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Kapitel 1

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Lancroft Abbey, Tunbridge Wells, Kent,

April 1811

„Er ist da! Penelope, er ist gekommen! Ist das nicht aufregend?“ Frederica hatte kaum das Zimmer betreten, das sie mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester teilte, da riss sie auch schon die Tür des wuchtigen Kleiderschranks mit heftigem Schwung auf, dass diese laut in den Angeln knarrte. „Unsere Trauerzeit ist vorbei. Endlich ist Schluss mit diesen tristen, hässlichen Kleidern!“

Penelope sah nur kurz auf, um sich dann wieder der kleinen getigerten Katze zuzuwenden, die auf ihrem Schoß lag und die sie hingebungsvoll streichelte.

„Von wem sprichst du, Frederica? Ich wusste gar nicht, dass Mama Besuch erwartet.“

Etwas Weiches landete neben ihr auf der bestickten Bettdecke. Es war ein schlichtes Tageskleid in düsterem Violett, der Kragen hochgeschlossen, nicht die kleinste Spitze am schmalen Ärmel. Gleich darauf folgte ein schwarzes Leinenkleid, grob, einfach und ohne jeden Zierrat.

Frederica hielt kurz inne. „Aber natürlich weißt du das, Lämmchen! Es ist nur so, dass es dich nicht interessiert. Mr Grittleton ist eingetroffen. Das ist der Vermögensverwalter, den Mamas Halbbruder, Onkel Chedworth, zu uns geschickt hat. Endlich werden wir erfahren, wie viel Geld für mein Debüt zur Verfügung steht. Cousine Agatha und ich können nun nach London aufbrechen. Und endlich, endlich brauchen wir diese Scheußlichkeiten nicht mehr zu tragen. Findest du das nicht herrlich, Penelope?“

Ihre Schwester schüttelte den Kopf: „Ich habe die Trauerkleidung eigentlich recht praktisch gefunden. Man wurde im Stall nicht so schnell schmutzig.“

„Wie dem auch sei, nun wird alles anders!“, rief Frederica, während ihre Wangen voll Vorfreude glühten. „Fast habe ich das Gefühl, mein Leben würde erst jetzt richtig beginnen.“

Die kleine Katze auf Penelopes Schoß rekelte sich ausgiebig, bevor sie wohlig zu schnurren begann. Für einen kurzen Augenblick war Frederica von ihrem eigentlichen Thema abgelenkt. „Mama mag es nicht, wenn du Tiere mit in unser Schlafzimmer bringst, Lämmchen.“

Der Protest folgte umgehend. „Aber das ist doch kein Tier! Das ist bloß ein Kätzchen. Sieh nur, wie sauber es ist. Und wie süß. Außerdem wirst du mich sicher nicht bei Mama verpetzen.“

Frederica lachte. „Nein, natürlich nicht.“

Sie griff zum nächsten Kleiderbügel, und ein schlichtes dunkelgraues Kleid landete neben den beiden anderen auf dem Bett.

„Weißt du, wie lange ich schon von meinem Debüt in London geträumt habe? Seit meinem sechzehnten Geburtstag. Seit sage und schreibe sechs Jahren male ich mir alle Einzelheiten aus. Wie oft habe ich Papa darum gebeten, aber er wollte bekanntlich nichts davon hören. Er hasste die Hauptstadt ebenso sehr, wie Mama sie hasst. Wenn es nicht Cousine Agatha gäbe, die bereit ist, mich als Chaperone zu begleiten, käme ich wohl nie im Leben dazu, vor der Königin und unserem neuen Prinzregenten einen Knicks zu machen.“

„Ich stecke mein Geld lieber in Edwards Ausgrabungen, als es den Putzmacherinnen für Rüschen und Tand in den Rachen zu werfen.“ Penelope imitierte die tiefe Stimme ihres Vaters so gekonnt, dass Frederica laut auflachen musste.

„Wer braucht schon neue Stiefelchen, wenn man ein Stück des Schuhs von Ramses II. haben kann?“, ergänzte sie.

Nun lachten sie beide.

