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Kapitel 3

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Es wurde ein sehr langer Nachmittag für Mr Grittleton, und die Rückkehr in sein ruhiges Zimmer in der Poststation rückte in immer weitere Ferne. Lady Panswick hatte die Botschaft, die er ihr zu überbringen gezwungen war, mit heftigem Widerstand vernommen. Sie standen am Rande des Ruins? Das wollte sie nicht glauben, was Mr Grittleton ihr nicht verdenken konnte. Wer hörte denn schon gern, dass das vorhandene Geld lediglich für das nackte Leben reichte – und das auch nur für zwei weitere Jahre. Unter der Voraussetzung, dass sich alle äußerster Sparsamkeit befleißigten, die Diener bis auf ein Hausmädchen und die Köchin entlassen wurden und Bertram und Nicolas ihre teure Schulausbildung abbrachen, um auf den Ländereien mitanzupacken.

„Mein Sohn Bertram ist ein Viscount!“, hatte Ihre Ladyschaft ausgerufen und den bedauernswerten Überbringer der schlechten Nachricht angestarrt, als hätte er den Verstand verloren. „Er wurde nicht geboren, um anzupacken.“

„Dann, Mylady, so leid es mir tut, Ihnen das so schonungslos sagen zu müssen, ist er dazu geboren, im Schuldturm zu enden.“

Mr Grittleton erschrak selbst am meisten über diese Worte. Lady Panswick war nun wohl doch zu erschüttert, um ihn zurechtzuweisen.

„Gibt es denn gar keinen anderen Weg?“, murmelte sie mehr zu sich selbst als zu den beiden anderen.

„Nein, keinen.“ Bedauernd schüttelte Mr Grittleton den Kopf, bevor ihm plötzlich etwas einfiel. „Es sei denn“, räumte er ein, während ein Quäntchen Hoffnung in seiner Stimme mitschwang, „Sie haben Verwandte, die Ihnen unter die Arme greifen könnten, Mylady.“

Sein Blick streifte die schwarz gekleidete, schmale Gestalt auf dem Diwan, die sich auch sofort angesprochen fühlte. „Ich würde Tante Louise jeden Shilling, den ich habe, geben, glauben Sie mir, Mr Grittleton. Ich stehe tief in ihrer Schuld. Doch leider hat mich mein lieber Edward nahezu unversorgt zurückgelassen. Ich bin daher selbst auf die Großzügigkeit von Verwandten angewiesen.“

Auch das noch! Ein Mund mehr zu stopfen, dachte Mr Grittleton, und auch Lady Panswicks folgende Worte waren nicht geeignet, das kleine Flämmchen der Hoffnung, das kurz aufgeflackert war, tatsächlich zum Brennen zu bringen.

„Nein, diese Idee müssen Sie sich aus dem Kopf schlagen. Mein seliger Gatte hatte einen jüngeren Bruder, doch der ist tot. Es gibt einen Sohn, der als Soldat in Spanien kämpft. Bei dem ist mit Sicherheit nichts zu holen. Ich hatte eine Schwester, die gemeinsam mit ihrem Mann bei einem Kutschenunfall ums Leben kam. Das Erbe ging an irgendeinen entfernten Cousin, zu dem wir keinen Kontakt haben. Agatha hat kein Geld, ihre Schwester Cecilia noch weniger. Bleibt nur mein Halbbruder Lord Chedworth, den Sie ja selbst am besten kennen. Er ist gute zwölf Jahre jünger als ich, denn er entstammt der zweiten Ehe meines Vaters. Wir standen uns nie sehr nahe.“ Weil er schon immer ein verzogener, verweichlichter Bengel war, der zu nichts nütze ist, setzte sie in Gedanken dazu.

Das verstand Mr Grittleton auch ohne Worte.

„Natürlich bin ich ihm sehr dankbar, dass er die Vormundschaft für meine Kinder übernommen und Sie mit der Prüfung unserer finanziellen Lage betraut hat“, fühlte sich Lady Panswick verpflichtet, hinzuzufügen.

