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Kapitel 5

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Etwa zur selben Zeit, als Mr Grittleton den Vorschlag unterbreitete, Agatha und Penelope könnten im Haus seiner Schwester Lady Daglingworth wohnen, bekam eine andere Londoner Lady unerwarteten, aber durchaus erfreulichen Besuch. Der Türklopfer wurde so energisch betätigt, dass die verwitwete Countess of Derryhill erschrocken zu ihrem Stickzeug griff, das sie achtlos auf die Chaiselongue neben sich gelegt hatte. Wer auch immer der unerwartete Besucher war, es machte einen besseren Eindruck, wenn sie zumindest so tat, als sei sie mit einer Handarbeit beschäftigt, als sich dabei ertappen zu lassen, Löcher in die Luft zu starren. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, Ihre Ladyschaft langweilte sich. Ja, natürlich, sie war am Nachmittag ausgeritten, aber das tat sie jeden Tag. Ja, natürlich, sie war am Abend zu vier verschiedenen Veranstaltungen eingeladen, aber auch das war nichts Neues. Konnte nicht einmal ein Tag anders sein als der vorhergehende? Nein, es wäre nicht besser gewesen, wäre ihr seliger Derryhill noch am Leben. Seine Lordschaft war siebzehn Jahre älter gewesen als sie. Wenn ihn eines interessiert hatte, dann war das die Jagd gewesen, und seine große Liebe galt seinen Hunden. Beides waren die Gründe dafür, dass Mylady während ihrer Ehe kaum je von ihrem Landsitz in Cornwall weggekommen war und sich schwor, irgendwann einmal in London zu leben, und zwar für immer. Dieser Zeitpunkt war vor vier Jahren eingetreten, als ihr Gatte sie zur Witwe machte. Er hatte sie wohlversorgt zurückgelassen und ihr ermöglicht, sich ein eigenes Haus in der Brook Street im vornehmen Stadtteil Mayfair zu kaufen. So lebte sie zwar nahe genug von Derryhill House, aber doch nicht so nahe, dass sie und ihr Sohn, der nunmehrige Earl, sich gegenseitig auf die Nerven gehen konnten. Ein sehr kluger Schachzug, wie sich längst herausgestellt hatte. Wer weiß, ob ihre Beziehung sonst auch so harmonisch und innig verlaufen wäre. In der Zwischenzeit war Ihre Ladyschaft achtundvierzig Jahre alt geworden, doch hätte ihr Sohn nicht schon die dreißig überschritten, niemand hätte ihr ihr Alter angesehen. Ihre Haare waren feuerrot und glänzend wie eh und je. Und sollten sich doch einmal weiße Strähnen zwischen diese Pracht mischen, so wusste ihre findige Kammerfrau umgehend für Abhilfe zu sorgen.

An diesem Nachmittag trug Lady Derryhill ein elegantes Häubchen aus grüner Seide mit kunstvollen Schleifen an der Seite, das perfekt mit dem Tageskleid aus grüner Schurwolle harmonierte. Sie hatte es in kürzester Zeit geschafft, zu den tonangebenden Damen der Gesellschaft zu zählen. Die Countess von Lieven, eine der Patronessen des Almack‘s Club, gehörte zu ihren engsten Freundinnen. Von Mr Brummell, den alle Gentlemen, die etwas auf sich hielten, zu ihrem modischen Vorbild auserkoren hatten, hatte sie nicht erst einmal ein Kompliment für ihre stilsicheren Kreationen bekommen.

„Guten Abend, Bowles“, hörte sie eine wohlbekannte Stimme aus der Eingangshalle. „Ist meine Mutter zu Hause?“

„Sehr wohl, Mylord. Mylady befinden sich im Blauen Salon!“, antwortete der Butler.

Schon war sie bei der Tür. „Jetzt nicht mehr!“, rief sie fröhlich und eilte ihrem Sohn entgegen, um ihn so heftig in die Arme zu schließen, als hätte sie ihn seit Monaten nicht gesehen. Dabei waren sie sich am Vortag bei einer Ausfahrt im Hyde Park begegnet.

