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Kapitel 2

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Mr Grittleton saß auf der vorderen Kante des Sessels, den man ihm angeboten hatte, doch er hatte das Gefühl, als säße er auf Nadeln. Gut, er hatte geahnt, dass seine Mission heikel war, aber er hatte nicht gewusst, wie schwer sie tatsächlich werden würde. Er nahm die Teetasse, die ihm Ihre Ladyschaft persönlich eingegossen hatte, dankend entgegen, griff zu einem Stück Shortbread, das auf einer silbernen Etagere bereitstand, und wünschte sich weit weg.

Dafür gab es mehrere gute Gründe. Zum einen hatte er die beschwerliche Reise von London hierher nördlich von Tunbridge Wells mit nur einer Übernachtung in Hildenborough hinter sich gebracht. Jetzt war er müde und sehnte sich nach einem sauberen, ruhigen Zimmer. Außerdem hatte er gehofft, Lady Panswick würde ihrem Bruder, seinem Auftraggeber, ähneln. Wenn ihn irgendjemand direkt darauf angesprochen hätte, dann hätte er über Archibald Dalfort, den Baron of Chedworth, nur anerkennende Worte gefunden. Seine Lordschaft war ohne Zweifel ein Ehrenmann, Baron in bereits neunter Generation, der Kunst ebenso zugetan wie edlen Portweinen. Da Mr Grittleton sich selbst für einen recht passablen Schachspieler hielt, konnte er die Meisterleistungen, die der Baron auf dem Schachbrett vollführte, mit aufrichtiger Anerkennung würdigen. Und er hatte sich gefreut, als dem Baron diese Fertigkeit sogar bewundernde Worte des Prince of Wales eingetragen hatte. Als Mr Grittleton nun daran dachte, musste er sich in Gedanken korrigieren. Prince George war nicht länger nur der Prince of Wales, nein, seit 6. Februar dieses Jahres war er Herrscher über das Königreich, da er als Prinzregent die Geschäfte seines Vaters führte. Armer King George! Von einer schlimmen Krankheit geplagt und dann auch noch solch einen verschwenderischen Stellvertreter!

Mr Grittleton biss in sein Shortbread, seufzte und dachte erneut über seinen Auftraggeber nach. Insgeheim hielt er ihn für einen trägen, weinerlichen Tagträumer, der sich nur für sich selbst interessierte. An seine Vorliebe für exaltierte Westen aus geblümter chinesischer Seide wollte er erst gar nicht denken. Was für modische Torheiten eines jungen Stutzers, der noch nie den Ernst der wirklichen Welt kennengelernt hatte. Aber er bezahlte ihn gut und sorgte dafür, dass ihm die Arbeit nicht ausging. Selbst wenn er immer jammerte und ihm mit seinen Allüren wertvolle Zeit stahl, so tat er letzten Endes doch stets das, was er, Grittleton, ihm geraten hatte. Der Baron war, wie er erst kürzlich im kleinen Kollegenkreis unter dem Siegel der Verschwiegenheit stolz erklärt hatte, Wachs in seinen Händen. Was auch gut war, denn sein Auftraggeber hatte von der Verwaltung seiner Besitztümer keine Ahnung. Und er wollte sich auch gar nicht damit befassen. Als dem Baron vor gut einem Jahr die Verwaltung des Vermögens seines verstorbenen Schwagers und die Vormundschaft über fünf unmündige Neffen und Nichten übertragen worden war, hatte er keinen Augenblick gezögert und alles in seine bewährten Hände gelegt. Mr Grittleton seufzte. Es hatte geraume Zeit gedauert, bis seine Angestellten alle Unterlagen so weit aufbereitet hatten, dass er sich ein klares Bild von den Vermögensverhältnissen der Hinterbliebenen machen konnte. Und dieses Bild war alles andere als erfreulich.

Während seiner ihm endlos vorkommenden Kutschenfahrt nach Lancroft Abbey zur Halbschwester seines Auftraggebers hatte er genügend Zeit gehabt, seine Wortwahl mit Bedacht zu treffen. Er erwartete eine Gesprächspartnerin, die ihrem Bruder glich, hoffte darauf, dass sie weniger anstrengend sein würde, und ging davon aus, dass auch sie widerspruchslos all das umsetzen würde, was er ihr vorschlug.

Als Erstes hatte ihn der Anblick des Herrenhauses aus der Bahn geworfen. Lancroft Abbey war so groß! Vier zweigeschossige Gebäudeflügel, die von vier achteckigen Ecktürmen flankiert waren, umschlossen einen Innenhof. Es würde viel mehr finanzielle Mittel erfordern, dieses aus Backstein errichtete Bauwerk aus der Tudorzeit zu erhalten, als er gehofft hatte. Was ihn als Nächstes aus der Bahn warf, war seine Gastgeberin selbst, die alles andere als die weinerliche, zartbesaitete Elfe war, die er erwartet hatte. Er saß einer robusten, korpulenten Witwe gegenüber, die ihn soeben mit lauter Stimme unverblümt fragte: „Warum in aller Welt haben Sie sich so lange Zeit gelassen, um uns diesen Besuch abzustatten, Mr Grittleton? Wir hatten Sie bereits vor Monaten erwartet.“

Er schreckte aus seinen Gedanken auf.