„Warum verkaufst du nicht Landbesitz?“, schlug ihre Nichte vor und bewies damit ihren pragmatischen Verstand. „Damit müssten sich doch die Schulden meines Onkels abdecken lassen.“

Doch auch hier konnte der Vermögensverwalter nur den Kopf schütteln: „Laut Erbverfügung, die der vierte Viscount anno 1690 anlässlich der Geburt seines Erstgeborenen erließ, darf das Land, das damals bereits zu Lancroft Abbey gehörte, nur gemeinsam mit dem Herrenhaus veräußert werden. Und das ist so gut wie alles, denn die späteren Viscounts haben kaum Landbesitz dazu erworben. “

„Lancroft Abbey verkaufen? Haben Sie den Verstand verloren? Das Anwesen, auf dem die Familie meines seligen Mannes seit acht Generationen lebt? Das ist undenkbar! Dazu gebe ich nie meine Zustimmung!“

„Gemäß derselben Erbverfügung wurde festgelegt, dass nur der jeweilige Inhaber des Titels einen solchen Verkauf veranlassen könnte“, setzte Mr Grittleton fort, eisern bemüht, sich Lady Panswicks strenge Bemerkung nicht so sehr zu Herzen zu nehmen. „Und dies auch nur nach Erlangen seiner Großjährigkeit.“

„Cousin Bertram ist noch nicht einmal achtzehn“, rechnete Lady Agatha vor. „Da dauert es noch ein paar Jahre bis zu seiner Großjährigkeit. Wenn die finanziellen Lage so verheerend ist, wie Sie ausführten, dann können wir wohl kaum so lange warten.“

„Schluss jetzt!“ Die Hand der Viscountess schlug so laut auf den kleinen Beistelltisch, dass sich Mr Grittleton erschrocken zu ihr umwandte. „Lancroft Abbey wird nicht verkauft! Das ist mein letztes Wort! Das bin ich meinem verstorbenen Gatten schuldig.“

„Ich darf einwenden, dass er es war, der durch seine Entscheidungen diese missliche Lage erst herbeigeführt hat“, entgegnete der Vermögensverwalter mit einem scharfen Unterton in der Stimme, was ihm die nächste Rüge einbrachte.

„Nein, das dürfen Sie nicht! Sie sind nicht hier, um über uns zu urteilen. Sie sind hier, um Lösungen für unser unerfreuliches Schicksal zu finden.“ Lady Panswick blieb hart.

„Wenn ich daran denke, dass es unsere Expeditionen waren, die Lancroft Abbey in den Ruin gestürzt haben, dann plagt mich das schlechte Gewissen, Tante Louise. Wie könnt ihr mir das je verzeihen?“ Lady Alverston seufzte tief.

„Kein Grund, melodramatisch zu werden, meine Liebe. Das war eine Übereinkunft unter Männern, an der du ohnehin nichts hättest ändern können.“ So streng Lady Panswicks Tonfall auch war, ihre Rechte tätschelte begütigend die Hand ihrer Nichte. Es war auch für Mr Grittleton nicht zu übersehen, dass die beiden Frauen einander herzlich zugetan waren.

„Oh, es waren nicht nur Ihre Expeditionen, Mylady“, fühlte sich auch der Besucher verpflichtet, die schmale junge Witwe zu beruhigen. „Der verstorbene Viscount hatte unerfreulicherweise höchst selten Glück am Spieltisch.“

Damit hatte er vielleicht sein Ziel erreicht, das Gewissen der jungen Witwe zu besänftigen, dafür zog er sich endgültig den Unmut der älteren Witwe zu. Diese schnappte empört nach Luft.

„Das ist doch allerhand!“, brauste sie auf. „Über Tote spricht man kein schlechtes Wort, das sollte Ihnen Ihre Mutter beigebracht haben, Mr Grittleton.“

Der Vermögensverwalter war in seiner Ehre gekränkt und konnte seine Empörung nur mühsam unterdrücken. „Selbstverständlich hat sie das, Mylady“, sagte er und presste die blassen Lippen zusammen.

Seine Gastgeberin reagierte versöhnlich. „Gut, nachdem wir das also geklärt haben, kommen wir …“

„… wieder auf den Boden der Tatsachen zurück“, ergänzte er ihren Satz, bevor sie sich abermals in Wunschvorstellungen hineinsteigerte, die keine Aussicht auf Erfüllung hatten. „Möchten Sie die Schuldscheine sehen, die ich in den Unterlagen gefunden habe?“

Lady Panswick schnaufte unwillig, sagte jedoch kein Wort. Ganz offensichtlich wollte sie das nicht.

„Was ist mit dem Haus in London?“, warf Lady Agatha ein. „Kannst du das nicht verkaufen, liebe Tante? Es stellt sicher einen erheblichen Wert dar, und ihr nutzt es ohnehin nicht.“

„Das wäre eine Idee …“, gab Lady Panswick zu.