Doch Frederica wurde schnell wieder ernst. „Du weißt, dass ich Papa geliebt habe, Lämmchen. Und doch hätte ich mir gewünscht, er hätte sich mehr für seine eigenen Kinder interessiert als für Cousin Edwards Ausgrabungen. Der war schließlich nicht einmal sein echter Neffe, sondern bloß der Gatte von Mamas Nichte.“

„Ich denke, er hat Edward für seine Leistungen bewundert“, wandte Penelope ein. „Dafür, dass er seine Gesundheit und ein bequemes Leben aufs Spiel setzte, um im Wüstensand nach Schätzen längst vergangener Tage zu graben.“

„Wenn er Edward bewunderte, dann hätte er Cousine Agatha noch viel mehr bewundern müssen“, antwortete Frederica. „Sie ist schließlich eine Lady. Und doch hat sie mit ihrem Gatten in Ägypten gelebt und ihn bei seiner Arbeit unterstützt.“

„Das ist richtig. Und jetzt nimmt sie auch noch das Abenteuer auf sich, dich als Anstandsdame nach London zu begleiten. Sie ist wirklich unerschrocken, das muss ich zugeben.“

Penelope hatte bei den letzten Worten zu lachen begonnen. Ihre Schwester ließ sich neben ihr auf dem Bettrand nieder und stimmte in das Lachen ein.

„Ich denke, es wird wirklich ein Abenteuer. All die Gesellschaften, Theater, Museen, ich kann es kaum mehr erwarten.“ Sie hielt kurz inne: „Möchtest du nicht doch mit uns kommen, Lämmchen?“

Erschrocken riss Penelope die Augen auf und schüttelte energisch ihre blonden Locken.

„Oh nein, meine Liebe, es gibt nichts, was mir die Hauptstadt reizvoll erscheinen lässt. Hast du Mamas Erzählungen vergessen? Wie laut es in London ist und wie schmutzig? Die Luft ist schlecht, und häufig löst sich der Nebel tagelang nicht auf.“ Angeekelt verzog sie das Gesicht.

„Das wird mir nichts ausmachen …“

„Warte nur ab! Papa reiste stets widerwillig zu den Sitzungen des House of Lords. Und Mama hasste es geradezu, wenn sie ihn begleiten musste.“

„Ja, aber London hat sicher auch seine gute Seiten“, ließ sich Frederica in ihren hoffnungsfrohen Zukunftsträumen nicht beirren.

„Das mag schon sein, doch sicher nicht für mich. Warum sollte ich in eine stinkende, große Stadt wollen, wenn es auf dem Lande so schön ist? Hier habe ich Natur ringsherum. Ich kann alles zu Pferd erkunden. Bunte Blumenwiesen, duftendes Heu! Und dann sind da noch die vielen anderen Tiere. Vögel, Kühe und die Schafe. Habe ich dir schon erzählt, dass Aphrodite, das hübsche, schwarze Schaf mit den besonders dunklen Augen, Nachwuchs erwartet, Freddy?“

„Ach, tatsächlich?“, fragte Frederica mehr ihrer Schwester zuliebe als aus wirklichem Interesse. Sie stand auf und wandte sich wieder dem Schrank zu, um das nächste Kleid kritisch in Augenschein zu nehmen.

„In London soll es auch große Parks mit blühenden Wiesen geben, in denen man ausreiten kann“, sagte sie. „Und dazu noch viele andere verlockende Dinge.“

Eine graue Pelerine landete auf dem Kleiderstapel.

„Denk doch nur an die wunderbaren Buchgeschäfte, Penelope. Prall gefüllt mit den interessantesten Reisebeschreibungen und den aufregendsten Romanen. Am Piccadilly soll es einen besonders großen Laden geben, der dir jedes Buch besorgt, das du lesen möchtest. Willst du es dir nicht doch noch einmal überlegen? Immerhin bist du auch schon zwanzig Jahre alt und damit längst im passenden Alter für ein Debüt.“

„Ich will aber nicht!“, beharrte Penelope trotzig und so laut, dass das Kätzchen erschrocken von ihrem Schoß sprang und sich unter das Bett verkroch. „Ich hoffe darauf, dass ich in nicht allzu ferner Zukunft hier in Tunbridge Wells einen Landedelmann kennen- und liebenlerne. Dann könnte ich für immer in der Nähe von Lancroft Abbey bleiben, und ein Aufenthalt in der Hauptstadt bliebe mir erspart.“