„Ja, äh, also“ war alles, was er herausbrachte. Wie hätte er der resoluten Lady auch klarmachen können, dass es nicht einfach gewesen war, ihren Bruder zu überreden, dieser Reise überhaupt zuzustimmen.

„Schreiben Sie ihr, was zu tun ist, das reicht“, hatte er gesagt und dabei dem Kammerdiener die Hand zur Maniküre gereicht. „Das Weib hat sich nach Ihren Befehlen zu richten. Kein Grund, sich wegen einer Reise zu echauffieren. Ich brauche Sie hier in London.“

„Seine Lordschaft hielt es nicht für angebracht, Mylady während der Trauerzeit mit finanziellen Angelegenheiten zu behelligen“, sagte Mr Grittleton nun, während er sich im Stillen zu seinem diplomatischen Geschick beglückwünschte.

Eine Augenbraue schnellte in die Höhe. Seine Gastgeberin kannte ihren Halbbruder offensichtlich zu gut, als dass sie diesen Worten Glauben schenken konnte. Keine Frage, Lady Panswick war aus einem anderen Holz geschnitzt als der Baron. Sie unterschied sich allerdings auch von all den adeligen Damen der Londoner Gesellschaft, die er kannte. Als sie ihm eine Tasse Tee gereicht hatte, war sein Blick auf ihre Hände gefallen. Diese Hände konnten zupacken, und wenn man sich die Schwielen und Risse ansah, dann taten sie es auch.

„Reichst du mir die Liste herüber, Agatha?“, fragte sie.

Lady Panswicks Stimme klang rau und ungewöhnlich tief. Ihre Worte waren an die große, hagere junge Frau gerichtet, die aufgerichtet neben ihr auf dem ausladenden Diwan saß. Sie trug ein hochgeschlossenes, äußerst schlichtes Kleid. Die dunkelblonden Haare waren streng aus dem Gesicht gekämmt, zu einem Zopf geflochten und am Oberkopf festgesteckt. Sie war ihm als Lady Alverston vorgestellt worden. Anscheinend war sie die Nichte von Lady Panswick. Er hatte da so eine Geschichte im Hinterkopf. War es nicht Lord Alverston gewesen, der ein gefährliches Fieber aus Ägypten mitgebracht hatte, von dem letztlich nicht nur er selbst, sondern auch der Viscount of Panswick, der Herr dieses Anwesens, dahingerafft wurde? Mr Grittleton war ganz in Gedanken versunken. Er hatte es immer schon gewusst. Reisen brachten unkontrollierbare Gefahren mit sich und sollten daher vermieden werden. Im schönen Königreich hatte man alles, was der Mensch begehrte. Und was es hier nicht gab, das brauchte man auch nicht. Ja, er war ein Mann mit festen Grundsätzen. Erschrocken zuckte er zurück. Um Himmels willen, was war denn das?

Ihre Ladyschaft wedelte mit einem Bogen Papier vor seiner Nase herum.

„Hier, Mr Grittleton, habe ich Ihnen all die Ausgaben notiert, die ich in den nächsten Monaten zu tätigen beabsichtige. Es wird höchste Zeit, dass wir bei den Häusern unserer Pächter ein paar Dächer ersetzen. Im Nordturm regnet es herein, einige Fenster bedürfen eines neuen Anstrichs, und meine Älteste muss dringend ihr Debüt in London geben. Wenn Sie sich also die Zahlen ansehen … Warum entgleiten Ihnen denn die Gesichtszüge?“, fragte sie überrascht.

Der Vermögensverwalter nahm ihr das Blatt ab und versuchte sich auf die Zahlen zu konzentrieren, doch bald schon verschwammen sie vor seinen Augen. Die Ausgaben schienen alle wohldurchdacht und höchst berechtigt zu sein, allein es stand kein Geld dafür zur Verfügung. Nicht ein einziger Shilling. Wie sehr fürchtete er sich davor, diese Worte laut auszusprechen!

Die raue Stimme seiner Gastgeberin riss ihn erneut aus seinen Gedanken. „Ich habe Sie hoffentlich nicht dadurch schockiert, dass ich so frei und offen über Geld spreche? Mein seliger Panswick hätte das nie getan. Wenn ihn eines nicht interessierte, dann waren das die Verwaltung dieses Landsitzes und finanzielle Dinge. Er fand beides zu bourgeois.“

Oh ja, dachte der Vermögensverwalter, das glaube ich gern.

„Geld ist zum Ausgeben da, hat er immer wieder gepredigt, und nicht dazu, sich den Kopf darüber zu zerbrechen!“, fuhr Ihre Ladyschaft auch schon fort.

Mr Grittleton glaubte ihr, dass auch diese Worte der Wahrheit entsprachen, denn er kannte die Zahlen.