Seine Lordschaft hatte ein ebenso herzliches Lachen wie seine Mama. Sonst war die Ähnlichkeit eher bescheiden. Sein Haar war dunkel, und er überragte sie um mindestens zwei Köpfe. Als seine Mutter ihn wieder losgelassen hatte, übergab Seine Lordschaft zuerst den hohen Reithut und dann den dunkelbraunen Kutschiermantel in die Obhut des Butlers. Die Vielzahl der Schulterkragen wies ihn als Mitglied des renommierten Four-Horses-Clubs aus. Lady Derryhill betrachtete ihn voll mütterlichem Stolz. Einen würdigeren Vertreter der modischen Dandys, die derzeit das gesellschaftliche Leben der Hauptstadt bestimmten, konnte es nicht geben. Seine biskuitfarbenen Beinkleider saßen ebenso hauteng wie die glänzenden Stiefel und der dunkelblaue Rock. Das weiße Halstuch war im Osbaldeston Stil geknüpft und ließ ihm damit genügend Bewegungsfreiheit, um den Kopf drehen zu können. Ein Luxus, den sich viele junge Stutzer nicht gönnten. Ihr Sohn Anthony stand Beau Brummell, wie sie fand, an Stil und Eleganz in nichts nach. Während Lady Derryhill ihren einzigen Sohn ansah, dankte sie Gott zum wiederholten Mal, dass ihn die Natur nicht mit ihren zierlichen Maßen ausgestattet hatte, sondern dass er im Aussehen seinem verstorbenen Vater glich. Er war nicht nur groß, sondern auch breitschultrig, was daran lag, dass er regelmäßig im Boxclub von Gentleman John Jackson in der Bond Street trainierte. Außerdem war er nicht nur ein begnadeter Reiter, sondern ein geübter, wenn auch reichlich ungestümer Fechter. Vom Charakter her eine gelungene Mischung beider Elternteile. Er war rechtschaffen und gebildet wie sein Vater und konnte manchmal in erschreckender Weise dessen spöttische Arroganz an den Tag legen. Andererseits war er aber auch fröhlich und bisweilen leichtsinnig wie sie selbst und wie sie ein Freund geschliffenen Wortwitzes. Es konnte keine Mutter geben, die stolzer auf ihr erwachsenes Kind war als die Countess of Derryhill.

„Wie schön, dass du bei mir vorbeikommst, mein Sohn“, sagte sie laut und wandte sich dann dem Butler zu: „Bowles, bitte servieren Sie uns Tee!“

Anthony Farrensby, der vierte Earl of Derryhill, der nun seiner Mutter zur Sitzgruppe vor dem Kamin folgte, war vor einer Woche zweiunddreißig Jahre alt geworden. Die Tatsache, dass er immer noch unverheiratet und kinderlos war, brachte zwei für ihn sehr unangenehme Folgen mit sich. Da war vor allem das immer stärker werdende Gefühl, keinen Schritt mehr vor die Haustür setzen zu können, ohne dass ihm eine ehrgeizige Mutter ihre Tochter vor die Füße geschoben hätte. Bälle waren ihm schon seit Längerem ein Gräuel. Dabei tanzte er eigentlich sehr gern. Aber das ganze Drumherum langweilte ihn unendlich. Ebenso ging ihm das Geschnatter der Debütantinnen auf die Nerven. „Dumme Gänse in Pastell!“, wie es sein Freund Archi so treffend ausdrückte. Die zweite unangenehme Tatsache war ebenfalls weiblich, doch bereits um die vierzig und der Grund seines heutigen Besuchs im Hause seiner Mutter.

Ihre Ladyschaft setzte sich auf das zierliche, mit blau-gold gestreifter Seide überzogene Sofa vor dem Kamin. Es war ungewöhnlich warm für Mitte April, sodass der darin befindliche Stapel Buchenscheite noch nicht angezündet worden war. Sie klopfte einladend auf den Platz neben sich: „Nun sag schon, Anthony, gibt es einen besonderen Anlass für deinen Besuch? Oder bist du bloß gekommen, um deine arme, alte Mutter von ihrer unerträglichen Langeweile zu befreien?“