Frederica sank wieder aufs Bett und ergriff die Hand ihrer Schwester: „Wenn du dir das so sehr wünschst, dann wünsche ich es dir natürlich auch.“ Sie seufzte. „Obwohl es in London ohne dich schrecklich einsam sein wird.“

Penelope drückte ihr einen kleinen Kuss auf die Wange. „Auch wenn ich nicht mitkommen möchte, finde ich es lieb von dir, dass du das sagst.“

„Ich nehme Papa übel, dass er unsere Debüts immer wieder hinausgeschoben hat“, meinte Frederica nach kurzem Überlegen. „Vermutlich wären wir beide sonst längst unter der Haube. Wie schade, dass ihn seine Kinder so wenig interessiert haben.“

Ihre Schwester widersprach ungewohnt energisch: „Oh, das stimmt so nicht, Freddy! Für unsere Brüder Bertram und Niki hat er sich doch stets interessiert. Er war mehrfach in Eton, um nach dem Rechten zu sehen. Weißt du noch, wie glücklich er war, als Bertram sein Studium in Cambridge aufgenommen hatte? Noch nie habe ich ihn so stolz gesehen wie an diesem Tag.“

Frederica gab ihr recht. „Also gut, dann finde ich es eben schade, dass sich Papa für seine drei Töchter so wenig interessierte. Findet diese Formulierung Gnade vor deinen gestrengen Ohren?“

Penelope nickte ernst. „Wir drei Töchter konnten Papas Aufmerksamkeit wohl tatsächlich nie lange fesseln.“

„Wobei es dir noch am ehesten gelang, Lämmchen, denn euch verband die Liebe zu Tieren“, revidierte Frederica ihr harsches Urteil.

„Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass er dich Schach spielen gelehrt hat und dir erlaubte, jedes Buch aus der Bibliothek auszuleihen.“

„Das stimmt allerdings …“, gab Frederica zu.

„Weißt du noch, als wir Kinder waren? Papa hat eigenhändig den Efeu ausgerissen, der den Boden rund um die kleine Kapelle bedeckte“, erzählte Penelope.

Und ob sich Frederica daran erinnerte: „Wir hatten Fangen gespielt, ich war hingefallen und mit dem Gesicht mitten im Efeu gelandet. Wie schrecklich ich die nächsten Tage ausgesehen habe! Die vielen Pusteln an Gesicht und Händen.“

„Du hast uns allen mit deinem schlimmen Ausschlag so leidgetan, Freddy. Dein Gesicht war rot wie Feuer, die Augenlider geschwollen …“

„Und wie das juckte! Ich durfte mich nicht kratzen, weil Miss Wollbridge sagte, das würde schlimme Narben hinterlassen.“

„Ach, die gute Miss Wollbridge“, seufzte Penelope. „Wir hatten großes Glück mit unserer Gouvernante.“

Frederica gab ihr unumwunden recht. „Das stimmt! Und dass Papa den Efeu ausgerissen hat, damit ein weiteres Missgeschick verhindert wurde, war wirklich sehr väterlich von ihm.“

„Ja, und es zeigt, dass wir drei Mädchen ihm wohl doch nicht egal waren. Manchmal fand er sogar Vivians stürmisches Temperament amüsant, auch wenn Mama sie dafür tadelte.“

Frederica ergriff wieder die Hand ihrer Schwester. „Ich vermisse ihn“, sagte sie leise.

„Ich vermisse ihn auch“, gab Penelope zu. Doch als sie Fredericas traurige Miene sah, wollte sie die trüben Gedanken ihrer großen Schwester verscheuchen. „Wie stellst du dir denn dein Debüt in London vor? Wirst du mit Cousine Agatha viele Bälle besuchen? Und dann gibt es ja noch diesen berühmten Almack‘s Club, in dem sich jede junge Debütantin unbedingt sehen lassen muss. Denkst du, Agatha kann euch Eintrittskarten dafür besorgen?“

Der Heiratsplan

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