„… aber keine, die sich umsetzen lässt“, machte Mr Grittleton auch diese Hoffnungen umgehend wieder zunichte. „Gemäß Erbverfügung des vierten Viscount …“

„Das hätte ich mir denken können“, unterbrach seine Gastgeberin ihn bitter. „Es scheint, als hätte dieser Vorfahre meines Gatten nicht an Notsituationen in der Zukunft gedacht.“

Oder er hat genau das getan, dachte Mr Grittleton. Er wollte seinen Nachfahren ihr Erbe sichern. Laut sagte er: „Grämen Sie sich bitte nicht allzu sehr, Mylady. Ihr Stadtpalais ist sehr gut vermietet und bringt Ihnen ein erfreuliches monatliches Einkommen ein.“

„Na, wenigstens etwas.“ Es klang nicht so, als wäre Ihre Ladyschaft tatsächlich begeistert. Dann herrschte Stille im hochherrschaftlichen Wohnzimmer. Nur die große Standuhr schlug laut und vernehmlich vier Mal.

Es war, als würde dieser Glockenschlag Lady Panswicks Lebensgeister wieder wecken: „Die Uhr gehörte meiner Großmutter mütterlicherseits! Wie konnte ich das nur vergessen? Bertram hat von ihr ein beträchtliches Vermögen geerbt. Das wird uns jetzt retten.“

Mr Grittleton seufzte vernehmlich. „Sie vergessen, Mylady, dass Ihre werte Großmutter testamentarisch festlegte, dass Ihr Sohn erst mit Vollendung seiner Großjährigkeit über das Geld verfügen kann.“

„Aber das ist erst in über drei Jahren!“, fuhr Lady Agatha auf.

„Sehr richtig, Mylady“, bestätigte Mr Grittleton.

Nachdem diese letzte Hoffnung also rasch wieder im Keim erstickt worden war, schwiegen alle drei.

„Es bleibt uns nichts anderes übrig“, sagte die Hausherrin schließlich, und auch ein unbeteiligter Beobachter hätte erkannt, wie schwer ihr das fiel. „Wir müssen eine Hypothek aufnehmen.“

Mr Grittleton schüttelte den Kopf: „Es ist bereits alles belehnt, was belehnt werden konnte. Ich habe diesbezüglich mit dem Direktor Ihrer Bank gesprochen.“

Dann herrschte wieder Schweigen, das von Minute zu Minute erdrückender wurde. Mr Grittleton wagte es nicht mehr, seiner Gastgeberin ins Gesicht zu blicken. Es erschien ihm wie der Todeskampf eines waidwunden Rehs. Es gab nichts mehr, das helfen konnte. Angestrengt betrachtete er die Szenen auf dem großen Gobelin an der Wand vor ihm. Er zeigte eine Gruppe Männer auf der Jagd. Wie passend, dachte er.

Nach einer gefühlten Ewigkeit – Mr Grittleton fürchtete schon, die Nacht hier im Sitzen zubringen zu müssen – räusperte sich Ihre Ladyschaft laut und vernehmlich und sagte dann mit einer resoluten Stimme, die so gar nichts mit einem waidwunden Tier gemeinsam hatte: „Wie viel Barmittel hätten wir zur Verfügung, wenn wir die dringendsten Schulden beglichen haben, Mr Grittleton?“

Er nannte ihr die Summe, die für die nächsten Monate reichen sollte, wenn sie alle äußerst sparsam …

„Papperlapapp!“, unterbrach sie ihn, „Denken Sie doch nach! Was nützt uns ein sparsames Leben, wenn wir es damit nicht schaffen, die Zeit bis zu Bertrams Großjährigkeit im Juni 1814 zu überbrücken?“

Der Blick, den sie Mr Grittleton zuwarf, war ebenso erwartungs- wie vorwurfsvoll.

„Ja, also, äh, Mylady … Niemand kann genau sagen, was die Zukunft bringt. Wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben, dass …“

„Pah, Hoffnung! Heute Morgen hatte ich Hoffnung. Das letzte Jahr hatte ich Hoffnung. Mein ganzes Leben lang hatte ich Hoffnung. Und wohin hat mich diese Hoffnung gebracht? An den Rand des Abgrunds! Nein, Mr Grittleton, ich gründe meine Zukunft, die Zukunft von Lancroft Abbey und die meiner Kinder nicht länger auf Hoffnung. Meinen Söhnen die bestmögliche Ausbildung zu verwehren, kann nicht die Lösung unserer Probleme sein. Die Diener, die seit Jahren treu in unseren Diensten stehen, zu entlassen, um ein paar Guineen zu sparen, das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein.“

Es klang so energisch, dass er kaum wagte, ihr zu widersprechen, allein seine Rechtschaffenheit ließ nichts anderes zu. „Ich bedaure es inständig, mich wiederholen zu müssen, Mylady, aber ich fürchte, Sie haben keine andere Wahl!“, entgegnete er.

„Und ob ich die habe!“ Lady Panswick sprang von ihrem Sessel auf und zog am Klingelstrang. „Ich werde alles auf eine Karte setzen.“

Der Heiratsplan

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