Der Earl lachte laut auf: „Arme, alte Mutter!“, wiederholte er mit liebevollem Spott und zog es vor, sich in den breiten Lehnstuhl fallen zu lassen, der seiner Mutter gegenüberstand. „Spricht so eine der unangefochtenen Königinnen der Londoner Gesellschaft? Ich hoffe, du verzeihst, dass sich mein Mitleid in Grenzen hält. Ganz im Gegenteil, ich bin gekommen, um dein Mitleid zu erheischen, denn von uns beiden bin ich zweifellos momentan der Ärmere.“

Ihre grünen Augen blitzten interessiert auf. „Was ist passiert, mein Sohn? Ärger mit einer deiner Mätressen?“

„Mama!“ Es war eine Mischung aus gespielter und durchaus aufrichtig empfundener Empörung, die Seine Lordschaft zu diesem Aufschrei veranlasste. „Was ist denn das für ein ungehöriges Gesprächsthema zwischen Mutter und Sohn! Außerdem: Was weißt du denn von meinen Mätressen?“

„Nicht viel“, musste Lady Derryhill zugeben und zog einen Schmollmund. „Leider. Du erzählst mir ja nichts über sie. Dabei wäre das eine willkommene Abwechslung zu all den anderen öden Themen, mit denen ich mich tagtäglich beschäftigen muss!“

Er lachte wieder, beugte sich vor, nahm ihre Hand und drückte einen kleinen Kuss darauf. „Du bist unschlagbar, Mama. Und deshalb liebe ich dich so sehr. Aber untersteh dich bitte, mit irgendjemandem über meine Mätressen zu sprechen. Noch dazu in der Mehrzahl! Man könnte mich doch glatt für einen … einen …“

„Casanova halten?“, schlug Ihre Ladyschaft vor, die sichtliches Vergnügen an der ungewöhnlichen Konversation hatte.

Seine Lordschaft nickte: „Richtig. Und das bin ich keineswegs. Darum habe ich auch immer nur eine Mätresse, und derzeit nicht einmal das, wenn du es schon so genau wissen willst.“

„Wo liegt denn dann dein Problem?“

„Das Weib hat sein Kommen angekündigt. Sie will mit Marcus eine Woche in London bleiben.“

„Du lieber Himmel!“

Das Weib, von Lady Derryhill auch gern das schreckliche Weib genannt, war niemand anderes als Mrs Serena Farrensby, die Mutter seines hoffnungsvollen Erben. Derryhills Vater hatte einen um einiges jüngeren Bruder, der vor acht Jahren gestorben war. Er hinterließ einen Sohn und eine Frau, deren einziges Bestreben es war, diesen Sohn, Marcus, zu einem würdigen Erben für den Earl of Derryhill zu erziehen. Dabei hatte sie ganz eigene Vorstellungen davon, wie sich ein würdiger Erbe zu benehmen hatte. Nämlich arrogant und voller Standesdünkel und mit einer Sprache, die man eher als gestelzt denn als vornehm bezeichnen konnte. Jedes Jahr, das ins Land zog, ohne dass sich der jetzige Inhaber des Titels vermählt hatte, ließ ihre Hoffnungen steigen, dereinst die Mutter eines Earls zu sein.

Als der Butler den Tee servierte, sprachen Mutter und Sohn über das milde Wetter, doch als er das Zimmer verlassen hatte, wollte Ihre Ladyschaft sofort wissen, ob das Weib etwa gedenke, wieder Derryhill House am Berkeley Square in Beschlag zu nehmen.

„Davon kannst du ausgehen, Mama. Was bleibt mir anderes übrig, als das zu gestatten? Ich kann meinen Erben doch nicht vor die Tür setzen, nicht wahr?“

„Nein, das kannst du nicht. Wie ich das schreckliche Weib kenne, würde es dafür sorgen, dass sich die Hyänen die Mäuler darüber zerreißen.“

Resigniert hob er beide Hände. „Meine Worte! Du siehst, liebe Mama, ich bin ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.“

„Bist du nicht“, widersprach Lady Derryhill vehement. „Du müsstest nur endlich für einen eigenen männlichen Nachkommen sorgen.“