„Meinen verstorbenen Gatten haben nur zwei Dinge interessiert“, fuhr sie gut gelaunt fort, „seine Familie und die Archäologie. Darum hat er ja auch die Grabungen, die mein Neffe und meine Nichte, hier zu meiner Linken, in Ägypten durchführten, großzügig unterstützt.“

Die große, hagere Frau neben ihr seufzte.

„Das Studium der griechischen, römischen und altägyptischen Antike war sein Lebensinhalt. Und es hat ihm dann den Tod gebracht. Indirekt natürlich nur, aber doch!“, merkte Lady Alverston traurig an.

Jetzt seufzte auch Lady Panswick.

„Sie haben mehrere Kinder, Lady Panswick?“ Mr Grittleton, der die Wahrheit so lange es ging hinauszögern wollte, beeilte sich, sie auf andere Gedanken zu bringen.

Der Versuch glückte.

„Wir haben fünf Kinder“, erwiderte seine Gastgeberin und klatschte in die Hände, sodass ihre Spitzenmanschetten raschelten. Sie trug ein blasslila Kleid mit kleinen Knöpfen an der Brust und den Ärmeln. Nicht mehr das tiefe Schwarz, das ihre Nichte trug, obwohl ihre beiden Gemahle in derselben Woche gestorben waren.

„Frederica ist die älteste. Mit ihren zweiundzwanzig Jahren hätte sie natürlich längst in die Londoner Gesellschaft eingeführt werden müssen. Doch durch die Erkrankung ihres Vaters hat sich dieses Vorhaben verzögert. Da das Trauerjahr nun vorüber ist, wird das umgehend nachgeholt. Penelope, die zweitälteste, wäre mit ihren zwanzig Jahren ebenfalls alt genug dafür. Sie soll im nächsten Jahr folgen.“

„Ich denke ja immer noch, dass es angebracht wäre, beide Schwestern gemeinsam in diesem Jahr …“, begann ihre Nichte, wurde aber brüsk unterbrochen.

„Nein, Agatha, mein Entschluss steht fest! Penelope ist zu schön, sie würde Fredericas Chancen auf dem Heiratsmarkt zunichtemachen.“

„Ich finde Frederica auch sehr hübsch, und daher …“, ließ Lady Alverston nicht locker, doch sie wurde abermals unterbrochen.

„Gewiss ist sie das, meine Liebe, aber wir wollen doch die Realität nicht leugnen“, entgegnete Lady Panswick resolut.

Mr Grittleton griff zum nächsten Stück Shortbread.

„Nach meinen beiden Töchtern folgt im Alter Bertram“, fuhr Lady Panswick fort, als hätte es diesen Wortwechsel nicht gegeben, „der Erbe und derzeitige Viscount. Er ist siebzehn Jahre alt und studiert in Cambridge. Ich darf sagen, dass er sich zu einem ernsthaften jungen Mann entwickelt, der es wahrlich wert ist, in die Fußstapfen seines verstorbenen Vaters zu treten. Er sichert die Zukunft von Lancroft Abbey und all den dazugehörenden Ländereien.“

Wohl kaum, dachte Mr Grittleton, der sich bei jedem Wort seiner Gastgeberin unwohler fühlte.

„Sicherlich“, entgegnete er stattdessen laut.

„Und dann sind da noch Vivian und Nicolas, mein Jüngster. Vivian ist ab Anfang Mai in Mrs Cliffords Institut für Höhere Töchter eingeschrieben. Und natürlich besucht mein Jüngster das Internat in Eton.“

„Natürlich!“

„Nun kennen Sie unsere familiären Verhältnisse, Mr Grittleton. Also kommen wir zurück zu meiner Liste. Da mein Sohn noch zu jung ist und unser langjähriger Verwalter vom selben Fieber hinweggerafft wurde wie unsere Gatten, habe ich die Zügel auf Lancroft Abbey in die Hand genommen. Mein werter Bruder zieht es ja bekanntlich vor, sich um nichts zu kümmern, was nicht seinem eigenen Wohlbefinden dient.“

Die letzten Worte klangen bitter. Ihre Ladyschaft atmete tief durch. Gerade als sich der Vermögensverwalter verpflichtet fühlte, etwas zur Verteidigung seines Auftraggebers einzuwenden, setzte sie fort: „Sprechen wir zuerst über Fredericas Debüt, Mr Grittleton. Ihre vordringlichste Aufgabe wird sein, den Mietern unseres Stadtpalais Lancroft House am Grosvenor Square umgehend zu kündigen. Meine Nichte Agatha wird meine Älteste nach London begleiten. Die beiden brauchen eine standesgemäße Unterkunft. Außerdem ist unsere Reisekutsche in die Jahre gekommen und muss dringend ersetzt werden. Ich darf Sie bitten, sich auch darum zu kümmern. Und dann gibt es, wie gesagt, noch einige Dinge, die wir hier auf Lancroft Abbey renovieren und verbessern müssen. Ich halte zwar nichts von modischem Firlefanz, möchte aber meine Augen auch nicht ganz vor den modernen Errungenschaften verschließen.“

Jetzt hielt Mr Grittleton den Augenblick für gekommen, Lady Panswick die Augen ganz zu öffnen.

Der Heiratsplan

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