftlichen Parkett der Hauptstadt immer fehl am Platz gefühlt. Eine dicke Truthenne inmitten zarter, gackernder, eleganter Hühner. Doch nun, so fürchtete sie, würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als sich dieser Qual auszusetzen.

Am nächsten Morgen – der Arzt, den man bereits in der Nacht geholt hatte, um Agatha mit Laudanumtropfen zu versorgen, hatte soeben das verletzte Bein mit gehobelten Latten geschient und unter Hinterlassung zahlreicher Anweisungen das Haus wieder verlassen – überraschte Frederica alle mit einem Vorschlag: „Bitte, Mama, lass mich mit Penelope nach London reisen! Ich kann eine fast ebenso gute Chaperone sein wie Agatha.“

Auch wenn diese Worte für Lady Panswick wie ein Lichtschein am Horizont erschienen waren, hatte sie umgehend widersprochen: „Rede keinen Unsinn, Frederica. Als unverheiratetes Mädchen bist du keine geeignete Anstandsdame!“

„Ich könnte doch sagen, ich sei Agatha!“, hatte Frederica vorgeschlagen, die ihre Hoffnung nicht gleich wieder begraben wollte. „Sie war doch all die Jahre im Ausland. Da erinnert sich sicher niemand mehr an sie.“

„Du vergisst, dass sie im Trauerjahr des Öfteren Freunde besucht hat“, wandte ihre Mama ein. „Außerdem glaubst du doch nicht allen Ernstes, dass dich jemand für dreiunddreißig Jahre halten könnte!“ Mutters Protest klang jedoch nicht mehr ganz so vehement.

„Sie könnte sich als meine Schwester Cecilia ausgeben“, meldete sich Agatha von der Chaiselongue her zu Wort. „Ich habe euch doch immer gesagt, dass Freddy meiner Schwester auffallend ähnlich sieht.“

Ihre Ladyschaft erwog den Gedanken. „Das ist wahr“, sagte sie schließlich, und dann, zu Frederica gewandt: „Denkst du wirklich, du könntest vorgeben, eine junge Witwe zu sein? Nimmst du dir da nicht zu viel vor?“

Ihre Tochter hatte den Funken Hoffnung in der Stimme ihrer Mutter vernommen und ohne zu zögern bestätigt, dass sie sich diesbezüglich keine Sorgen zu machen brauche.

Große Worte, die jetzt, als sie vor Aufregung zitternd Londoner Boden betrat, wie Hohn in ihren eigenen Ohren klangen. Keine Sorgen? Von wegen! Sie war mittlerweile ein wandelnder Ausbund an Sorgen.

Als sie jedoch den hilfesuchenden Blick ihrer Schwester auf sich spürte, atmete sie tapfer durch, zwang sich zu einem Lächeln und sagte mit viel mehr Zuversicht, als sie tatsächlich empfand: „Natürlich wird alles gut gehen, Lämmchen! Wenn wir uns erst einmal eingelebt haben, wird uns diese Stadt mit seinen vielen Menschen auch keine Angst mehr einjagen. Du wirst sehen, wir werden den Aufenthalt genießen.“

Wie gern hätte sie ihren eigenen Worten geglaubt!

Zwei Diener kamen herbei und verbeugten sich. Einer führte Rosie zur Treppe, über die sie den Küchentrakt erreichen konnte. Im selben Augenblick erscholl eine laute, hohe Frauenstimme, und eine korpulente Dame in einer Kreation aus dunkelgelber Seide, über und über mit Schleifen und Rüschen besetzt, kam mit weit ausgestreckten Armen die kleine Vortreppe herunter.

„Willkommen, die Damen!“, begrüßte sie die Schwestern.

Auf ihrem Turban in der gleichen Farbe wippten drei Pfauenfedern fröhlich im Takt. So etwas Überladenes hatte Frederica noch nie zuvor gesehen. Bangen Herzens fragte sie sich, ob das wohl der letzte Schrei in der Hauptstadt war. Trug man solche Kreationen am frühen Nachmittag? Musste Penelope am Ende auch solche Kleider tragen? Mit einem Mal erschien es ihr gar nicht mehr so schlimm, dass sie weiterhin Agathas Trauerkleider auftragen musste. Das violette Reisekleid, das sie an diesem Tag trug, war zwar hochgeschlossen und völlig schmucklos, aber es hatte zumindest Stil. Ein mit schwarzer Spitze besetztes Witwenhäubchen verdeckte ihr aufgestecktes Haar beinahe völlig. Die Wärme unter der Haube war ungewohnt, und sie hätte sich gern gekratzt, doch das war natürlich undamenhaft und damit undenkbar. Die dünne Nickelbrille trug sicher auch nicht dazu bei, ihre Erscheinung erfreulicher zu machen. Das einzig Schöne war der Brillantring an ihrer linken Hand. Mama hatte darauf bestanden, dass sie ihn trug. Er sollte den unwiderlegbaren Beweis darstellen, dass sie nicht nur verheiratet gewesen war, sondern auch Vermögen besaß.