„Das kann ich gern tun“, erwiderte ihr unverbesserlicher Sohn und grinste frech. „Allerdings dachte ich immer, illegitime Kinder hätten keinen Erbanspruch.“

„Anthony!“ Seine Mutter schnappte nach Luft, und es hätte wohl nicht viel gefehlt, dann hätte sie eines der Sofakissen nach ihm geworfen. „Du weißt genau, was ich meine. Du bist jetzt zweiunddreißig Jahre alt. Such dir endlich eine passende Ehefrau!“

Er seufzte auf: „Eine passende Ehefrau? Das sagt sich so leicht. Hast du irgendwann eine junge Dame kennengelernt, die du dir als passende Gemahlin für mich vorstellen könntest? Unter all den Gänsen in Pastell, die derzeit die Ballsäle unsicher machen, ist mit Bestimmtheit keine dabei. Ich habe neulich versucht, mich im Theater mit zweien von ihnen zu unterhalten. Es war schrecklich ermüdend, kann ich dir sagen. Die eine bekam vor lauter Ehrfurcht den Mund kaum auf. Aus „Ja, Mylord!“, „Gewiss, Mylord!“ kann sich keine vernünftige Unterhaltung ergeben. Die andere wiederum war jetzt schon laut und schrill. Wie wird sie erst werden, wenn sie die vierzig überschritten hat?“

Lady Derryhill musste ihm insgeheim recht geben.

„Was ist mit der kleinen Timsbury? Die scheint mir sehr vernünftig zu sein.“

„Ja, durchaus. Doch du kennst ihre Mutter, Mama. Gegen sie ist das schreckliche Weib ja fast eine Wohltat.“

Bei diesem Vergleich mussten Mutter und Sohn herzlich lachen.

„Die Tochter des Duke of Leisterfield ist bildhübsch!“, schlug sie vor.

„Sehr richtig, Mama. Doch sie ist auch strohdumm. Das wiederum reduziert ihre Attraktivität nun doch sehr deutlich.“

„Ich dachte, ihr jungen Dandys würdet dumme Frauen bevorzugen. Sie lassen euch dann umso klüger erscheinen.“ In ihren Augen blitzte der Schalk.

„Dieser Angriff verfehlt sein Ziel, Mama. Wer mit einer klugen Mutter gesegnet ist wie ich, der gibt sich nicht mit einer hübschen Fassade zufrieden.“

„Schön gesagt, mein Sohn“, erwiderte Ihre Ladyschaft und freute sich. Sie schlug ihm noch eine Reihe anderer junger Mädchen vor, die er allesamt mit guten Argumenten ablehnte.

„Das Einzige, was mir übrig bleibt, Mama“, sagte er schließlich, wohl wissend, dass umgehender Protest folgen würde, „ist darauf zu warten, bis eine der Damen von Format Witwe geworden ist.“

Sie setzte sich kerzengerade auf: „Schon eine bestimmte Dame im Auge, mein Sohn?“

Er lachte und schüttelte den Kopf. „Nein, keine. Ich wollte dich bloß schockieren. Aber wie ich bemerke, benötigte ich schärfere Geschütze, um das zu schaffen. Also zurück zu Serena. Darf ich auf deine Hilfe zählen? Nimmst du sie zu deinen Unternehmungen mit, damit ich mein Haus zumindest stundenweise für mich habe?“

Seine Mutter seufzte tief. „Ich habe mich zwar inständig nach Abwechslung gesehnt, aber so hatte ich sie mir nicht vorgestellt. Ich wünschte mir Unternehmungen mit einer Lady, um meine Langeweile zu vertreiben. Allerdings dachte ich dabei an eine Dame mit Esprit und keinesfalls an das schreckliche Weib. Andererseits: Wie könnte ich dich je im Stich lassen?“

Seine Lordschaft erhob sich und ergriff ihre Hand, um einen Kuss darauf zu hauchen. „Vielen Dank, Mama, ich stehe in deiner Schuld. Und nun muss ich gehen. Archi wartet. Wir wollen noch eine Partie Schach spielen, bevor wir zu einer Kartenpartie im Carlton House aufbrechen. Seine Hoheit, der Prinzregent, hatte die Gnade, uns zu sich zu zitieren.“

Der Heiratsplan

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