„Willkommen, willkommen, willkommen“, wiederholte ihre neue Gastgeberin, während sie mit seltsamen Trippelschritten auf sie zutrat. „Willkommen in meinem bescheidenen Heim, Lady Alverston, seien Sie versichert, es ist mir eine Ehre!“

Für eine Sekunde fürchtete Frederica, die massige Gestalt würde sie in die Arme schließen. Doch stattdessen reichte sie ihr, den Konventionen entsprechend, die Hand zum Gruß und versank in einen Knicks. Im ersten Reflex wäre Frederica beinahe ihrem Beispiel gefolgt, doch dann erinnerte sie sich an Mamas intensive Schulung in den Benimmregeln, die für verheiratete Ladys und adelige Witwen galten. Lady Daglingworth war von viel niederem Stand als sie. Daher blieb sie, so schwer es ihr auch fiel, aufrecht stehen und neigte nur leicht den Kopf. Dann atmete sie tief durch, um sich selbst Mut zu machen, und sagte in einem Tonfall, der dem ihrer Mutter nicht unähnlich war: „Wir danken Ihnen für den freundlichen Empfang, Lady Daglingworth. Wie überaus zuvorkommend von Ihnen.“

Diese Worte schienen der älteren Dame zu gefallen. Ihr Lächeln vertiefte sich. Sie wollte sich an Penelope wenden, doch Fredericas nächste Bemerkung hielt sie zurück.

„Aber eines muss ich korrigieren, wenn Sie gestatten. Ich bin nicht Lady Alverston“, sagte Frederica schnell.

Die Dame fuhr herum. Das Lächeln war einem Ausdruck von Ratlosigkeit gewichen. „Ach, nein? Mein Bruder Thomas informierte mich, dass …“

„Nein.“ Frederica straffte ihren Rücken. „Der … äh … Gesundheitszustand von Lady Alverston erlaubte es ihr nicht, sich den Strapazen einer Reise auszusetzen. Darum hat man mich gebeten, ihre Stelle einzunehmen. Ich bin Lady Cecilia Winford, ihre jüngere Schwester.“

Wie beiläufig streifte Frederica ihre violetten Kalbslederhandschuhe ab und gab den Blick auf den brillantbesetzten Ehering frei.

„Mein Gatte, der Honorable Peter Winford, starb vor drei Jahren.“ Ihre Gastgeberin sollte gar nicht erst auf die Idee kommen, sie sei als Anstandsdame ungeeignet. Penelope betrachtete ihre Schwester mit unverhohlener Bewunderung.

Lady Daglingworth war offensichtlich weit davon entfernt, Fredericas Fähigkeiten als Anstandsdame in Frage zu stellen. „So jung schon Witwe geworden? Sie arme, kleine Kreatur!“, erwiderte Lady Daglingworth bedauernd.

Frederica errötete zutiefst. Zum Glück sprach ihre Gastgeberin ohne Unterbrechung weiter: „Ich hoffe, bei Ihrer Schwester ist es nichts Ernstes, Lady Winford. Sie sind mir natürlich genauso willkommen, wie es mir Ihre Schwester gewesen wäre. Das ist doch alles Jacke wie Hose, wie man in meiner Familie zu sagen pflegt.“

Während sich Frederica noch fragte, was dieser Satz bedeuten mochte, reichte die korpulente Dame bereits ihrer Schwester die Hand. „Sie sind aber tatsächlich die kleine Barnett, oder hat man mir hier auch einen Ersatz geschickt?“

Diese Frage fand sie selbst so amüsant, dass sie in trällerndes Gelächter ausbrach.

Penelope ließ sich davon nicht beirren, knickste anmutig und schenkte ihr dann ihr liebreizendstes Lächeln „Ich bin tatsächlich Penelope Barnett und danke Ihnen so sehr für Ihre großzügige Gastfreundschaft, Lady Daglingworth.“

„Sie sind ja tatsächlich eine wahre Zuckerpuppe“, rief die Gastgeberin begeistert aus „Da hat mein lieber Bruder ausnahmsweise einmal nicht übertrieben. So eine hübsche junge Lady! Die jungen Männer werden sich um Sie reißen, meine Liebe. Sie werden sehen, wir werden Sie mir nichts dir nichts unter der Haube haben.“

Penelope errötete über diese unverblümten Worte und warf ihrer Schwester einen weiteren hilfesuchenden Blick zu. Die zermarterte sich das Hirn. Was würde Agatha in dieser Situation tun? Am besten war es wohl, das Thema zu wechseln.

„Was für ein schönes Haus Sie haben, Lady Daglingworth“, sagte sie in einem, wie sie hoffte, selbstbewussten Tonfall. „Wir sind schon neugierig, wie es von innen aussieht!“

Der Heiratsplan

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